„Lieben wir den neuen Papst. Er kümmert sich um die Armen und verachtet das Dogma“


Benedikt XVI. auf dem Stuhl im Vatikan, doch nicht dem Stuhl des Petrus
Bene­dikt XVI. sitzt im Vati­kan, aber nicht auf dem Stuhl des Petrus

(Rom) Je tie­fer die Katho­li­sche Kir­che in das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus ein­taucht, desto mehr läßt sich beob­ach­ten, daß nicht weni­ge wäh­rend des Pon­ti­fi­kats von Bene­dikt XVI. ent­stan­de­ne, akti­ve Inter­net­in­itia­ti­ven ihre Aus­rich­tung ange­paßt haben oder gegen­über dem neu­en Pon­ti­fi­kat in ein Schwei­gen ver­sun­ken sind oder ihre Arbeit völ­lig ein­ge­stellt haben. Die Grün­de dafür sind sicher viel­fäl­tig. Sie rei­chen von einer empa­thi­schen Papo­la­trie über Ver­un­si­che­rung bis zur Ver­wir­rung, die durch gewis­se Gesten und Wor­te des argen­ti­ni­schen Pap­stes ver­ur­sacht wer­den. Die Wahr­schein­lich­keit ist unter Katho­li­ken groß, daß sie eher das Schwei­gen wäh­len, als den regie­ren­den Papst zu kri­ti­sie­ren. Die­sen Weg sind bestimm­te Prie­ster gegan­gen, die unter Bene­dikt XVI. sehr akti­ve Blogs im Inter­net betrie­ben. Nicht sel­ten dürf­te dabei hin­ter dem neu­en Schwei­gen Angst vor Ver­gel­tung stecken. Ein Phä­no­men, Angst vor Sank­tio­nen, das zu den Zei­ten des angeb­lich so „gestren­gen“ Bene­dikts XVI. unbe­kannt war, für jede Sei­te. Das Kli­ma unter dem neu­en, „offe­nen“ Papst hat sich hin­ge­gen grund­le­gend geändert.

Das neue Schweigen der Normalisten

Anzei­ge

Papst Bene­dikt XVI. sti­mu­lier­te die Dis­kus­si­on in Form einer brei­ten intel­lek­tu­el­len Aus­ein­an­der­set­zung. Eine ver­nunft­be­ton­te Sicht, die sich auf ein aus­ge­präg­tes Bewußt­sein für das Sakra­le stütz­te. Papst Fran­zis­kus scheint mit einem unter­ent­wickel­ten Sen­sus für die Hei­li­ge Lit­ur­gie aus dem Bauch her­aus zu han­deln. Eine Aus­rich­tung, die vie­le Mit­läu­fer zu fin­den scheint, erleich­tert sie ja tat­säch­lich auch das Mit­lau­fen: „Wer bin ich, um zu urtei­len?“, die Leug­nung eines abso­lut Guten, die „Abschaf­fung“ der Sün­de, der Ein­druck eines Lais­sez fai­re und einer unde­fi­nier­ten, flui­den Pra­xis. Wenn man es nicht die Anpas­sung der Kir­che an den vor­herr­schen­den Rela­ti­vis­mus nen­nen will, dann kommt man einer Öff­nung gegen­über dem Rela­ti­vis­mus jeden­falls sehr nahe. Mit einem Papst auf dem Thron, der sich mehr dar­um bemüht, Chri­sten zu kri­ti­sie­ren, die nach Glau­bens­si­cher­heit suchen, weil ihnen das von Chri­stus der Kir­che und damit der Mensch­heit anver­trau­te Glau­bens­gut nicht belie­big und damit egal ist, schei­nen man­che Katho­li­ken das Schwei­gen zu bevor­zu­gen. In ein Schwei­gen kann man ver­sin­ken, ein Schwei­gen kann man aus Sor­ge bevor­zu­gen, in ein Schwei­gen kann man gezwun­gen wer­den, ein Schwei­gen kann man auch als Form des inne­ren Exils wählen.

Neue „hitzige“ Eiszeit

Der ehe­ma­li­ge Chef­re­dak­teur des Catho­lic Herald, Wil­liam Oddie schrieb am 12. Juli einen Leit­ar­ti­kel zum Blog­ein­trag eines jener Prie­ster, die unter Bene­dikt XVI. beson­ders aktiv waren. Der Ein­trag lau­tet: „Um die Ein­heit der Kir­che zu wah­ren, kommt die Treue zum Papst jetzt bes­ser durch Schwei­gen zum Aus­druck“. Eine Posi­ti­on, die Katho​li​sches​.info nicht teilt. Die Über­le­gun­gen Oddies machen jedoch den statt­fin­den­den Kli­ma­wan­del in der Kir­che hin zu einer neu­en „hit­zi­gen“ Eis­zeit sicht­bar. Jener Eis­zeit, die jüngst ein Land­pfar­rer in der nord­ita­lie­ni­schen Diö­ze­se Nova­ra zu spü­ren bekam (sie­he eige­nen Bericht Kirch­li­che Ehe­leh­re für Kar­di­nal Bal­dis­se­ri „Wahn­sinn“? – Kar­di­nal Coll­ins wider­spricht Kas­per). Der Pfar­rer hat­te es gewagt, im Pfarr­blatt das Ehe­sa­kra­ment zu ver­tei­di­gen und dabei bestimm­te, auch unter Katho­li­ken ver­brei­te­te Prak­ti­ken zu kri­ti­sie­ren. Umge­hend wur­de er von Neo-Kar­di­nal Loren­zo Bal­dis­se­ri, dem Sekre­tär der Bischofs­syn­ode vor der inter­na­tio­na­len Pres­se dem Spott preis­ge­ge­ben. Zeit­gleich sag­te Kar­di­nal Tho­mas Coll­ins, Erz­bi­schof von Toron­to genau das­sel­be, was der Dorf­pfar­rer gesagt hat­te. Eine unüber­seh­ba­re Ver­wir­rung, die durch die gegen­sätz­li­chen Aus­sa­gen zwei­er Kar­di­nä­le (und eines armen Pfar­rers) am sel­ben Tag ver­ur­sacht wer­den. Wie aber sah die Reak­ti­on in der katho­li­schen Inter­net­welt aus? Wer berich­te­te, wer schwieg, wer recht­fer­tig­te das unsäg­li­che, alles ande­re als väter­li­che Ver­hal­ten von Kar­di­nal Baldisseri?

Katho​li​sches​.info ist der Mei­nung, daß das zuneh­mend bestürz­te Schwei­gen man­cher „Nor­ma­li­sten“, die irri­tiert sind, sich ohn­mäch­tig füh­len und alles nur mehr für sinn­los erach­ten, aber Kri­tik an bedenk­li­chen Hal­tun­gen des Pon­ti­fex für undenk­bar hal­ten, nicht der rich­ti­ge Weg ist. Viel­mehr ist mehr denn je ein respekt­vol­les, aber muti­ges, kla­res und stand­haf­tes Wort zur Ver­tei­di­gung der Wahr­heit gefordert.

Weg ins innere Exil

Den­noch läßt es nicht unbe­ein­druckt, was Wil­liam Oddie schreibt, wenn er meint, sich immer weni­ger per­sön­lich invol­viert und damit ange­spro­chen zu füh­len. Das was in der Kir­che geschieht, scheint nicht mehr das Sei­ne zu sein. Der Weg in das inne­re Exil. War­um? Weil die Wirk­lich­keit offen­sicht­lich den Erwar­tun­gen wider­spricht. Doch gera­de in schwie­ri­ger Zeit muß das, darf das, was in der Kir­che geschieht nicht gleich­gül­tig las­sen, darf es kei­nen Rück­zug in das Schnecken­haus geben, denn zur Opti­on des Schwei­gens und des Rück­zugs gilt es zu sagen: non pos­su­mus, non volu­mus, non debe­mus. Das bedeu­tet, dem Papst wirk­lich treu zu sein. Nicht das Schwei­gen. Die Zukunft kennt nur der Herr, wir haben also kei­nen Grund zur Resi­gna­ti­on, so ver­lockend die­se Opti­on auch sein mag, ange­sichts des­sen, was fast tag­täg­lich an neu­en Irri­ta­tio­nen durch Papst Fran­zis­kus und sei­ne Entou­ra­ge aus­ge­löst wird. Der nun zuse­hends ins Schwei­gen ver­fal­len­de Wil­liam Oddie gehört zu den „Nor­ma­li­sten“, zu jenen zahl­rei­chen katho­li­schen Blogs und Nach­rich­ten­sei­ten, die seit 16 Mona­ten man­tra­haft behaup­ten, daß „kein Blatt“ zwi­schen Bene­dikt XVI. und Fran­zis­kus pas­se, daß ledig­lich der Stil anders sei. Doch mehr als zur Auto­sug­ge­sti­on taugt die For­mel offen­bar nicht.

Hier der Leit­ar­ti­kel von Wil­liam Oddie, der in der bri­ti­schen katho­li­schen Wochen­zei­tung Catho­lic Herald ver­öf­fent­licht wur­de, deren Chef­re­dak­teur er von 1998–2004 war. Oddie ist ein „Nor­ma­list“. Nach der Ankün­di­gung des Amts­ver­zichts von Papst Bene­dikt schrieb er den Leit­ar­ti­kel „Väter tre­ten nicht zurück“. Nach der Wahl von Fran­zis­kus bekann­te er sich umge­hend als unein­ge­schränk­ter Anhän­ger des neu­en Pap­stes. Sei­ne Über­le­gun­gen gewin­nen dadurch 16 Mona­te nach dem Kon­kla­ve spe­zi­fi­sches Gewicht.

.

Um Einheit der Kirche zu wahren ist es besser zu schweigen

von Wil­liam Oddie

“Father Bla­ke meint, daß zur Wah­rung der Ein­heit der Kir­che, die Treue zum Papst der­zeit bes­ser durch Schwei­gen zum Aus­druck kommt. Ich fürch­te, daß er damit recht haben könnte“.

Was geschieht genau, wenn Bischö­fe und Prie­ster zu den grund­le­gend­sten Fra­gen des Glau­bens und der Moral – zu den Leh­ren, die im Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che so klar erklärt sind – sich so radi­kal von­ein­an­der unter­schei­den und wenn gleich­zei­tig ein Kar­di­nal die­se Leh­ren als „Wahn­sinn“ und ein ande­rer sie als unver­än­der­li­che Leh­re der Kir­che bezeich­net? Weiß noch jemand, was die Kir­che glaubt?

Die Fra­ge führ­te mich erneut zu einem der kämp­fe­risch­sten Blogs, die ich seit eini­ger Zeit lese, zu einem Ein­trag, den ich bereits mehr­fach gele­sen habe, seit ich ihn am ver­gan­ge­nen Frei­tag zum ersten Mal sah. Er ist sehr kurz und ich bin ver­sucht, ihn als letz­te Bot­schaft von Father Bla­ke zu bezeich­nen [1]Was übri­gens nicht der Fall ist, wie neue­re Ein­trä­ge zei­gen. Ich schaue mei­nen Blog an und stel­le fest, daß ich selbst eigent­lich das beste Bei­spiel bin. Ich füh­le mich immer weni­ger betei­ligt. Ich schrei­be weni­ger Ein­trä­ge als frü­her. Immer öfter den­ke ich, daß das Schwei­gen alles ist.

Unter Bene­dikt fand ein glor­rei­cher Kampf stand, ein stän­di­ger Kampf, der auf den Papst fokus­siert und durch den Papst moti­viert war, um zur Kir­che zurück­zu­keh­ren, wie sie wirk­lich vom Kon­zil gewollt war. Ein Kampf für die Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät. Es war ein Kampf, der am Ende aus­sah, als wür­den wir ihn gewin­nen. Dann kam der Schlag mit dem Amts­ver­zicht von Benedikt.

Nach einem untrag­ba­ren Inter­re­gnum wur­de ein neu­er Papst gewählt, ein guter und hei­li­ger Mann mit dem Herz eines Hir­ten. Alles schien gut zu gehen, auch wenn er nicht die­sel­be dog­ma­ti­sche Nei­gung Bene­dikts hat­te. Alles dies­be­züg­li­che wur­de der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on über­las­sen. Ich fand mich wie­der, wie ich erklär­te, daß Fran­zis­kus aus her­me­neu­ti­scher Sicht ganz Ratz­in­ge­ria­ner sei, völ­lig ortho­dox, alles was ein Papst eben brau­che, nur der Stil sei anders. Das glau­be ich noch immer. Aber es liegt eine zuneh­men­de Unsi­cher­heit in der Luft, die nicht mehr über­se­hen wer­den kann. „Man wuß­te, wo die Kir­che und der Papst ste­hen“, sagt Father Bla­ke. Jetzt haben wir einen Papst, der von vie­len Fein­den der Katho­li­schen Kir­che geliebt wird, wie der Abtrei­bungs­ver­fech­te­rin Jane Fon­da, die ver­gan­ge­ne Woche twit­ter­te: „Lie­ben wir den neu­en Papst. Er küm­mert sich um die Armen und ver­ach­tet das Dogma“.

Mit ande­ren Wor­ten: Für Fon­da und Gleich­ge­sinn­te ist die Kir­che kei­ne dog­ma­ti­sche Grö­ße und daher kei­ne Bedro­hung mehr. Das ist es, was die Welt heu­te annimmt: Alles unter­liegt stän­di­gen Ver­än­de­run­gen. Bald wer­den die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen, so den­ken sie, zu hören bekom­men, daß sie getrost wie alle ande­ren Gläu­bi­gen die Hei­li­ge Kom­mu­ni­on emp­fan­gen kön­nen. So hat es Kar­di­nal Kas­per beim Kon­si­sto­ri­um im Febru­ar dar­ge­stellt. War der Papst mit ihm ein­ver­stan­den? Dies­be­züg­lich scheint es eine gewis­se Unsi­cher­heit zu geben, obwohl der Hei­li­ge Vater bereits das Behar­ren von Kar­di­nal Mül­ler, daß sich nichts ändert, gewäh­ren läßt.

Wir wer­den sehen, was bei der Syn­ode pas­siert, doch ich fürch­te, daß es noch wei­ter­ge­hend sein wird. Was wir bereits heu­te sehen, ist, daß die viel­ver­spre­chen­de und glück­li­che Mor­gen­rö­te die durch das Pon­ti­fi­kat von Bene­dikt XVI. für die Kir­che ange­bro­chen war, sich auf­ge­löst hat, um nie wie­der­zu­keh­ren. Und ich und vie­le ande­re, wie mir scheint, füh­len, daß es immer weni­ger Din­ge gibt, die wir sagen können.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Chie­sa e Postconcilio

Print Friendly, PDF & Email

-

-
1 Was übri­gens nicht der Fall ist, wie neue­re Ein­trä­ge zeigen.
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!