(Paris) Der Nahe Osten, Jerusalem, Betlehem, Nazareth, der Jordan, das Heilige Land, Syrien sind die Wiege des Christentums. Nach dem Zweiten Weltkrieg war noch jeder fünfte Bewohner des Nahen Ostens ein Christ. Kriege, Bürgerkriege, Militärinterventionen haben ihre Zahl mehr als halbiert. Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen vom prowestlichen Nationalismus der Jungtürken, über den Israel-Konflikt bis zum Kampf um die Ressource Erdöl. Wer die Länder des Nahen Ostens bereist, weiß welch großen kulturellen Beitrag sie geleistet haben. Im Januar 2010 kündigte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy an: „Der Louvre wird eine neue Abteilung der Kunst der Christen des Orients widmen“. Wenige Monate später gab der damalige Präsident des prestigeträchtigen Pariser Museums, Henri Loyrette, Details und einen Zeitplan zur Realisierung der neuen Abteilung bekannt. „Sie wird 1000 Quadratmeter Ausstellungfläche umfassen, die von der Abteilung für islamische Kunst durch Umzug in neue Räume frei werden. Die Abteilung wird 2014 zugänglich sein.“ Mit der neuen Abteilung sollte die christliche Kunst des Orients, deren Kostbarkeiten auf drei Abteilungen aufgeteilt und aus Platzmangel teilweise in Magazinen eingelagert sind, einen höheren Stellenwert im Louvre erhalten.
Der Umzug der Abteilung für islamische Kunst erfolgte plangemäß 2012. Inzwischen ist das Jahr 2014 angebrochen, doch die angekündigte Abteilung für christliche Kunst des Orients wurde nicht verwirklicht. Im Gegenteil. Sie wurde völlig gestrichen. Verantwortlich dafür ist der 2013 ernannte neue, von der Regierung Francois Hollande ernannte Louvre-Präsident Jean-Luc Martinez. In Übereinkunft mit der sozialistischen Kulturministerin wurde die geplante Abteilung mit einem Federstrich getilgt.
Sozialistische Regierung von „kulturellem Vorurteil“ geleitet
Darauf aufmerksam machte nun die Kunsthistorikerin Marie-Hélà¨ne Rutschowscaya in einem offenem Brief an die katholische Tageszeitung La Croix. Rutschowscaya war bereits Leiterin der koptischen Abteilung des Louvre und gehört zu den weltweit renommiertesten Experten für christliche Kunst des Orients.
Die Kunsthistorikerin machte nun bekannt, daß die von der islamischen Abteilung geräumten Flächen für Schulklassen zur Verfügung stehen sollen, die das Museum besuchen. Marie-Hélà¨ne Rutschowscaya tanzt nicht lange um den Brei herum. Sie sieht hinter der Entscheidung ein präzises „kulturelles Vorurteil“ der Regierung Hollande, das sich gegen das Christentum richtet. „Wie könnten wir nicht beklagen, daß Frankreich eine solche Kulturpolitik der Kälte gegenüber den zutiefst vom orientalischen Christentum byzantinischer und nachbyzantinischer Zeit geprägten Ländern betreibt, von denen unser westliches Mittelalter ein so reiches Erbe übernahm? Gerade die dramatischen Ereignisse, die derzeit im Nahen Osten und in Osteuropa geschehen, sollten uns vielmehr veranlassen, mit größerer Aufmerksamkeit dauerhafte kulturelle Bindungen zu fördern.“
Louvre-Präsident: „Andere Prioritäten“
Von La Croix um eine Stellungnahme gebeten, rechtfertigte Louvre-Präsident Jean-Luc Martinez die Streichung der neuen christlichen Abteilung damit, daß deren Schaffung einen „langen Prozeß der Neudefinition der bestehenden Abteilungen verlangt“ hätte. Ähnliches war aber offensichtlich kein Hindernis für die 2003 erfolgte Einrichtung der neuen islamischen Abteilung. Martinez verwies darauf, daß der Louvre derzeit „andere Prioritäten“ habe, wie einen verbesserten Zugang zur Pyramide mit Umbauarbeiten, die im Juli beginnen und zwei Jahren dauern werden. Vor 2017 sei jede Diskussion über eine Umgruppierung der Abteilung undenkbar. Die völlige Streichung und nicht Verschiebung der Abteilung für christliche Kunst des Orients läßt allerdings eine andere kulturelle Sensibilität der sozialistischen Regierung erkennen, die Marie-Hélà¨ne Rutschowscaya nun öffentlich kritisierte.
Gespanntes Verhältnis zwischen alter Schutzmacht Frankreich und Christen des Orients
Der Louvre-Konflikt streut jenseits der kunsthistorischen Frage und des in Frankreich tobenden antichristlichen Kulturkampfes auch neues Salz in die Wunde der Beziehungen zwischen Frankreich und den Christen des Nahen Ostens. Seit Beginn der Neuzeit hatten die osmanischen Sultane den Königen von Frankreich die Rolle einer Schutzmacht für die christlichen Gemeinschaften des Orients eingeräumt. Eine Rolle, der Frankreich zuletzt immer unwilliger nachkam und unter Staatspräsident Hollande im Zuge des syrischen Bürgerkrieges einen Tiefpunkt erreichte.
Christen fühlen sich im Stich gelassen – Paris gab Islamisten grünes Licht
Die Unterstützung der Regierung Hollande für die syrischen Rebellen wurde von der Mehrheit der orientalischen Christen als Imstichlassen aufgefaßt. In Paris betrachtete die Regierung im Schlepptau von US-Präsident Obama die Syrien-Frage nur unter dem Aspekt, daß Syriens Staatspräsident Baschar al-Assad nicht als „prowestlich“ gilt. Die Christen Syriens aber bekamen am eigenen Leib mit Tod und Verfolgung zu spüren, daß die westliche Unterstützung für die Anti-Assad-Rebellen grünes Licht für die islamistischen Milizen bedeutete.
Als im vergangenen November der neue französische Generalkonsul Hervé Magro in Jerusalem eintraf, beeilte er sich zu betonen, daß „für Frankreich die Kontinuität als Schutzmacht der Christen nicht bloße Rhetorik ist, sondern eine in der Gegenwart lebendige Erinnerung“. Im Louvre in Paris und in der französischen Regierung scheint man das anders zu sehen. Dort können die Christen des Nahen Ostens warten, trotz ihres harten Loses, das sie jeden Tag zu tragen haben.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Dieses „neue Frankreich“ ist furchtbar. Wie gut, daß es in Frankreich – fern des Offiziellen – noch fruchtbaren Geist und christliches Werk gibt.