(Sarajewo) Die unmittelbar bevorstehende Eröffnung des Islamischen Zentrums Sultan Mehmed Fatih II. in Goražde in Bosnien lenkt die Aufmerksamkeit vielleicht ein wenig auf das Phänomen der Islamisierung dieses Balkanlandes. Die Zahl islamischer Zentren und Moscheen, die mit ausländischem Geld erbaut werden, wird ständig größer. Das großangelegte neue islamische Zentrum der ostbosnischen Stadt Goražde wurde mit den Geldern des TIKA, des Türkischen Präsidiums für Internationale Kooperation und Koordination errichtet, einer staatlichen türkischen Einrichtung, die offiziell als Agentur für Entwicklungszusammenarbeit auftritt.
TIKA finanziert ähnliche Bauprojekte in verschiedenen Teilen der Welt, besonders in Zentralasien. Bosnien gehört allerdings zu einem der Haupttätigkeitsfelder der türkischen Einrichtung. Auf der Homepage von TIKA findet sich im Internet eine Erklärung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan: „Mit TIKA werden wir immer an der Seite unserer bosnischen Brüder in Bosnien-Herzegowina sein“.
1.055 Moscheen renoviert oder neu gebaut
Die Eröffnung des neuen islamischen Zentrums erhält noch mehr Bedeutung, wenn man die Zahlen hinzunimmt, die am 7. Mai von den bosnischen Tageszeitungen veröffentlicht wurden, jenem Tag, der als „Tag der Moschee“ ausgerufen wurde. Laut diesen Angaben wurden bisher 516 Moscheen/Masjids renoviert (im Bürgerkrieg von 1992–1995 sollen 614 Moscheen beschädigt oder zerstört worden sein) und weitere 539 Moscheen neu erbaut. Hinzu kommen ein weiteres Dutzend neuer Moscheen mit angeschlossenen Versammlungsräumen, die sich im Bau befinden und mehr als einhundert beschädigter Moscheen, die wieder instandgesetzt werden.
Fatima, die Leiterin des Zentrums für islamische Architektur sagte in einem Interview mit der Tageszeitung Oslobodjenje, daß alle diese Bauprojekte durch private Stiftungen und Spenden möglich wurden, vor allem jedoch durch die finanzielle Unterstützung der islamischen Gemeinschaft von Bosnien-Herzegowina durch die arabischen Staaten und die Türkei.
Verschiedene islamische Staaten, darunter vor allem Saudi-Arabien haben islamische Bauprojekte finanziert und recht deutlich zu erkennen gegeben, daß sie ein Interesse haben, ihren Einfluß in Bosnien und in den angrenzenden Staaten auszuweiten. Die Türkei spielt dabei allerdings die erste Geige. Sie sieht im Balkan das ehemalige Herrschaftsgebiet des Osmanischen Reiches und sich als Schutzmacht der Moslems auf dem Balkan. Die türkische Politik stützt dabei erfolgreich jenes Phänomen, das Alija Izetbegović, der ehemalige Präsident der Republik Bosnien-Herzegowina die „Re-Islamisierung der Moslems“ nannte. Izetbegović, selbst bosnischer Moslem, bezeichnete damit die Wiederentdeckung des Islams durch die Bosniaken, nachdem sich dieser durch Anpassung an ihre nicht-islamische Umwelt und vor allem durch die atheistische Staatsdoktrin während der kommunistischen Diktatur abgeschwächt hatte. Der ethnisch-religiöse Bürgerkrieg verstärkte das identitäre Element aller Volks- und Religionsgruppen. In Bosnien wurde diese Entwicklung nicht unerheblich durch ausländische Dschihadisten gefördert, die in das Land einsickerten und auf bosniakischer Seite gegen Serben, aber auch Kroaten kämpften.
Die Dschihadisten brachten neuen extremistischen Islam
Die Dschihadisten brachten neue extremistische Formen des Islams mit, die bisher in Bosnien unbekannt waren. Mit den Dschihadisten kamen die Regierungen der islamischen Staaten, die aus geopolitischen (Türkei) und aus religiösen Gründen (Saudi-Arabien) die bosnischen Moslems unterstützen. Dabei wird jeweils der eigene Islam nach Bosnien exportiert und dort gefördert. So gelangte der saudische Wahabismus bis nach Bihac, obwohl er bis Mitte der 90er Jahres als landesfremd gelten konnte. Mit dem neuen Islam kamen auch Hilfsgelder ins Land, die von den Bosniaken nach den Zerstörungen des Krieges, nach ethnischer Säuberung und Vertreibung mit Toten und Verwundeten gut gebraucht werden konnten. Das schuf neue Verbindungen.
Die anhaltende Zerrissenheit des Landes begünstigt ebenfalls den Einfluß ausländischer Staaten. Die Wirtschaftskrise schürt den Protest gegen die eigene Regierung. Vor allem im moslemischen und kroatischen Teil der Konföderation genießt die Regierung in Sarajewo wenig Glaubwürdigkeit. Unter solchen Bedingungen fällt es einem gutorganisierten und starken Staat wie der Türkei nicht schwer, in Teilen der moslemischen Bevölkerung Anziehungskraft zu entfalten. Nicht zuletzt, weil den türkischen Worten auch Taten folgen. Mit dem Geld für Moscheen und Islamzentren fließt auch Geld für die Restaurierung historischer Gebäude von symbolischer Bedeutung oder besonderem Interesse für die Bosniaken. Dazu gehört zum Beispiel das Geburtshaus des 2003 verstorbenen Alija Izetbegović in Sarajewo, der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas. Die Stadt wird auf der TIKA-Internetseite mit dem alten türkischen Namen Saraybosna genannt.
Pro-türkische Lobbyisten in Brüssel
Die Türkei gewährte vor kurzem ein Darlehen von 100 Millionen Euro zur Förderung der Rückkehr von bosniakischen Flüchtlingen und zur Ankurbelung von Landwirtschaft und Fremdenverkehr. Dahinter steht auch der Wunsch, daß Bosnien-Herzegowina, an der Schwelle zur EU gelegen, künftig auf internationaler Ebene ein gutes Wort für die Türkei einlegt. Die Geldflüsse bedeuten nicht nur Einfluß in den Ländern, sondern auch den Aufbau von pro-türkischen Lobbyisten.
Am 12. Mai gab der türkische Staatspräsident Abdullah Gül im Rahmen eines Staatsbesuchs in Bosnien-Herzegowina in Sarajewo ein Staatsbankett zu Ehren des bosnischen Präsidenten Bakir Izetbegović, Sohn von Alija Izetbegović. In seiner Ansprache bekräftigte Gül, daß Bosniens Zukunft in der NATO und der EU liege. Bosnien-Herzegowina, so die Vorstellungen Ankaras, solle als türkischer Lobbyist in Brüssel wirken. Gül stellte zudem klar, daß sich die Türkei von allen die Respektierung der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas erwartet. Gül betonte zwar allgemein die „historischen und kulturellen Bande“ zwischen beiden Staaten, was aber nicht darüber hinwegtäuschen konnte, daß er sichtlich vor allem dem moslemischen Teil des Staates Rückhalt durch Ankara signalisieren wollte.
Türkei an Bosnien-Herzegowinas Einheit interessiert
Vor allem separatistische Bestrebungen der Serben wollte Gül dämpfen. Die orthodoxen Serben möchten aus der ihnen von außen aufgezwungenen Konföderation austreten und die Republika Srpska Serbien anschließen. Ähnliche, wenn auch schwächere Bestrebungen gibt es auch im kroatischen Teil Bosniens und der Herzegowina. Die katholischen Kroaten wurden mit den zahlenmäßig stärkeren bosnischen Moslems in einen Staat gezwungen, was ihre Position zusätzlich erschwert. Sowohl Kroatien, vor allem aber Serbien stehen den türkisch-islamischen Bestrebungen aus historischen und aktuellen Gründen ablehnend gegenüber. Die bosnische Einheit vergrößert damit den türkischen Einfluß und schwächt den serbischen, aber auch den kroatischen Einfluß auf dem Balkan.
So verwundert es nicht, daß es Ende März nach Bekanntwerden des Wahlsiegs von Erdogan bei Parlamentswahlen in der Türkei in den von Bosniaken bewohnten Städten der kroatisch-moslemischen Föderation zu Freudenkundgebungen kam. Aber nicht nur in Bosnien-Herzegowina, auch in Albanien, dem Kosovo und Mazedonien gingen einheimische Moslems auf die Straße und stimmten die türkische Hymne an. Am Rand der EU entfaltet die Türkei intensive diplomatische Aktivitäten. Sie kann dabei nicht nur auf die Sympathien und die Unterstützung der Moslems zählen, sondern mehr noch auf die Abwesenheit staatlicher Institutionen, die ihrer Einflußnahme Einhalt gebieten könnten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: NBQ/Saravbosna press