Einführung in das liturgische Jahr


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Anzei­ge

von M. Bene­dikt Buerger

Von allen sei­nen Wer­ken ist „Das Kir­chen­jahr“ (bes­ser über­setzt als „Das Lit­ur­gi­sche Jahr“) von Dom Pro­sper Gué­ran­ger OSB sicher­lich bis heu­te das bekann­te­ste und popu­lär­ste. Doch durf­te der gro­ße Erneue­rer des bene­dik­t­i­ni­schen Lebens im Frank­reich des 19. Jahr­hun­derts die gan­ze Erfolgs­ge­schich­te nicht mehr erle­ben. Im Jah­re 1841 hat­te der erste von schließ­lich 15 Bän­den das Licht der Welt erblickt. Zu Leb­zei­ten von Dom Gué­ran­ger waren weni­ger als 3.000 Exem­pla­re in fran­zö­si­scher Spra­che gedruckt wor­den. Die Arbei­ten an einer eng­li­schen Über­set­zung began­nen 1867, der erste deut­sche Band erschien 1875, im Todes­jahr des Autors. Und selbst die fran­zö­si­sche Aus­ga­be konn­te der Grün­der von Soles­mes nach mehr als 30 Jah­ren nur bis zum neun­ten Band voll­enden. Die rest­li­chen sechs Bän­de wur­den von Dom Luci­en Fromage OSB ver­fasst und haben die Zeit nach Pfing­sten zum Thema.

Soeben wur­de in der Rei­he „Stu­di­en zur monasti­schen Kul­tur“ des EOS Ver­lags eine Art zusam­men­fas­sen­der Über­blick mit dem Titel „Ein­füh­rung in das lit­ur­gi­sche Jahr“ ver­öf­fent­licht. Das 220 Sei­ten star­ke Buch umfasst die Ein­füh­run­gen in die jewei­li­gen lit­ur­gi­schen Zei­ten, die ursprüng­lich den Dis­kus­sio­nen der ent­spre­chen­den Mess­tex­te vor­an­ge­stellt waren, ange­fan­gen beim Advent – erst­mals 1841 erschie­nen – bis hin zur Zeit nach Pfing­sten – im Jah­re 1878 von Dom Fromage ver­fasst. Jede Ein­füh­rung ist in drei Abschnit­te unter­teilt. Zunächst wer­den die histo­ri­schen Fak­ten erläu­tert, dann fol­gen eine theo­lo­gi­sche Deu­tung und schließ­lich eini­ge Bemer­kun­gen zur christ­li­chen Praxis.

In sei­ner kur­zen Hin­füh­rung schreibt Dom Lou­is Solt­ner OSB, der anschei­nend für die bereits 1995 in Frank­reich erschie­ne­ne Zusam­men­stel­lung der ein­zel­nen Ein­füh­run­gen ver­ant­wort­lich zeich­net: „Die Erneue­rung des lit­ur­gi­schen Kalen­ders in der Fol­ge des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils leg­te natür­lich die Fra­ge nahe, ob man auch heu­te noch das Lit­ur­gi­sche Jahr in unver­än­der­ter Form edi­tie­ren kön­ne oder ob man es adap­tie­ren, ver­än­dern und mit Anmer­kun­gen ver­se­hen sol­le, um die Ver­än­de­run­gen anzu­zei­gen.“ Glück­li­cher­wei­se ent­schied man sich für „die wei­se Ein­sicht, das Lit­ur­gi­sche Jahr sei ein klas­si­sches Werk, das man in sei­ner vor­lie­gen­den Form lesen oder bei­sei­te legen, aber nicht ver­än­dern könne“.

Nichts­de­sto­trotz könn­te man eini­ge Details bemän­geln, die aber nicht die Sub­stanz betref­fen und somit selbst hart­ge­sot­te­nen  Tra­di­tio­na­li­sten nicht die Freu­de an der „Ein­füh­rung in das lit­ur­gi­sche Jahr“ neh­men. So wur­de der Beginn des Abschnitts über die Vor­fa­sten­zeit – die bekannt­lich mit der Lit­ur­gie­re­form in Ver­ges­sen­heit gera­ten ist, da der neue Kalen­der sie nicht mehr kennt – künst­lich in die Ver­gan­gen­heits­form gesetzt. So heißt es: „Als Vor­fa­sten­zeit bezeich­ne­te man [vor der Lit­ur­gie­re­form] die drei Wochen, die unmit­tel­bar der eigent­li­chen Fasten­zeit vor­aus­ge­hen.“ Dies hät­te man sicher­lich auch ele­gan­ter lösen kön­nen, indem man etwa auf die soge­nann­te außer­or­dent­li­che Form der römi­schen Lit­ur­gie ver­weist. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass im neu­en Ritus die Vor­fa­sten­zeit abge­schafft wur­de, ver­wun­dert es auch nicht, dass in der Über­set­zung von Wil­helm Hell­mann der Sonn­tag Sep­tuage­si­ma (der erste Sonn­tag der Vor­fa­sten­zeit) an einer Stel­le als „Sonn­tag Sep­tuag­in­ta“ bezeich­net wird (die Sep­tuag­in­ta ist die grie­chi­sche Ver­si­on des Alten Testaments).

Dom Guy-Marie Oury OSB lobt in sei­ner maß­ge­ben­den Bio­gra­fie des ersten Abtes von Soles­mes des­sen außer­ge­wöhn­li­che lit­ur­gi­sche Bil­dung: „Er kann­te prak­tisch sämt­li­che lit­ur­gi­schen Publi­ka­tio­nen, die am Beginn des 19. Jahr­hun­derts ver­füg­bar waren. Sein Wis­sens­stand war der sei­ner Zeit, und er war der Ein­zi­ge in Frank­reich, der im Bereich der Lit­ur­gie so eine umfas­sen­de Bil­dung besaß.“ An ande­rer Stel­le schreibt Dom Oury: „Die Ori­gi­na­li­tät Dom Gué­ran­gers besteht dar­in, als einer der Ersten in der Neu­zeit durch sei­ne Schrif­ten die tra­di­tio­nel­le Leh­re der Kir­che in Frank­reich her­aus­ge­stellt zu haben.“ Dies wird auch in jenen Tei­len deut­lich, die aus den ursprüng­li­chen 15 Bän­den für die „Ein­füh­rung in das lit­ur­gi­sche Jahr“ aus­ge­wählt wur­den. Viel­fach zitiert Dom Gué­ran­ger die gro­ßen Kir­chen­vä­ter und ande­re bedeu­ten­de Per­sön­lich­kei­ten des kirch­li­chen Lebens aus jün­ge­ren Zeiten.

Sein Vor­wort zum Gesamt­werk begann Dom Gué­ran­ger 1841 mit den Wor­ten: „Das Gebet ist für den Men­schen das höch­ste Gut.“ Über jenes Vor­wort äußer­te sich der bel­gi­sche Bene­dik­ti­ner­abt Ber­nard Capel­le 1933 voll ange­mes­se­ner Begei­ste­rung: „Man fühlt sich ergrif­fen von sei­ner reli­giö­sen Reich­wei­te und Kraft. Schon die ersten Wor­te las­sen uns zum Zen­trum der Wahr­heit vor­drin­gen, von dem alle Strah­len ihren Aus­gang neh­men. Die­ser wun­der­ba­re Text weist mit mei­ster­haf­ter Ein­deu­tig­keit dem lit­ur­gi­schen Gebet den ersten Platz im christ­li­chen Leben zu. Es ist unver­zicht­bar, denn Jesus Chri­stus selbst hat es uns durch den Hei­li­gen Geist geschenkt. Der Geist Got­tes lebt in der Kir­che fort, deren nie ver­stum­men­de Stim­me in der Lit­ur­gie zu hören ist. Der gol­de­ne Faden die­ser Argu­men­ta­ti­ons­ket­te ist  unwi­der­leg­bar und unzerstörbar.“

Ange­sichts der ziel­stre­big ihrem Höhe­punkt zuei­len­den Fasten­zeit sei­en abschlie­ßend zwei bemer­kens­wer­te Beob­ach­tun­gen des Abtes von Soles­mes erwähnt. „Wie vie­le Chri­sten gibt es noch in unse­ren Gemein­den, die das vor­öster­li­che Fasten­ge­bot auch in sei­ner redu­zier­ten Form noch streng ein­hal­ten? Sehen wir nicht von Tag zu Tag auch die Zahl derer abneh­men, die sich zwin­gen, die immer umfäng­li­che­ren all­ge­mei­nen Dis­pen­sen der Kir­che nicht zu über­schrei­ten? Wohin wird uns die­se unab­läs­sig wach­sen­de Schlaff­heit füh­ren, wenn nicht zum all­ge­mei­nen Nie­der­gang der mensch­li­chen Natur und dadurch zur Auf­lö­sung der Gesell­schaft?“ Dom Gué­ran­ger schrieb die­se Zei­len vor genau 160 Jah­ren. Was wür­de er heu­te sagen? Ein kur­zer Blick in eine Tages­zei­tung mit ihren Berich­ten über die deka­den­ten Zustän­de unse­rer Zeit genügt, um sich von der Tat­sa­che zu über­zeu­gen, dass sich sei­ne Befürch­tun­gen bestä­tigt haben.

Und zwei­tens: „Wie oft hat man die­se nai­ve Ent­schul­di­gung aus dem Mund derer gehört, die zwar Wert dar­auf legen, als gute Katho­li­ken zu gel­ten, aber den­noch behaup­ten, Fasten und Absti­nenz sei­en ihnen zu beschwer­lich und ermü­de­ten sie. Das klingt, als ver­folg­te das Fast- und Absti­nenz­ge­bot das ein­zi­ge Ziel, dem ‚von der Sün­de beherrsch­ten Leib‘ (Röm 6,6) ein schwe­res Joch auf­zu­bür­den. In Wahr­heit haben die­se Men­schen jeden Sinn für die Rea­li­tät ver­lo­ren. Ihr Erstau­nen wird groß sein, wenn am Tag des End­ge­richts unser Herr sie mit so vie­len armen Mus­li­men kon­fron­tie­ren wird, die inmit­ten einer ver­kom­me­nen und auf Lust bedach­ten Gesell­schaft jedes Jahr in sich selbst die Moti­va­ti­on fin­den, die här­te­sten Ver­zichts­lei­stun­gen an den 30 Tagen des Rama­dan zu vollbringen.“

In der Regel des hei­li­gen Bene­dikt heißt es: „Dem Got­tes­dienst soll nichts vor­ge­zo­gen wer­den.“ Wer die­ses bene­dik­t­i­ni­sche Dik­tum – das gleich­zei­tig auch für die gan­ze Kir­che der Maß­stab ist – ernst nimmt, ist mit der „Ein­füh­rung in das lit­ur­gi­sche Jahr“ sehr gut bedient.

Gué­ran­ger, Pro­sper: „Ein­füh­rung in das lit­ur­gi­sche Jahr“. EOS Ver­lag, St. Otti­li­en 2014, 216 Sei­ten, 19,95€. Das Buch kann hier erwor­ben werden.

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