„Die größte Reform ist der Papst selbst“ – Leonardo Boff: Vom „Alptraum“ zu „fröhlicher“ Kirche


Leonardo Boff(Rio de Janei­ro) Seit der Wahl von Papst Fran­zis­kus mel­den sich die bekann­te­sten katho­li­schen Häre­ti­ker immer wie­der zu Wort, um Papst Fran­zis­kus für sich zu ver­ein­nah­men. Nach Hans Küng tat dies nun erneut der bra­si­lia­ni­sche Befrei­ungs­theo­lo­ge Leo­nar­do Boff. Boff war es, der kurz vor dem Kon­kla­ve von 2013 noch gefor­dert hat­te, daß „einer wie“ Jor­ge Mario Kar­di­nal Berg­o­glio von der Papst­wahl aus­ge­schlos­sen wer­den soll­te. Nach der für ihn offen­sicht­lich uner­war­te­ten Wahl des Argen­ti­ni­ers mach­te Boff in Win­des­ei­le eine 180 Grad-Wen­dung und ver­sucht sich als Stich­wort­ge­ber des amtie­ren­den Pap­stes ins Gespräch zu bringen.

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Kir­che bis­her „Alp­traum“, nun „fröh­li­cher“, offe­ner“ und „tole­ran­ter“

In einem Inter­view mit der Deut­schen Wel­le wie­der­hol­te Boff sei­ne „Hoff­nung“, daß es unter Papst Fran­zis­kus zu „gro­ßen Ver­än­de­run­gen“ in der Katho­li­schen Kir­che kom­men wer­de. Ein Jahr nach der Wahl von Papst Fran­zis­kus habe sich, laut Boff, „das Kli­ma ver­än­dert“. Eine „Ände­rung“, die „nicht zu unter­schät­zen“ sei. „Vor­her“, Boff meint damit die Pon­ti­fi­ka­te von Bene­dikt XVI. und Johan­nes Paul II., sei, „die Stim­mung fin­ster und ernst“ gewe­sen und die „Insti­tu­ti­on Kir­che“ als „Alp­traum wahr­ge­nom­men“ wor­den. Nun aber herr­sche „Erleich­te­rung und Fröhlichkeit“.

Laut Boff sei­en „Pfar­rer und Bischö­fe“ nun „offe­ner, tole­ran­ter und weni­ger dok­tri­när“. Als Beleg für die­se „erleich­ter­te“, „fröh­li­che“, „offe­ne­re“ und „tole­ran­te­re“ Kir­che nann­te Boff allen Ern­stes der Deut­schen Wel­le, daß der bra­si­lia­ni­sche Erz­bi­schof Dom Ora­ni Joao Tem­pe­sta zur Kar­di­nals­er­he­bung „in der Eco­no­my Class“ geflo­gen ist.

Papst für „Über­ra­schun­gen gut“

Papst-Inter­pret Leo­nar­do Boff ist über­zeugt, daß Papst Fran­zis­kus die „Kir­che als Volk Got­tes“ sieht und er „Lai­en und beson­ders Frau­en“ an den „Ent­schei­dun­gen der Kir­che teil­ha­ben“ las­sen wol­le. „In wel­cher Form wis­sen wir noch nicht. Wir wis­sen nur, daß er immer wie­der für Über­ra­schun­gen gut ist.“

Daß der Papst auch Lai­en „ermäch­ti­gen wird, die Eucha­ri­stie zu fei­ern“, erscheint selbst Boff als „ein zu gewag­ter Schritt“. Doch Boff weiß zu berich­ten, daß „in Basis­ge­mein­den, wo kein Pfar­rer vor Ort ist, das Abend­mahl bereits jetzt von Lai­en in Sze­ne gesetzt und das Brot geteilt“ werde.

Doch den „größ­ten Reform­bei­trag“ sieht Boff „in der Per­son von Papst Fran­zis­kus selbst“. Der Papst selbst, sei die größ­te Reform. Mit der „Reform des Papst­tums“ habe er bereits begon­nen, indem er sich „als Bischof von Rom ver­steht“, und „mit der Reform der Kurie“.

„Stren­ge Insti­tu­ti­on bekommt mensch­li­ches Ant­litz zurück“

Die­ser Papst, so Boff, und das „ist wich­tig zu wis­sen“, sei „ganz im kirch­li­chen und kul­tu­rel­len Umfeld der latein­ame­ri­ka­ni­schen Kir­che auf­ge­wach­sen“, die sich „stark von der „alten Chri­sten­heit in Euro­pa unter­schei­det“. Er gebe der „stren­gen Insti­tu­ti­on Kir­che ihr mensch­li­ches, barm­her­zi­ges Ant­litz zurück“.

Boff ist sich sicher, daß Berg­o­glio der „erste von vie­len Päp­sten aus dem Süden“ sein wer­de, denn „dort lebt die Mehr­heit der Katholiken“.
Im Gegen­satz zu Euro­pa sei die Kir­che in Latein­ame­ri­ka „leben­dig“, weil sie sich auf „Basis­ge­mein­den“ und eine „star­ke sozia­le Seel­sor­ge“ stütze.

Was die aktu­el­le Dis­kus­si­on über die Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner zu den Sakra­men­ten ange­he, zeigt sich Boff, „sicher“, daß sie sich unter die­sem Papst „annä­hern kön­nen, aus theo­lo­gi­schen und seel­sor­ge­ri­schen Grün­den“, denn „die Kir­che gehört allen, ins­be­son­de­re den Aus­ge­schlos­se­nen, so sieht es der Papst.“ Die Kir­che sei ein „offe­nes Haus“, in das „alle ohne Vor­be­din­gun­gen ein­tre­ten können“.

Boff: Ver­hei­ra­te­te Ex-Prie­ster zurück­ho­len, dann Zöli­bat abschaffen

Der Zöli­bat stellt für Boff kein „abge­schlos­se­nes The­ma“ dar, wie es Papst Johan­nes Paul II. gewollt habe, und ent­wirft „fol­gen­des Sze­na­rio“, das sei­ner Mei­nung nach „wahr­schein­lich“ sei: „Als erstes wer­den die welt­weit rund 100.000 ver­hei­ra­te­ten Prie­ster ein­ge­la­den, ihr Amt wie­der aus­zu­üben. Der zwei­te Schritt wäre das frei­wil­li­ge Zöli­bat, also die Abschaf­fung des Gebo­tes der Ehe­lo­sig­keit für Priester.“

„Bekämpf­te“ Befrei­ungs­theo­lo­gie im „Mit­tel­punkt des Pontifikats“

Der aus­glei­chen­den Gerech­tig­keit wegen setzt Boff am Ende des Inter­views nach viel Lob für Papst Fran­zis­kus und zwei Sei­ten­hie­ben gegen Johan­nes Paul II. noch eine zwei­ten gegen Bene­dikt XVI. Die Befrei­ungs­theo­lo­gie sei „nicht tot“ gewe­sen, weil die „Unter­drückung der Armen nicht auf­ge­hört“ habe. Trotz der „Kon­trol­len von Kar­di­nal Ratz­in­ger“ hät­ten die Befrei­ungs­theo­lo­gen „wei­ter ver­öf­fent­licht“. Ratz­in­ger habe sich „zum Feind der Intel­li­genz der Armen gemacht“, eine „Last“, die er „mit sich her­um­tra­gen wird müs­sen“. Rom habe unter Ratz­in­ger und Woj­ty­la die Befrei­ungs­theo­lo­gie „mit allen Mit­teln bekämpft“, weil sie „vom Dra­ma der Armen unbe­rührt“ waren. Mit Papst Fran­zis­kus ste­he die „Befrei­ungs­theo­lo­gie“ sogar „im Mit­tel­punkt des Pon­ti­fi­kats“. Das Tref­fen von Fran­zis­kus mit Gustavo Gut­ier­rez im Sep­tem­ber 2013 sei ein „deut­li­ches Zei­chen“, daß Papst Fran­zis­kus „die Befrei­ungs­theo­lo­gie wie­der­be­le­ben will“, so Boff zur Deut­schen Wel­le.

Die bei­den Brü­der Leo­nar­do und Clo­do­vis Boff, Leo­nar­do ein Fran­zis­ka­ner, Clo­do­vis ein Ser­vit, wur­den in den 60er Jah­ren zu den bekann­te­sten bra­si­lia­ni­schen Befrei­ungs­theo­lo­gen. Clo­do­vis Boff begann in den 90er Jah­ren sei­ne Posi­tio­nen zu revi­die­ren. Die Ver­ur­tei­lung der mar­xi­sti­schen Abir­rung der Befrei­ungs­theo­lo­gie durch Rom heißt er inzwi­schen gut. Sei­nem Prie­ster­tum und Orden blieb er treu.

Leo­nar­do Boff beharrt hin­ge­gen bis heu­te auf sei­ner befrei­ungs­theo­lo­gi­schen Irr­leh­re, wegen der er in den 80er Jah­ren mit Lehr- und Rede­ver­bot belegt wur­de. 1992 ver­ließ er den Fran­zis­ka­ner­or­den und gab sein Prie­ster­tum auf, indem er sich in den Lai­en­stand zurück­ver­set­zen ließ.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommon

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