(Rom) Der Journalist Alessandro Gnocchi und der Rechtsphilosoph Mario Palmaro bildeten eine geniale publizistische Gemeinschaft. Gemeinsam veröffentlichten sie mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze. Zu letzteren gehört eine Reihe in der Tageszeitung „Il Foglio“, mit der sie sich kritisch mit dem derzeitigen Pontifikat auseinandersetzten und die inzwischen in Buchform erschienen ist („Dieser Papst gefällt zu sehr“). Mit dem zu frühen Tod von Mario Palmaro ist noch Alessandro Gnocchi übrig, der das Erbe seines intellektuellen Partners und Mitautors fortführt. Am 10. April veröffentlichte Gnocchi den ersten Aufsatz im „Il Foglio“ ohne Palmaro, für dessen Witwe in der Zwischenzeit eine Stiftung für den Lebensunterhalt und die Ausbildung der vier Kinder ins Leben gerufen wurde, die für Zuwendungen dankbar ist. Hier der Aufsatz von Alessandro Gnocchi und der Hinweis auf den letzten gemeinsam mit Mario Palmaro verfaßten Artikel: Ohne Doktrin gibt es keine Christen – ‚Erfahrung‘ und Faszination genügen nicht, um Jesus nachzufolgen.
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Das Hinterzimmer der Liturgie
von Alessandro Gnocchi
Kein Mensch, wie Hegel sagte, entgeht dem Tadel des Kammerdieners, der die geheimen Zimmer regiert. Genausowenig können sich die Revolutionen und ihre reformatorischen Traumata dem Urteil des Altwarenhändlers entziehen, der im Hinterzimmer verkehrt, in dem die Überreste der verflossenen Epoche und der gestürzten Ordnung aufbewahrt werden.
So versteckt sie auch sein mögen, es gibt immer einen Ort, in dem das Ausnahmewesen und das epochale Ereignis gezwungen sind, ihre innerste Natur zu zeigen, und sei es nur in einem Detail. Auch die in der Kirche Ende der 60er Jahre vollzogene Liturgiereform entgeht nicht der Hegelschen Guillotine. Auch der große Sprung hin zur Welt, den man angesichts der Umkehrung der Gebetsrichtung gegenüber früher als Revolution bezeichnen kann, hat sein enthüllendes Hinterzimmer. Es genügt in den Pfarrhäusern, Konventen und Sakristeien nach den alten Meßgewändern zu suchen, um einen Beweis dafür zu finden.
Der Manipulus ist kaum mehr auffindbar
Mit etwas Geduld und viel Bereitschaft zur Demut findet man auf einer solchen liturgischen Erinnerungsreise immer irgendwo einen Priester, eine Ordensfrau oder noch wahrscheinlicher einen alten Mesner, der mit einem wehmütigen Seufzer über die Zeiten als die Messe noch wirklich eine Messe war, Kaseln, Ornate, Tunicellen, Dalmatiken, Birette und Chorhemden hervorsucht. Aber selbst sie, mit wenigen Ausnahmen, sind nicht imstande den Manipel zu finden, jenes schmale, stolaähnliche Stoffteil, das der Zelebrant am linken Handgelenk trägt.
Wegen irgendwelcher obskurer Pläne, wollte man offenbar sogar die Erinnerung an dieses liturgische Kleidungsstück auslöschen, das aus der mappula hervorgegangen ist, einem kleinen Leinentuch, das der römische Adel am linken Arm trug und dazu benützte, Tränen und Schweiß abzuwischen und um das Zeichen für den Beginn der Kämpfe im Zirkus zu geben. In den Ostkirchen entspricht der Manipulus dem Epimanikion.
„Merear, Domine, portare manipulum fletus et doloris; ut cum exsultatione recipiam mercedem laboris“, betet der Priester jedes Mal, während er bei der Ankleidung den Manipel küßt und anlegt. „Möge ich würdig sein, o Herr, den Manipel der Tränen und des Schmerzes zu tragen, auf daß ich mit Jubel den Lohn meiner Arbeit empfange.“ Und erneut beginnt der Kampf gegen die Welt und ihren Fürsten, indem der Priester auf mystische Weise als alter Christus weint, schwitzt, blutet und kämpft bis hinauf aufs Kreuz.
In anstrengungsloser „Rettung“ ist kein Platz für Zeichen des Kampfes
Diese schmerzhafte und mannhafte Durchdringung im Opfer ist aber notwendig, und der schmale Manipulus ist als Schweißtuch Zeichen und Instrument dafür. Dort aber, wo man bereitwillig die Erinnerung daran verloren hat, um sich dem Festmahl einer anstrengungslosen „Rettung“ hinzugeben, ist kein Platz für die Zeichen des Kampfes, für den man den eigenen Körper einsetzen und ausliefern muß.
Die Pein eines heiligen Pater Pio und seines stigmatisierten Fleisches, die Ekstasen eines heiligen Philipp Neri, die Visionen des heiligen Johannes Chrysostomos, der dem Herabkommen des Blitzstrahls auf den Altar beiwohnte, und alle Heiligen Messen bis hin zu jenen des unwürdigsten Priesters, der auch nur ein bißchen Glauben an das Wunder der Transsubstantiation hat, waren immer gleichzeitig Herz und Frucht dieses Kampfes gegen den Fürsten dieser Welt.
“Impone, Domine, capiti meo galeam salutis, ad expugnandos diabolicos in cursus“, betet der Priester zur Abwehr des Bösen, während er bei der Vorbereitung auf die Heilige Messe das Schultertuch über sein Haupt legt. Ein weiteres liturgisches Gewand, das den Kampf und das Opfer in Erinnerung ruft, das in der reformierten Messe abgekommen ist. „Setze, o Herr, auf mein Haupt den Helm des Heiles, um alle teuflischen Anfechtungen zu bezwingen.“
Kleriker und Laien berauscht von der illusorischen Kraft des Geredes
Heute, in der nachkonziliaren Kirche redet man um des Redens willen, dialogisiert man des Dialogs wegen und pflegt eine freundliche Konversation mit der Welt, berauscht von einer illusorischen Überzeugungskraft des Geredes. Es braucht kein Gewand mehr wie das Schultertuch, das zum Helm des Gotteskriegers auch die castigatio vocis symbolisiert und aus der liturgischen Handlung jedes Wort verbannt, das nicht zum Ritus gehört, als völlig überflüssig, unpassend und die heilige Handlung störend.
Man hat die Haltung zum Ritus verloren und daher auch die Haltung zum Gebot und deshalb haben die Priester auch auf ihre Priesterkleidung verzichtet. Gilbert Keith Chesterton schrieb in „Was Unrecht ist an der Welt“, indem er Frauen kritisierte, die es vorziehen, Hosen zu tragen, daß die Männer, wenn sie feierlich und fehlerlos auftreten wollen, „wie im Fall der Richter, Priester und Könige, den Rock, das lange rauschende Kleid der weiblichen Würde tragen. Die gesamte Welt wird von den Soutanen aufrechterhalten, da sogar die Männer sie anziehen, wenn sie regieren wollen.“
Akedia, die Trägheit, das perverseste aller Hauptlaster
Die Vorstellung vom Gebot und dem Kampf, der Waffen und der Waffenrüstung im Geist ist von den Christen abgelegt worden, die es lieben, von der Trägheit eingelullt zu werden, dem perversesten aller Hauptlaster. Diese tödliche Falle, die die Kirchenväter Akedia oder Acedia nannten, breitete sich von Gläubigem zu Gläubigem aus, bis sie das ganze kirchliche Corpus befallen hatte. Daraus ist eine Unruhe und ein Unwohlbefinden geworden, eine Häresie, die ein Präludium für die unterschiedlichsten Irrtümer ist, die als extreme Fratze des mannhaften und kämpferischen Grundsatzes des ausgeschlossenen Widerspruchs sogar im Widerspruch zueinander stehen können.
Entschuldigung dafür, Jahrhunderte dem Menschen den Heilsweg aufgezeigt zu haben
Krank an Akedia ist die Kirche soweit gekommen, sich selbst als Problem zu sehen und zu präsentieren anstatt als Lösung des Problems für das intime Übel des Menschen. Selbst wenn sie von der Welt spricht, vermittelt sie heute den Eindruck, als würde sie sich selbst für unfähig halten, einen Heilsweg aufzuzeigen, ja so als wollte sie sich dafür entschuldigen, genau das viele Jahrhunderte lang versucht zu haben. Sie zweifelt in erster Linie an den eigenen intellektuellen und asketischen Grundsätzen. Und absurderweise erklärt sie, gerade indem sie proklamiert, sich der Welt zu öffnen, unfähig zu sein, die Welt zu kennen, zu definieren und daher zu erziehen und zu bekehren. Bestenfalls bietet sie an, die Welt ohne Gewähr zu interpretieren.
„Die Akedia“, schreibt der heilige Johannes Klimakos in seiner „Treppe zum Paradies“ und er scheint damit genau die Kirche unserer Zeit zu beschreiben, „bringt die Seele zu Fall, sie ist Schwächung des Geistes, Nachlässigkeit in der Askese, Haß gegen das Bekenntnis, sie hält jene für glückselig, die in der Welt leben, sie ist eine Verleumderin Gottes, es mangelt ihr an Mitleid und Liebe für die Menschen. Sie ist Erschlaffung in der Psalmodie und Schwachheit im Gebet.“ Als wahrer Mann Gottes und daher Kenner der menschlichen Natur, zeigt der heilige Mönch auf, den Benedikt XVI. zitierte, welche flüchtigen und verräterischen Folgen die Akedia als Krankheit hervorbringt, die sich durch und durch hinterlistig sich selbst als illusorisches Heilmittel präsentiert. Deshalb sei sie immer eifrig im Aktivismus und bereit zur manuellen, statt zur geistigen Arbeit.
Tango y Corazon: Der Aktivismus der Trägheit
Auch die Akedia empfiehlt die Aufnahme der Gäste. Die List ist nicht gleich erkennbar. Sie veranlaßt manuelle Arbeiten zu verrichten, Almosen zu sammeln, Kranke zu besuchen, indem sie an jenen erinnert, der sagte: Ich war krank und ihr seid zu mir gekommen; sie fordert dazu auf, die Entmutigten zu besuchen, um ihnen Stärkung zu bringen. In Wirklichkeit aber besuchen dabei Mutlose nur andere Mutlose. Während wir im Gebet verweilen, läßt sie uns dringende Aufgaben in den Sinn kommen und setzt jede nur denkbare Strategie ein, um uns aus irgendeinem durchaus vernünftig klingenden Grund vom Gebet wegzuziehen. Genau sie, die so unvernünftig ist.
Was der heilige Mönch im 7. Jahrhundert als Mahnung für einzelne Glieder verfaßte, gilt heute für das gesamte Corpus der Kirche, das zur Beute dieser Krankheit namens Aktivismus geworden ist: ein bißchen Tango y Corazon (Tango und Herz), ganz nach dem Geschmack des medialen Bewegungsdrangs und des intimen Minimalismus des derzeitigen Pontifikats. Die Welt überzeugt man aber nicht, indem man sich ihr gleich macht und ihre Sprache übernimmt. Dieses Jahrhundert gewinnt man nicht, indem man die Gesten und Worte begeistert nachahmt, die für den Ritus castigatio sind. Die Welt hat vor allem Abscheu vor sich selbst und der Christ gewinnt sie nicht, indem er sich verweltlicht.
Wenn wir Gott nicht auf die Altäre rufen, werden sie von Dämonen besetzt
„Geh in deine Zelle und setz dich hin“, sagte ein anderer Wüstenvater, der heilige Moses der Starke zum trägen Mönch, „und deine Zelle wird dich alles lehren“. In ihrem Aufsatz „Übernatürliche Sinne“ schreibt Cristina Campo: „Nicht ungestraft praktiziert man die scheele Homöopathie, die empfiehlt, die hoffnungslos an Schmutz, Anonymität, Profanem und Ausgelassenem erkrankte Welt mit Hilfe von Schmutz, Anonymität, Profanem und Ausgelassenem zu heilen.“ Und weiter: „Es ist kindisch zu meinen, die Regenerierung des Profanen, die „Weihe der Welt“ könnte sich auch anderswo vollziehen als auf den Gipfeln des Berges Sinai. Gemeinsam mit Freunden, wo und wie einem die Phantasie es eingibt, ein symbolisches Mahl einzunehmen, im Gedenken an einen Philanthropen der alten Zeit, ist Verwesung des Sakralen und Verlust des Profanen zugleich. […] wenn wir aufhören, Gott auf unsere Altäre herunterzurufen, werden unentrinnbar die Dämonen sie besetzen.“
Der Altar aber, die große Prüfung vor die der Mensch im Akt der Religion gerufen ist, ist auf das Engste mit dem Dogma verbunden, der großen Prüfung, vor die der Mensch im Akt der Intelligenz gerufen ist. Wenn eine versagt, fällt auch die andere und löst einen Teufelskreis aus, der sich auf perverse Weise immer weiter selbst antreibt.
Luthers Aggression gegen Liturgie und Dogma
Der Benediktiner Prosper Guéranger schrieb in seinen „Institutions liturgiques“: “Schließlich kam Luther, der nichts sagte, was nicht bereits seine Vorgänger gesagt hatten, der aber den Anspruch erhob, den Menschen gleichzeitig von der Sklaverei des Denkens gegenüber der lehrenden Macht zu befreien und von der Sklaverei des Körpers gegenüber der liturgischen Macht.“
Das Laster der Akedia, die das Volk Gottes krankmacht, indem sie es die Unterscheidung zwischen Orthodoxie und Häresie verlieren läßt, hat seine Wurzeln im religiösen Drama des deutschen Augustiners, das sich sowohl in Aggression gegen die Liturgie als auch gegen die Vernunft, sowohl gegen den Altar als auch gegen das Dogma, gegen die Lex orandi und die Lex credendi entlud. An sich nicht verwunderliches, wenn man bedenkt, daß der Mensch ein rationales Wesen ist, weil er ein liturgisches Wesen ist und im Letzten die Anbetung zum Ziel hat. So kann er auch nicht den Ritus aus seinem Denken und Sein eliminieren, sondern muß sich darauf beschränken, ihn zu pervertieren. Gleiches gilt für die Vernunft: Wenn der Mensch sie nicht heiligt, prostituiert er sie.
Die Angriffe auf den mystischen Leib Christi erfolgen immer über die Zerstörung der Liturgie. Der häretische Genius des Arius breitete sich dank seiner religiösen Hymnen aus. Der orthodoxe Genius des heiligen Ambrosius besiegte ihn dank anderer religiöser Hymnen.
Mensch will Verlust des Gnadenstatus nicht mehr akzeptieren
Altar und Dogma sind der Maßstab für das Heil, sie entsprechen der liturgischen und rationalen Essenz des Menschen, der sich als Geschöpf das Heil nicht selbst geben kann. Altar und Dogma verhüllen, was jeder Mensch sehen möchte. Diese Verhüllung, die mit dem Sündenfall zusammenhängt, ist dem modernen Menschen verhaßt. Er, der alles sehen, technisch beherrschen, dienstbar machen und manipulieren will, ist unfähig auf natürliche Weise das Essentielle zu erfassen, weil er den Status der Gnade verloren hat.
Allein ist der Mensch nicht mehr imstande, den eigentlichen Sinn der Dinge zu erfassen und daher auch nicht den Sinn der Liturgie. Deshalb behalf er sich dabei, bis er dem Glitzer und Glimmer der Welt erlag, indem er die Materie zusätzlich umkleidete. Durch das Sichtbare dieser Umkleidung, an der Grenze zwischen Endlichem und Unendlichem, führt die Anbetung die menschliche Intelligenz dazu, die Schönheit und Vernünftigkeit des Dogmas zu erahnen. Und plötzlich verhüllt der Schleier nicht mehr, sondern wird zum sichtbaren Zeichen der Gnade und einer für die Augen des Menschen unsichtbaren Heiligkeit, die die innerste Essenz der Dinge anzeigt.
Es braucht aber Glauben, wie der heilige Thomas in seinem eucharistischen Hymnus sagt: “Adoro te devote“: Visus, tactus, gustus, in te fallitur, / Sed audàtu solo tuto creditur:/ Credo quidquid dixit Dei Fàlius; / Nil hoc verbo veritatis verius“.
„In Demut bet‘ ich dich, verborgene Gottheit, an, Die du den Schleier hier des Brotes umgetan. Mein Herz, das ganz in dich anschauend sich versenkt, Sei ganz dir untertan, sei ganz dir hingeschenkt. Gesicht, Gefühl, Geschmack betrügen sich in dir, Doch das Gehör verleiht den sicheren Glauben mir, Was Gottes Sohn gesagt, das glaub‘ ich hier allein, Es ist der Wahrheit Wort, und was kann wahrer sein? Am Kreuzesstamme war die Gottheit nur verhüllt, Hier hüllt die Menschheit auch sich gnädig in ein Bild. Doch beide glaubt mein Herz, und sie bekennt mein Mund, Wie einst der Schächer tat in seiner Todesstund‘. Die Wunden seh‘ ich nicht, wie Thomas einst sie sah, Doch ruf‘ ich: Herr, mein Gott, du bist wahrhaftig da!“
Der Welt eine Torheit
Nur in diesen so dünnen Ebenen, die aber doch so konkret sind, daß sie berührt, gegessen und getrunken werden können, ist es möglich, den archimedischen Punkt zu finden, in dem das Heil zu Hause ist, das Kreuz: Torheit für die Welt, die den Christen für einen Verrückten hält, der dazu bestimmt ist, gewissermaßen gegen die Schwerkraft mit dem Kopf nach unten zu leben. Und doch ist es genau so, wie der heilige Petrus im Augenblick seiner Kreuzigung mit dem Kopf nach unten, daß der Anhänger des Kreuzes im Gegenzug die wunderbare und kindliche Schau der Welt gewinnt, wie sie wirklich von Gott geschaffen wurde.
Zubaráns Gemälde des toten lebenden Franz von Assisi
Diese Sichtweise, der Blick des Gekreuzigten ist es, der die Welt in einen solchen Abscheu über sich selbst stürzt, und die Menschen gewinnen läßt, ohne weltliches Wort oder weltliche Geste. Es ist der Ausdruck, den Francisco de Zubarán in größter Frömmigkeit in seinem Gemälde des heiligen Franz von Assisi in Ektsase dargestellt hat. Ein Bild, das von den beiden vergeistlichten Augen des Heiligen beherrscht wird, eines vom Licht durchdrungen, das andere in den Schatten eingetaucht, die einer anderen Welt angehören und nichts anderes sehen. Und wenn sie auf materielle Dinge fallen, dann tun sie es nur, um profane Augen die verhüllte und unerreichbare Schönheit erahnen zu lassen.
Die Darstellung des stehenden Mannes mit dem Kopf in der Kapuze verborgen, die Hände in den Ärmeln der Kutte versteckt und dem zum Himmel gerichteten Blick, die der spanische Maler geschaffen hat, stellt den Heiligen nicht zu Lebzeiten dar, sondern zeigt seinen unverwesten Körper nach dem Tod, wie er in der Krypta von Assisi vorgefunden wurde. Das Bild der Auffindung des heiligen Franziskus wird normalerweise erzählt. Zubarán aber zeigt den Heiligen tatsächlich bildlich und zwar aufrecht in einem ewigen liturgischen Moment, vom Licht und Schatten modelliert, von der Gnade und vom Schleier. Nur das Gesicht, dessen Hälfte in den Schatten getaucht ist, ist von seinem verhüllten Körper sichtbar. Das allein genügt, um hier jemandem Sichtbarkeit zu verleihen, der aus der Welt der Toten zurückkehrt in einer Epiphanie frei von jeder erschreckenden Note, die gemeinhin der Tod für die Lebenden hat, denn seine Seele ist erfüllt von übernatürlicher Ruhe und Seligkeit.
Wo immer ein Priester an den Altar tritt, wird Herrlichkeit Gottes und der Schöpfung sichtbar
Auch in der letzten Kapelle irgendwo auf dem Land, wo sich der Geruch von billigem Weihrauch mit dem von abgestandenem Wachs vermengt, hat der Eintritt des zur Zelebration des Heiligen Meßopfers bereiten Priesters denselben sakralen Ursprung im Göttlichen, das in die Welt eintritt, wie es der spanische Visionär erahnte.
“Introibo ad altare Dei. Ad Deum qui laetificat juventutem meam.“ Und während der Priester an den Altar Gottes tritt, der seine Jugend erfreut, auch wenn er sich nicht direkt mit jener von Zubarán gemalten Herrlichkeit schmücken kann, spricht er zu jedem Geschöpf des Universums, und ist mit den sichtbaren Zeichen dieser Herrlichkeit umhüllt, ob er nun ein unwürdiger Sünder ist, wie Graham Green in „Die Kraft und die Herrlichkeit“ erzählt, oder ein Märtyrer, wie Robert Hugh Benson in „By What Authority?“ (Mit welcher Vollmacht?). „Einer der Diener, der bemerkte, daß er nicht die Kraft hatte, alleine die priesterlichen Gewänder anzulegen“, wie Benson die Heilige Messe eines von anglikanischen Häschern gefolterten Priesters schildert, „legte ihm das Schultertuch um den Hals; dann legte er ihm das Chorhemd um und band es mit dem Zingulum fest; er gab ihm die Stola zum Kuß, band den Manipulus um den linken Unterarm und zuletzt legte er ihm die rote Kasel um und der Priester stand wieder, wie am Sonntag zuvor in seinen roten Gewändern; aber wie verändert war er doch! Dann kniete der Diener neben ihm nieder und der Priester begann die Gebete zu sprechen, die zur Vorbereitung zur größten Handlung der Religion notwendig sind. Er trat dann an den Altar, verneigte sich langsam, küßte ihn und die Messe begann.“
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana