Roberto de Mattei: „Entdogmatisierung“ oder „Wer hat das Konzil verraten?“


Konzil Superdogma der Entdogmatisierer
Zwei­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil, das Super­dog­ma der Entdogmatisierer

(Rom) Am 12. Juli erschien in der Tages­zei­tung „Il Foglio“, der jüng­ste Auf­satz des bekann­ten, tra­di­ti­ons­ver­bun­de­nen Histo­ri­kers Rober­to de Mat­tei. Er geht dar­in der Fra­ge nach, was nach dem Amts­ver­zicht von Bene­dikt XVI. mit des­sen „Her­me­neu­tik der Kon­ti­nui­tät“ geschieht, mehr noch, wie geht es mit der über­fäl­li­gen Dis­kus­si­on über das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil in einer Zeit der offen­sicht­li­chen „Ent­dog­ma­ti­sie­rung“ wei­ter, die ihren Aus­gang im Kon­zil nahm und inzwi­schen mit Papst Fran­zis­kus die höch­ste Spit­ze erreicht zu haben scheint. Die Zwi­schen­ti­tel stam­men wie gewohnt von der Redaktion.

Anzei­ge

.

Der Konziliator

von Rober­to de Mattei

War das Zwei­te Vati­ka­ni­schen Kon­zil ein „ver­ra­te­nes“ Kon­zil? Und von wem? Die Fra­ge drängt sich nach der Ver­öf­fent­li­chung des Instru­men­tum labo­ris auf, jenem vati­ka­ni­schen Doku­ment, das Dis­kus­si­ons­grund­la­ge für die kom­men­de Bischofs­syn­ode über die Fami­lie sein wird. Die im Instru­men­tum labo­ris zitier­ten Tex­te stam­men aus­schließ­lich vom Kon­zil oder aus der Nach­kon­zils­zeit, so als hät­te es zu die­sem, heu­te so ent­schei­den­den The­ma wie der Fami­lie seit den 60er Jah­ren eine radi­ka­le Wen­de des kirch­li­chen Lehr­am­tes gegeben.

Die Schu­le von Bolo­gna hat kei­ne Zwei­fel. Die­se theo­lo­gi­sche und pasto­ra­le Wen­de gab es, aber Paul VI. habe deren Stoß­kraft abge­würgt. Die gesam­te Aus­rich­tung der von Giu­sep­pe Albe­ri­go ver­ant­wor­te­ten Geschich­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils baut auf dem Gegen­satz zwi­schen dem „Pro­phe­ten“ Johan­nes XXIII., der ein „neu­es Pfing­sten“ der Kir­che ein­lei­te­te und dem kal­ten Büro­kra­ten Gio­van­ni Bat­ti­sta Mon­ti­ni, der es ver­senk­te, auf. Hin­ter die­ser geschicht­li­chen Les­art des Zwei­ten Vati­ka­nums, die heu­te von Albe­ri­gos Epi­go­nen wie Alber­to Mel­lo­ni, Giu­sep­pe Rug­gie­ri und Mas­si­mo Fag­gio­li ver­tre­ten wird, steht die neue Theo­lo­gie von Domi­ni­que-Marie Chenu, Yves Con­gar und vor allem Karl Rah­ner. Seit dem Jahr 1965, auf einer Tagung mit dem Titel „Das Kon­zil: Anfang eines Anfangs“ wäh­rend der letz­ten Wochen der Schluß­ses­si­on, stell­te der deut­sche Jesu­it das Zwei­te Vati­ka­num als Anfang einer neu­en Epo­che in der Geschich­te der Kir­che dar, die bestimmt sei, die Gemein­schaft der Gläu­bi­gen in der Art zu erneu­ern, wie es nach dem ersten Kon­zil von Jeru­sa­lem gesche­hen ist. Paul VI. habe das Kon­zil mit der Nota praevia von 1964 ver­ra­ten, mit der er die Bedeu­tung der von Lumen gen­ti­um ein­ge­führ­ten Kol­le­gia­li­tät ein­schrän­ken woll­te und vor allem natür­lich mit der „repres­si­ven“ Enzy­kli­ka Hum­a­nae Vitae von 1968.

Humanae Vitae löste ersten Bruch unter Konzilstheologen aus

Die Strei­tig­kei­ten, die auf Hum­a­nae Vitae folg­ten, führ­ten zum ersten gro­ßen her­me­neu­ti­schen Bruch zwi­schen den Akteu­ren des Zwei­ten Vati­ka­nums. 1972 wur­de von Joseph Ratz­in­ger, Hans Urs von Bal­tha­sar und Hen­ri de Lubac die inter­na­tio­na­le Zeit­schrift „Com­mu­nio“ gegrün­det, die sich in offe­nem Gegen­satz der Zeit­schrift „Con­ci­li­um“ ent­ge­gen­setz­te, in der Karl Rah­ner, Yves Con­gar und Eward Schil­le­be­eckx publi­zier­ten. De Lubac war es, der den Aus­druck „Para­kon­zil“ präg­te, um die Atmo­sphä­re fie­ber­haf­ter Agi­ta­ti­on zu bekla­gen, die in den Jah­ren nach dem Zwei­ten Vati­ka­num vie­le Theo­lo­gen dazu brach­te, des­sen Aus­sa­gen umzu­bie­gen. In einem lan­gen Inter­view [1]Viag­gio nel Con­ci­lio (Rei­se durch das Kon­zil), in: 30giorni, Son­der­bei­la­ge zur Nr. 10 (1985), S. 6–30, das er 1985 Ange­lo Sco­la [2]heu­te amtie­ren­der Erz­bi­schof von Mai­land und Kar­di­nal gewähr­te, beschrieb de Lubac das „Para­kon­zil“ als eine Bewe­gung, die mit media­lem Druck ope­rier­te und die es ver­stan­den hat­te, das Kon­zil und die Nach­kon­zils­zeit zu The­men wie dem päpst­li­chen Pri­mat und die Bezie­hung der Kir­che zur Welt zu beein­flus­sen. Im sel­ben Jahr stell­te Hand Urs von Bal­tha­sar, der 1952 in einem sei­ner Bücher dazu auf­ge­for­dert hat­te „die Bastio­nen zu schlei­fen“, in einem Inter­view eben­falls für „30giorni[3]Viag­gio nel post­con­ci­lio, hrsg. von Ange­lo Sco­la, Mai­land 1985 fest, daß alle mit dem Kon­zil ver­bun­de­nen Erwar­tun­gen sich „in einem ame­ri­ka­ni­schen Opti­mis­mus“ auf­ge­löst hatten.

„Dialog“ entpuppte sich als „Chimäre“

Die Inter­net­sei­te Papa­le­pa­pa­le ver­öf­fent­lich­te vor kur­zem wie­der das Inter­view, das von Bal­tha­sar Vitto­rio Mess­o­ri gab, in dem der Schwei­zer Theo­lo­ge den Stand­punkt ver­trat, daß der Dia­log sich als „Chi­mä­re“ ent­pupp­te und die Not­wen­dig­keit der Rück­kehr zur rech­ten Glau­bens­leh­re und dem „triden­ti­ni­schen Modell“ der Prie­ster­se­mi­na­re ver­trat. Das Inter­view stammt wie die vor­her­ge­nann­ten aus dem Jahr 1985, dem Jahr, in dem das Gesprächs­buch mit Kar­di­nal Ratz­in­ger zur „Lage des Glau­bens“ ver­öf­fent­licht wur­de, in dem der dama­li­ge Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on die Not­wen­dig­keit pro­kla­mier­te, zu den „authen­ti­schen Tex­ten des authen­ti­schen Zwei­ten Vati­ka­nums zurück­zu­keh­ren“. Zum Papst Bene­dikt XVI. gewor­den, stell­te er mehr­fach die Her­me­neu­tik der Tex­te jener des „Gei­stes“ ent­ge­gen. Sei­ne Posi­ti­on trat deut­lich von sei­ner denk­wür­di­gen Anspra­che an die Römi­sche Kurie vom 22. Dezem­ber 2005 bis zu sei­ner letz­ten, nicht weni­ger bedeu­ten­den Anspra­che an den römi­schen Kle­rus vom 14. Febru­ar 2013 her­vor. Bene­dikt XVI. wie­der­hol­te die The­se, laut der ein von den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­teln auf­ge­zwun­ge­nes vir­tu­el­les Kon­zil das wirk­li­che Kon­zil, das in den Schluß­do­ku­men­ten des Zwei­ten Vati­ka­nums zum Aus­druck kommt, ver­ra­ten hät­te. Zu die­sen, von einer miß­bräu­li­chen nach­kon­zi­lia­ren Pra­xis ver­nach­läs­sig­ten Tex­ten müs­se man zurück­keh­ren, um die Wahr­heit des Kon­zils wie­der­zu­fin­den. Msgr. Ago­sti­no Mar­chet­to, den Papst Fran­zis­kus als den „besten Her­me­neu­ten“ des Zwei­ten Vati­ka­nums bezeich­ne­te, bewegt sich auf die­ser Linie, deren Schwä­che jeden Tag offen­kun­di­ger wird. Das Kon­zil der Medi­en war näm­lich nicht weni­ger real als jenes der Väter, so daß man die The­se ver­tre­ten könn­te, daß das eigent­li­che vir­tu­el­le Kon­zil viel­mehr jene 16 offi­zi­el­len Kon­zils­do­ku­men­te waren, die in der Text­samm­lung des Hei­li­gen Stuhls blie­ben, aber nie in die kon­kre­te geschicht­li­che Wirk­lich­keit Ein­gang fanden.

Nicht Paul VI., sondern Johannes XXIII. hat Konzil verraten

Die geschicht­li­che und theo­lo­gi­sche Revi­si­ons­ar­beit, die in den letz­ten Jah­ren des bene­dik­t­i­ni­schen Pon­ti­fi­kats ein­setz­te, hat jedoch einen neu­en histo­risch-her­me­neu­ti­schen Weg geöff­net. Das Zwei­te Vati­ka­num wur­de, laut die­ser Sicht­wei­se, weder von Paul VI. noch von den Medi­en ver­ra­ten, son­dern von Johan­nes XXIII., von dem, der es ein­be­ru­fen hat­te und der es bis zu sei­nem Tod am 3. Juni 1963 zwi­schen der Ersten und der Zwei­ten Ses­si­on lei­te­te. Die Fak­ten schei­nen dies zu bestä­ti­gen. Am 25. Janu­ar 1959, nur drei Mona­te nach sei­ner Wahl auf den Stuhl Petri kün­dig­te Papst Ron­cal­li die Ein­be­ru­fung des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils an. Die Über­ra­schung war groß, aber die Vor­be­rei­tung des Kon­zils dau­er­te gut drei Jah­re mit­tels einer Vor­be­rei­tung der Vor­be­rei­tungs­pha­se (ein Jahr) und der Vor­be­rei­tungs­pha­se (zwei Jahre).

Im Früh­jahr 1960 wur­den die con­si­lia et vota, das heißt die 2.150 Ant­wor­ten der Bischö­fe aus der gan­zen Welt gesam­melt, die zu den The­men der bevor­ste­hen­den Kir­chen­ver­samm­lung befragt wur­den. Dann wur­de das gesam­te Mate­ri­al an zehn vom Papst ernann­ten Kom­mis­sio­nen wei­ter­ge­reicht, um die „Sche­ma­ta“ zu ver­fas­sen, die dem Kon­zil unter­brei­tet wer­den soll­ten. Die Kom­mis­sio­nen arbei­te­ten unter der Auf­sicht von Kar­di­nal Otta­via­ni, der bis Juni 1962 Prä­fekt des Hei­li­gen Offi­zi­ums war. Die beein­drucken­de Arbeit wur­de in 16 Bän­den gesam­melt, die Ent­wür­fe für 54 Dekre­te und 15 dog­ma­ti­sche Kon­sti­tu­tio­nen ent­hal­ten. Am 13. Juli, drei Mona­te vor der Eröff­nung der Kir­chen­ver­samm­lung, leg­te Johan­nes XXIII. fest, daß die ersten sie­ben, von ihm appro­bier­ten Ent­wür­fe für Kon­sti­tu­tio­nen allen Kon­zils­vä­tern als Dis­kus­si­ons­grund­la­ge für die Gene­ral­kon­gre­ga­tio­nen über­mit­telt wer­den. Die betra­fen: die Quel­len der Offen­ba­rung; die Rein­erhal­tung des depo­si­tum fidei; die christ­li­che Moral­ord­nung; Keusch­heit, Ehe, Fami­lie und Jung­fräu­lich­keit; die Hei­li­ge Lit­ur­gie; die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel und schließ­lich die Ein­heit der Kir­che mit den Ost­kir­chen. Die­se Doku­men­te, an der zehn Kom­mis­sio­nen drei Jah­re gear­bei­tet hat­ten, ent­hiel­ten das Beste, was die Theo­lo­gie des 20. Jahr­hun­derts her­vor­ge­bracht hat­te. Es han­del­te sich um inhalts­schwan­ge­re und arti­ku­lier­te Tex­te, die direkt und mit einer kla­ren und über­zeu­gen­den Spra­che in das Herz der aktu­el­len Pro­ble­me vor­stie­ßen. Johan­nes XXIII. stu­dier­te sie auf­merk­sam und ver­sah sie mit hand­ge­schrie­be­nen Kom­men­ta­ren. „Auf allen Sche­ma­ta fin­den sich die­se sich häu­fig wie­der­ho­len­den Anmer­kun­gen: ‘Bene‘, ‘Opti­me‘“ (gut, aus­ge­zeich­net), wie sich Vin­cen­zo Kar­di­nal Fagio­lo erin­ner­te. „Nur zu einem Sche­ma, dem über die Lit­ur­gie, die im Band an fünf­ter Stel­le auf den Sei­ten 157–199 auf­scheint, schrieb der Papst da und dort Fra­ge­zei­chen im Sinn von Erstau­nen und Nicht-Zustim­mung“, so der spä­te­re Kar­di­nal, der als Peri­tus am Kon­zil teil­ge­nom­men hat­te. Als Msgr. Peri­c­le Feli­ci, der Sekre­tär des Kon­zils, im Juli 1962 ihm die von ihm durch­ge­se­he­nen und appro­bier­ten Kon­zils­sche­ma­ta prä­sen­tier­te, kom­men­tier­te Papst Ron­cal­li begei­stert: „Das Kon­zil ist gemacht. Zu Weih­nach­ten kön­nen wir abschlie­ßen!“ In Wirk­lich­keit waren zu Weih­nach­ten jenes Jah­res alle Sche­ma­ta des Kon­zils bereits über Bord gewor­fen, aus­ge­nom­men das De Lit­ur­gia, jenes, das Johan­nes XXIII. am wenig­sten gefal­len hat­te, dafür um so mehr den Pro­gres­si­ven. Zudem soll­te das Kon­zil nicht drei Mona­te, son­dern drei Jah­re dauern.

Die progressive Übernahme des Konzils

Was war gesche­hen? Im Juni 1962 ver­sam­mel­te der neue Erz­bi­schof von Mecheln-Brüs­sel, Kar­di­nal Léon-Joseph Sue­n­ens im Bel­gi­schen Kol­leg in Rom eine Grup­pe von Kar­di­nä­len, um einen „Plan“ für das bevor­ste­hen­de Kon­zil zu bespre­chen. Sue­n­ens selbst berich­tet, mit ihnen ein „ver­trau­li­ches“ Doku­ment bespro­chen zu haben, in dem die von den Vor­be­rei­tungs­kom­mis­sio­nen vor­be­rei­te­ten Sche­ma­ta kri­ti­siert und dem Papst nahe­ge­legt wur­de, „für sei­nen per­sön­li­chen Pri­vat­ge­brauch“ eine eng­um­grenz­te Kom­mis­si­on zu errich­ten, „eine Art brain trust“, um auf die gro­ßen, aktu­el­len pasto­ra­len Pro­ble­me zu ant­wor­ten. Im August ging beim Papst auch eine ent­spre­chen­de Bit­te des kana­di­schen Kar­di­nals Paul-Emi­le Léger, Erz­bi­schof von Mont­re­al ein. Der Brief war von den Kar­di­nä­len Lien­art, Döpf­ner, Alf­rink, König und Sue­n­ens unter­zeich­net. Das Doku­ment kri­ti­sier­te offen die ersten sie­ben Sche­ma­ta, die in der Voll­ver­samm­lung dis­ku­tiert wer­den soll­ten. Die Unter­zeich­ner behaup­te­ten, daß die Sche­ma­ta nicht mit der Aus­rich­tung ver­ein­bar sei­en, die Johan­nes XXIII. dem Kon­zil geben solle.

Das Zwei­te Vati­ka­num wur­de am 11. Okto­ber 1962 eröff­net. Am 13. Okto­ber fand die erste Gene­ral­kon­gre­ga­ti­on statt, doch bereits am Beginn kam es zu einem uner­war­te­ten Knall­ef­fekt. Die Tages­ord­nung sah die Wahl der Ver­tre­ter der Kon­zils­vä­ter in den zehn Kom­mis­sio­nen vor, von denen die von den Vor­be­rei­tungs­kom­mis­sio­nen redi­gier­ten Sche­ma­ta über­prüft wer­den soll­ten. Kar­di­nal Lien­art, unter­stützt von den Kar­di­nä­len Döpf­ner, Frings und König pro­te­stier­te gegen die nicht erfolg­te Kon­sul­ta­ti­on der Bischofs­kon­fe­ren­zen und for­der­te deren Ein­be­ru­fung vor der Wahl der Kom­mis­sio­nen. Alles war von den Ver­tre­tern der „Nou­vel­le Thé­lo­gie“ in der Nacht zuvor im Fran­zö­si­schen Semi­nar in San­ta Chia­ra orga­ni­siert wor­den. Kar­di­nal Tis­serant, der den Vor­sitz in der Kon­zils­ver­samm­lung führ­te, gewähr­te eine Ver­ta­gung und die Kon­sul­ta­ti­on der Bischofs­kon­fe­ren­zen, die zusam­men­ge­ru­fen wur­den, um die Listen mit den neu­en Namen für die Kom­mis­sio­nen zu benen­nen. Die Rol­le der Bischofs­kon­fe­ren­zen, die in der Geschäfts­ord­nung gar nicht vor­ge­se­hen waren, wur­de damit offi­zi­ell aner­kannt. Damit wur­de erst­mals die Exi­stenz einer orga­ni­sier­ten Par­tei sicht­bar, der „euro­päi­schen Alli­anz“, die sich fast alle Plät­ze in den Kom­mis­sio­nen sicher­te. Die Bischofs­kon­fe­ren­zen wur­den weni­ger von den Bischö­fen als von ihren Exper­ten gelenkt, jenen Theo­lo­gen, von denen vie­le von Pius XII. ver­ur­teilt wor­den waren und die sich nun anschick­ten, eine ent­schei­den­de Rol­le beim Kon­zil zu spie­len. Und da unter allen Bischofs­kon­fe­ren­zen, die deut­sche die am besten orga­ni­sier­te war, kam den deut­schen Theo­lo­gen die ent­schei­dend­ste Rol­le zu. Unter den deut­schen Theo­lo­gen stach einer ganz beson­ders her­vor, der Jesu­it Karl Rah­ner, des­sen Ein­fluß auf das Kon­zil bestim­mend war.

Karl Rahner beherrschte die deutschen Bischöfe, diese die „Allianz“ und diese das Konzil

Pater Ralph Wilt­gen faßt die­se Situa­ti­on in sei­nem grund­le­gen­den Werk „The Rhi­ne flows into the Tiber“, New York 1967 [4]deut­sche Aus­ga­be: Der Rhein fließt in den Tiber, Lins, Feld­kirch 1988 aus­sa­ge­kräf­tig zusam­men: „Da die Posi­tio­nen der deutsch­spra­chi­gen Bischö­fe regel­mä­ßig von der euro­päi­schen Alli­anz über­nom­men wur­den und da die Posi­tio­nen der Alli­anz ihrer­seits gene­rell vom Kon­zil ange­nom­men wur­den, genüg­te es, daß es einem ein­zi­gen Theo­lo­gen gelang, daß sei­ne Ideen von den deutsch­spra­chi­gen Bischö­fe über­nom­men wur­den, damit sie sich vom Kon­zil zu eigen gemacht wur­den. Die­sen Theo­lo­gen gab es: Es war Pater Karl Rah­ner von der Gesell­schaft Jesu.“ [5]Freie Über­set­zung aus dem ita­lie­ni­schen Auf­satz von Pro­fes­sor Rober­to de Mat­tei. Ab die­sem Augen­blick wur­de die Geschich­te des Kon­zils anders geschrieben.

Neueste Konzilsliteratur

Für jene, die die­ser Piste genau­er nach­ge­hen wol­len, emp­feh­le ich neben mei­nem Buch „Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil. Eine bis­lang unge­schrie­be­ne Geschich­te“ (Sar­to, Bonn 2011) die Lek­tü­re eini­ger jüngst erschie­ne­ner Bücher, die wert­vol­le, beden­kens­wer­te Hin­wei­se lie­fern: „Il Con­ci­lio par­al­le­lo. L’inizio anoma­lo del Vati­ca­no II“ (Das Par­al­lel-Kon­zil. Der anoma­le Beginn des Zwei­ten Vati­ka­nums; Fede e Cul­tu­ra, Vero­na 2014, 125 Sei­ten) und eine umfas­sen­de­re Stu­die: Unam Sanc­tam. Stu­dio sul­le devia­zio­ni dottri­na­li nella Chie­sa cat­to­li­ca del XXI seco­lo (Stu­die zu den dok­tri­nel­len Abwei­chun­gen in der Katho­li­schen Kir­che des 21. Jahr­hun­derts; Sol­fa­nel­li, Chie­ti, 2014, 438 Sei­ten). Pao­lo Pas­qu­aluc­ci wirft aus­drück­lich die Fra­ge nach dem Ver­rat auf, der in den ersten Tagen nach der Eröff­nung des Kon­zils statt­fand. Der Autor ist ein her­vor­ra­gen­der Ordi­na­ri­us für Rechts­phi­lo­so­phie, der an ver­schie­de­nen ita­lie­ni­schen Uni­ver­si­tä­ten lehr­te. Als Jurist beschäf­tigt er sich vor allem mit den zahl­rei­chen Rechts­wid­rig­kei­ten, die das Kon­zil von sei­nem natür­li­chen Kurs abbrach­ten, die Vor­be­rei­tungs­ar­beit unter­ge­hen lie­ßen und den Weg für die Ver­fech­ter der „Nou­vel­le Théo­lo­gie“ frei­mach­ten. „Sel­ten wur­de ein öku­me­ni­sches Kon­zil mit grö­ße­rer Sorg­falt, Gewis­sen­haf­tig­keit und Respekt vor den Rech­ten und den Mei­nun­gen aller vor­be­rei­tet. Es wur­de der Pra­xis des Ersten Vati­ka­nums gefolgt und die­se noch ver­bes­sert“ (S. 13). Die Zurück­wei­sung der Sche­ma­ta war ein wirk­li­ches „pro­ze­du­ra­les Bri­gan­ten­tum“, das Pas­qu­aluc­ci an fol­gen­den Punk­ten fest­macht: Sabo­ta­ge der Wahl der sech­zehn vom Kon­zil zu bestim­men­den Mit­glie­der; Umkehr der Tages­ord­nung und Ver­ta­gung der Wahl der Kom­mis­si­ons­mit­glie­der; und nicht zuletzt das Ver­san­den­las­sen der Dis­kus­si­on in der Aula über das Sche­ma über die Quel­len der Offen­ba­rung mit der fol­gen­den Bil­dung einer gemisch­ten Kom­mis­si­on zu deren Neu­for­mu­lie­rung, die von Kar­di­nal Bea beherrscht wur­de. Die Sche­ma­ta wur­den von Kopf bis Fuß in einem völ­lig ande­ren Geist und Zuschnitt neu neuformuliert.

Konzil kann nicht anders als sich dem Maßstab der Tradition zu unterwerfen

Einen wei­te­ren wich­ti­gen Bei­trag lie­fert ein jun­ger, aber bereits aner­kann­ter Theo­lo­ge, Pater Ser­a­fi­no Lan­zet­ta von den Fran­zis­ka­nern der Imma­ku­la­ta, in sei­ner in Buch­form erschie­ne­nen Habi­li­ta­ti­ons­schrift: „Il Vati­ca­no II. Un con­ci­lio pasto­ra­le. Erme­neu­ti­ca del­le dottri­ne con­ci­lia­ri“ (Das Zwei­te Vati­ka­num. Ein Pasto­ral-Kon­zil. Her­me­neu­tik der Kon­zils­leh­ren; Can­tag­al­li, Sie­na 2014, 490 Sei­ten). Pater Lan­zet­ta unter­such­te bis­her unver­öf­fent­lich­te Quel­len, die vor allem aus dem Geheim­ar­chiv des Vati­kans stam­men, indem er mit gro­ßer Auf­merk­sam­keit den Weg nach­zeich­net, der zur Ver­wer­fung der Vor­be­rei­tungs­sche­ma­ta führ­te. Lan­zet­ta behan­delt vor allem den Wech­sel vom Sche­ma Aeter­nus uni­ge­ni­ti zu Lumen Gen­ti­um und von De Fon­ti­bus Reve­la­tio­nis zu Dei ver­bum, jenen bei­den Kon­sti­tu­tio­nen, die als tra­gen­de Säu­len des kon­zi­lia­ren Lehr­am­tes zu bezeich­nen sind, die bedenk­li­che und zwei­deu­ti­ge Ele­men­te ent­hal­ten. Um sei­ne Pro­blem­stel­lung zu klä­ren, folgt Lan­zet­ta der Metho­de, das Kon­zil selbst zu befra­gen auf der Suche nach des­sen mens, das heißt, dem, was die Väter beseel­te und das, was ihre Ent­schei­dun­gen beding­te. Der Hori­zont inner­halb dem sich der Theo­lo­ge bewegt, ist die klas­si­sche Unter­schei­dung zwi­schen Dog­ma­tik, die die Glau­bens­leh­re betrifft, und der Seel­sor­ge, die von ihr abhängt und von die­ser geführt wer­den muß. Pater Lan­zet­ta bringt dabei den Nach­weis, daß der pasto­ra­le Aspekt beim Zwei­ten Vati­ka­num so vor­herr­schend war, daß er die Agen­da dik­tier­te und die Aus­rich­tung der gesam­ten Debat­te. Für den fran­zis­ka­ni­schen Theo­lo­gen ist der dok­tri­nel­le Aspekt des Zwei­ten Vati­ka­nums im Licht der immer­gül­ti­gen Tra­di­ti­on der Kir­che zu lesen und das Kon­zil kön­ne nicht anders, als sich in unun­ter­bro­che­ne Tra­di­ti­on ein­zu­fü­gen (Sei­te 37). „Allei­ni­ge Richt­schnur für das Ver­ständ­nis des Zwei­ten Vati­ka­nums kann nur die gesam­te Tra­di­ti­on der Kir­che sein: Das Zwei­te Vati­ka­num ist weder das ein­zi­ge noch das letz­te Kon­zil der Kir­che, son­dern ein Augen­blick in ihrer Geschich­te“ (Sei­te 74f). „Die immer­gül­ti­ge Tra­di­tio Eccle­siae ist daher der erste her­me­neu­ti­sche Maß­stab des Zwei­ten Vati­ka­nums“ (Sei­te 75).

Ehrerbietige Haltung der gläubigen Katholiken bremst Diskussion

Was die Debat­te bremst, ist die ehr­erbie­ti­ge Hal­tung, die jeder Katho­lik rich­ti­ger­wei­se gegen­über der höch­sten kirch­li­chen Auto­ri­tät hegt. Aber die­ser Respekt und die­se Ehr­furcht dür­fen nicht so weit gehen, die histo­ri­sche und theo­lo­gi­sche Wahr­heit zu defor­mie­ren. Unter die­sem Aspekt erleich­tert das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus die Dis­kus­si­on. Das her­me­neu­ti­sche Gewicht Bene­dikts XVI., das wäh­rend sei­nes Pon­ti­fi­kats auf der Debat­te lag, ist mit sei­ner Abdan­kung weg­ge­nom­men. Nach sei­nem Ver­zicht auf das Pon­ti­fi­kat ist das Kon­zil von Bene­dikt XVI. aus der Geschich­te aus­ge­tre­ten. In der Geschich­te geblie­ben ist das Kon­zil sei­nes Gegen­spie­lers Kar­di­nal Kas­per: Das Kon­zil, das sich in der pasto­ra­len Pra­xis ver­wirk­licht und das nach 50 Jah­ren pasto­ra­ler Pra­xis die bereits erfolg­te Auf­lö­sung der katho­li­schen Moral ver­kün­det. Die näch­ste Bischofs­syn­ode dürf­te dem Rech­nung tra­gen. Das tra­gen­de The­ma des Instru­men­tum Labo­ris wie der Rede von Kar­di­nal Kas­per beim außer­or­dent­li­chen Kar­di­nals­kon­si­sto­ri­ums vom 20. Febru­ar ist das der abgrund­tie­fen Distanz zwi­schen der kirch­li­chen Leh­re über Ehe und Fami­lie und der zeit­ge­nös­si­schen katho­li­schen Pra­xis. In die­sem Doku­ment wird die Sozio­lo­gie zum Maß­stab der Glau­bens­leh­re gemacht. Die Pra­xis stellt die Leh­re auf den Kopf, die Kir­che wird umge­stürzt. Das ist der Titel eines soeben erschie­ne­nen Buches von Enri­co Maria Radael­li: „La Chie­sa ribal­ta­ta. Inda­gi­ne este­ti­ca sul­la teo­lo­gia, sul­la for­ma e sul lin­guag­gio del magi­stero di Papa Fran­ces­co“ (Die auf den Kopf gestell­te Kir­che. Meta­phy­si­sche Unter­su­chung über die Theo­lo­gie, die Form und die Spra­che des Lehr­am­tes von Papst Fran­zis­kus; Gon­do­lin, Mila­no 2014, 314 Sei­ten) mit einem Vor­wort des Prie­sters und Phi­lo­so­phen Msgr. Anto­nio Livi.

Mit Lumen fidei Entdogmatisierung an der Spitze angelangt

Radael­li, Schü­ler von Roma­no Ame­rio ist ein auf­merk­sa­mer Beob­ach­ter des statt­fin­de­nen Pro­zes­ses der „Ent­dog­ma­ti­sie­rung“, der sei­nen Aus­gang vom Zwei­ten Vati­ka­num nahm und nun mit dem Lehr­amt von Papst Fran­zis­kus den Höhe­punkt erreicht zu haben scheint. Die Ver­än­de­rung der Spra­che der Kir­che hat sich in den ver­gan­ge­nen 50 Jah­ren ent­schei­dend auf die Inhal­te aus­ge­wirkt und sogar das dok­tri­nel­le Depo­si­tum ent­stellt. Durch die Ana­ly­se von Lumen Fidei von Papst Fran­zis­kus stellt Radael­li fest, daß in einer Enzy­kli­ka, die sich auf die Tugend des Glau­bens stützt, das völ­li­ge Feh­len einer kla­ren und prä­zi­sen Defi­ni­ti­on des­sen auf­fällt, was die Tugend des Glau­bens ist (Sei­te 68). Mehr noch erstaunt das tota­le Feh­len des Wor­tes „Dog­ma“, eine inzwi­schen von der Kir­che bereits seit 50 Jah­ren geäch­te­te Vorstellung.

„Was soll eine Enzy­kli­ka über den Glau­ben nüt­zen, die nicht die heu­te in der Kir­che gras­sie­ren­den Irr­tü­mer und Häre­si­en auf­zeigt, die weder die Irr­tü­mer benennt noch sie ver­ur­teilt?“ fragt sich der Autor (Sei­te 257). Radael­li übt schar­fe Kri­tik an der „Event-Theo­lo­gie“, der „Theo­lo­gie der Begeg­nung“ und der „Erfah­rung“. „Die ver­bind­li­che und dog­ma­ti­sche Spra­che der Kir­che müß­te wie­der selbst­ver­ständ­lich als vor­ran­gi­ge Spra­che der Kir­che aner­kannt wer­den, die jede ande­re Spra­che der Kir­che bestimmt“ (Sei­te 73). Im Vor­wort ver­tei­digt Msgr. Anto­nio Livi, obwohl er eini­ge Posi­tio­nen des Autors nicht teilt, des­sen Recht, die­se zu äußern, so wie er auch die Arti­kel von Ales­san­dro Gnoc­chi und Mario Pal­ma­ro in der Tages­zei­tung „Il Foglio“ ver­tei­dig­te, weil jeder Katho­lik frei ist, sei­ne Mei­nung zu jenen theo­lo­gi­schen und pasto­ra­len Ent­schei­dun­gen sagen kann, die nicht das Dog­ma betref­fen, son­dern dis­ku­tier­ba­re Positionen.

Warum bei gleichzeitiger Entdogmatisierung das Konzil dogmatisieren?

Wir befin­den uns in einer Situa­ti­on, in der die Kir­che weder defi­niert noch ver­ur­teilt, son­dern Dis­kus­si­ons­frei­heit läßt. Aus den Buch­hand­lun­gen, den Semi­na­ren, den katho­li­schen Uni­ver­si­tä­ten dröh­nen die The­sen ultra­pro­gres­si­ver Autoren, die sogar die Exi­stenz einer „Ortho­do­xie“ leug­nen, wie dies in der jüng­sten Aus­ga­be der Zeit­schrift „Con­ci­li­um“ der Fall ist. War­um aber soll in einer Zeit der Ent­dog­ma­ti­sie­rung das Zwei­te Vati­ka­num dog­ma­ti­siert wer­den? Der Vor­rang gehört heu­te der Pra­xis, der geleb­ten Erfah­rung, aus der die Wahr­heit sicht­bar wer­den soll­te. Wenn dem so ist, war­um dann nicht auf jene Stim­me hören, die ein geleb­tes Chri­sten­tum ver­tritt, jenes der Tra­di­ti­on, das nicht den Pri­mat der Leh­re leug­net, das nicht die Wahr­heit neu schafft, son­dern sich auf die unver­än­der­li­che Wahr­heit beruft und sich ihr angleicht?

 

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

Print Friendly, PDF & Email

-

-
1 Viag­gio nel Con­ci­lio (Rei­se durch das Kon­zil), in: 30giorni, Son­der­bei­la­ge zur Nr. 10 (1985), S. 6–30
2 heu­te amtie­ren­der Erz­bi­schof von Mai­land und Kardinal
3 Viag­gio nel post­con­ci­lio, hrsg. von Ange­lo Sco­la, Mai­land 1985
4 deut­sche Aus­ga­be: Der Rhein fließt in den Tiber, Lins, Feld­kirch 1988 
5 Freie Über­set­zung aus dem ita­lie­ni­schen Auf­satz von Pro­fes­sor Rober­to de Mattei.
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!