Katholische Morallehre? Der deutsche Konfrontationskurs von Bischöfen und Professoren


Erzbischof Robert Zollitsch bei Papst Franziskus in Rom(Bonn) Deut­sche Moral- und Pasto­ral­theo­lo­gen sprin­gen Zol­lit­sch und Marx in derem Kampf gegen die katho­li­sche Moral­leh­re zur Sei­te. Im Kon­fron­ta­ti­ons­kurs deut­scher Bischö­fe mit Rom muß­ten die Bischö­fe eine Nie­der­la­ge ein­stecken. Trotz des „Wun­sches“ einer Grup­pe von Bischö­fen an Papst Fran­zis­kus, Glau­ben­prä­fekt Ger­hard Lud­wig Mül­ler nicht zum Kar­di­nal zu erhe­ben, wird der deut­sche Glau­bens­hü­ter am 22. Febru­ar das Kar­di­nals­bi­rett erhalten. 

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„Die Kir­che muß ihre Hal­tung zur Sexu­al­mo­ral ändern. Wir schrei­ben das Jahr 2014 nach Chri­stus. Seit Jah­ren sind wir in das drit­te Jahr­tau­send ein­ge­tre­ten. Es ist doch unmög­lich, daß Rom noch immer an Zöli­bat und Ehe denkt als Alter­na­ti­ven, die dem Leben einen Sinn geben.“ Kurz­um, alte Zöp­fe sei­en end­lich abzu­schnei­den, man müs­se sich dem Neu­en, dem Moder­nen zuwen­den, dem, was die Men­schen wol­len und ohne­hin tun. So und ähn­lich klingt schwarz auf weiß die Stel­lung­nah­me füh­ren­der Ver­tre­ter der Arbeits­ge­mein­schaft Deut­scher Moral­theo­lo­gen und der Kon­fe­renz der deutsch­spra­chi­gen Pasto­ral­theo­lo­gen und Pasto­ral­theo­lo­gin­nen e.V.

Bei Erste­ren han­delt es sich laut Eigen­de­fi­ni­ti­on um einen Zusam­men­schluß der an deut­schen Uni­ver­si­tä­ten und Hoch­schu­len leh­ren­den und for­schen­den bzw. eme­ri­tier­ten Pro­fes­so­ren der Moral­theo­lo­gie. Bei Zwei­te­ren um die­sel­be Grup­pe im Fach­be­reich Pasto­ral­theo­lo­gie aus dem gan­zen deut­schen Sprach­raum ein­schließ­lich den Niederlanden.

„Gemeinsame Antwort“ deutscher Moral- und Pastoraltheologen linienkonform mit Zollitsch & Marx

„20 Moral- und Pasto­ral­theo­lo­gIn­nen“ ant­wor­te­ten gemein­sam auf den römi­schen Fra­ge­bo­gen zum Vor­be­rei­tungs­do­ku­ment der Bischofs­syn­ode zum The­ma Fami­lie. Betei­ligt sind Moral- und Pasto­ral­theo­lo­gen ver­schie­de­ner Uni­ver­si­tä­ten. Eme­ri­tier­te Pro­fes­so­ren von Mün­ster, Mainz, Graz, Bene­dikt­beu­ern, Til­burg, Dort­mund, eben­so der Pro­mo­tor der Schul­se­xu­al­erzie­hung Johan­nes Grün­del (Mün­chen) und Hans Kra­mer (Bochum). Unter den Akti­ven fin­den sich der Wie­ner Moral­theo­lo­ge Gun­ter Prül­ler-Jagen­teu­fel, der mit der Lei­te­rin des Pasto­ral­am­tes der Erz­diö­ze­se Wien, Vero­ni­ka Prül­ler-Jagen­teu­fel ver­hei­ra­tet ist,  eben­so Eber­hard Schocken­hoff von Frei­burg im Breis­gau, der Jesu­it Josef Schu­ster von St. Geor­gen. Mehr erstaunt in die­sem Kreis der Pasto­ral­theo­lo­ge und Zister­zi­en­ser Nor­bert Stig­ler von der Hoch­schu­le Hei­li­gen­kreuz bei Wien.

Gefor­dert wird eine Über­win­dung der Glau­bens­leh­re, die ein mora­li­sches Urteil über das Sexu­al­ver­hal­ten der Indi­vi­du­en aus­spricht. Die Sexua­li­tät sei Pri­vat­sa­che und gehe nie­man­den etwas an, weder die Kir­che und auch nicht Gott. Es sei an der Zeit zu einem Para­dig­men­wech­sel, der auf der Zer­brech­lich­keit der Ehe und den per­sön­li­chen Erfah­run­gen im Sexu­al­be­reich grün­det. Die Sexu­al­mo­ral müs­se auf der „Ver­letz­lich­keit“ grün­den, die­se aner­ken­nen und begleiten.

Rom müs­se end­lich ein­se­hen, daß die Stun­de gekom­men ist, die Ehe neu zu defi­nie­ren: „Die Ehe muß sich als eine die Ver­letz­lich­keit ber­gen­de, nicht nöti­gen­de Insti­tu­ti­on pro­fi­lie­ren.“ Ehe neu defi­niert durch „pal­lia­le“, „eman­zi­pa­ti­ve“ und „ refle­xi­ve Dimen­si­on“ der „Vul­nerabi­li­tät“ der mensch­li­chen Sexualität.

„Mehr Barmherzigkeit, weniger Strafe“ – veränderte Praxis, unveränderte Lehre

Die 20 Unter­zeich­ner des Appells geben sich dabei nur als Sprach­rohr aus. Nicht sie wür­den das ver­lan­gen, nein, die Gläu­bi­gen sei­en es. Ein Blick auf die pro­fes­so­ra­len Ant­wor­ten zeigt, an wel­che revo­lu­tio­nä­re „Wen­de“ sie den­ken. Natür­lich wird alles im Namen von „mehr Barm­her­zig­keit“ gefordert.

„Mehr Barm­her­zig­keit, und weni­ger Stra­fe, das ent­spricht in etwa dem, was ohne­hin seit eini­ger Zeit die Mehr­zahl der deut­schen Bischö­fe auf ihre Fah­ne geschrie­ben haben“, so Matteo Mat­zuzzi, der Vati­ka­nist von Il Foglio. Die kirch­li­che Leh­re fin­de in der Theo­rie nur zum Teil „Akzep­tanz“ bei den mei­sten Gläu­bi­gen, in der Pra­xis kaum. Es sei offen­kun­dig, „daß eine christ­li­che Moral­ver­kün­di­gung, die Sexua­li­tät nur im Kon­text der Ehe anspre­chen will, nicht genau genug hin­se­hen kann, wenn es um die vie­len Erschei­nungs­for­men des Sexu­el­len außer­halb der Ehe geht“, wis­sen die Moral- und Pasto­ral­theo­lo­gen zu sagen.

Lob für „Handreichung“ des Erzbistums Freiburg

Das Pro­fes­so­ren­do­ku­ment rezi­piert auf ver­blüf­fen­de und wohl­ab­ge­wo­ge­ne Wei­se, was in den ver­gan­ge­nen Mona­ten von Ver­tre­tern des deut­schen Epi­sko­pats geäu­ßert wur­de, beson­ders des inzwi­schen eme­ri­tier­ten Erz­bi­schofs von Frei­burg, aber noch Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Msgr. Robert Zol­lit­sch. Ent­spre­chend lobend wird die umstrit­te­ne „Hand­rei­chung“ des Amtes für Fami­li­en­pa­sto­ral von Zol­lit­schs Erz­bis­tum Frei­burg her­vor­ge­ho­ben: „Als der­zeit wich­tig­sten ‚Pasto­ral­plan‘ könn­te man die »Hand­rei­chung zur Beglei­tung von Men­schen in Tren­nung, Schei­dung und nach zivi­ler Wie­der­ver­hei­ra­tung« aus dem Erz­bis­tum Frei­burg bezeich­nen, wel­che die men­schen­freund­li­che und respekt­vol­le Grund­hal­tung Jesu kon­se­quent zum Maß­stab der kirch­li­chen Sor­ge um wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ne machen will. Sie nahm zahl­rei­che Impul­se aus dem moral­theo­lo­gi­schen Dis­kurs der letz­ten bei­den Jahr­zehn­te pro­duk­tiv auf.“

Ende Janu­ar wird sich der Stän­di­ge Rat der Bischofs­kon­fe­renz in Vor­be­rei­tung der Früh­jahrs­voll­ver­samm­lung mit der „Hand­rei­chung“ befas­sen. Mit Unge­duld drän­gen meh­re­re deut­sche Bischö­fe dar­auf, die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen zu den Sakra­men­ten zuzu­las­sen. Ihnen geht es dar­um eine Kluft zu retu­schie­ren und das Weg­bre­chen einer gro­ßen Grup­pe zu ver­hin­dern. Die Frei­bur­ger „Hand­rei­chung“ soll offi­zi­ell für die Seel­sor­ge aner­kannt wer­den, ohne offi­zi­ell die kirch­li­che Leh­re, sehr wohl aber ihre Pra­xis zu ändern.

Müllers Kritik, deutscher Starrsinn

Die „Hand­rei­chung“ wur­de vom Glau­bens­prä­fekt und bereits ernann­ten Kar­di­nal Ger­hard Lud­wig Mül­ler als im Wider­spruch zur katho­li­schen Leh­re ver­ur­teilt. Mül­ler for­der­te von Rom aus, das Doku­ment zurück­zu­zie­hen. Doch die deut­schen Bischö­fe wol­len nicht locker­las­sen. Mit Rein­hard Kar­di­nal Marx, dem Erz­bi­schof von Mün­chen-Frei­sing sprang Zol­lit­sch die der­zeit gewich­tig­ste Stim­me der euro­päi­schen Kir­che zur Sei­te. Marx ist Vor­sit­zen­der der Euro­päi­schen Bischofs­kon­fe­ren­zen COMECE und Ver­tre­ter Euro­pas im C8-Rat von Papst Franziskus.

Der Applaus zu Hau­se bewegt sie mehr, als die Ermah­nun­gen und War­nun­gen Roms. Die Bischö­fe betrei­ben ein hoch­ris­kan­tes Vaban­que­spiel in der Hoff­nung, daß Rom, abge­schreckt von einem mög­li­chen Schis­ma und dem Ver­lust der deut­schen Brief­ta­sche, nach­gibt oder zumin­dest so tut, als sei nichts gesche­hen. Der Ide­al­fall, den die deut­sche Kir­che seit Jahr­zehn­ten erfolg­reich betreibt. Sel­ten fiel ein so grel­les Licht auf die „deut­sche Arro­ganz“ wie zu dem Augen­blick, als Zol­lit­sch und Marx öffent­lich erklär­ten, nicht sie, son­dern der Prä­fekt der Kon­gre­ga­ti­on für die Glau­bens­leh­re, der von Bene­dikt XVI. ein­ge­setz­te und von Papst Fran­zis­kus bestä­tig­te ober­ste Hüter der Ortho­do­xie habe sei­ne Mei­nung zu ändern.

Deutsche Bischöfe wollten nicht, daß Müller Kardinal wird

Der im Unter­grund schwe­len­de Kon­flikt einer latent schis­ma­ti­sie­ren­den deut­schen Kir­che wur­de dadurch zum offe­nen und hef­ti­gen Zusam­men­prall. Die Pas­sau­er Tages­zei­tung Neue Pres­se berich­te­te vor weni­gen Tagen, daß eine Grup­pe deut­scher Bischö­fe Papst Fran­zi­kus nahe­ge­legt haben, Prä­fekt Mül­ler doch von der Liste der neu­en Kar­di­nä­le zu streichen.

Eine eben­so außer­ge­wöhn­li­che wie uner­hör­te Akti­on in den Bezie­hung zwi­schen der deut­schen Kir­che und dem Vati­kan. Die Wochen­zei­tung Die Zeit ver­such­te auf ihre Wei­se das bischöf­li­che Anlie­gen zu unter­stüt­zen, indem sie schrieb, daß Prä­fekt Mül­ler der „hart­näckig­ste Geg­ner“ des Pap­stes sei und ein Urteil von Hans(Dampf) Küng ver­öf­fent­lich­te, der Mül­ler, natür­lich mit nega­ti­ver Kon­no­ta­ti­on, als „neu­en Otta­via­ni“ bezeichnete.

Papst Franziskus läßt sich bei Personalentscheidungen nicht dreinreden

Doch Papst Fran­zis­kus ließ sich von den Begehr­lich­kei­ten eini­ger deut­scher Bischö­fe nicht beein­drucken. Ins­ge­samt läßt sich das katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt bei Per­so­nal­ent­schei­dun­gen nicht drein­re­den. Schon gar nicht ändert er bereits getrof­fe­ne Ent­schei­dun­gen, wie ganz unter­schied­lich gela­ger­te Fäl­le bele­gen, etwa die hef­tig kri­ti­sier­te Ernen­nung von Msgr. Ric­ca als Haus­prä­lat der Vatik­an­bank oder der am Mon­tag erfolg­te Kahl­schlag in der Kar­di­nals­kom­mis­si­on der Vatik­an­bank. Ledig­lich der dem neu­en Papst treu erge­be­ne Kar­di­nal Tauran wur­de bestätigt.

Im Tor­ni­el­li-Inter­view ging Papst Fran­zis­kus vor Weih­nach­ten auch auf die Zol­lit­sch „Hand­rei­chung“ ein und wider­sprach einer deut­schen Aus­le­gung, er habe in irgend­ei­ner Wei­se zum The­ma wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ne Stel­lung bezo­gen. Inhalt­lich ging der Papst jedoch nicht auf die Fra­ge ein.

Seit ver­gan­ge­nem Sonn­tag, als der Papst unter den neu­ernann­ten Kar­di­nä­len auch Kuri­en­erz­bi­schof Mül­ler nann­te, ist den deut­schen Bischö­fe aller­dings klar, daß ihr For­de­rungs­schrei­ben, mit dem sie die Kar­di­nals­er­he­bung Mül­lers hin­ter­trei­ben woll­ten, unge­öff­net an den Absen­der zurück­ge­schickt wur­de, wie Hans Küngs Zwi­schen­ru­fe unge­hört blie­ben. Ende Janu­ar wer­den die Bischö­fe dar­über zu spre­chen haben. Ob sie das päpst­li­che Signal von ihrem offe­nen Kon­fron­ta­ti­ons­kurs abbrin­gen wird?

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Il Foglio

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