(Vatikan) Die zwiespältige Öffentlichkeitsarbeit des Vatikans gibt immer neue Rätsel auf. Mehr noch dürfte sie Verwirrung unter Gläubigen und Nicht-Gläubigen stiften. „Die tägliche Messe des Papstes ist privat, die vollständigen Texte seiner Predigten werden nicht veröffentlicht, wenn er aber privat die Pfingstler besucht dann…“, kommentierte die spanischsprachige katholische Internetseite Secretum Meum Mihi. Grund ist der heute erfolgte vollinhaltliche Abdruck der Papstrede vor den Evangelikalen in Caserta durch den Osservatore Romano (siehe Bild). Bereits gestern war die Rede im offiziellen Bulletin des vatikanischen Presseamtes veröffentlicht worden, ebenso auf der Internetseite des Heiligen Stuhls, wo sie unter „Ansprachen“ gereiht wurde.
Einerseits gelten die Predigten in der morgendlichen Heiligen Messe in Santa Marta nicht als Teil des päpstlichen Lehramtes. Dennoch entschied der Vatikan „nach aufmerksamer Überlegung“, so Vatikansprecher Pater Federico Lombardi am 29. Mai 2013, eine Zusammenfassung zu veröffentlichen „um einem großen Publikum den Reichtum der Homilien des Papstes“ zugänglich zu machen. Aus diesem Grund werden gleich zwei unterschiedliche Zusammenfassungen angefertigt und veröffentlicht, eine von Radio Vatikan und eine weitere vom Osservatore Romano. Begründet wurde es unter anderem mit „der situationsbedingten, spontanen und familiäreren Ausdrucksweise des Heiligen Vaters“, die dieser in Santa Marta verwende.
Die Predigt vom 7. Juli in Santa Marta wurde jedoch vollinhaltlich veröffentlicht, wiederum im Osservatore Romano. „Demütig bitte ich um Vergebung“, lautete der Titel. Papst Franziskus hatte sich mit Opfern sexuellen Mißbrauchs durch Kleriker getroffen. Die vollständige Predigt wurde neben der Tageszeitung des Vatikans auch im Bulletin, durch VIS und Radio Vatikan verbreitet.
Wenn es einmal geht, könnte es auch immer gehen. Warum veröffentlicht der Heilige Stuhl nicht täglich die Predigten vollinhaltlich? Oder vielleicht gar nicht? Auch das wäre eine Option. Wahrscheinlich sogar die bessere angesichts eines „privaten“ Lehramtes des Papstes, das drauf und dran ist, das offizielle Lehramt zu überflügeln und in den Schatten zu drängen.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Osservatore Romano