(Amman) Entführungen, Vergewaltigungen, Kinderhochzeiten mit alten Saudis. Die Tageszeitung der italienischen Bischöfe berichtet über die katastrophale Lage in einem Flüchtlingslager in Jordanien, in dem syrische Flüchtlinge untergebracht sind. Zaatari ist das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. In Zelten und Wohncontainern sind 132.000 syrische Flüchtlinge untergebracht, darunter viele Christen, aber auch Alawiten, Drusen und Sunniten.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk spricht von 132.000 Verzweifelten, die das Lager von Zaatari in Jordanien bevölkern. Einer gewisser Sinn für Humor ist den Flüchtlingen dennoch nicht abhanden gekommen. Sie haben die Hauptstraße durch das Lager umbenannt in Champs-Elysées. Das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt hat allerdings nichts von der Mondänität und dem Charme der französischen Prachtstraße aus der zweiten Kaiserzeit. Die Menschen leben dichtgedrängt in Zelten und Zinkcontainern. Die Kinder werden von klein auf zu „Experten des Todes, der Gewalt und der Angst“.
Die Skorpione in den Zelten
Paolo Lambruschi erzählt im Bericht von seinem Besuch in Zaatari. Er erzählt das Leben in der Behelfsstadt, die aufgrund ihrer Bewohnerzahl bereits zu den „Großstädten“ zählt, vergleichbar Städten wie Regensburg, Würzburg, Bern, Lausanne, Salzburg oder Innsbruck. Zaatari liegt nur 15 Kilometer hinter der syrischen Grenze auf jordanischem Gebiet. Das Lager ist von Militär umstellt, der Zugang zum Lager wird von der jordanischen Polizei überwacht. Vor allem wer raus will aus dem Lager, wird kontrolliert. Verlassen kann man es nur zeitweise, wenn triftige Gründe vorliegen oder man verläßt es ganz.
„Das Leben in den Zelten ist die Hölle. 90 Prozent des jordanischen Staatsgebiets besteht aus Wüste. Die Sommer sind brütend heiß und es wimmelt von Skorpionen und Schlangen. Die Winter sind unwirtlich kalt mit dem Wind, der zudem den Wüstensand in die letzte Ritze bläst. Dennoch spielt sich das Leben in Zaatari fast ausschließlich in den Zelten und Containern ab. Viele wagen sich kaum ins Freie. Kriminalität, Gewalt und Vandalismus beherrschen die Szene. Polizei und Militär bewachen das Lager von außen. In seinem Inneren sind die 132.000 Menschen weitgehend auf sich selbst gestellt. Es fehlt die ordnungsstiftende Autorität und es fehlen die Enrichtungen, Ordnung durchzusetzen. Die Lage ist zur Tragödie in der Tragödie geworden zum Schaden der Schwächeren. Der Stärkere verschafft sich gewaltsam Recht auf Kosten der anderen. Und diese Stärkeren gibt es immer und überall.
Entführte Kinder, vergewaltigte Frauen, Pädophilenringe
Nach Sonnenuntergang herrscht eine Art freiwillige Ausgangssperre. Die Lagerstraßen wirken gespenstisch verlassen. Der Grund dafür ist erschreckend: zahlreiche Kinder wurden aus dem Lager geraubt, viele Frauen vergewaltigt. Die UNO ist mit sechs Feldlazaretten im Lager anwesend. Doch kontrolliert werden das Lager und ebenso der Zugang zu den Behelfskrankenhäusern von der „organisierten Kriminalität“ Jordaniens. Sie beliefert die kleinen Geschäfte, die im Lager Waren verkaufen. Sie hat rund um das Lager einen verabscheuungswürdigen, großen Pädophilenhandel aufgezogen. „Es gibt sogar Flüchtlinge, die verkaufen ein Kind, um die anderen drei, vier Kinder zu erhalten“, so Lambruschi. Im Lager selbst wurden bereits mehrere Bordelle mit weiblichen und männlichen Kinderprostituierten ausgehoben, „die von Jordaniern und Syrern betrieben wurden“. Wie viele solcher „Orte der Schande“ es im und um das Lager gibt, weiß niemand genau, heißt es bei der UNO.
Zwangsehen alter Saudis mit Minderjährigen – nach wenigen Wochen wird sie „weggeworfen“
Es gibt auch das Problem der Zwangsehen. „Aus den Golfemiraten, Saudi-Arabien und Jordanien kommen alte Männer, um sich eine weitere Frau zu suchen. Bevorzugt werden 12–13jährige Mädchen. Sie zahlen der Familie, meist der Mutter, denn die Väter sind gefallen, umgebracht worden oder kämpfen in Syrien, ungefähr 500 Dollar. Die Ehe wird nicht offiziell registriert, weil Jordanien die Eheschließung mit Minderjährigen untersagt. Das interessiert aber niemand. Nach islamischem Recht ist die Ehe gültig. „Die alten Männer fallen über die Mädchen her und nach einigen Wochen verstoßen sie sie und kehren in ihre Herkunftsländer zurück. „Die Mädchen werden ihrem Schicksal überlassen, das irreversibel kompromittiert ist. Das aber interessiert rund um das Geschäft nicht“, so Lambruschi.
Die Jüngsten dürfen am leichtesten das Lager verlassen. Die Polizei geht davon aus, daß sie sicher ins Lager zurückkehren. Die Kinder versuchen außerhalb kleine Arbeiten zu verrichten, um zwei, drei Euro für die Familie zu verdienen. Die „Ausflüge“ in die Welt außerhalb des Lagers sind nicht ungefährlich. Nicht immer treffen sie auf Menschen, die um das Schicksal im Lager wissen und sich dafür interessieren. Kriminelle Banden entführen immer wieder Kinder. Ihr Schicksal ist ungewiß.
Hilfe Europas vor Ort gefordert statt Flüchtlingskontingente
Im Lager breiten sich Armut und Verzweiflung aus. Laut UNO-Flüchtlingshilfswerk handelt es sich um meine „humanitäre Bombe“, die an der Grenze zu Syrien tickt. Europa wäre gefordert, den Menschen vor Ort durch konkrete Hilfe Hoffnung zu geben, statt über Flüchtlingskontingente zu streiten, die man in europäischen Staaten aufnehmen will. „Die Menschen wollen in ihre Heimat zurückkehren, so bald als möglich. Sie nach Europa zu verfrachten, ist die falsche Antwort“, sagt Pater Demetrios Al-Murr von den mit Rom unierten Melkiten.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Tempi