(Rom) „Was geht eigentlich im Vatikan vor? Gibt es dort einen ‚Witzbold‘, der sich einen Spaß daraus macht, Papst Bergoglio zu sabotieren oder handelt es sich um eine Art Selbstsabotage? Oder fordert Franziskus auf nie dagewesene Weise seine Kritiker heraus?“ Diese Fragen stellte sich der katholische Publizist Antonio Socci nach der Veröffentlichung eines zweiten Scalfari-Interviews mit Papst Franziskus in der Tageszeitung Libero.
Der Vatikan ist gerade ramponiert aus dem „Unfall“ am vergangenen Sonntag hervorgegangen wegen des zweiten Interviews, das Papst Franziskus Eugenio Scalfari gewährte und das Vatikansprecher Pater Federico Lombardi „mit Überschallgeschwindigkeit noch am Sonntag vormittag in seinen wichtigsten Punkten dementieren mußte, auch wegen des Aufstandes der Kardinäle, und nun tut sich schon ein neuer aufsehenerregender Fall auf“, so Socci.
Das „explosive“ erste Interview von Scalfari vom vergangenen 1. Oktober ist alles andere als vergessen. Wie bereits berichtet, findet es sich wieder auf der Internetseite des Heiligen Stuhls, eingereiht unter den „Ansprachen“ des Papstes und damit zu einem Teil des päpstlichen Lehramtes erhoben. „Eine Faktum von größter Sprengkraft“, so Socci.
Jenes Interview, dessen Aussagen Eugenio Scalfari dem Papst zuschrieb, löste unter vielen Katholiken und ebenso in der kirchlichen Hierarchie größte Irritationen aus. „Der Vatikan brauchte eine Weile, um zu verstehen, wie mit dem Interview umgehen.“ Bereits am 2. Oktober wurde es vom Osservatore Romano vollinhaltlich nachgedruckt. „Es scheint, daß selbst der Papst diese Initiative nicht gut fand“, so Socci. Im Vatikan gibt es offenbar eine Reihe unkritischer Prälaten und Mitarbeiter, die dem Papst selbst dort Blumen streuen wollen, wo sie der Kirche damit nicht dienen.
Handelnder Scalfari, schweigender Papst, gratwandelnder Vatikan
Der Vatikansprecher hatte bereits damals alle Hände voll zu tun, um die allgemeine Unruhe in der Kirche zu beruhigen. Die Entschuldigungsformel Lombardis lautete: der Papst habe das Interview vor der Veröffentlichung nicht mehr gesehen. Eugenio Scalfari gab einige Wochen später genußvoll vor der internationalen Presse bekannt, daß er in Wirklichkeit und völlig korrekt, das von ihm verfaßte Interview vor der Drucklegung dem Papst zukommen und um Druckerlaubnis gebeten hatte. Eine Erlaubnis, die postwendend erteilt wurde.
Selbst der„ultrabergoglianischen“ Internetseite Vatican Insider kamen Zweifel an den Aussagen, die „schwerlich Papst Franziskus zuzuschreiben“ seien.
Die offizielle Distanzierung vom Interview ließ jedoch Wochen auf sich warten. Wochen des peinlich-verstörten Wartens. Am 15. November war es schließlich soweit. Der Text wurde von der Internetseite des Heiligen Stuhls gelöscht. Vatikansprecher Lombardi mußte dialektische Kopfstände vollbringen, um die Kurve zu kratzen, da aus welchem Grund auch immer der eigentlich zwingende Bruch mit Scalfari nicht vollzogen werden konnte. Ein Bruch, den Papst Franziskus offenbar nicht wollte. Lombardi sah man die Anspannung sichtlich an. Die Gratwanderung bestand darin, daß beim Gespräch zwischen Franziskus und Scalfari niemand zugegen war. Wie weit konnte sich der Vatikansprecher also bei seinem Dementi aus dem Fenster lehnen, ohne den Papst bloßzustellen und einem bekennenden Kirchengegner zusätzliche Munition in die Hand zu geben. Das Interview wurde daher offiziell für grundsätzlich glaubwürdig klassifiziert, aber nicht in seinen einzelnen Wertungen. Aus diesem Grund habe man den Text von der Internetseite des Vatikans gestrichen. Die Entscheidung zur Löschung habe das Staatssekretariat getroffen, so Pater Lombardi damals.
„Wenn ein Papst umschmeichelt wird, dann ist es Bergoglio“
Scalfari schrieb dem Papst damals eine Aussage zu, die ein objektiv Gutes und Böses leugnet, denn jeder habe seine eigene Sicht davon, was gut und böse sei. Eine Aussage, die zweitausend Jahren kirchlichem Lehramt widerspricht und eine Preisgabe Christi selbst wäre. Eine andere Aussage des Papstes sei es gewesen, daß er an Gott glaube, „nicht an einen katholischen Gott. Es existiert kein katholischer Gott, es existiert Gott“. Dazu kamen wenig elegante Urteile über seine Amtsvorgänger: „Die Oberhäupter der Kirche waren oft narzißtisch, von ihren Höflingen umschmeichelt und zum Schlechten angestachelt. Der Hof ist die Lepra des Papsttums“. Eine Aussage, die „einem Eigentor ähnelt, denn wenn ein Papst umschmeichelt wird, dann ist es gerade Bergoglio“, denn seine Höflinge hat jeder und um den argentinischen Papst herrscht ein starkes Drängeln.
Nun erschien ein weiteres Scalfari-Interview mit dem Papst und siehe da, taucht das erste Interview, von dem sich der Vatikan schwerfällig, verspätet und gewunden distanzierte, erneut auf der Internetseite des Heiligen Stuhls auf, von der es gelöscht worden war. Nach den Enthüllungen Scalfaris, der wenige Tage nach der Löschung im November vor der internationalen Presse sich selbst der „Fälschung“ bezichtigte, zumindest eines zweifelhaften journalistischen Handelns, hätte man sich eine deutliche Erklärung des Vatikans erwartet. Erfolgt ist nichts.
Wen will der Papst mit seinem Handeln herausfordern?
„Wer ist nun aber für die Wiederveröffentlichung des ersten Interviews auf Vatican.va verantwortlich, nachdem die Löschung vom Staatssekretariat angeordnet worden war? Über dem Staatssekretariat steht nur mehr der Papst. Gab er die Anweisung? Aus welchem Grund erfolgte dieses Umdenken? Wen will er damit herausfordern? Die Kardinäle? Und warum?“, fragt Socci.
Schließlich gibt es aber eine noch weit brisantere Frage: Das Interview findet sich nicht, wie man annehmen könnte, in einer Presserundschau, sondern in der Rubrik „Ansprachen“ des Papstes und damit offenkundig als Teil des päpstlichen Lehramtes. „Das macht die Angelegenheit um so gravierender“, so Socci, da Vatikansprecher Lombardi die Löschung im vergangenen November ausdrücklich damit begründete, daß damit Mißverständnisse und ein falscher Eindruck vermieden werden solle, weil das Interview eben nicht Teil des päpstlichen Lehramtes ist.
Gehören Interviews zum päpstlichen Lehramt oder nicht?
Das Interview war also im Oktober 2013 für jemanden (wen?) im Vatikan Teil des Lehramtes, dann nicht mehr und nun ist es wieder Teil des offiziellen Lehramtes? „Ändern sich die Dinge so schnell im Vatikan? Wer ist dafür verantwortlich?“, so Socci. „Und was ist mit den abenteuerlichen Aussagen, die dem Papst zugeschrieben werden? Sind sie auch Teil des Lehramtes mit allen sich daraus ergebenden Folgen? Ein päpstliches Lehramt das offensichtlich in radikalem Widerspruch zur Heiligen Schrift und zum Lehramt der Kirche steht? Was bedeutet das in letzter Konsequenz?“
Die Päpste sind kein absoluter Souverän, so Socci. Wie das Erste Vatikanische Konzil lehrt, können sie nur innerhalb eines klar umrissenen Rahmens handeln, weil sie berufen sind, das depositum fidei zu bewahren und vollständig und unverkürzt ihren Nachfolgern zu übergeben. Sie dürfen weder etwas Neues erfinden noch irgendeinen Teil verleugnen oder verändern.
Päpstliches Lehramt kann nicht im Widerspruch zum Lehramt der Kirche stehen, sonst…
„Wie hat es Benedikt XVI. mehrfach wiederholt: Die Kirche gehört Christus und nicht den Päpsten“, so Socci. Aufgabe des Papstes ist es, das ihm von Christus anvertraute, verbindliche Glaubensgut unverkürzt weiterzugeben. Das Lehramt jedes Papstes muß sich daher in das immergültige Lehramt der Kirche einfügen. Das sei das ungeklärte Problem der Scalfari-Interviews (und nicht nur), ein Problem, zu dem Papst Bergoglio bisher geschwiegen und nichts geklärt hat. Dieses Problem verlangt eine Antwort des Papstes. „Auf dieses Problem muß Papst Bergoglio eine Antwort geben“, so Antonio Socci.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Dagospia