(Mailand) Nach einiger Zeit des Schweigens meldet sich der katholische Publizist Alessandro Gnocchi wieder zu Wort. Mit dem Rechtsphilosophen Mario Palmaro bildete er ein kongeniales publizistisches Duo. Eine Zusammenarbeit, die durch den allzufrühen Tod Palmaros im vergangenen März ein abruptes Ende fand. Palmaro war innerhalb weniger Monate der analytisch präziseste und wortgewaltigste Kritiker des Pontifikats von Papst Franziskus geworden. Das Duo Palmaro&Gnocchi weigerte sich, den wohlmeinenden Ratschlägen und Beispielen zu folgen und einer öffentlichen Kritik des Papstes das Schweigen vorzuziehen. Seit einigen Wochen betreut Alessandro Gnocchi, nun im Alleingang, eine ständige Kolumne für die Internetseite Riscossa Cristiana. Sein jüngster Kommentar wurde gleichzeitig auch von der Tageszeitung Il Foglio veröffentlicht, die bereits der Kritik Palmaros und Gnocchis an Papst Franziskus ein Forum bot.
Alessandro Gnocchis jüngster Text ist eine Reaktion auf das erneute Interview, das Papst Franziskus dem Atheisten freimaurerischer Tradition Eugenio Scalfari gewährte. Mit dem Pontifikat von Papst Franziskus wurde La Repubblica, das linke und notorisch kirchenfeindliche Flaggschiff unter Italiens Tageszeitungen zu einer Art offiziösem Sprachrohr des Papstes. Es scheint, daß sich das eigentliche, authentische Lehramt des argentinischen Papstes mehr in den weltlichen Medien äußert als in den offiziellen, vom Vatikan mit vorbereiteten Erklärungen. Hat das Dritte Vatikanische Konzil bereits begonnen, ohne Einberufung und Versammlung, sondern diesmal gleich über die Medien?
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Haben wir es schon bemerkt? Wir sind mitten im Vaticanum III
von Alessandro Gnocchi
(Rom) Gott sei Dank gibt es noch manch guten Christen, der den Tollkühnen im Auge behält, der früher oder später versuchen wird, ihm den Glauben unter der Nase zu verändern. Bewaffnet mit der Steinschleuder, Glaubenslehre und Evangelium legt er sich hinter der Mauer der nächsten Synode über die Familie auf die Lauer, um herauszufinden, ob homosexuelles Verhalten, Zusammenleben, wiederverheiratet Geschiedene und so weiter in der Verweltlichung, zum gängigen Wechselgeld in den Dokumenten der Heiligen Römischen Kirche werden. Oder er durchkämmt getarnt die desolaten existentiellen Ränder in der Erwartung, dort einige lehramtliche Seiten sezieren zu können, in denen schwarz auf weiß festgehalten wird, daß endgültig alles anders ist. Aber abgesehen davon, daß er sich mit veralteten und unverstandenen Waffen ausgerüstet hat, hat er an den falschen Orten Stellung bezogen.
Inzwischen sind die Orte, an denen man kämpft, um den Glauben und die Lehre zu retten, nicht mehr jene, die traditionell dafür vorgesehen waren. Die erneuernden und verweltlichenden Katholiken wissen genau, daß das Geheimnis der Macht in jenem Satz des Romans „Der Gattopardo“ [1]Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Erstveröffentlichung 1958, erste deutsche Ausgabe unter dem Titel „Der Leopard“ 1959 verborgen ist, den Tankred Falconari ausspricht: „Wenn wir wollen, daß alles bleibt, wie es ist, muß sich alles ändern“. Sie aber, höhnisch klerikal, haben ihn auf unbegreifliche Weise umgedreht: „Wenn wir wollen, daß sich alles ändert, muß alles bleiben, wie es ist“. Dort wo die Dogmatik nicht kann, kommt die Pastoral ins Spiel, sodaß die Praxis die Theorie schluckt, ohne daß irgend jemand etwas auszusetzen hätte: alles ändert sich, während alles unverändert bleibt.
In den 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Ernesto Bonaiuti, der Fürst der Modernisten, bereits die Theorie dazu geliefert:
„Bisher wollte man Rom ohne Rom oder sogar gegen Rom reformieren. Man muß Rom mit Rom reformieren, indem man die Reform durch die Hände jener gehen läßt, die reformiert werden sollen. Das ist die wirkliche und unfehlbare, allerdings schwierige Methode. Hoc opus, hic labor. […] Der äußere Kult wird fortbestehen wie die Hierarchie, aber die Kirche, da Lehrmeisterin der Sakramente und ihrer Ordnung, wird die Hierarchie und den Kult gemäß der Zeit ändern: sie wird jene einfacher und liberaler machen und diesen spiritueller; und so wird sie schrittweise ein orthodoxer Protestantismus und nicht ein gewalttätiger, aggressiver, revolutionärer und ungehorsamer.“
Und nun, da die Operation auf fast unumkehrbare Weise vollzogen ist, fühlen sich die guten Christen, bewaffnet mit Steinschleuder, Glaubenslehre und Evangelium desorientiert und gehen auf die Jagd nach dem Gegner, dort, wo sich dieser nie finden lassen wird. Sie sind überzeugt, daß wie zur Zeit der lieben alten Häresien die Doktrin auf der Ebene der Doktrin, die Grundsätze auf der Ebene der Grundsätze und die Dogmen auf der Ebene der Dogmen verteidigt werden müssen, weil sie weiterhin Denkkategorien und Methoden anwenden, die stillschweigend bereits seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil über Bord geworfen wurden.
Das ist aber noch nichts, denn inzwischen ist auch die Zeit des legendären Konzils vorbei. Noch kein Papst hat es so selten zitiert wie Franziskus, den die Hermeneutik des Bruchs so gut wie überhaupt nicht interessiert und noch weniger die Erneuerung in der Kontinuität. Die katholische Welt befindet sich bereits mitten im Dritten Vatikanum, das über die Medien einberufen und zelebriert wird. Die römische Location wurde durch die globale Aula ersetzt, was einen Marshall McLuhan nicht wenig in Unruhe versetzt hätte, der imstande war, den Fürst der Welt als großen Elektronik-Ingenieur zu bezeichnen. Die Vorbereitungsschemata wurden von den Massenmedien redigiert und verbreitet und die Diskussion steht bereitwillig auch für den armseligsten weltlichen Lufthauch offen. Und Schritt um Schritt werden jene Canones redigiert werden, vor denen das Zweite Vatikanum noch aus Furcht vor der Moderne zurückschreckte. Laut den Vorgaben des klerikal-innovatorischen Gattopardismus wird aber die Veränderung durch die große Illusion maskiert, daß alles immer gleich bleiben wird. Aus diesem Grund wird es die Welt sein, die den in der Kirche stattfindenden Wandel mitteilt, was diese offiziell nicht bestätigen wird.
Vor 50 Jahren, in der geologischen Ära des Zweiten Vatikanums dachte man noch, daß das Anathema sit in wenigen, kurzen, klaren Zeilen im Namen und für Gott aus der Zitadelle den Blitz gegen den Irrtum und die Häresie zu schleudern hat. Aus diesem Grund hielten sich die Konzilsväter davon fern: Der Waffenstillstand mit der Welt verlangte Unsicherheit, Zweifel, Zweideutigkeiten, die entsprechend im Sinne von Dialog und Nachgiebigkeit interpretierbar waren, aber gewiß keine ausdrückliche Erklärung.
Nun, da die Umarmung mit der Moderne, personifiziert durch das Pontifikat von Papst Franziskus, in- und außerhalb der Kirche offenkundig und bejubelt ist, gibt es keine Bedenken mehr. Das Anathema sit kommt wieder in Mode, nun aber im Namen und für die Welt, und – der Natur der Medien folgend, in denen das Ereignis Substanz annimmt, findet es sich nicht mehr als Schlußfolgerung von Konstitutionen und Dekreten, sondern auf den Titelseiten der Tageszeitungen.
Vom „Wer bin ich, um zu urteilen?“, das zur Frage der Homosexualität ausgesprochen wurde und das auf Google in 0,28 Sekunden 940.000 Ergebnisse ergibt, bis zur Exkommunikation der Mafiosi auf der Ebene von Sibari, die bei der italienischen Google-Suche in 0,38 Sekunden 412.000 Ergebnisse liefert (selbst bei der deutschen Suche in 0,21 Sekunden satte 23.900 Ergebnisse), kann man sich leicht eine Vorstellung machen, welche Kanons der päpstlichen Narration die Welt destilliert.
Es ist aber unschwer vorhersehbar, daß das Schußfeld sich bald auch auf den Bereich intra muros ausdehnen wird und die ersten, die fallen werden, wie viele Päpstlichen Zuaven bei der Verteidigung des Kirchenstaates, werden die guten Christen sein, die mit Schleuder, Glaubenslehre und Evangelium den Glauben bewachen. Um zu wissen, ob man noch katholisch ist, wird man so jeden heiligen Tag die Titelseite der Repubblica lesen müssen.
Erstveröffentlichung: Riscossa Christiana/Il Foglio
Einleitung/Übersetzung: /Giuseppe Nardi
Bild: Riscossa Christiana
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↑1 | Roman von Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Erstveröffentlichung 1958, erste deutsche Ausgabe unter dem Titel „Der Leopard“ 1959 |
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