(Rom) Die unverständlichen Worte von Bischof Nunzio Galantino, des Generalsekretärs der Italienischen Bischofskonferenz lösten unter Katholiken weltweit Unmut und Enttäuschung aus. Als besonders irritierend gilt die Tatsache, daß Bischof Galantino von Papst Franziskus ernannt wurde und dessen starker Mann in der Bischofskonferenz ist. Ist es nicht der Papst, der ununterbrochen Karrierismus und Bequemlichkeit kritisiert? Was aber anderes als Bequemlichkeit könnte es sein, wenn Bischöfe sich um die Verteidigung der katholischen Lehre herumdrücken und dialektische Kunststücke vollziehen, um sich in Einklang mit der Welt zu bringen? Bischof Galantino konstruierte in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung Quotidiano Nazionale (QN) einen Gegensatz zwischen ethischen Fragen, die er gegeneinander ausspielte (siehe eigenen Bericht Bergoglio-Effekt: Sekretär der Bischofskonferenz distanziert sich von Lebensschützern). Er stellte dabei den Einsatz für Arbeit und Gesundheit dem Einsatz für das Lebensrecht ungeborener Kinder entgegen.
Der Bischof ließ erkennen, daß der Widerstand gegen die Abtreibung einem Teil der kirchlichen Hierarchie lästig geworden ist, weil er ein einvernehmliches Arrangement der Katholischen Kirche mit den regierenden Kräften belastet. Nicht nur die Linksparteien, zunehmend auch bürgerliche Parteien schließen jede Diskussion über die Abtreibungsgesetzgebung aus. Vielmehr wird die Zustimmung zur Abtreibung zur Vorbedingung für staatliche Förderung oder gar für Lizenzvergaben gemacht, wie in den USA durch die Regierung Obama.
Die Mächtigen wollen den Kindermord? Hurra wir knicken ein
Bischof Galantino sprach offen aus, was nicht wenige Bischöfe schon länger indirekt zu verstehen geben. Die Lebensrechtsfrage und die Lebensschützer stören die guten Beziehungen zu den immer weniger christlich geprägten Mächtigen in Politik und Medien. Um dies zum Ausdruck zu bringen, schreckte der neue Generalsekretär der Italienischen Bischofskonferenz nicht davor zurück, die Lebensschützer auf herablassende Weise zu karikieren. Daß auch der neue Vorsitzende der Amerikanischen Bischofskonferenz, Erzbischof Joseph Edward Kurtz kniend vor Abtreibungskliniken den Rosenkranz betet, wurde von Galantino verschwiegen. Er jedenfalls, werde es nicht tun. Nicht nur das. Jene, die es tun, stören den einflußreichen Prälaten. Wohl weil sie eine ständige Mahnung an das Gewissen sind.
Pater Pio und die Macht des Gebets
Glaubt Bischof Galantino am Ende gar nicht an die Macht des Gebets wenn er es als so unpassend findet und abschätzig über jene urteilt, die gegen Abtreibung beten? „Das Gebet ist die beste Waffe, die wir haben. Es ist der Schlüssel, der das Herz Gottes aufschließt“ sagte hingegen der heilige Pater Pio von Pietrelcina.
„Bischof Galantino, vielleicht sollten Sie einfach einmal an einer Gebetsvigil teilnehmen, wo Menschen Zeugnis für den Glauben ablegen gegen das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, während andere bequem zu Hause sitzen“, so der Lebensschützer Michele Majno in Riscossa Cristiana. „Neben den geschmeidigen und aalglatten Anpassern wird es immer einige ‚dickköpfige‘ Katholiken geben, die den Rosenkranz zwischen ihren Fingern halten und beten, statt über soziopolitische Dokumente, verheiratete Priester, Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene, stillschweigende Anerkennung der Abtreibung und lautstarke Anerkennung der Homosexualität zu diskutieren, weil sie genau wissen, daß Priester nicht heiraten, die sakramentale Ehe unauflöslich ist, und daß Homosexualität und der Mord an unschuldigen Kindern Greuel sind, die nach der Rache Gottes schreien“, so Majano.
Viele Bischöfe Europas haben zu lange geschwiegen
Bischof Galantino erfand stattdessen die Behauptung, die übrigens eins zu eins von Papst Franziskus übernommen scheint, daß die Kirche gewissermaßen schon zuviel über Abtreibung gesprochen habe und nicht ständig so einseitig auftreten könne.
Aus den Worten geht aber lediglich hervor, daß Galantino das Thema Lebensrecht auf die Nerven zu gehen scheint. Nicht der Massenmord an ungeborenen Kindern stört ihn, sondern daß es Katholiken gibt, die noch immer darauf hinweisen, obwohl die Machthaber dieser Welt doch ihre Gesetze beschlossen haben und daher ungestört morden wollen können.
In Wirklichkeit trifft das genaue Gegenteil dessen zu, was Bischof Galantino behauptete. Viele Kirchenvertreter, ausgenommen die Päpste (erst seit Papst Franziskus erscheint die päpstliche Haltung ambivalent wie das ganze Pontifikat) schweigen seit Jahrzehnten zum Thema Lebensrecht. Wenn sie Stellung beziehen, dann ziemlich verstohlen, sodaß es ja nicht zu viele merken. Eine Anklage gegen den größten, industriell organisierten Massenmord der Menschheitsgeschichte bekommt man von den allermeisten nicht zu hören. Es geht wesentlich schneller, die wenigen Bischöfe aufzuzählen, die ernsthaft und überzeugt ihre persönliche Stimme gegen den Kindermord erhoben haben, als die zaghaften Stellungnahmen, verklausulierter Erklärungen der Bischofskonferenzen.
Demonstrieren mit Abtreibungslobbyisten – Distanzieren von Lebensschützern?
Bischof Ludwig Maria Schwarz von Linz, jener österreichischen Diözese, die im deutschen Sprachraum ein Paradebeispiel für innerkirchliche Fehlentwicklungen ist, reiste eigens nach Wien, um am vergangenen Mittwoch an einer „Mahnwache“ vor dem Bundeskanzleramt teilzunehmen. Er demonstrierte damit gegen Regierungskürzungen für NGOs im Bereich Entwicklungszusammenarbeit. „Wir haben die Pflicht, Hilfe zu leisten“, so der Bischof zurecht. Für den Bischof stellt es jedoch kein Problem dar, sich undifferenziert mit Organisationen zu solidarisieren, deren „Entwicklungshilfe“ in der Förderung der Abtreibung (Stichwort „reproduktive Gesundheit“) besteht.
Bischof Schwarz wurde hingegen noch nicht auf der Straße gesehen, um für das Lebensrecht zu demonstrieren oder vor einer Abtreibungsklinik zu beten. Eine Gelegenheit dazu bestünde in Linz am Samstag, den 17. Mai, wo Human Life International Österreich und der Verein Ja zum Leben zu einer Gebetsvigil einladen und unter anderem vor dem Allgemeinen Krankenhaus der Stadt den Rosenkranz für das Recht auf Leben von Mutter und Kind und gegen den Kindermord beten.
Fragen an die Bischöfe
Bischof Galantinos „Ausrutscher“ erfolgte wenige Tage, nachdem in Rom der 4. Marsch für das Leben stattfand, an dem mehr als 50.000 Menschen teilnahmen, um für das Leben und gegen Abtreibung zu demonstrieren. Die Lebensschützer haben damit den Beweis erbracht, daß die Straße nicht nur jenen gehört, die für den Tod demonstrieren. Ist Galantinos Wortmeldung als Antwort auf den Marsch für das Leben zu verstehen? Darum einige Fragen an die Bischöfe des Westens:
1.) Werden die Zehntausenden Menschen, Priester, Ordensleute, Kinder, Erwachsene, Frauen, Männer und Alte (einschließlich jener, die im Rollstuhl und auf Krücken kamen), die stellvertretend für viele andere zwei Stunden in Rom vom Platz der Republik zum Petersplatz zogen, endlich eine politische Anerkennung finden? Werden die Bischöfe eine klare Stellung beziehen, nicht nur abstrakt für das Leben, sondern konkret gegen dessen tägliche Bedrohung durch die Abtreibung und zur Abschaffung der Abtreibungsmordgesetze?
2.) Vom 5. bis 19. Oktober 2014 wird im Vatikan die Bischofssynode stattfinden zum Thema: „Die pastoralen Herausforderungen der Familie im Kontext der Evangelisierung“. Im Kapitel des Kodex des Kirchenrechts (CIC) heißt es zu synodalen Versammlungen (Canon 346,2): „Die zur außerordentlichen Generalversammlung einberufene Bischofssynode hat Angelegenheiten zu behandeln, die einer schnellen Erledigung bedürfen.“ Gehören zu den „Angelegenheiten“, die einer „schnellen Erledigung bedürfen“ auch die Anliegen der Lebensschützer (dabei geht es wirklich um Leben oder Tod)?
3.) Der Papst sagte beim Angelus auf dem Petersplatz zu den 50.000 Teilnehmern des Marsches für das Leben in Rom (bei dem vor allem die großen katholischen Laienverbände und Bewegungen durch Abwesenheit auffielen): „Viel Glück und vorwärts“. Werden die Bischöfe dem Beispiel von Kardinal Raymond Leo Burke folgen und bei nächster Gelegenheit auf die Straße gehen, um am Marsch für das Leben ihres Landes und an Gebetsvigilen vor Abtreibungskliniken teilzunehmen und kompromißlos für das Lebensrecht eintreten?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Riscossa Cristiana/Diözese Linz (Screenshot)/La cigüeña de la torre