(Vatikan) Am Samstag, den 1. Februar war die große Audienzhalle Paolo VI. des Vatikans bis auf den letzten Platz gefüllt. Grund war die erste Begegnung des Neokatechumenalen Wegs mit Papst Franziskus. Der Papst zog die Neokatechumenalen dabei dreifach an den Ohren, läßt ihren liturgischen Sonderformen und Mißbräuchen jedoch freien Lauf.
Der 1964 während des Zweiten Vatikanischen Konzils entstandene Neokatechumenale Weg gehört zu den sogenannten „Neuen geistlichen Gemeinschaften“ der Katholischen Kirche. Laut den exakten Angaben der von den Spaniern Francisco José Gómez Argüello Wirtz, besser bekannt als Kiko Argüello und Carmen Hernández gegründeten Bewegung nahmen an der Audienz 414 Familien teil, die bei dieser Gelegenheit in die Mission ausgesendet wurden. 174 von ihnen sind Teil der 40 neuen „missio ad gentes“, die zu den bereits bestehenden 52 Missionsstützpunkten hinzukommen. Dazu noch rund 900 Kinder dieser Familien und rund 100 Familien, die sich bereits seit einiger Zeit im Missionsauftrag in den verschiedensten Ländern der Erde aufhalten.
Was die Medien nicht berichteten
Über die Begegnung mit Papst Franziskus und die Aussendung in die Mission wurde von vielen Medien, vor allem katholischen Medien berichtet. Was nicht berichtet wurde, ist, daß Papst Franziskus in seiner Ansprache den Neokatechumenalen „einen Nachlaß gewährte, sie aber auch dreifach an den Ohren zog“, so der Vatikanist Sandro Magister.
Der Nachlaß, eigentlich eine unausgesprochene Dispens betrifft ihre liturgischen Sonderformen und Mißbräuche. Papst Benedikt XVI. mißfielen liturgische Sonderwege des Neokatechumenalen Wegs und noch mehr die Verstöße gegen die liturgischen Vorschriften der Kirche. Die Leitungsebene des Neokatechumentas besteht aus drei Personen, den bereits genannten Gründern Argüello und Hernandez und dem italienischen Priester Mario Prezzi, einem ehemaligen Comboni-Missionar, der 1992 Diözesanpriester der Diözese Rom wurde, um sich ganz dem Neokatechumenat zu widmen.
Papst Franziskus läßt liturgischem Mißbrauch freien Lauf
Dazu gehören eine seltsame judaisierende-alttestamentliche Neigung, die Feier der Sonntagsmesse am Samstagabend, wodurch der Sonntag als christlich-neutestamentlicher Herrentag durch eine versteckte Feier des jüdische-alttestamentlichen Sabbat ersetzt wird. Die Messe wird zudem in Absonderung von der Gemeinschaft der Gläubigen nicht in den Kirchen, sondern in gemeinschaftseigenen, meist nicht-sakralen Räumlichkeiten gefeiert. Die Gläubigen sitzen dabei auf Stühlen rund um einen großen Tisch. Auf diesem Altar steht kein Kreuz, sondern immer ein Chanukka-Leuchter.
Der reiche Schatz der Kirchenmusik wird vom Neokatechumenalen Weg ausgeklammert. In Feiern und Liturgien werden nur Lieder der Gemeinschaft gesungen, die der Gründer Kiko Argüello komponierte und textete oder zumindest von ihm genehmigt wurden. Die Gemeinschaft gliedert sich in zwölf Stufen der Erkenntnis, Einführung in das christliche Leben genannt. Für jede Stufe wird die Heilige Messe gesondert gefeiert. Je nach Stufe dürfen nur bestimmte Bücher der Heiligen Schrift gelesen und nur bestimmte Lieder gesungen werden.
In der Messe des Neokatechumenats wird nie gekniet
Während der Meßfeier tanzen die Gläubigen um den Altar und jeder kann seine Gedanken zu den Schriftlesungen frei vorbringen. Für die Konsekration werden nicht Oblaten, sondern große ungesäuerte Brote verwendet. Die Gläubigen kommen zum Kommunionempfang nicht zum Priester. Das konsekrierte Brot wird an die um den Altar sitzenden Gläubigen ausgeteilt, ausnahmslos an alle, die den Leib des Herrn sitzend einnehmen. Überhaupt ist tritt in allen Formen und Elementen ein Hang zu einem alttestamentlichen Philosemitismus auf, sodaß auch der katholische Priester mehr ein jüdischer Synagogenvorsteher zu sein scheint.
Carlo D’Ignoti, der zehn Jahre dem „Weg“ angehörte, schrieb: „Heute bitte ich den Herrn auf den Knien um Verzeihung für die vielen Male, die ich ihn unwürdig empfangen habe, in die Hände und sitzend. Statt der Beichte wird monatlich ein Bußgottesdienst gefeiert, der soll dann für alle Samstage des Monats für den Kommunionempfang ‚reinigen‘. Ich schäme mich dafür, denn im Neokatechumenalen Weg meinen alle, weil es ihnen so beigebracht wird, daß das Confiteor genügt, um die Sünden zu erkennen, sich zu reinigen und den eucharistischen Herrn empfangen zu können. Ganz zu schweigen von der Haltung während der Wandlung. Alle sitzen, die einen mit verschränkten Armen, die anderen reden, andere lachen, andere kauen ihren Kaugummi. Essen vor dem Kommunionempfang ist kein Problem.“ Alle Gegenstände für die Liturgie müssen von Kiko Argüello stammen, vom Kelch für den Wein und Behälter für das Brot bis zu den Ikonen, einschließlich der Lieder.
Seit 1988 werden die Priester des Neokatechumentas in eigenen Priesterseminaren ausgebildet, die missionarisch ausgerichtet sind. Die Redemptoris-Mater-Seminare sind kirchenrechtlich gesehen, Diözesanseminare, unterstehen jedoch der Leitung des Neokatechumenats. Insgesamt gibt es derzeit 100 solcher Seminare mit rund 2000 Seminaristen. Im deutschen Sprachraum bestehen solche Seminare in den Erzdiözesen Berlin, Köln und Wien. Bisher wurden in diesen Seminaren rund 1000 Seminaristen ausgebildet und zu Priestern geweiht. Auch zu den Seminaren gab es unter Papst Benedikt XVI. einen Konfliktpunkt mit Rom. Da der Neokatechumenalen Weg nur Laien kennt, unterstehen auch die Priester in der Gemeinschaft Laien, ebenso die Priester und Seminaristen in den Redemptoris-Mater-Seminaren. Eine Praxis, die der klaren Unterscheidung zwischen Laien und Priestern in der Kirche widerspricht und für die Priesterausbildung nicht als geeignet angesehen wurde.
Domus Galileae – „interreligiöses Zentrum“
Das bedeutendste und kurioseste Gebäude des Neokatechumenalen Wegs steht im Heiligen Land, um genau zu sein in Israel. Auf dem Gipfel des Berges der Seligpreisungen wurde 1999/2000 der Domus Galileae als „Zentrum für den interreligiösen Dialog“ errichtet. Im Domus leben bis zu 200 Angehörige des Neokatechumenalen Weges in klosterähnlicher Form. Allerdings kennt das Neokatechumenat kein geweihtes Leben, sondern richtet sich ausschließlich an Laien. Der Domus unterscheidet sich mit seinen jüdischen und futuristischen Elementen radikal von der katholischen Kirchen- und Klosterbautradition. Mittelpunkt des Zentrums bildet nicht eine Kirche oder Kapelle mit dem Allerheiligsten, sondern eine Kuppel, in deren Mitte eine alte Torah aufbewahrt wird. Die Heiligen Messen werden im großen Mehrzwecksaal gefeiert (siehe Bilder). Das Allerheiligste wird in der „Anbetungskapelle“ aufbewahrt, wobei das „Chorgestühl“ keine Kniebänke hat, weil in der Heiligen Messe des Neokatechumenats, wie bereits zur Wandlung erwähnt, grundsätzlich nie gekniet wird.
Bizarre Sonderliturgie sollte 2012 im Handstreich genehmigt werden
Die teils bizarren liturgischen Sonderformen, gerieten mit Beginn des Pontifikats von Benedikt XVI. in die Kritik, weshalb sie in einem Handstreich genehmigt werden sollten. Der Päpstliche Laienrat hatte dazu ein Dokument vorbereitet, das am 20. Januar 2012 mit päpstlicher Zustimmung bekanntgegeben werden sollte. Vorsitzender des Laienrats ist seit 2003 StanisÅ‚aw Kardinal RyÅ‚ko, ein großer Förderer des Neokatechumenats. Kiko Argüello, sich durch die Unterstützung von Kardinal Rylko seiner Sache sicher, gab die Genehmigung bereits vorab bekannt. Papst Benedikt XVI., der offenbar überrumpelt werden sollte, erfuhr erst wenige Tage vor dem 20. Januar von dem Dokument und lehnte die Unterzeichnung ab. Statt dessen verfaßte der Papst eine handgeschriebene Anweisung an Kardinal Levada, den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, die liturgische Zelebration des Neokatechumenalen Weges einer genauen Prüfung zu unterziehen. Gleichzeitig ermahnte der Papst die Neokatechumenalen, die kirchlichen Vorschriften zur Feier der Heiligen Liturgie einzuhalten.
Kardinal Levada leitete umgehend die Untersuchung ein. Schnell zeichnete sich ab, daß die liturgischen Mißbräuche verurteilt und die Sonderformen verboten würden. Ende 2012 waren die Untersuchungen bereits weit fortgeschritten. Doch dann gab Papst Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht bekannt. Mit einem Schlag war die sichere Verurteilung vom Tisch und mit der Wahl von Papst Franziskus waren die Karten völlig neu gemischt. Im Gegensatz zur liturgischen Sensibilität Benedikts XVI. ist Papst Franziskus von einem einen funktionalen Zugang zur Liturgie geprägt.
Papst Franziskus stoppte Glaubenskongregation
Tatsächlich stoppte Papst Franziskus kurz nach seiner Wahl die Glaubenskongregation und ordnete die Einstellung der Untersuchung an. Damit können die Neokatechumenalen ungestört ihre liturgischen Sonderformen beibehalten und „weiterhin ihre durch die Gründer bizarr umgemodelten Messen feiern“, so Magister.
Zu welchen Punkten zog Papst Franziskus die Neokatechumenalen jedoch an den Ohren?
Die dreifache Kritik des Papstes am Neokatechumenat
Der erste Punkt betrifft das Verhältnis der Bewegung mit den Ortsbischöfen, das sich häufig konfliktreich gestaltet. Japans Bischöfe haben die Bewegung wegen ihres an der kirchlichen Autorität vorbei geführten Eigenlebens aus ihren Diözesen hinausgeworfen. Die Suspendierung wurde vorerst auf fünf Jahre begrenzt und endet im Jahr 2015. Der Papst verlangte von den Neokatechumenalen, keine Konflikte herauszufordern und zu gehorchen, auch um den Preis, darauf „verzichten zu müssen“, ihr Programm „in allen Details leben zu können“.
Die zweite Ermahnung betrifft den Respekt vor der örtlichen Kultur der Länder, in denen sie aktiv sind. Der Neokatechumenale Weg ist für seine mangelnde Sensibilität gegenüber der spezifischen Kultur eines Landes und Volkes bekannt. Für die Kulturen vor Ort zeigen die Neokatechumenalen nur geringes oder gar kein Interesse. Sie pflanzen ihre spezifischen Formen identisch in jedem Winkel der Erde gleich auf und ersetzen damit die kulturellen Ausprägungen der einzelnen Länder. Das gilt ebenso für ihr katechetisches, liturgisches, gemeinschaftliches Modell, das Gründer Kiko Argüello bis ins kleinste Detail ausgearbeitet hat.
Die dritte Ermahnung betritt die Behandlung der Adepten: „Die Freiheit jedes Einzelnen darf keinem Zwang unterworfen sein und man muß auch die eventuelle Entscheidung respektieren, sollte jemand außerhalb des Wegs andere Formen des christlichen Lebens suchen.“
Die Ansprache des Papstes wurde auf der offiziellen Seite des Vatikans vollinhaltlich in italienischer Sprache veröffentlicht.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Domus Galieae/Messa in Latino