Kommentar von Boris Holowatzky
(Moskau/Kiew) Libyen war in seinem Kontext ein stabiles Land, wenn auch nicht US-hörig. Heute befindet sich der Ölreichtum des Landes unter US-Kontrolle, das Land und die Menschen aber fest in der Hand von islamischen Halsabschneidern, wobei das Wort im islamistischen Sinn ganz wörtlich zu nehmen ist. Der Westen wollte das Assad-Regime in Syrien stürzen und stärkte in Wirklichkeit Al-Qaida. Unsere westlichen Eliten und ihre „Wertmaßstäbe“ können einem geradezu Angst machen. Und nun passiert dasselbe in der Ukraine direkt vor unserer Haustür.
Seine Wortmeldungen gegen Multikulturalismus und für mehr europäischen Patriotismus schienen geistreich und antizyklisch, doch bei näherem Hinsehen entpuppten sie sich als präzise und gefährliche geopolitische Konstruktion. So befällt ein Schauer, wann immer man die politisch-philosophischen Kommentare von Bernard-Henri Lévi liest. Es befällt nämlich die Furcht, daß Hollande, Cameron, Obama und im Schlepptau auch Merkel dessen absurden Auslassungen folgen und sich in einen weiteren ihrer vielen idiotischen Kriege stürzen könnten. Kriege, die sie heute dank Medienkontrolle und Berufsarmeen an ihren Völkern vorbeiführen können. Bei welchem Kriege könnte man beginnen? Gehen wir nicht zu weit zurück. Beginnen wir mit dem in Libyen und dann in Syrien, um zu den ersten Unruhen in der Ukraine zu gelangen. Bernard-Henri Lévi stellte sich kampfeslustig wie eh und je, schließlich ziehen andere für ihn in den Krieg, gegen Rußlands Staatspräsidenten Wladimir Putin. Lévi forderte wortreich Europa (die EU) auf, die Aufständischen in der Ukraine zu „beschützen“.
Gelangweilte westliche Intellektuelle als Säbelrassler
Bernard-Henri Lévi bleibt natürlich auch beim Säbelrasseln ein gelangweilter Dandy im blütenweißen Hemd und Manschettenknöpfen der Spezies des elitären Intellektuellen, der im Leben immer auf die weiche Seite gefallen ist und sich immer im tatsächlichen oder potentiellen, sprich künftigen Dunstkreis der Macht bewegte. Die Ukrainer werden für ihn bald vergessen sein, wie die Libyer und die Syrer und viele andere Völker vor ihnen, gegen oder besser „für“ die er Krieg führte. Was bleibt, auch wenn Leute wie Bernard-Henri Lévi weitergezogen sein werden, sind die realen Probleme und die sind oft brisant. Das gilt vor allem, wenn sich eine Frage in der Hand einer unfähigen westlichen Führungsschicht und der gefährlichen Brüsseler Bürokratie befindet.
Im Fall der Ukraine hat nun aber Putin die Sache in die Hand genommen. Er mag im Vergleich zu den verweichlichten westlichen Eliten unangenehm als Alphatier aus dem Rahmen fallen. Er verfügt jedoch über eine politische Klarsicht, die beneidenswert ist.
Die Ukraine – ein zweigeteiltes Land
Man braucht kein Experte für internationale Politik sein, um zu verstehen, daß die ukrainische Krise ein klassischer ethnischer Konflikt ist. Der Kampf zweier Volksgruppen, die sich seit dem 16. Jahrhundert bekämpfen. Die Krise in Kiew scheint sich unter der Omnipräsenz der Massenmedien vor aller Augen unter maximaler Transparenz abzuspielen. Dem ist aber nicht so. Die westlichen Massenmedien erzählen nur ihren Teil der geopolitischen Machtinteressen im östlichen Europa, die vor allem antirussisch ausgerichtet sind.
Den Ukrainern gehören in Europa viele Sympathien, vor allem im deutschen Sprachraum. Sie waren Opfer des Sowjetterrors und des Stalinismus. Ein tapferes Volk mit einem gesunden Nationalbewußtsein. Gegen die historische Unbill gelang es ihnen nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur die Unabhängigkeit zu erringen. Die erste staatliche Unabhängigkeit konnten die Ukrainer 1918 vor Ende des Ersten Weltkrieges mit Hilfe der Mittelmächte erreichen. Zuvor waren sie nur Untergebene im litauisch-polnischen Großreich und dann auch unter Österreich-Ungarn. Auch im österreichischen Königreich Galizien und Lodomerien gaben die Polen den Ton an. Durch den Sieg der Roten Armee war es mit der Unabhängigkeit schnell wieder vorbei und die Ukrainer hatten einen hohen Preis zu bezahlen. Aber immerhin wurde die Ukraine eine eigenständige Sowjetrepublik. Diesem Umstand ist die Unabhängigkeit 1991 zu verdanken.
Mitteleuropäischer Westen – russischer Osten
So klar die Westgrenzen der Ukraine sind, so unklar wurden in der Sowjetzeit die Ostgrenzen gezogen. Nie ukrainisch war die Halbinsel Krim, und der Südosten des Landes war schon seit der Einbeziehung in das Zarenreich auf Moskau ausgerichtet. Welche Landkarte man immer zur Hand nimmt: Man wird sehen, daß die Ukraine ein zweigeteiltes Land ist. Sie besteht aus einem ethnisch, sprachlich, kulturell ukrainisch geprägten Westen. Das ist der Teil, der auch religiös durch die Union von Brest von 1594 mit der katholischen Kirche verbunden ist und nicht mehr mit den orthodoxen Patriarchaten von Konstantinopel und Moskau. Es ist der Teil, der zunächst litauisch-polnisch geprägt wurde, ein Teil ab 1773 österreichisch, der Rest polnisch. Und sie besteht aus einem sprachlich, kulturell und auch ethnisch russisch geprägten Osten. Die russisch-ukrainische Sprachgrenze spiegelt eine Mentalitätsgrenze wieder, die sich bei den politischen Wahlen ebenso deutlich zeigt, wie der Röstigraben in der Schweiz zwischen Deutschschweiz und Westschweiz.
Die Ukraine ist aber nicht die Schweiz, die frühzeitig und unter klarer deutscher Dominanz einen fein austarierten Volksgruppenausgleich schuf, der einzigartig ist. In der Ukraine stehen sich zwei mehr oder weniger gleichstarke Gruppen gegenüber, die jeweils in etwa fast genau die Hälfte des Staatsgebiets kontrollieren.
Ukraine ist keine Schweiz – Frieden durch Teilung
Nichts scheint daher naheliegender, als eine Teilung des 1991 geschaffenen Staates Ukraine durchzuführen. Und nichts scheint voreiliger und dümmer, als das westliche Mantra, eine Teilung komme nicht in Frage. Eine gerechte Teilung entlang historischer, ethnischer, sprachlicher, kultureller und/oder religiöser Grenzen ist ein Instrument des Friedens und der Gerechtigkeit. Zwangsunionen hingegen Ausdruck von arrogantem und gefährlichem Machtstreben, in dem eine Seite über die andere Seite obsiegen will.
Die „deutschen Galizier“ des Westens sind dem russischen Osten verhaßt. Der Osten wird in der Westukraine als fünfte Kolonne Moskaus und als Bedrohung der Eigenstaatlichkeit gesehen. Da nutzen keine „Kulturmediatoren“, wie man sie im Westen gerne im Rahmen der „Willkommenskultur“ steuergeldfinanziert für Einwanderer einsetzt. Die schöne, naive Welt eines bestimmten Westens hört spätestens dort auf, wo die Machtmittel Brüssels oder Washingtons enden.
Krim erst seit 1954 ukrainisch durch Wodkarausch Cruschtschows
Nur Ignoranz erklärt das empörte westliche Geheule über die russische Besetzung der Krim. Die Krim, auf der Heinrich Himmler in den frühen 40er Jahren noch nach den letzten Resten der Goten suchen ließ, hat eine vielschichtige Vergangenheit hinter sich. Die Goten, die sich tatsächlich bis ins 16. Jahrhundert dort nachweisen lassen, sind nur eine davon. Die Tataren eine andere. Der Anteil deutscher Kolonisten war auf der Krim im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zahlenmäßig fast stärker als der ukrainische Bevölkerungsanteil. Die Halbinsel zwischen Schwarzem und Asowschem Meer hat eine russische Bevölkerungsmehrheit von 67 Prozent, 12 Prozent ist tatarisch, nur knapp mehr als 10 Prozent bezeichnen Ukrainisch als ihre Muttersprache. Die Tataren, als einstiges Mehrheitsvolk, waren wie die Deutschen unter Stalin hinter dem Ural verschwunden. Im Gegensatz zu letzteren kehrten die Nachfahren des am Schwarzen Meer lange tonangebenden Steppenvolkes wieder zurück. Die Halbinsel war erst 1954 durch Nikita Chruschtschow, einem Ukrainer, von der Russischen Sowjetrepublik der Ukrainischen Sowjetrepublik „geschenkt“ worden. Wie man behauptet, habe der Machthaber der Sowjetunion (1953–1964) den territorialen „Deal“ in einem Wodkarausch angeordnet. Es fällt angesichts solcher Fakten nicht schwer, Verständnis für russische Gebietsansprüche aufzubringen.
Religiöse Unterschiede zwischen West- und Ost-Ukraine
Es gibt gute Gründe für eine Teilung der Ukraine. Sie würde auch den so lange schwelenden religiösen Konflikt zwischen dem Moskauer Patriarchat und der mit Rom unierten ukrainischen griechisch-katholischen Kirche entschärfen, aber auch mit der autokephalen ukrainisch-orthodoxen Kirche. Vor allem aber wäre es eine gerechte und angemessene Entflechtung gegensätzlicher Identitäten und Interessen.
Der proeuropäische Westen muß dann in seinem verbleibenden Reststaat, der eigentlichen Ukraine im engeren Sinn ernst machen. Bisher lebt immerhin auch dieser, aus verständlichen historischen Gründen antirussisch gesinnte Teil des Landes, auf Kosten Rußlands und nicht auf Kosten der EU. Es ist Rußland, das der Ukraine überlebenswichtige Begünstigungen gewährt bei der Energieversorgung ebenso wie bei Zöllen. Die Unabhängigkeit der Ukraine finanzierte bisher Moskau und nicht Brüssel. Aus Brüssel und Washington kamen vor allem Politemissäre verschiedenster mehr oder weniger bekannter politischer Institute, einschließlich dem omnipräsenten George Soros, um nur einen zu nennen. Nicht alle diese politischen „Erzieher“ haben hehre Absichten. Manche sind nur die getarnte Vorhut eines internationalistischen Großkapitals, das blutsaugend die Länder ausbeutet und dann ausspuckt. Gerade unter diesen obskuren Freunden der „Demokratie“ finden sich derzeit maßgebliche Financiers der pro-westlichen Propaganda. Da ist übrigens weniger skurril als es auf den ersten Blick scheinen mag, wenn sich sogar der Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Juden in einem bestimmten politischen Sinn zu Wort meldet.
Ukraine lebte auch mit Hilfe Moskaus
Putin hat die Zahlungen an Kiew eingestellt. Wer sollte es ihm verübeln. Wird nun die EU die 70 Milliarden Schulden übernehmen? Die Finanzprofiteure könnten die Summe leicht stemmen. Doch die sind Geschäftsleute. Der Gewinn wandert in die eigene Tasche, Kosten werden über die Staaten auf die sonst wenig beachtete Allgemeinheit umgelegt.
Der ehemalige russische Botschafter Felix Stanewsky sagte vor wenigen Tagen, daß die Russen inzwischen das „Spielchen“ der EU durchschaut haben. Sich der EU anschließen bedeutet, ein bestimmtes Wirtschaftsmodell mit übernehmen zu müssen, das, um nur ein Beispiel zu nennen, Arbeitslosigkeit schafft. Eine Arbeitslosigkeit, die als erstes und vor allem die russische, die wohlhabendere Hälfte der Ukraine treffen würde. Erneute Massenwanderungen wären eine Folge, wie sie Rußland aus dem Baltikum erlebte. Die Kosten der „Umstrukturierung“ für Rußland, die Dividenden für den Westen. In europäischen Haushalten vor dem Fernsehen der eigenen Medienpropaganda mögen wohlklingende, oft wirkliche Absichten verschleiernde Worte ankommen. In Moskau verfängt das nicht. Dort weiß man, daß Brüssel und dahinter Washington eiskalt im eigenen Interesse kalkulieren, gleiches aber an Rußland kritisieren.
Botschafter Stanewsky: Die „kuriose selektive Demokratie“ der EU
Botschafter Stanewsky sprach zudem von der EU als „kuriose selektive Demokratie“. Sie gebe vor, Minderheiten zu schützen, doch gelte dies nur im Kontext einer bestimmten politischen Sichtweise. Laut Stanewsky schütze die EU „Homosexuelle und Roma“, aber keine Russen. Man möchte hinzufügen: auch keine Deutschen, da der EU-Multikulturalismus vor allem und zwar aggressiv gegen die eigenen Völker gerichtet ist. Der Rassismus ist eben immer eine häßliche Bestie, auch wenn er im Nadelstreif des Eurokraten daherkommt.
In Summe, und trotz vieler Aber, bleibt nach der Lektüre von Bernard-Henri Lévi nur der Wunsch, daß Putin als derzeit einzige wirkliche politische Führungsgestalt auf der Weltbühne seine derzeitige Haltung beibehält, mit Soldaten, deren Gewehrläufe auf den Boden gerichtet sind und der Entschlossenheit, vorerst nur mit Angela Merkel wirklich zu konferieren. Die EU, vor allem Deutschland tut aber gut daran, die Rechnung auch mit Moskau anzustellen.
Zwei Wege aus „Revolution“: Bürgerkrieg oder Teilung
Aus Revolutionen kommt man nur durch einen Bürgerkrieg mit Siegern und Verlieren oder durch eine Teilung des Landes. Will man wirklich einen Bürgerkrieg? Will man Sieger und Verlierer? Es gibt einen anderen, gerechteren und historisch und aktuell angemesseneren Weg. Kiew und Lemberg bilden die neue Ukraine und der russischsprachige Südosten und die Halbinsel Krim werden zu einem Teil Rußlands und damit das, was sie ohnehin schon immer waren. Die Ost-Ukraine und die Krim sind für Rußland nicht nur der Vorhof wie Kuba für die USA. Bei Kuba ging es für die USA nur um geopolitische Interessen. Die Ostukraine und die Krim sind für Rußland ein Teil Rußlands und die Menschen dort denken genau so.
Manchmal öffnet der Blick auf die Landkarte den Weg zu den richtigen Lösungen. Ein Blick, der zu selten geworfen wurde, wie die Geschichte lehrt und im Westen oft genug, um mit dem Lineal absurde Grenzlinien am grünen Tisch zu ziehen. Die Ukraine bietet andere Auswege. Voraussetzung sind der Wille zu einer gerechten Teilung und die Bereitschaft, die betroffene Bevölkerung abstimmen zu lassen. Eine Abstimmung, die sehr klar ausfallen wird.
Westliche Elite bietet trauriges Bild
Darum sicherheitshalber noch einmal ein Blick zurück. Wenn die amerikanische und im Schlepptau die europäische Führungselite Geopolitik spielt, erfolgt dies immer nach dem gleichen Schema. Die Revolution beginnt im Klima einer Studentenrevolte, wobei die Studenten sich als „Volk“ postulieren, aber in der Regel aus gesicherten, bürgerlichen Verhältnissen kommen und sich um ihren sozialen Status nicht fürchten müssen. Sie besetzen Plätze und sorgen für die Medienöffentlichkeit. In einer zweiten Phase treten dann gewalttätige Gruppen auf (in der Ukraine sind es die Maidan-Milizen). Sie sollen die Drecksarbeit machen, wofür sich die bürgerlichen Söhne und Töchter der ersten Phase nicht hergeben. Die Kontrolle der Situation geht auf die zweite Gruppe über. Der Epilog ist aber immer derselbe: Die Niederlage der offiziell vom Westen postulierten Ziele. Libyen, ein stabiles und wohlhabendes Land ist nach der westlichen Intervention zu einer jeder Kontrolle entzogenen islamistischen Anarchie geworden. Syrien wurde mit westlichen Geld- und Waffenlieferungen zu einem Exerzierplatz von Al-Qaida, die von dort aus den halben Nahen Osten und halb Afrika infiziert. Vom Irak oder Afghanistan wollen wir lieber gleich schweigen. Die Amerikaner türkten Dokumente, um einen Kriegsgrund zu haben und marschierten in ein Land an, an dem sie nur das Erdöl und die geostrategische Position interessierten. Sie hatten weder eine Ahnung vom Land noch irgendwelche konkreten Vorstellungen für die Nachkriegszeit. Ein Krieg ist aber nicht ein Spiel mit Zinnsoldaten.
Kurz bevor die US-Nachrichten Obama in Jeanshosen zeigten, wie er Putin drohte, strahlten dieselben Medien einen Film aus, der Obama mit US-Außenminister Biden beim Jogging durch das Weiße Haus zeigen, um Michelle Obamas Garten für eine „gesunde Ernährung“ gegen Fettleibigkeit zu sponsern. Was für ein trauriges Bild bietet doch diese westliche Elite.
Bild: Electoral Geography