Benedikt XVI. „Mein Rücktritt ist gültig. Spekulationen sind absurd“ – Ungewöhnlicher Schriftverkehr aus dem Vatikan


Franziskus und Benedikt XVI.(Vati­kan) Seit dem eben­so uner­war­te­ten wie spek­ta­ku­lä­ren Amts­ver­zicht von Papst Bene­dikt, mehr noch seit der Wahl sei­nes Nach­fol­gers Papst Fran­zis­kus und des­sen Amts­füh­rung will die Dis­kus­si­on um das Papst­tum nicht verstummen.Vor weni­gen Wochen gab der Schwei­zer Häre­ti­ker Hans Küng bekannt, Post von Papst Bene­dikt XVI. erhal­ten zu haben. Die Authen­ti­zi­tät wur­de in Fra­ge gestellt. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag nahm der eme­ri­tier­te Papst über­ra­schend auf Wunsch von Papst Fran­zis­kus im Peters­dom an der Kar­di­nals­kre­ierung teil. Ein Akt, der offen­sicht­lich im katho­li­schen Volk weit­ver­brei­te­te „Spe­ku­la­tio­nen“ um die unge­wohn­te „Dop­pel­spit­ze“ der Katho­li­schen Kir­che ent­kräf­ten soll­te. Die Welt soll­te im Bild sehen, daß es nur einen Papst gibt. Zum Aus­druck kam dies, indem Bene­dikt XVI. bei der Begrü­ßung von Fran­zis­kus den Pileo­lus vom Kopf nahm. Nun gab der Vati­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li, ein „Nor­ma­list“, bekannt, Papst Bene­dikt schrift­lich eini­ge Fra­ge zu den Rück­tritts­spe­ku­la­tio­nen in den Vati­kan geschickt zu haben. Zwei Tage spä­ter habe er schon, eben­so schrift­lich, Ant­wort erhal­ten. Tor­ni­el­li frag­te den Eme­ri­tus auch, ob der Brief an Hans Küng echt sei. Hier die Antwort.

Spekulationen um Gültigkeit des Amtsverzichts von Benedikt XVI.

Anzei­ge

Die Wahl des argen­ti­ni­schen Kar­di­nals Jor­ge Mario Berg­o­glio wird dabei kaum in Fra­ge gestellt. Die Gül­tig­keit sei­ner Wahl ist durch den Wahl­kör­per gege­ben. Die Spe­ku­la­tio­nen dre­hen sich viel­mehr um den abge­tre­te­nen Papst Bene­dikt XVI. Zwei Päp­ste, die kei­ne Gegen­päp­ste waren, hat­te die Kir­che seit 600 Jah­ren nicht mehr und zuvor auch nur ein­mal im 13. Jahr­hun­dert. Die Situa­ti­on ist irri­tie­rend. Bene­dikt XVI. wird vom Hei­li­gen Stuhl offi­zi­ell als „eme­ri­tier­ter Papst“ bezeich­net. Das aller­dings hat es in der Kir­chen­ge­schich­te tat­säch­lich noch nie gege­ben. Das beför­dert die Spe­ku­la­tio­nen, daß Bene­dikt XVI. eigent­lich jeder­zeit wie­der als recht­mä­ßi­ger Papst in sein Amt zurück­keh­ren könnte.

Die beim Amts­ver­zicht genann­te gesund­heit­li­che Schwä­che scheint ver­flo­gen. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag, als Papst Fran­zis­kus sei­nen Vor­gän­ger zur Kar­di­nals­kre­ierung in den Peters­dom lud, wirk­te der abge­tre­te­ne Papst fri­scher und gesün­der als der regie­ren­de Papst. Die Spe­ku­la­tio­nen wer­den umso lau­ter, je umstrit­te­ner sich die Amts­füh­rung des amtie­ren­den Pap­stes gestaltet.

Schwieriger Umgang mit zwei Päpsten – Medial inszenierte Begegnungen

Die bei­den Päp­ste in der Kir­chen­ge­schich­te, Cöle­stin V. und Gre­gor XII., die vor Bene­dikt XVI. auf ihr Amt ver­zich­te­ten, taten dies unter ganz bestimm­ten histo­ri­schen Aus­nah­me­si­tua­tio­nen. Eine sol­che lag bei Bene­dikt XVI. nicht vor. Er betont, aus frei­em Wil­len ein­fach aus Alters­schwä­che zurück­ge­tre­ten zu sein. Die bei­den Vor­gän­ger­päp­ste des 13. und 15. Jahr­hun­derts, die den­sel­ben Schritt setz­ten, kehr­ten dort­hin zurück, wo sie her­ge­kom­men waren. Ihrer Wür­de nach waren sie nach dem Amts­ver­zicht Kar­di­nä­le mit allen Rech­ten und Pflich­ten. Auch dar­in folg­te Bene­dikt XVI. nicht einem histo­ri­schen Vor­bild, obwohl er zwei Mal das Grab von Cöle­stin V. besuch­te. Er wur­de nicht mehr Kar­di­nal, son­dern nahm den ahi­sto­ri­schen Titel eines eme­ri­tier­ten Pap­stes an und schloß sich in ein Klo­ster ein. Für die Welt wer­de er unsicht­bar sein, hieß es bei sei­nem Rück­tritt, der nicht weni­ge in der Kir­che, selbst unter jenen, die man ihm nahe wähn­te, begei­ster­te. Bene­dikt XVI. ist seit­her unsicht­bar und doch nicht. Der Vati­kan gestal­te­te, durch­aus umstrit­ten, bereits sei­nen Rück­zug aus dem Vati­kan nach Castel Gan­dol­fo zum Medienspektakel.

Mit der Wahl von Papst Fran­zis­kus, als wür­de man die Kluft in der Amts­füh­rung der bei­den Päp­ste bereits ahnen, wur­den wie­der­um Begeg­nun­gen zwi­schen den bei­den Päp­sten orga­ni­siert und medi­en­ge­recht arran­giert. Seit­her gab es immer wie­der von Papst Fran­zis­kus gewünscht medi­al sicht­bar gemach­te Auf­trit­te der bei­den Päp­ste zusam­men. Bis­her nie im gro­ßen Rah­men und einer Lit­ur­gie. Am ver­gan­ge­nen Sams­tag geschah auch dies. Papst Bene­dikt XVI. wur­de auf Wunsch von Fran­zis­kus in den Peters­dom geru­fen, die sicht­bar­ste aller Kir­chen der Welt, um über dem Petrus­grab der Kar­di­nals­kre­ierung bei­zu­woh­nen. Das gan­ze Kar­di­nals­kol­le­gi­um hat­te sich ver­sam­melt. Fast ein Drit­tel des pur­pur­nen Kir­chen­se­nats wur­de von Bene­dikt XVI. ernannt. Vom Wahl­kör­per im jüng­sten Kon­kla­ve war es sogar knapp mehr als die Hälf­te. Den­noch haben die Kar­di­nä­le mit gro­ßer Mehr­heit Kar­di­nal Jor­ge Mario Berg­o­glio aus ihrer Mit­te zum Nach­fol­ger gewählt. Bei der Fra­ge nach dem Grund, der die Kar­di­nä­le dazu bewo­gen haben mag, stößt man schnell auf eine Wand aus Fra­gen und weni­gen Ant­wor­ten. Oder woll­te man es pathe­tisch mit den Wor­ten des Erz­bi­schofs von Wien sagen: man stößt auf den Hei­li­gen Geist. Recht glau­ben will man es aller­dings nicht, will sagen: beson­ders über­zeu­gend klingt das nicht. Denn die Kir­che war in ihrer Geschich­te immer nüch­tern genug, zu wis­sen, daß der Papst von den Kar­di­nä­len gewählt wird.

Amtsführung von Papst Franziskus irritiert und facht Spekulationen an

Es ist die Amts­füh­rung von Papst Fran­zis­kus, die irri­tiert. Er ver­un­si­chert, ver­mit­telt den Ein­druck, daß er imstan­de sein könn­te alles in Fra­ge zu stel­len, daß man nie wüß­te, was mor­gen für eine neue Unru­he in der Kir­che aus­ge­löst wür­de. Das alles wäre per se noch nicht beun­ru­hi­gend, wür­de der neue Papst gleich­zei­tig die Kir­che auf­bau­en, wür­de er gesund han­deln, die Kir­che aus einem fal­schen Schlaf rei­ßen, um sie mit neu­em Glau­bens­ei­fer aus­zu­stat­ten und zum grö­ße­ren Lob Got­tes und zur Ret­tung der See­len han­deln zu las­sen. Doch das geschieht nicht, nicht wahr­nehm­bar. Wahr­nehm­bar ist ein wei­te­res Auf­lockern der Rei­hen, ein wei­te­res Ein­rei­ßen der Ord­nung und Dis­zi­plin, ein wei­te­res Gewäh­ren­las­sen von Kräf­ten, die die Kir­che lie­ber heu­te als mor­gen auf­lö­sen wür­den, inner­halb und außer­halb der Kir­che. Der Papst ist popu­lär. Je popu­lä­rer er wird, desto unpo­pu­lä­rer scheint die Katho­li­sche Kir­che und das ihr anver­trau­te Glau­bens­gut. Viel Schein und Trug liegt dem welt­li­chen Medi­en­spek­ta­kel um den neu­en Papst zugrun­de. Der Nut­zen für die Kir­che? Der Nut­zen für den Glauben?

Benedikt und Franziskus: Zwei völlig konträre Charaktere

Im Ver­gleich der bei­den Päp­ste, wie am ver­gan­ge­nen Sams­tag, geht nicht weni­gen Katho­li­ken auf, was sie an Papst Bene­dikt XVI. hat­ten. Einen Papst von außer­ge­wöhn­li­chem Intel­lekt, der sei­ne Zeit mit bestechen­der Seh­schär­fe durch­drang, der die gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen punkt­ge­nau erkann­te und sich nicht scheu­te, die Din­ge beim Namen zu nen­nen und das gei­sti­ge Rüst­zeug für die Kir­che und die Gläu­bi­gen zu lie­fern, um sich den Her­aus­for­de­run­gen stel­len zu kön­nen. Dafür wur­de er von der Welt gehaßt, weil die Welt die Wahr­heit nicht erträgt. Er bemüh­te sich den Bruch aus­zu­wet­zen, der in der jüng­sten Kir­chen­ge­schich­te durch das Kon­zil und vor allem die Wild-West-Nach­kon­zils­zeit auf­ge­ris­sen wur­de. Er bemüh­te sich und leg­te wich­ti­ge Fun­da­men­te für die Gene­sung in der Lit­ur­gie, aber auch in der Kon­zil­s­in­ter­pre­ta­ti­on. Er ging so weit wie kein Papst seit dem Kon­zil vor ihm.

Kirchenkrise auch Autoritätskrise

Die bei­den Schwä­chen sei­nes Pon­ti­fi­kats sind bedau­er­lich und schmerz­lich. Da ist ein­mal sei­ne Sanft­mut. Der „Pan­zer­kar­di­nal“ war auch als Papst ein Lamm. Er ver­lang­te nicht, daß ande­re auf die Schlacht­bank gehen. Ein Gang, den er bereit­wil­lig für sei­ne Per­son auf sich nahm. Er war ein leh­ren­der Papst und ein beten­der Papst, er war nur bedingt ein regie­ren­der Papst. Inso­fern ist das Motu pro­prio Sum­morum Pon­ti­fi­cum als Regie­rungs­akt das Blei­bend­ste sei­nes Pon­ti­fi­kats. Es ist aber undenk­bar, nur mit den Waf­fen des Gei­stes eine durch­drin­gen­de Erneue­rung der Kir­che zu errei­chen. Ein Gesetz ist kein Gesetz, wenn es bei Nicht-Beach­tung kei­ne Sank­tio­nen vor­sieht, die dann auch exe­ku­tiert wer­den. Die Kir­che krankt an einer Auto­ri­täts­kri­se. Die Tex­te des Lehr­am­tes Bene­dikts XVI., die er hin­ter­las­sen hat, sind ein geist­li­ches Ver­mächt­nis ersten Ran­ges. Doch in der Kir­che gibt es zu vie­le, die den Papst einen guten Mann im fer­nen Rom sein las­sen und schlicht­weg tun und las­sen was sie wollen.

Banalisierung des Papsttums

Die Kar­di­nä­le schei­nen bei den Ver­su­chen Bene­dikts XVI., das Kir­chen­schiff wie­der auf Kurs zu brin­gen, sol­che Bauch­schmer­zen bekom­men zu haben, daß sie als Nach­fol­ger einen Papst auf den Stuhl Petri heben woll­ten, der von sich selbst der Über­zeu­gung ist, daß er ein guter Mann im fer­nen Rom ist und in sei­ner Kir­che schlicht­weg (fast) jeder tun und las­sen kann, was er will (aus­ge­nom­men die Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta). Papst Fran­zis­kus trifft sich am lieb­sten mit Ver­tre­tern des Juden­tums. War­um nicht mit Chri­sten ande­rer Kon­fes­sio­nen? Weil das ja schon Chri­sten sind und laut Papst Fran­zis­kus kei­ner Bekeh­rung mehr bedür­fen. Christ ist Christ, jeder soll in sei­ner Kon­fes­si­on „selig“ wer­den. Ein angli­ka­ni­sches Per­so­nal­or­di­na­ri­at das Bene­dikt XVI. schuf, hät­te es unter Fran­zis­kus nie gege­ben. Jüngst emp­fing Fran­zis­kus Tony Pal­mer, einen sei­ner zahl­rei­chen Freun­de und „Bischof“ einer „kel­tisch-angli­ka­ni­schen Kir­che“. Für Papst Fran­zis­kus sind nach roma­ni­schem Ver­ständ­nis gewis­ser­ma­ßen alle „Freun­de“. Mit sei­nem Smart­phone konn­te Pal­mer eine ziem­lich unsäg­li­che Video­bot­schaft des Pap­stes an ein Tref­fen des evan­ge­li­ka­len Dach­ver­ban­des Com­mu­ni­on of Evan­ge­li­cal Epis­co­pal Churches (CEEC) in Texas auf­zeich­nen. Eine Bot­schaft, die sich dar­auf beschränkt, daß „wir alle Brü­der sind und daß es kei­nen sün­de­lo­sen Men­schen gibt“, offen­bar auch nicht Maria. Abge­se­hen davon, daß eine sol­che Video­bot­schaft eher abschreckend wirkt und Evan­ge­li­ka­le wohl kaum zur Kon­ver­si­on zum katho­li­schen Glau­ben anregt, macht der Papst auch kei­ner­lei Anstal­ten jeman­den zur Kon­ver­si­on bewe­gen zu wol­len. Vole­mo­se bene, wie es nicht unweit von Berg­o­gli­os ita­lie­ni­scher Urhei­mat heißt. Wir haben uns ja alle lieb. Ende der Bot­schaft (im Anhang ein aus­führ­li­che­res Video zum Gebets­tref­fen von Pal­mers Gemein­schaft in Texas).

Das Papst­tum nimmt unter­des­sen beträch­li­chen Scha­den. Des­sen Sakra­li­tät wird nicht nur mit sol­chen Smart­phone-Auf­trit­ten demon­tiert. Es wird auch beschä­digt, weil es durch die umstrit­te­ne Amts­füh­rung zum Gegen­stand einer stän­di­gen und emo­tio­na­len Pro und Con­tra-Debat­te gwor­den ist. Und jede noch so berech­tig­te Kri­tik an einer bedenk­li­chen Amts­füh­rung, die einer Bana­li­sie­rung des Petrus­am­tes ähnelt, droht selbst in den Köp­fen der Men­schen das Papst­tum zu bana­li­sie­ren und zu demon­tie­ren. Die Sakra­li­tät des Amtes scheint zuse­hends nur mehr zum Schat­ten sei­ner selbst zu wer­den. Das aller­dings ist in jeder Hin­sicht eine tra­gi­sche Ent­wick­lung, für die man jedem im jüng­sten Kon­kla­ve wäh­len­den Kar­di­nal ein­zeln die Fra­ge stel­len möch­te: Warum?

Menschenkenntnis oder sollten Päpste mit 85 abtreten?

Was ist nun aber mit den Spe­ku­la­tio­nen rund um Papst Bene­dikt XVI.? War sein Amts­ab­tritt tat­säch­lich frei­wil­lig? Haben sei­ner unaus­ge­spro­che­nen, aber fak­tisch voll­zo­ge­nen Mei­nung nach Bischö­fe mit 75, Kar­di­nä­le mit 80 und Päp­ste mit 85 abzu­tre­ten? Oder drück­te ihn die Last des Amtes, der Angrif­fe und das Imstich­ge­las­sen­wer­den in der Ver­tei­di­gung der Kir­che und dem Erneue­rungs­werk so sehr nie­der, daß er sich der Auf­ga­be nicht mehr gewach­sen fühl­te? Oder wur­de er, die The­se wird sehr häu­fig genannt, in die Abdan­kung gezwun­gen? Ein kal­ter Putsch in der Kir­che von Kar­di­nä­len und Bischö­fen, die sich auf den Hei­li­gen Geist beru­fen, dann aber doch lie­ber sel­ber und hand­fest han­deln? Ver­bannt in ein Klo­ster aus eige­nem Wil­len oder zwangs­ver­ord­net? Wie dem auch sei, sei­ner Sanft­mut im Amt ent­spre­chend, han­delt Bene­dikt XVI. auch in sei­nem Ruhe­stand: Er hält sich an die Spiel­re­geln. Er tritt auf, wenn man es wünscht. Die Spiel­re­geln hielt er immer für maß­geb­lich für die Kir­che und woll­te in sei­nem Pon­ti­fi­kat durch sein Vor­bild über­zeu­gen. Das aber funk­tio­niert nur bei einem sehr wil­li­gen Publi­kum. Das aber fehlt durch inzwi­schen Jahr­zehn­te des Ver­falls und der Laxheit.

Bene­dikt XVI. über­schätz­te sein Vor­bild oder den guten Wil­len sei­ner Unter­ge­be­nen. Bene­dikt zeich­ne­te eine Ent­schlos­sen­heit des Gei­stes aus, Papst Fran­zis­kus hat die Ent­schlos­sen­heit des Han­delns. Inner­halb kür­ze­ster Zeit und ohne Dekre­te erlas­sen zu müs­sen, hat er viel von dem wie­der zunich­te­ge­macht, was Bene­dikt in müh­se­li­ger Klein­ar­beit auf­ge­baut hat­te: nie­man­den über­for­dernd, einen Schritt nach dem ande­ren. Bene­dikt XVI. moch­te über­zeugt gewe­sen sein, daß ein jün­ge­rer, kraft­vol­le­rer Papst dort wei­ter­macht, wo er auf­hö­ren muß­te. Doch dafür gab es nie eine Garan­tie. Die Kir­chen­ge­schich­te kennt vie­le Über­ra­schun­gen und der baye­ri­sche Papst hät­te sei­ne Kar­di­nä­le aus­rei­chend ken­nen müs­sen, hört man immer wie­der sagen. Muß­te er? Sicher. Zeigt sich aber nicht auch und fast wöchent­lich, wie gut sich man­che Wür­den­trä­ger ver­stellt haben? Wie still und brav, papst­treu und ratz­in­ge­ria­nisch sich nicht weni­ge gaben, solan­ge Bene­dikt XVI. regier­te. Wie devot pil­ger­ten doch Kir­chen­män­ner wie der Münch­ner Erz­bi­schof Rein­hard Kar­di­nal Marx, heu­te der an Ämtern nach dem Papst ein­fluß­reich­ste Kir­chen­mann Euro­pas, oder Bischof Ste­phan Acker­mann von Trier zu Bene­dikt XVI. Und sie mach­ten Karriere.

Entfesselte Diskussion um Ehesakrament – Wo steht Papst Franziskus?

Nun fal­len sie der Kir­che in den Rücken und basteln an einer „ande­ren“ Kir­che. Gäbe es nicht das Kir­chen­steu­er­sy­stem, das einen gol­de­nen Käfig bil­det, hät­ten sie wohl schon ihre deutsch-katho­li­sche Kir­che gegrün­det. Der Käfig der Kir­chen­steu­er ist gol­den, aber er ist auch ein Käfig. Im Moment hält er als viel­leicht letz­te Klam­mer die Kir­che im deut­schen Sprach­raum zusam­men. An der Fra­ge des Ehe­sa­kra­men­tes und der wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen ist das kir­chen­in­ter­ne Tau­zie­hen, ein veri­ta­bler Kampf um die Aus­rich­tung der Kir­che, Jesu Leh­re hin oder her, alles eine Fra­ge der Dia­lek­tik, voll ent­brannt. Papst Fran­zis­kus läßt die Dis­kus­si­on gewäh­ren, hat sie sogar maß­geb­lich ange­facht, ohne sich aber inhalt­lich zu posi­tio­nie­ren. Wo steht er wirk­lich? Wo will er hin? Noch kann das nie­mand sagen. Jede Sei­te ver­sucht ihn für sich zu rekla­mie­ren. Ob mit Recht muß sich erst noch zei­gen. Die Rol­le einer Sphinx steht einem Papst jedoch schlecht zu Gesicht. Abge­se­hen davon, selbst wenn er auch in die­ser Fra­ge, was von einem Papst erwar­tet wer­den darf und muß, auf dem Boden der katho­li­schen Leh­re ste­hen soll­te: Kann er die so arg­los ent­fes­sel­ten zen­tri­fu­ga­len Kräf­te bän­di­gen und binden?

Die Fragen Torniellis an Benedikt XVI.

Der Vati­ka­nist Andrea Tor­ni­el­li woll­te es jeden­falls genau wis­sen. Er beglei­te­te das Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI. mit zuneh­men­dem Wohl­wol­len. Trotz sei­ner Distanz zum Alten Ritus und Kräf­ten der Tra­di­ti­on, öff­ne­te er sich unter Bene­dikt XVI. selbst die­sen. Unter Fran­zis­kus wur­de er nach einem anfäng­li­chen Moment der Irri­ta­ti­on, der wohl die mei­sten befiel, zum „Nor­ma­li­sten“. Dort steht die gro­ße Mehr­heit der jour­na­li­sti­schen Zunft.

Tor­ni­el­li schrieb Bene­dikt XVI. einen Brief mit eini­gen Fra­gen. Eine Art Inter­view auf Distanz. Und der eme­ri­tier­te Papst hat geant­wor­tet. Ein bemer­kens­wer­ter Vor­gang, weil Bene­dikt XVI. nur Peter See­wald die­ses Pri­vi­leg gewähr­te, anson­sten Inter­views aus gutem Grund mied.

Tor­ni­el­lis Fra­gen krei­sen rund um angeb­li­chen Druck und Kom­plot­te, die zum Amts­ver­zicht geführt hät­ten. Die Inten­ti­on des Inter­views ist die eines „Nor­ma­li­sten“. Es soll Spe­ku­la­tio­nen ver­trei­ben. Laut Tor­ni­el­li habe Papst Bene­dikt per­sön­lich zur Feder gegrif­fen, um ihm zu ant­wor­ten. Aller­dings ver­öf­fent­lich­te er noch kein Fak­si­mi­le des Brie­fes, wie es etwa der Athe­ist Odifred­di umge­hend tat, als er vom Eme­ri­tus Post erhielt. Es darf zumin­dest bezwei­felt wer­den, daß der Hei­li­ge Stuhl zu einer so deli­ka­ten Fra­ge ein Inter­view zuläßt, das gewis­ser­ma­ßen irgend­ein Jour­na­list mit direk­tem Schrift­ver­kehr mit dem zurück­ge­tre­te­nen Papst führt, ohne daß es vom Staats­se­kre­ta­ri­at, wenn nicht von Papst Fran­zis­kus per­sön­lich abge­seg­net wur­de. Es hie­ße auch die Gepflo­gen­hei­ten des Vati­kans nicht zu ken­nen. Bene­dikt XVI. ist direkt für nie­man­den erreich­bar. Wer zu ihm will, muß hin­ein und hin­aus eini­ge Rin­ge pas­sie­ren, von denen Kuri­en­erz­bi­schof Gäns­wein nur den inner­sten bildet.

„Es gibt nicht den geringsten Zweifel an der Gültigkeit meines Verzichts“

„Es gibt nicht den gering­sten Zwei­fel an der Gül­tig­keit mei­nes Ver­zichts auf das Petrus­amt“, „Spe­ku­la­tio­nen“ um die­sen Rück­tritt sei­en „ein­fach absurd“. Nie­mand habe Joseph Ratz­in­ger zum Rück­tritt gezwun­gen. Es gebe kei­ne „Dyar­chie“ in der Kir­che, kei­ne Dop­pel­spit­ze, son­dern nur einen regie­ren­den Papst. Der „ein­zi­ge und letz­te Zweck“ eines eme­ri­tier­ten Pap­stes sei es, für sei­nen Nach­fol­ger zu beten.

Tor­ni­el­li ver­schick­te sei­ne Fra­gen am ver­gan­ge­nen 16. Febru­ar. Bereits am 18. Febru­ar erhielt er Ant­wort. Eine ver­blüf­fen­de Eile. „Es gibt nicht den gering­sten Zwei­fel bezüg­lich der Gül­tig­keit mei­nes Ver­zichts auf das Petrus­amt. Ein­zi­ge Bedin­gung für die Gül­tig­keit [des Amts­ver­zichts] ist die vol­le Ent­schei­dungs­frei­heit. Spe­ku­la­tio­nen bezüg­lich der Ungül­tig­keit des Amts­ver­zichts sind ein­fach absurd“, zitiert Tor­ni­el­li die Ant­wort aus dem Klo­ster Mater Eccle­siae.

Tor­ni­el­li erin­nert dann an die Andeu­tun­gen über die Mög­lich­keit eines Papst-Rück­tritts im Gesprächs­buch von Peter See­wald, sei­ne Besu­che am Grab eines der bei­den in der Kir­chen­ge­schich­te zurück­ge­tre­te­nen Päp­ste. Der Vati­ka­nist fügt hin­zu, daß es „den Men­schen, die Ratz­in­ger am näch­sten stan­den, schon seit lan­gem bekannt war“, daß er die Mög­lich­keit eines Rück­tritts in Erwä­gung gezo­gen habe.

An Komplott zu glauben, sei menschlich verständlich

Tor­ni­el­li meint, daß es mensch­lich ver­ständ­lich und sogar nahe­lie­gend sei, einen in der zwei­tau­send­jäh­ri­gen Kir­chen­ge­schich­te nie dage­we­se­nen Amts­ver­zicht aus Alters­grün­den, mit dem Vati­leaks-Skan­dal im Vati­kan und mit Kuri­en­kom­plot­ten in Ver­bin­dung zu brin­gen. „Das gan­ze Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI. war ein ein­zi­ger Kreuz­weg, vor allem die letz­ten Jah­re. Ange­fan­gen vom Pädo­phi­lie-Skan­dal, gegen den er mutig vor­ging, für den er nicht irgend­wel­che Lob­bys oder exter­ne Fein­de ver­ant­wort­lich mach­te, son­dern allein das Böse in der Kir­che selbst. Dann der Doku­men­ten­raub von sei­nem Schreib­tisch durch den Kam­mer­die­ner Gabrie­le“, so Tor­ni­el­li. Bene­dikt XVI. hat­te aber immer betont, daß man ein Schiff im Sturm nicht ver­läßt, schon gar nicht der Steu­er­mann. Hat er es nicht den­noch getan? Alters­schwä­che mag eine sub­jek­ti­ve Wahr­neh­mung sein, doch schei­nen die Bil­der eine ande­re Spra­che zu spre­chen. Alle Besu­cher, die Bene­dikt XVI. in Mater Eccle­siae tref­fen durf­ten, beto­nen, daß er bei guter Gesund­heit ist.

Auch die Tat­sa­che, daß er wei­ter­hin das wei­ße Gewand des Pap­stes tra­ge, gehe nur dar­auf zurück, daß es im Augen­blick des Amts­ver­zichts kei­ne ande­ren Bestim­mun­gen gab. „Auch hier han­delt es sich um halt­lo­se Spe­ku­la­tio­nen“, zitiert Tor­ni­el­li die Antwort.

Benedikt erwies dem einzigen Papst Reverenz

Tor­ni­el­li unter­streicht die Bedeu­tung des Auf­tritts von Bene­dikt XVI. am ver­gan­ge­nen Sams­tag im Peters­dom. Der eme­ri­tier­te Papst habe zur Erwei­sung sei­ner Reve­renz den Pileo­lus vom Kopf genom­men, als er Papst Fran­zis­kus grüß­te. Damit habe er deut­lich bekun­den wol­len, daß es nur einen Papst gibt. Tat­säch­lich ist es völ­lig unge­wöhn­lich den Pileo­lus vom Kopf zu neh­men, erst recht in einer Kir­che, zumal Papst Fran­zis­kus im Moment der Begeg­nung Meß­ge­wän­der und Mitra trug.

Tor­ni­el­li scheint damit anzu­deu­ten, daß die Anwe­sen­heit Bene­dikts XVI. im Peters­dom mit der kla­ren Absicht gewünscht war, um „Spe­ku­la­tio­nen“ im gläu­bi­gen Volk ent­ge­gen­zu­wir­ken, die seit einem Jahr nicht ver­stum­men wol­len. Tor­ni­el­lis Inter­view dient sogar erklär­ter­ma­ßen der­sel­ben Absicht.

Häretiker Küng „zitierte wörtlich und korrekt“ aus Brief

Auch der Schwei­zer Häre­ti­ker Hans Küng gab in den ver­gan­ge­nen Wochen bekannt, einen Brief von Bene­dikt XVI. erhal­ten zu haben. Dar­in habe der eme­ri­tier­te Papst über Papst Fran­zis­kus geschrie­ben und sei­ne gro­ße Dank­bar­keit zum Aus­druck gebracht, mit einem Mann von gro­ßer Iden­ti­tät der Sicht­wei­se eine Her­zens­freund­schaft pfle­gen zu kön­nen. Wört­lich habe der Eme­ri­tus geschrie­ben: „Heu­te sehe ich mei­ne ein­zi­ge und letz­te Auf­ga­be dar­in, sein Pon­ti­fi­kat im Gebet zu unter­stüt­zen“. Die Authen­ti­zi­tät des von Küng zitier­ten Schrei­bens wur­de in Zwei­fel gezo­gen. Tor­ni­el­li stell­te auch dazu eine Fra­ge. Die lapi­da­re Ant­wort aus dem Vati­kan: „Prof. Küng hat die Wor­te mei­nes Brie­fes an ihn wört­lich und kor­rekt zitiert“. Die Ant­wort auf die Fra­gen enden mit der Hoff­nung „klar und aus­rei­chend“ geant­wor­tet zu haben.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: AsiaNews

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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