Das vollständige Tornielli-Interview von Papst Franziskus – Nein zu Kardinälinnen und Zollitsch-Interpretationen


Papst Franziskus im neuen Tornielli-Interview(Vati­kan) Papst Fran­zis­kus gab erneut und trotz der schlech­ten Erfah­run­gen ein Inter­view. Der Jesu­it Pater Bernd Hagen­kord, Lei­ter der deut­schen Redak­ti­on von Radio Vati­kan schrieb auf sei­nem Blog: „Das letz­te Inter­view des Pap­stes ist schief gegan­gen: Der Her­aus­ge­ber der Zei­tung La Repubbli­ca hat­te roman­haft wie­der­ge­ge­ben, was er vom Papst in sei­nem lan­gen Gespräch mein­te ver­stan­den zu haben.
Und was lernt der Papst dar­aus? Sich nicht ins Box­horn jagen zu las­sen. Auf Eng­lisch sagt man ‚Bad cases make for bad laws‘, vul­go: aus schlech­ten Erfah­run­gen soll man kei­ne Regeln ablei­ten. Und voi­là : So hat­ten wir heu­te mor­gen wie­der ein lan­ges Papst­in­ter­view auf dem Frühstückstisch.“

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Tat­säch­lich unter­schei­det sich das Inter­view, was wohl vor allem auch dem Vati­ka­ni­sten Andrea Tor­ni­el­li gschul­det ist, der das Inter­view für die Tages­zei­tung La Stam­pa führ­te. Viel­leicht ein Indiz, daß die Gesprächs­part­ner sorg­fäl­ti­ger aus­ge­wählt werden.

Zum Gespräch berich­tet Tor­ni­el­li, daß es am 10. Dezem­ber im Gäste­haus San­ta Mar­ta des Vati­kans statt­fand. Beginn war 12.50 Uhr mit einer Dau­er von andert­halb Stun­den. Der Papst ver­wirft dar­in die Idee weib­li­cher Kar­di­nä­le und den etwa vom Vor­sit­zen­den der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz, Erz­bi­schof Robert Zol­lit­sch behaup­te­ten Zusam­men­hang zwi­schen Aus­sa­gen des Apo­sto­li­schen Schrei­bens Evan­ge­lii Gau­di­um und der Zulas­sung von wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen zu den Sakramenten.

Hier der voll­stän­di­ge Wort­laut in deut­scher Übersetzung:

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„Nie Angst vor der Zärtlichkeit Gottes haben“

Was bedeu­tet Weih­nach­ten für Sie?

Es ist die Begeg­nung mit Jesus. Gott hat immer sein Volk gesucht, er hat es geführt, er hat es behü­tet, hat ver­spro­chen, ihm immer nahe zu sein. Im Buch Deu­te­ro­no­mi­um lesen wir, daß Gott mit uns geht, uns an der Hand führt wie ein Vater sein Kind. Das ist schön. Weih­nach­ten ist die Begeg­nung Got­tes mit sei­nem Volk. Und es ist auch Trö­stung, ein Geheim­nis der Trö­stung. Vie­le Male habe ich nach der Mit­ter­nachts­met­te man­che Stun­de allein in der Kapel­le ver­bracht, bevor ich am Mor­gen die Hir­ten­mes­se zele­brier­te. Mit die­sem Gefühl tie­fen Tro­stes und Frie­dens. Ich erin­ne­re mich, ein­mal, hier in Rom, ich glau­be, es war Weih­nach­ten 1974, an eine Gebets­nacht nach der Mes­se im Cen­tro Astal­li. Für mich war Weih­nach­ten immer das: den Besuch Got­tes bei sei­nem Volk betrachten.

Und was sagt Weih­nach­ten dem Men­schen von heute?

Es spricht zu uns über die Zärt­lich­keit und die Hoff­nung. In der Begeg­nung mit uns sagt uns Gott zwei Din­ge. Das Erste ist: habt Hoff­nung. Gott öff­net immer die Türen, nie schließt er sie. Er ist der Vater, der uns die Tore öff­net. Zwei­tens: habt kei­ne Angst vor der Zärt­lich­keit. Wenn die Chri­sten die Hoff­nung und die Zärt­lich­keit ver­ges­sen, wer­den sie eine kal­te Kir­che, die nicht weiß, wohin sie gehen soll und sie ver­strickt sich in Ideo­lo­gien, in welt­li­che Ver­hal­tens­wei­sen. Wäh­rend die Ein­fach­heit Got­tes dir sagt: geh wei­ter, ich bin ein Vater, der dich lieb­kost. Ich habe Angst, wenn die Chri­sten die Hoff­nung ver­lie­ren und die Fähig­keit zu umar­men und zu lieb­ko­sen. Viel­leicht spre­che ich des­halb mit Blick auf die Zukunft von den Kin­dern und den Alten, also von den Schutz­lo­se­sten. In mei­nem Prie­ster­le­ben habe ich in den Pfar­rei­en immer ver­sucht die­se Zärt­lich­keit vor allem den Kin­dern und Alten zu ver­mit­teln. Es tut mir gut und es läßt mich an die Zärt­lich­keit den­ken, die Gott für uns hegt.

Wie kann man glau­ben, daß Got­te, der von den Reli­gi­on als unend­lich und all­mäch­tig betrach­tet wird, sich so klein macht?

Die grie­chi­schen Väter nann­ten ihn „syn­kat­aba­sis“, gött­li­che Her­ab­las­sung. Gott, der her­un­ter­kommt und mit uns ist. Das ist eines der Geheim­nis­se Got­tes. In Bet­le­hem, im Jahr 2000, sag­te Johan­nes Paul II., daß Gott ein Kind gewor­den ist, voll­kom­men abhän­gig von der Obsor­ge eines Vaters und einer Mut­ter. Des­halb gibt Weih­nach­ten soviel Freu­de. Wir füh­len uns nicht mehr allein, Gott ist her­ab­ge­kom­men um mit uns zu sein. Jesus hat sich zu einem von uns gemacht, und für uns hat er am Kreuz das schlimm­ste Ende erlit­ten, das eines Verbrechers.

Weih­nach­ten wird häu­fig als zucker­sü­ßes Mär­chen prä­sen­tiert. Aber Gott wird in eine Welt gebo­ren, in der es auch viel Leid und Elend gibt.

Was wir in den Evan­ge­li­en lesen, ist Ver­kün­di­gung der Freu­de. Die Evan­ge­li­sten haben eine Freu­de beschrie­ben. Es wer­den kei­ne Über­le­gun­gen über eine unge­rech­te Welt ange­stellt, dar­über wie Gott in einer sol­chen Welt zur Welt kom­men kann. Das alles ist das Ergeb­nis unse­rer Betrach­tung: die Armen, das Kind, das in eine unsi­che­re Situa­ti­on hin­ein­ge­bo­ren wird. Weih­nach­ten war nicht eine Ankla­ge gegen sozia­le Unge­rech­tig­keit, gegen Armut, son­dern die Ver­kün­di­gung der Freu­de. Der gan­ze Rest sind Fol­ge­run­gen, die wir dar­aus zie­hen. Eini­ge sind rich­tig, ande­re weni­ger rich­tig, wie­der ande­re sind ideo­lo­gi­siert. Weih­nach­ten ist Freu­de, reli­giö­se Freu­de, Freu­de Got­tes, inne­re, des Licht, des Frie­dens. Wenn man nicht die Fähig­keit hat oder sich in einer mensch­li­chen Situa­ti­on befin­det, die es nicht zuläßt, die­se Freu­de zu ver­ste­hen, erlebt man das Fest mit welt­li­cher Fröh­lich­keit. Zwi­schen der tie­fen Freu­de und der welt­li­chen Fröh­lich­keit ist ein gro­ßer Unterschied.

Es ist Ihr erstes Weih­nach­ten in einer Welt, in der es nicht an Kon­flik­ten und Krie­gen fehlt …

Gott gibt nie jeman­dem eine Gabe, der nicht imstan­de ist, sie zu emp­fan­gen. Wenn er uns Weih­nach­ten schenkt, dann, weil wir alle die Fähig­keit haben, es zu ver­ste­hen und zu emp­fan­gen. Alle, vom größ­ten Hei­li­gen bis zum größ­ten Sün­der, vom Sau­ber­sten bis zum Kor­rup­te­sten. Auch der Kor­rup­te hat die­se Fähig­keit: der Arme, sei­ne ist viel­leicht etwas ein­ge­ro­stet, aber er hat sie. Weih­nach­ten in die­ser Zeit der Kon­flik­te ist ein Ruf Got­tes, der uns die­ses Geschenk macht. Wol­len wir es emp­fan­gen oder bevor­zu­gen wir ande­re Geschen­ke? Die­ses Weih­nach­ten in einer von Krie­gen erschüt­ter­ten Welt, läßt mich an die Geduld Got­tes den­ken. Die in der Bibel genann­te Haupt­tu­gend Got­tes ist, daß er die Lie­be ist. Er erwar­tet uns, nie wird er müde auf uns zu war­ten. Er schenkt die Gabe und dann erwar­tet er uns. Das geschieht auch im Leben eines jeden von uns. Es gibt jene, die das nicht beach­ten. Aber Gott ist gedul­dig und der Frie­den, die fried­vol­le Freu­de der Weih­nachts­nacht ist Aus­druck die­ser Geduld Got­tes mit uns.

Im Janu­ar wer­den es 50 Jah­re sein, seit Paul VI. sei­ne histo­ri­sche Rei­se ins Hei­li­ge Land mach­te. Wer­den auch Sie gehen?

Weih­nach­ten läßt uns immer an Bet­le­hem den­ken und Bet­le­hem ist ein prä­zi­ser Ort im Hei­li­gen Land, wo Jesus leb­te. In der Hei­li­gen Nacht den­ke ich vor allem an die Chri­sten, die dort leben, jene, die Schwie­rig­kei­ten haben, an die vie­len von ihnen, die aus ver­schie­de­nen Schwie­rig­kei­ten die­ses Land ver­las­sen muß­ten. Aber Bet­le­hem bleibt Bet­le­hem. Gott kam in einem bestimm­ten Punkt zur Welt, in einem bestimm­ten Land ist die Zärt­lich­keit Got­tes, die Gna­de Got­tes erschie­nen. Wir kön­nen nicht an Weih­nach­ten den­ken, ohne an das Hei­li­ge Land zu den­ken. Vor 50 Jah­ren hat­te Paul VI. den Mut hin­aus­zu­ge­hen, um dort­hin zu gehen und so begann die Epo­che der päpst­li­chen Rei­sen. Auch ich wün­sche hin­zu­ge­hen, um mei­nen Bru­der Bar­tho­lo­mä­us zu tref­fen, den Patri­ar­chen von Kon­stan­ti­no­pel und mit ihm die­ses 50. Jah­res­ta­ges zu geden­ken und die Umar­mung zwi­schen Papst Mon­ti­ni und Athe­n­agoras von 1964 in Jeru­sa­lem zu erneu­ern. Wir berei­ten uns dar­auf vor.

Sie haben mehr­fach schwer­kran­ke Kin­der getrof­fen. Was kön­nen Sie zu die­sem unschul­di­gen Lei­den sagen?

Ein Lehr­mei­ster des Lebens war für mich Dosto­jew­ski und die­se expli­zi­te und impli­zi­te Fra­ge war immer in mei­nem Her­zen: War­um lei­den die Kin­der? Es gibt kei­ne Erklä­rung. Mir fällt die­ses Bild ein: an einer bestimm­ten Stel­le sei­nes Lebens „wacht“ ein Kind auf, es ver­steht vie­le Din­ge nicht, es fühlt sich bedroht, es beginnt dem Vater oder der Mut­ter Fra­gen zu stel­len. Es ist das Alter des „War­um“. Wenn das Kind frägt, hört es aber nicht alles, was du ihm zu sagen hast, es löchert dich sofort mit neu­en „War­um?“. Das was es noch mehr sucht als die Erklä­rung, ist der Blick des Vaters, der ihm Sicher­heit gibt. Vor einem lei­den­den Kind ist das ein­zi­ge Gebet, das mir kommt, das Gebet des War­um. War­um Herr? Er erklärt mir nichts. Aber ich spü­re, daß er mich anschaut. Und so kann ich sagen: Du kennst das War­um, ich ken­ne es nicht und Du sagst es mir nicht, aber Du schaust mich an und ich ver­traue Dir, Herr, ich ver­traue Dei­nem Blick.

Wenn man über das Lei­den der Kin­der spricht, kann man nicht die Tra­gö­die derer ver­ges­sen, die Hun­ger leiden.

Mit der Nah­rung die wir zuviel haben und die wir weg­wer­fen, könn­ten wir sehr vie­len zu essen geben. Wenn wir es schaf­fen wür­den, nichts zu ver­schwen­den, die Nah­rung wie­der­zu­ver­wer­ten, dann wür­de der Hun­ger in der Welt stark abneh­men. Es beein­druck­te mich, eine Sta­ti­stik zu lesen, die von 10.000 Kin­der spricht, die jeden Tag in der Welt an Hun­ger ster­ben. Es gibt vie­le Kin­der, die wei­nen, weil sie Hun­ger haben. Vor eini­gen Tagen bei der Mitt­wochs­au­di­enz stand hin­ter der Absper­rung eine jun­ge Mut­ter mit ihrem weni­ge Mona­te alten Kind. Als ich vor­bei­kam, wein­te das Kind laut. Die Mut­ter strei­chel­te es. Ich sag­te ihr: Ich den­ke, das Kind hat Hun­ger. Sie ant­wor­te­te: ja, es wäre Zeit… Ich sag­te ihr: dann geben Sie ihm bit­te zu essen! Sie hat­te Scham und woll­te nicht in der Öffent­lich­keit stil­len wäh­rend der Papst vor­bei­kommt. Nun, ich möch­te das­sel­be der Mensch­heit sagen: gebt zu essen! Die­se Frau hat­te die Milch für ihr Kind, in der Welt haben wir aus­rei­chend Nah­rung um alle satt zu machen. Wenn wir mit den huma­ni­tä­ren Orga­ni­sa­tio­nen arbei­ten und es schaf­fen, uns alle einig zu sein, kei­ne Nah­rung zu ver­schwen­den, indem wir sie denen zukom­men las­sen, die es brau­chen, dann wer­den wir einen gro­ßen Bei­trag dazu lei­sten, die Tra­gö­die des Hun­gers in der Welt zu lösen. Ich möch­te der Mensch­heit wie­der­ho­len, was ich der Mut­ter gesagt habe: gebt denen zu essen, die Hun­ger haben! Die Hoff­nung und die Zärt­lich­keit der Weih­nacht des Herrn rüt­teln uns aus der Gleich­gül­tig­keit auf.

Eini­ge Tei­le von Evan­ge­lii Gau­di­um haben Ihnen die Angrif­fe ultra­kon­ser­va­ti­ver Ame­ri­ka­ner zuge­zo­gen. Was für einen Ein­druck macht es einem Papst, als „Mar­xist“ bezeich­net zu werden?

Die Mar­xi­sti­sche Ideo­lo­gie ist falsch. Aber in mei­nem Leben haben ich vie­le Mar­xi­sten ken­nen­ge­lernt, die gute Men­schen waren und des­halb füh­le ich mich nicht belei­digt. In der Exhorta­tio fin­det sich nichts, was sich nicht auch in der kirch­li­chen Sozi­al­leh­re fin­det. Ich habe nicht von einem tech­ni­schen Blick­win­kel aus gespro­chen, ich habe ver­sucht ein Abbild des­sen dar­zu­stel­len, was geschieht. Das ein­zi­ge spe­zi­fi­sche Zitat betrifft die „Überlauf“-Theorien (trick­le-down Theo­rie), laut denen jedes, vom frei­en Markt begün­stig­te wirt­schaft­li­che Wachs­tum, von sich aus mehr Gleich­heit und sozia­le Ein­bin­dung in der Welt schafft. Es gab das Ver­spre­chen: wenn das Glas voll sein wird, wer­de es über­ge­hen und auch die Armen wür­den davon Nut­zen zie­hen. Die Wirk­lich­keit ist aber eine ande­re: sobald es voll ist, ver­grö­ßert sich auf magi­sche Wei­se das Glas und so fällt nie etwas für die Armen ab. Das ist der ein­zi­ge kon­kre­te Hin­weis auf eine spe­zi­fi­sche Theo­rie. Ich wie­der­ho­le: ich habe nie als Tech­ni­ker gespro­chen, son­dern gemäß der Sozi­al­leh­re der Kir­che. Und das bedeu­tet nicht, ein Mar­xist zu sein.

Sie haben eine „Ver­än­de­rung des Papst­tums“ ange­kün­digt. Haben Ihnen die Begeg­nun­gen mit den ortho­do­xen Patri­ar­chen einen kon­kre­ten Weg nahegelegt?

Johan­nes Paul II. sprach noch aus­drück­li­cher von einer Form der Pri­mats­aus­übung, die sich einer neu­en Situa­ti­on öff­net. Aber nicht nur vom Gesichts­punkt der öku­me­ni­schen Bezie­hun­gen aus, son­dern auch der Bezie­hun­gen zwi­schen der Kurie und den Orts­kir­chen. In die­sen neun Mona­ten habe ich die Besu­che vie­ler ortho­do­xer Brü­der emp­fan­gen, Bar­tho­lo­mä­us, Hila­ri­on, den Theo­lo­gen Ziziou­las, den Kop­ten Tawa­dros: Letz­te­rer ist ein Mysti­ker, er betrat die Kapel­le, zog die Schu­he aus und bete­te. Ich fühl­te mich als ihr Bru­der. Sie haben die apo­sto­li­sche Suk­zes­si­on, ich habe sie wie Brü­der im Bischofs­amt begrüßt. Es ist ein Schmerz noch nicht gemein­sam die Eucha­ri­stie zele­brie­ren zu kön­nen, aber die Freund­schaft gibt es. Ich den­ke, daß das der Weg ist: Freund­schaft, gemein­sa­me Arbeit, und Gebet für die Ein­heit. Wir haben uns gegen­sei­tig geseg­net, ein Bru­der seg­net den ande­ren, ein Bru­der heißt Petrus und ein ande­rer heißt Andre­as, Mar­kus, Thomas…

Ist die Enheit der Chri­sten für Sie eine Priorität?

Ja, für mich hat die Öku­me­ne Vor­rang. Heu­te exi­stiert eine Öku­me­ne des Blu­tes. In eini­gen Län­dern töten sie die Chri­sten, weil sie ein Kreuz tra­gen oder eine Bibel haben und bevor sie sie töten, fra­gen sie sie nicht, ob sie Angli­ka­ner, Luthe­ra­ner, Katho­li­ken oder Ortho­do­xe sind. Das Blut ist durch­mischt. Für die, die töten, sind wir Chri­sten. Ver­eint im Blut, auch wenn wir unter uns es noch nicht schaf­fen, die nöti­gen Schrit­te zur Ein­heit zu set­zen und viel­leicht ist die Zeit noch nicht gekom­men. Die Ein­heit ist eine Gna­de, um die man bit­ten muß. Ich kann­te in Ham­burg einen Pfar­rer, der die Hei­lig­spre­chung eines katho­li­schen Prie­sters betrieb, der von den Nazis ent­haup­tet wor­den war, weil er die Kin­der den Kate­chis­mus lehr­te. Nach ihm in der Rei­he der Ver­ur­teil­ten war ein luthe­ri­scher Pastor, der aus dem­sel­ben Grund hin­ge­rich­tet wur­de. Ihr Blut hat sich ver­mischt. Die­ser Pfar­rer erzähl­te mir, daß er zum Bischof ging und ihm sag­te: „Ich ver­fol­ge wei­ter­hin die Cau­sa, aber von bei­den, nicht nur des Katho­li­ken“. Das ist die Öku­me­ne des Blu­tes. Sie exi­stiert auch heu­te, es genügt die Zei­tun­gen zu lesen. Jene, die die Chri­sten töten fra­gen dich nicht nach dem Per­so­nal­aus­wei­se um zu wis­sen, in wel­cher Kir­che du getauft bist. Wir müs­sen die­se Rea­li­tät berücksichtigen.

In der Exhorta­tio haben Sie zu klu­gen und küh­nen pasto­ra­len Ent­schei­dun­gen ein­ge­la­den was die Sakra­men­te betrifft. Auf was haben Sie sich bezogen?

Wenn ich von Klug­heit spre­che, den­ke ich nicht eine läh­men­de Hal­tung, son­dern an eine Tugend für die, die regie­ren. Die Klug­keit ist eine Regie­rungs­tu­gend. Auch die Kühn­heit ist es. Man muß mit Kühn­heit und mit Klug­heit regie­ren. Ich sprach von der Tau­fe und der Gemein­schaft, als geist­li­che Nah­rung um vor­wärts zu gehen, als Hilfs­mit­tel und nicht als Prä­mie. Eini­ge haben sofort an die Sakra­men­te für die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen gedacht, aber ich bin nicht auch spe­zi­el­le Fäl­le ein­ge­gan­gen: ich woll­te nur einen Grund­satz auf­zei­gen. Wir müs­sen ver­su­chen, den Glau­ben der Men­schen zu erleich­tern, statt ihn zu kon­trol­lie­ren. Im ver­gan­ge­nen Jahr habe ich in Argen­ti­ni­en die Hal­tung eini­ger Prie­ster kri­ti­siert, die nicht die Kin­der jun­ger Müt­ter tauf­ten. Das ist eine kran­ke Mentalität.

Und bezüg­lich der wie­der­ver­hei­ra­tet Geschiedenen?

Der Aus­schluß von der Kom­mu­ni­on für die Geschie­de­nen, die in einer zwei­ten Ver­bin­dung leben ist kei­ne Stra­fe. Es ist gut das in Erin­ne­rung zu rufen. Aber ich habe davon in der Exhorta­tio nicht gesprochen.

Wird das die näch­ste Bischofs­syn­ode behandeln?

Die Syn­oda­li­tät der Kir­che ist wich­tig: über die Ehe in ihrer Kom­ple­xi­tät wer­den wir in den Ver­samm­lun­gen des Kon­si­sto­ri­ums im Febru­ar spre­chen. Dann wird das The­ma von der außer­or­dent­li­chen Bischofs­syn­ode im Okto­ber 2014 behan­delt und auch in der ordent­li­chen Syn­ode des dar­auf­fol­gen­den Jah­res. Bei die­sen Gele­gen­hei­ten wer­den vie­le Din­ge ver­tieft und sich klären.

Wie schrei­tet die Arbeit Ihrer acht „Bera­ter“ für die Kuri­en­re­form voran?

Die Arbeit ist lang­wie­rig. Wer Vor­schlä­ge vor­brin­gen oder Ideen über­mit­teln woll­te, hat es getan. Kar­di­nal Ber­tel­lo hat die Stel­lung­nah­men aller vati­ka­ni­schen Dik­aste­ri­en ein­ge­holt. Wir haben Emp­feh­lun­gen von den Bischö­fen der gan­zen Welt erhal­ten. Bei der jüng­sten Ver­samm­lung der acht Kar­di­nä­le sag­ten sie, daß wir am Punkt ange­langt sind, kon­kret Vor­schlä­ge zu machen, und beim näch­sten Tref­fen im Febru­ar, wer­den sie mir ihre ersten Emp­feh­lun­gen über­ge­ben. Ich bin bei den Tref­fen immer dabei, aus­ge­nom­men am Mitt­woch vor­mit­tag wegen der Gene­ral­au­di­enz. Aber ich äuße­re mich nicht, ist höre nur zu, und das tut mir gut. Ein alter Kar­di­nal sag­te mir vor eini­gen Mona­ten: „Die Kuri­en­re­form haben Sie bereits mit der täg­li­chen Mes­se in San­ta Mar­ta begon­nen.“ Das ließ mich den­ken: die Reform beginnt immer mit geist­li­chen und pasto­ra­len Initia­ti­ven noch vor struk­tu­rel­le Veränderungen.

Was ist das rich­ti­ge Ver­hält­nis zwi­schen Kir­che und Politik?

Das Ver­hält­nis muß zur sel­ben Zeit par­al­lel und über­ein­stim­mend sein. Par­al­lel, weil jeder hat sei­nen Weg und sei­ne ver­schie­de­nen Auf­ga­ben. Über­ein­stim­mend nur bei der Hil­fe für das Volk. Wenn die Bezie­hun­gen frü­her über­ein­stim­men, ohne das Volk oder ohne Rück­sicht auf das Volk, beginnt jenes Ver­ban­deln mit der poli­ti­schen Macht, das dazu führt, die Kir­che ver­fau­len zu las­sen: die Geschäf­te, die Kom­pro­mis­se … Man muß par­al­lel vor­ge­hen, jeder mit der eige­nen Metho­de, den eige­nen Auf­ga­ben, der eige­nen Beru­fung. Über­ein­stim­mend nur beim Gemein­wohl. Die Poli­tik ist edel, es ist eine der höch­sten For­men der Näch­sten­lie­be, wie Paul VI. sag­te. Wir beschmut­zen sie, wenn wir sie für Geschäf­te miß­brau­chen. Auch die Bezie­hung zwi­schen Kir­che und poli­ti­scher Macht kann ver­dor­ben sein, wenn sie nicht aus­schließ­lich auf das Gemein­wohl abzielt.

Darf ich Sie fra­gen, ob wir Frau­en als Kar­di­nä­le haben werden?

Das ist ein Scherz, von dem ich nicht weiß, wo der her­kommt. Die Frau­en in der Kir­che müs­sen auf­ge­wer­tet, aber nicht „kle­ri­ka­li­siert“ wer­den. Wer an Kar­di­nä­lin­nen denkt, lei­det etwas unter Klerikalismus.

Wie schrei­ten die Rei­ni­gungs­ar­bei­ten bei der Vatik­an­bank IOR voran?

Die betref­fen­den Kom­mis­sio­nen arbei­ten gut. Money­val hat uns ein gutes Urteil aus­ge­stellt, wir sind auf dem rich­ti­gen Weg. Was die Zukunft des IOR anbe­langt, wird man sehen. Zum Bei­spiel: die „Zen­tral­bank“ des Vati­kan ist die APSA [Güter­ver­wal­tung des Apo­sto­li­schen Stuhls]. Das IOR wur­de errich­tet, um den reli­giö­sen Wer­ken, den Mis­sio­nen und den armen Kir­chen zu hel­fen. Danach ist dar­aus gewor­den, was es heu­te ist.

Konn­ten Sie sich vor einem Jahr vor­stel­len, daß Sie Weih­nach­ten 2013 im Peters­dom zele­brie­ren würden?

Abso­lut nicht.

Haben Sie erwar­tet, gewählt zu werden?

Ich habe es mir nicht erwar­tet. Ich habe die Ruhe nicht ver­lo­ren, als die Stim­men anwuch­sen. Ich bin ruhig geblie­ben. Und die­ser Frie­den ist noch heu­te da, ich betrach­te ihn als Geschenk des Herrn. Als der letz­te Wahl­gang zu Ende war, brach­ten sie mich in die Mit­te der Six­ti­ni­schen Kapel­le und ich wur­de gefragt, ob ich anneh­me. Ich habe Ja gesagt, und gesagt, daß ich mich Fran­zis­kus nen­nen wer­de. Erst dann habe ich mich ent­fernt. Ich wur­de in den dane­ben lie­gen­den Raum geführt, um mich umzu­zie­hen. Dann, kurz bevor ich mich zeig­te, bin ich nie­der­ge­kniet, um eini­ge Minu­ten gemein­sam mit den Kar­di­nä­len Val­li­ni und Hum­mes in der Pao­li­ni­schen Kapel­le zu beten.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Osser­va­to­re Romano

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