Der 68er Geist und die unheilvollen Folgen für die missio ad gentes


Zweites Vatikanisches Konzil(Rom) Der Mis­sio­nar und Prie­ster des Päpst­li­ches Insti­tuts für die aus­wär­ti­gen Mis­sio­nen, Pater Pie­ro Ghed­do befaßt sich auf sei­nem Blog mit dem 68 der Katho­li­schen Kir­che und des­sen „unheil­vol­le Aus­wir­kun­gen auf die mis­sio ad gen­tes“. Er berich­tet vom „Opfer“ von Papst Paul VI., „der die Kir­che vor den Theo­lo­gen der ‚Des­in­kar­na­ti­on‘ zu schüt­zen ver­such­te, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil ver­ra­ten haben.“ Ein Dis­kus­si­ons­bei­trag, den wir für unse­re Leser in deut­scher Über­set­zung zur Ver­fü­gung stellen.

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Achtundsechzig und die Krise der missio ad gentes

von Pater Pie­ro Ghed­do PIME

Das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil hat­te viel Begei­ste­rung und Hoff­nung geweckt, nach­dem Johan­nes XXIII. gesagt hat­te: „Das Kon­zil wird ein neu­es Pfing­sten für die Kir­che sein“. Die Geschich­te ver­lief dann bekannt­lich ganz anders.

Als das Zwei­te Vati­ka­num am 7. Dezem­ber 1965 endet, ver­öf­fent­licht Paul VI. mit dem Motu pro­prio Eccle­siae Sanc­tae (6. August 1966) die Bestim­mun­gen, um die Kon­zils­be­schlüs­se im täg­li­chen Leben der Gläu­bi­gen, der Diö­ze­sen, Pfar­rei­en und Ordens­ge­mein­schaf­ten anzu­wen­den. Inzwi­schen ent­stan­den aber bereits theo­lo­gi­sche Tagun­gen, Fach­zeit­schrif­ten (zum Bei­spiel Con­ci­li­um) und kirch­li­che Ver­öf­fent­li­chen, die eine „Flucht nach vor­ne“ antra­ten (oder nach hin­ten?). Sie erklär­ten nicht die Kon­zils­do­ku­men­te und luden auch nicht dazu ein, die­se umzu­set­zen und anzu­wen­den. Sie behaup­te­ten, zu wis­sen, was die Kon­zils­vä­ter wirk­lich sagen woll­ten und gaben dem Kon­zil eine eigen­mäch­ti­ge Aus­le­gung. Dazu schrie­ben sie von einem „Geist des Kon­zils“, der über die Kon­zils­tex­te hin­aus­ge­he und die­sen über­ge­ord­net sei. Sie schrie­ben, daß die Doku­men­te des Kon­zils im Ver­gleich zu die­sem „Kon­zils­geist“ viel zu zag­haft und unvoll­stän­dig ver­faßt sei­en. Schuld dar­an sei vor allem die Römi­sche Kurie, die zu einem mythi­schen Feind­bild gemacht wur­de. Es stan­den „Pro­phe­ten“ auf, die ein unmit­tel­bar bevor­ste­hen­des „Drit­tes Vati­ka­ni­sches Kon­zil“ ankün­dig­ten, das ver­voll­stän­di­gen soll­te, was am Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil durch Wider­stand gegen den „Kon­zils­geist“ noch unvoll­stän­dig geblie­ben sei und neue For­men des christ­li­chen und prie­ster­li­chen Lebens fin­den sollte.

Im Herbst 1967 begann im Westen, was dann als 68 bekannt wur­de. Eine Mischung aus gro­ßen Idea­len (Frie­den und Gerech­tig­keit in der Welt), häu­fig absur­den Uto­pien (abso­lu­te Gleich­heit statt Gleich­wer­tig­keit zwi­schen den Men­schen und zwi­schen Mann und Frau, oder die tota­le Abrü­stung, die Abschaf­fung des Kapi­tals) und oft gewalt­tä­ti­gem Ver­hal­ten, aus der eine tie­fe Unzu­frie­den­heit über die west­li­che Gesell­schaft sprach. Es han­del­te sich um einen all­ge­mei­nen Jugend­pro­test, vor allem der Stu­den­ten gegen die Gesell­schaft in der wir leben, die durch „star­ke Kräf­te“, die Macht­in­ha­ber, die Pro­fes­so­ren an den Uni­ver­si­tä­ten, die Indu­strie­ba­ro­ne und über­haupt alle Auto­ri­tä­ten blockiert gewe­sen sei. Der 68er Geist drang auch in die Katho­li­sche Kir­che ein. Vie­len erschien er eine Bewe­gung der Vor­se­hung zu sein, die Poli­tik, Gesell­schaft und Kir­che in eine neue, gute Zukunft füh­ren werde.

Neue ungehorsame Gemeinschaften im „Geist des Konzils“

Es ent­stan­den Gemein­schaf­ten von Gläu­bi­gen mit ihren Prie­stern, die „gemäß dem Geist des Kon­zils“ leb­ten, aber oder bes­ser gera­de des­halb nicht den Bischö­fen und der kirch­li­chen Auto­ri­tät gehorch­ten. Sie wur­den zum Ärger­nis und Anlaß für Spal­tun­gen, die von den Mas­sen­me­di­en ver­stärkt wur­den. Die reli­giö­se Pra­xis ging zurück, nicht weni­ge Prie­ster gaben ihr Prie­ster­tum auf, um „eine neue Art des Prie­ster­seins“ aus­zu­pro­bie­ren. Es war eine Zeit gro­ßer Ver­wir­rung, der Zwei­fel und der Unsi­cher­heit. Es begann jene Zeit der Glau­bens­kri­se und der Kri­se des christ­li­chen Lebens, deren dar­un­ter lei­den­de Zeu­gen wir noch heu­te sind.

Der Abschied von Mission und Bekehrung

Eine gewis­se rea­li­täts­frem­de Theo­lo­gie unter­grub die Fun­da­men­te des mis­sio­na­ri­schen Ide­als, wie es vom Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil bekräf­tigt und ver­stan­den wur­de. Man pro­kla­mier­te Vor­schlä­ge als Wahr­heit, die zwar etwas Wah­res hat­ten, aber durch ihre Ver­ab­so­lu­tie­rung zum unheil­vol­len Scha­den für die Mis­si­on ad gen­tes wur­den, weil ihnen eine inne­re Ableh­nung jeder Form von Mis­si­on zugrun­de­lag. Zum Beispiel:

  • Die jun­gen Kir­chen müs­sen ihren Völ­kern Chri­stus ver­kün­den, Mis­sio­na­re sind über­flüs­sig. Es ent­stand eine Medi­en­kam­pa­gne für ein „Mora­to­ri­um“ der Afri­ka­mis­si­on (Abzug aller aus­län­di­schen Mis­sio­na­re), um den Orts­kir­chen „frei­en Raum“ zu lassen.
  • Die Nicht-Chri­sten gibt es auch in Euro­pa, die Mis­si­on ad gen­tes ist auch bei uns mög­lich, dazu muß man nicht in die Mis­si­on gehen. Mit ande­ren Wor­ten, man möge doch zuerst zu Hau­se mis­sio­nie­ren, statt in die Welt hin­aus­zu­ge­hen. Eine For­de­rung, die sich hin­ter einem dia­lek­ti­schen Vor­wand ver­steck­te, in Wirk­lich­keit aber grund­sätz­lich gegen die Mis­si­on rich­te­te, die gene­rell als über­holt betrach­tet wurde.
  • Es ist nicht wich­tig, daß die Völ­ker sich zu Chri­stus bekeh­ren, wich­tig sei, daß sie die Bot­schaft der Lie­be und des Frie­dens des Evan­ge­li­ums übernehmen.
  • Jede Reli­gi­on hat ihre Wer­te und alle füh­ren zu Gott. Wel­chen Sinn hat also der mis­sio­na­ri­sche „Pro­se­ly­tis­mus“ unter Völ­kern ande­rer Religion?
  • Schluß mit Bekeh­run­gen. Wich­ti­ger ist, daß ein Christ ein bes­se­rer Christ wird und ein Mos­lem ein bes­se­rer Mos­lem und ein Bud­dhist ein bes­se­rer Buddhist…

Paul VI. war der Papst des Kon­zils, er hat­te mit gro­ßer Klug­heit das Kon­zil fort­ge­führt und zum Abschluß gebracht mit fast ein­hel­li­gen Abstim­mungs­er­geb­nis­sen der 2.500 Kon­zils­vä­ter. Er war ein gebil­de­ter, sanft­mü­ti­ger und demü­ti­ger Mann, der die moder­ne Zeit ver­stan­den zu haben schien. Er sprach auf für alle ver­ständ­li­che Wei­se (man lese sei­ne Enzy­kli­ken) und mit sei­ner ersten Enzy­kli­ka Eccle­siae Sanc­tae (1964) zeig­te er den Dia­log mit der Welt (geben und emp­fan­gen) als Metho­de der Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums in der moder­nen Zeit auf. Zu die­ser Zeit schien er noch ein star­ker, ent­schlos­se­ner und strah­len­der Pontifex.

Der Bruch wegen Humanae vitae, der Paul VI. den Optimismus und die Kräfte raubte

Doch Anfang der 70er Jah­re hat­te ihn der har­te Wider­spruch und die ver­ach­ten­de Ableh­nung (durch Katho­li­ken) sei­ner Enzy­kli­ka Hum­a­nae Vitae (1968), die bezeich­nen­der­wei­se genau in jenem Jahr ver­öf­fent­licht wur­de, die der neu­en Epo­che den Namen gab, schwer und in sei­nem Inner­sten ver­letzt. Durch das Cha­os jener Tage war er ver­schüch­tert, er fühl­te die Kräf­te schwin­den, um reagie­ren zu kön­nen und die Her­de Chri­sti zurück­zu­füh­ren, auf den Weg, den das Kon­zil eigent­lich gewie­sen hatte.
Und die dia­lo­gi­sie­ren­den und gespal­te­nen Orts­kir­chen kamen ihm nicht zu Hil­fe. Die deut­schen Kir­chen hat­ten in einem offe­nen Affront die Gefolg­schaft für Hum­a­nae vitae ver­wei­gert, und auch die ita­lie­ni­sche Kir­che, in poli­ti­sche Gra­ben­kämp­fe zer­fal­len und der Über­zeu­gung, daß die kom­mu­ni­sti­sche Lin­ke und Mos­kau unmit­tel­bar vor dem Sieg stan­den, war Paul VI. kei­ne Stüt­ze. Er war auf den „reli­giö­sen Sinn“ aus­ge­rich­tet, wäh­rend die Gesell­schaft und die Kul­tur in Euro­pa von prä­po­ten­ten und häu­fig gewalt­tä­ti­gen 68er-Metho­den und Ideo­lo­gien umge­pflügt, beackert und ver­wü­stet wur­den. Das Mes­sia­ni­sche der Stu­den­ten­re­vol­te schien das nach­kon­zi­lia­re Gären wei­ter anzu­fa­chen, das das Kon­zil als Bruch mit der kirch­li­chen Tra­di­ti­on und als tota­les Revo­lu­tio­nie­ren der Kir­che und des christ­li­chen Lebens interpretierte.

Mit wehenden Fahnen zum „wissenschaftlichen“ Marxismus und weiter zur…

Um so mehr als nicht weni­ge katho­li­sche Intel­lek­tu­el­le und Theo­lo­gen, Ver­ei­ni­gun­gen und kirch­li­che Grup­pen mit wehen­den Fah­nen der umstürz­le­ri­schen Wel­le folg­ten, die zum Lai­zis­mus, Rela­ti­vis­mus, Indi­vi­dua­lis­mus (die „Indi­vi­du­al­rech­te“, aber ohne die Pflich­ten) und zum „wis­sen­schaft­li­chen“ Ver­ständ­nis der Gesell­schaft (das heißt, zum Mar­xis­mus) führ­te. Nie­mand von Bedeu­tung wag­te es mehr laut und deut­lich zu sagen, daß die postu­lier­te „neue Welt“ mög­lich ist, aber nur durch, mit und in Chri­stus. Paul VI. sag­te es, wie­der­hol­te es, pro­kla­mier­te es und zwar mit lau­ter Stim­me (sie­he die Num­mer 26, 28 und 31 von Octo­ge­si­ma adve­ni­ens von 1971 über den Sozia­lis­mus). Gehör fand er nicht mehr, oder bes­ser gesagt nur mehr unter den ein­fa­chen Gläu­bi­gen, die in den Fern­seh­dis­kus­sio­nen lächer­lich gemacht wur­den, nicht sel­ten von ande­ren Katho­li­ken, die selbst­be­wußt im Gleich­schritt mit der Zeit marschierten.

Krise der Mission Folge der Glaubenskrise

Die Kri­se des Mis­si­ons­ide­als im christ­li­chen Westen ist eine Fol­ge der Glau­bens­kri­se, die die gesam­te Kir­che erschüt­ter­te. Sie traf die Mis­si­on völ­lig über­ra­schend und spal­te­te die mis­sio­na­ri­schen Kräf­te (Mis­si­ons­or­den, Zeit­schrif­ten, Missionsgruppen).

Ein bezeich­nen­des Bei­spiel (ich erin­ne­re mich an vie­le!). Im Som­mer 1968 wie bereits mehr­fach zuvor, habe ich an der Stu­di­en­wo­che für Mis­sio­lo­gie in Löwen teil­ge­nom­men, die vom unver­ges­se­nen Freund, dem Jesui­ten Joseph Masson, Pro­fes­sor für Mis­si­ons­wis­sen­schaf­ten an der Gre­go­ria­na in Rom ver­an­stal­tet wur­de. Damals stand sie unter dem Mot­to „Liber­té des Jeu­nes Egli­ses“. Meh­re­re Wort­mel­dun­gen, die nicht von akti­ven Mis­sio­na­ren, son­dern von Theo­lo­gen und Mis­si­ons­wis­sen­schaft­lern kamen, ver­letz­ten mich, weil sie unter Beru­fung auf den „Geist des Kon­zils“ star­ke Zwei­fel an Sinn­haf­tig­keit und Berech­ti­gung äußer­ten, euro­päi­sche Mis­sio­na­re in ande­re Kon­ti­nen­te zu ent­sen­den. Viel bes­ser sei es, sag­te man, die jun­gen Kir­chen allei­ne zur Rei­fe kom­men zu las­sen und daß sie sich nach ihren Ideen und Kul­tu­ren orga­ni­sie­ren. Ich pro­te­stier­te gegen die The­se, weil ich das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil von innen ver­folgt hat­te und bezeu­gen konn­te, daß die Gesamt­heit der Bischö­fe der Mis­si­ons­ge­bie­te sich auf dem Kon­zil auf völ­lig ent­ge­gen­ge­setz­te Wei­se geäu­ßert hat­ten und viel­mehr um noch mehr Mis­sio­na­re gebe­ten hat­ten. Gera­de wegen der Unab­hän­gig­keit ihrer Län­der ver­spür­ten sie die Not­wen­dig­keit einer stär­ke­ren Bin­dung mit Rom und den alten katho­li­schen Kir­chen. Das ist nur ein Bei­spiel für jene Men­ta­li­tät, die sich in der Nach­kon­zils­zeit in die Kir­che infil­triert und in ihr aus­ge­brei­tet hatte.

Die Kri­se der mis­sio ad gen­tes und damit des Mis­si­ons­ge­dan­kens, der Mis­si­ons­zeit­schrif­ten und Bücher, zeig­te sich auch mit der Ein­stel­lung von gleich drei füh­ren­den mis­si­ons­wis­sen­schaft­li­chen Tagun­gen, die auf die lan­ge mis­sio­lo­gi­sche Erfah­rung Löwens seit den 20er Jah­ren zurück­gin­gen. 1969 wur­de die Mis­si­ons­ta­gung von Mai­land ein­ge­stellt, 1970 jene von Bur­gos und 1975 schließ­lich auch jene von Löwen. Grund waren unüber­brück­ba­re Kon­flik­te und Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zwi­schen den Theo­lo­gen und Mis­si­ons­fach­leu­ten, die nach dem Kon­zil aus­ge­bro­chen waren.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Tempi

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