(Rom) Der traditionsverbundene Rechtsphilosoph Mario Palmaro, den Papst Franziskus an Allerheiligen mit einem Telefonanruf beschenkte, und der Journalist Alessandro Gnocchi befassen sich in ihrem jüngsten Aufsatz mit der Kritik am „Denzinger“, die stark in Mode gekommen sei. Gemeint ist das „Enchiridion Symbolorum“, das 1854 erstmals vom Würzburger Dogmatiker Heinrich Denzinger als Sammlung der wichtigsten Lehrdokumente der Katholischen Kirche erschienen ist. Palmaro und Gnocchi machen sogar eine tiefsitzende Abneigung gegen diese dogmatische Präzision aus, die die Kirche immer auszeichnete, und spüren den Gründen für diese Aversion nach. Ausgangspunkt dabei ist das inzwischen von der Internetseite des Vatikans gelöschte Interview, das Papst Franziskus dem Atheisten Eugenio Scalfari gewährt hatte. Ein Interview, das viel Verwirrung stiftete: durch seinen Inhalt, durch die unkritische Aufnahme in manchen katholischen Kreisen, durch die Verteidigung desselben gegen innerkirchliche Kritik und nicht zuletzt auch durch die Art, wie es vom Vatikan gehandhabt wurde, etwa durch die Aussagen von Vatikansprecher Pater Federico Lombardi und die kommentarlose vollinhaltliche Veröffentlichung durch den Osservatore Romano und die Internetseite des Heiligen Stuhls. Wohlwollend greifen die beiden katholischen Publizisten die jüngste Kritik von Papst Franziskus am „Geist der Welt“ auf. Konsequenterweise müsse jedoch auch offen beim Namen genannt werden, wer im katholischen Lager „gemeinsame Sache mit dem Feind“ macht, so die Einladung an den Papst, denn die Verwirrung sei groß, daß viele Katholiken nicht mehr wissen, was überhaupt katholisch ist und Freund von Feind nicht mehr zu unterscheiden wissen. So geschehe es, daß Katholiken, oft ohne es zu merken, unkatholische Positionen vertreten gegen andere Katholiken, die an der katholischen Lehre festhalten.
Papst Franziskus bedankte sich beim Telefongespräch mit Mario Palmaro für die Kritik, die er „brauche“. Radio Maria Italien hatte die beiden katholischen Publizisten wegen ihrer kritischen Anmerkungen zum Pontifikat entlassen. Ob sie nach dem Telefonat des Papstes wieder eingestellt werden, ist nicht bekannt. Programmdirektor Pater Livio Fanzaga begründete den Rauswurf in den vergangenen Wochen mehrfach mit Gegenkritik an den „Denzinger-Katholiken“.
Der Aufsatz von Palmaro und Gnocchi erschien am 20. November in der Tageszeitung „Il Foglio“. Die Zwischentitel wurden von der Redaktion gewählt.
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Der „Denzinger“ und die halbierte Weltlichkeit
von Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi
Es wurde „mit Freude“ aufgenommen, wie es in der Kirche von heute üblich ist, verteidigt ohne Wenn und Aber, hermeneutisiert wie man es braucht und schließlich von der Internetseite des Vatikans gelöscht, wo es für anderthalb Monate veröffentlicht stand: die Rede ist vom Interview, das Papst Franziskus Eugenio Scalfari gab. Es wurde mit einem einfachen Klick zu den Akten gelegt. Es sei als Ganzes zuverlässig, erklärte der Leiter des vatikanischen Presseamtes, Pater Lombardi, nicht aber in einigen Einzelstellen, auch wenn die umstrittene Passage über das Gewissen „völlig mit dem Katechismus der Katholischen Kirche vereinbar“ sei.
„Keinen Kuhandel mit Gottes Treue treiben“ oder Kirche als äquidistanter Vermittler zwischen Gott und Welt?
Obwohl nun in den Aktenordnern für bloße Chronikereignisse abgelegt, bleibt der Vorfall ein Indikator für einen Grad an Verwirrung, der selbst für ein Feldlazarett zuviel ist. Es ist schon seltsam, daß sich niemand die Frage stellte, vorher und vorsichtshalber, ob der Interviewer der Voltaire-Presse ein Kranker war, der kam, um sich heilen zu lassen, oder ein gar nicht sonderlich getarnter Giftschmierer. Zu erkennen, was das Anliegen des weltlichen Gesprächspartners ist, ist eine Frage, die Papst Franziskus selbst in seiner Predigt in Santa Marta am vergangenen Montag als von grundlegender Bedeutung bezeichnete. Eine Stelle aus dem Buch der Makkabäer auslegend, warnte der Papst davor mit der Treue Gottes einen Kuhhandel zu betreiben, denn der Geist der Welt verhandelt alles. Doch der Ist-Zustand der postmodernen Kirche präsentiert sich seit Jahrzehnten mehr als neutraler Ort der Vermittlung statt einer Festung, die entschlossen ist, der Welt zu widerstehen. Sie scheint ein Ort, an dem viele selbstzufrieden Maßstäbe, Methoden und Instrumente verwenden, mit denen sie sowohl die Schmeicheleien der Welt als auch die Klagen der Kirche verstehen.
Die Spannung einer begründeten Strenge, die unter Benedikt XVI. Wiedereinzug gehalten hatte und zusammen mit Askese und Gebet vor den Sirenengesängen der Welt schützte, scheint verdampft. Heute genügt es, die messerscharfe, aber liebevolle Präzision in Erinnerung zu rufen, mit der die Kirche sich immer zum Glauben, zur Lehre und zur Moral äußerte, um als ideologisierter Spezialist des Logos abgestempelt zu werden. Wehe, wer es wagt, das große Werk eines verdienten Pioniers der dogmatischen Theologie eines Heinrich Denzinger zu erwähnen: Er wird sofort bezichtigt, das Evangelium mit dem Enchiridion Symbolorum ersetzen zu wollen, jenem kristallklaren Kompendium der Haupttexte des Lehramtes, die als Damm dienen sollten, wo die Welt hinterfragt, provoziert, verhandelt und korrumpiert. Ständig aktualisiert im Lauf der Jahrzehnte, ist der „Denzinger“, benannt nach seinem ersten Herausgeber, einer der sichersten Bezugspunkte für jeden, der das immergültige Denken der Kirche kennenlernen und praktizieren möchte. Aber er gefällt nicht mehr. Er irritiert und nervt.
Abneigung gegen „Denzinger“? Karl Rahner weiß warum
Um den Grund für diese Abneigung herauszufinden, genügt es auf Wikipedia nachzulesen. In einer Mitleid erregenden einzigen Zeile heißt es in der italienischen Version: „Der große Fundamentaltheologe, der Jesuit Karl Rahner warnte Studenten und Gelehrte vor der reduktionistischen Gefahr einer ‚Theologie des Denzinger‘“. Wenn man bedenkt, daß der Erfinder der Theorie von den „anonymen Christen“ in der Kirche von heute den Heiligen Thomas von Aquin als doctor communis ersetzt hat, wird die generelle Abneigung gegen den „Denzinger“ verständlich, der ein strenger Richter gegen jeden ist, der sich darin gefällt, sich ganz irgendeiner persönlichen Begegnung mit dem Evangelium zu überlassen. Auf irgendeine Weise kommt wieder das Thema des persönlichen Gewissens an die Oberfläche, das Rahner, ein Mitbruder von Papst Franziskus, in der Schwierigkeit zu glauben mit Begriffen beschrieb, die ohne Zweifel Schule gemacht haben und was für eine: Jeder folgt seinem eigenen Gewissen, sei es weil er meint, Christ sein zu müssen oder Nicht-Christ, sei es weil er meint, Atheist sein zu müssen oder gläubig, ein solches Individuum ist akzeptiert und akzeptiert von Gott und kann jenes ewige Leben erreichen, das wir in unserem christlichen Glauben als Ziel aller Menschen bekennen. Mit anderen Worten: die Gnade und Rechtfertigung, die Einheit und die Gemeinschaft mit Gott, die Möglichkeit das ewige Leben zu erlangen, das alles findet eine Hürde nur im schlechten Gewissen eines Menschen.
Vor dem Evangelium kann ein solcher Gedanken gar nicht anders, als eine Überprüfung durch die zwingende Strenge „Denzinger“ zu scheuen, die die zwingende Strenge der Kirche ist. Der katholische Glauben kann sich nicht einfach mit einer persönlichen Begegnung mit dem Evangelium begnügen. Der Dominikaner Roger-Thomas Calmel erklärt das Warum in der „Kurzen Apologetik der ewigen Kirche“: „Es gibt eine starke Wechselwirkung zwischen der Heiligen Schrift und den Konzilstexten und dem Katechismus. Wechseln wir also von der Lektüre des Alten und Neuen Testaments zu den Definitionen der Konzile oder der Päpste, um den genauen Inhalt, die wahre Bedeutung der Heiligen Texte zu verstehen. Dann kehren wir von den Konzilen und vom Katechismus zur Heiligen Schrift zurück, um nie den lebendigen, konkreten, übernatürlichen, unerschöpflichen Text aus den Augen zu verlieren, dessen notwendige Präzision und dessen Tiefe des Geheimnisses in den Texten des kirchlichen Lehramtes zum Ausdruck kommt.“
Glaubenswahrheit für modernen Menschen unverständlich?
Der Krieg gegen den „Denzinger“ und damit gegen die harmonische Darlegung und Konkretierung der ewiggültigen Lehre der Kirche, kommt von weit her. Nicht von ungefähr sagt Rahner, daß die „Verlautbarungen des überlieferten Glaubens zu einem großen Teil ungeeignet sind, zumindest was die erste und wichtigste Sache betrifft: die Glaubensverkündigung“. Vorgaben wie „Gott besteht aus drei Personen“ oder „wir sind durch das Blut Jesu Christi gerettet“, seien „für den modernen Menschen schlicht und einfach unverständlich“. Sie würden denselben Eindruck vermitteln, wie die Mythologie einer Religion vergangener Zeiten. Laut dem Jesuitentheologen habe Jesus, der Lazarus von den Toten erweckt, für den modernen Menschen denselben Geschmack wie Herakles, der Hydra oder Theseus, der den Minotaurus besiegt. Daher bleibt nichts anderes, als die Verkündigung zu reformieren, auf die Wellenlänge der Moderne einzustellen und die Worte dafür den Wünschen des neuen Publikums zu entnehmen.
Giuseppe Siri, ein Kardinal, der riskierte Papst zu werden, erfaßte die Frage mit bestechender Klarsicht, wenn er in „Getsemani“ schrieb: „Mit dem Beginn der Säkularisierung setzte der große Tod ein: die Welt enthält die Kräfte zur vollständigen Entfaltung der Menschen und ist auch das Umfeld, in dem der Zweck des menschlichen Lebens erreicht werden muß; es würde demnach genügen, die Unterscheidung zwischen Sakralem und Profanem, zwischen Kirche und Welt abzuschaffen.“ Die Diagnose wurde, allerdings zustimmend gedacht, von Edward Schillebeeckx bestätigt, der 1970 sagte: „In Christus ist es nun möglich Amen zur Realität der Welt zu sagen und sie als Kult zu betrachten, denn seit der Erscheinung Jesu lebt die Vollkommenheit Gottes auf Erden.“
Kirche als Feldlazarett: Darin wirken aber Ärzte, die den Patienten heilen und solche, die ihn euthanasieren
Wenn die Welt das Objekt des neuen Kultes ist, ist es natürlich unmöglich in irgendeinen Konflikt mit ihr zu treten. Die amerikanischen Bischöfe, die Barack Obama Widerstand leisten, folgen daher natürlich nicht Rahner und Schillebeeckx. Aber Hunderte von Jesuiten mit ihren katholischen Universitäten und Hunderte von rebellierenden Ordensfrauen sagen Amen zum US-Präsidenten und vollziehen den Kult der Welt. Das eigentliche Problem des Feldlazaretts ist es daher zu erkennen und zu unterscheiden, wer darin die heilsame Medizin verteilt und wer hingegen den Patienten euthanasiert.
Wenn es wahr ist, daß der weltliche Geist sogar dazu verführt, Gottes Treue zu verhandeln, wie der Papst in seiner Predigt sagte, dann sollte man auch den Mut haben, zu sagen, wer im katholischen Lager mit dem Feind gemeinsame Sache macht. Es ist nicht möglich, mit dem Finger auf die Schmeicheleien der Welt zu zeigen, aber Rahner zu dulden, der sagt: „Mit dem Fortschreiten der Gnadengeschichte, wird die Welt immer unabhängiger, reifer, profaner und muß daran denken, sich selbst zu verwirklichen. Diese wachsende geschichtliche Weltlichkeit (…) ist kein Unglück, das sich hartnäckig der Gnade und der Kirche widersetzt, sondern die Art, in der die Gnade sich langsam in der Schöpfung verwirklicht“.
Im Kielwasser des zweideutigen und zwanghaften „Primats des Wortes“ und des lutherischen sola fide, ist die Kirche soweit gekommen, daß sie sich im verkehrten Horizont eines Pelagianismus widerspiegelt, der die Sünde leugnet und die Welt feiert.
Das Ergebnis ist jedenfalls eine Schwächung der Überlieferung und ihres Auftrags als Mater et Magistra. Das freie Gewissen, der Subjektivismus, die sola scriptura übernehmen die Kontrolle und höhlen die Bedeutung der Bischöfe und des Papstes aus. Der logische Rahmen dieser Operation ist allerdings äußert schwach, denn es ist die Überlieferung die dem Wort vorausgeht und es definiert. Es ist die Kirche, die festlegt, welches die Heiligen Texte sind und wie sie zu interpretieren sind. Eine Tatsache, die es letztlich unmöglich macht, das Christentum als „Buchreligion“ zu bezeichnen, ein mißverständlicher Begriff, der aus dem Protestantismus in die katholische Kirche eingedrungen ist. Die Kirche geht historisch und logisch der Schrift voraus und deshalb, so Kardinal Siri, „relativiert der, der die Tradition relativiert, auch die Schrift.“
Die ewige und einmalige Schönheit der Katholischen Kirche
Die ewige und einmalige Schönheit der Katholizität besteht in der Fähigkeit, alle diese Elemente zusammenzufügen und zu harmonisieren. In der ständigen Spannung zwischen Vernunft und Geheimnis, zwischen weltlicher Sehnsucht und himmlischer Antwort, entsteht in Geduld ein Abdruck, in den sich die magmatische und formlose Kreatur bettet, um wie ein Schmetterling aus Puppe neu zu erstehen. Denn die Lehre zu kennen, heißt sie zu lieben und zu befolgen, indem man ihren Formen und Definitionen zustimmt und sie annimmt. Es sind Gebete nach Formulierungen zu sprechen, die durch unergründliche Eingebung, aber mit Präzision von anderen formuliert wurden. Dann sprudelt hervor, fern von Gefühlen, Abschweifungen, unnötigen Reden und ohne ein Iota zuviel, das, was von der Glückseligkeit auf dieser Erden gewährt ist, ein Flüstern, ein Tun und Leben statt eines Diskutierens: „Die vielen Reden nützen der Seele nicht“, lehrt die Nachfolge Christi, „aber ein gutes Leben verschafft dem Geist Stärkung“.
Die Verkündigung an Maria vom Evangelisten Lukas erzählt, würde in der betenden Seele nicht dieselbe Spannung für die Gottesgebärerin erzeugen, von der der Heilige Ambrosius predigte, wenn nicht das Konzil von Ephesus 431 nicht die Wahrheit so durchdrungen hätte und in der Lehre die Jungfrau als Theotokos, Mutter Gottes, definiert hätte. Dort heißt es, wenn jemand nicht bekennt, daß Emmanuel in Wahrheit Gott ist und die heilige Jungfrau deshalb Gottesgebärerin ist, weil sie das fleischgewordene, aus Gott entstammte Wort dem Fleische nach geboren hat, der sei ausgeschlossen. Die Christen liebten nichts mehr als diese Klarheit. „Das ganze Volk der Stadt wartete vom Morgen bis zum Abend auf die Entscheidung des Heiligen Synod“, berichtet der Heilige Kyrill von Alexandrien, der maßgeblich am Zustandekommen des Beschlusses mitwirkte. „Als wir aus der Kirche heraustraten, wurden wir zu unseren Unterkünften begleitet. Es war abends, die ganze Stadt wurde beleuchtet, Frauen gingen vor uns mit Weihrauch. Jenen, die Seinem Namen fluchten, zeigte der Herr Seine Allmacht.“
Denen die ihn lesen, die ihn in liebevoller Wechselwirkung mit der Heiligen Schrift lesen, denen erzählt der „Denzinger“ diese Zeugnisse der Geschichte und nährt damit das rechtschaffene Leben, das wiederum den Geist nährt. Das ist das Leben der Kirche, das durch die Jahrhunderte fließt und ihnen Form verleiht, es ist die Tradition, die gebieterisch immer neu an die Seele klopft und sie zu einer Entscheidung auffordert.
Es gibt keine Alternative zum Kampf gegen den Geist der Welt
Es gibt keine Alternative zum Kampf gegen den Geist der Welt. Der Versuchung, sogar über den Glauben und die Treue Gottes zu verhandeln, kann man nur die Unveränderlichkeit und Ewiggültigkeit des Lehramtes entgegensetzen. Ihr ganzes Leben hindurch hat dies die Kirche getan, indem sie der Welt die Zeit und den Raum streitig machte, die beiden Dimensionen, in denen sich die Tradition entfaltet. Die Definitionen, die der „Denzinger“ sammelt, wurden ohne Änderung im Lauf der Jahrhunderte weitergegeben, ohne Veränderung gelangten sie bis an die entferntesten Grenzen der Erde und des Glaubens. Diese Seiten, die man heute so leicht im Buchhandel erwerben kann, legten die abenteuerlichsten Wege durch alle Erdteile zurück, wie Arold Innis in seinem epischen Werk Empire and Communications (Oxford 1950) erzählte. Sie reisten auf Pergament, einem „schweren Träger“, geeignet für die Bewahrung der unverändlichen und ewiggültigen relgiösen Wahrheit im Gegensatz zu dem, was auf Papyrus und Papier reiste, „leichten Trägern“, wie sie die weltliche Bürokratie bevorzugte, vergänglich und trügerisch.
So hat die Kirche von Rom das Reich Christi verkündet und Seele um Seele dafür gewonnen, Seelen von einfacher und von ausgefeilterer Intelligenz, die aber alle derselben Nahrung bedürfen. Wenn der selige John Henry Newman nicht der Wahrheit gegenübergesehen hätte, ausgedrückt in unveränderlichen Aussagen in Raum und Zeit, hätte er nie die Kraft und das Bedürfnis gehabt, die anglikanische Gemeinschaft zu verlassen, um der Kirche von Rom anzugehören. In seiner Apologia pro vita sua, erklärt der Kardinal, wie er den großen Schritt nach Hause erst dann machte, als er sich bewußt wurde, daß die Argumente der Anglikaner gegen die Konzilsväter von Trient dieselben waren, die auch gegen die Konzilsväter von Chalcedon vorgebracht wurden, und daß die Päpste des 16. Jahrhunderts zu verurteilen, bedeutete, auch die Päpste des 5. Jahrhunderts zu verurteilen. Das Drama der Religion, der Kampf zwischen Wahrheit und Irrtum war immer derselbe. Die Grundsätze und Vorgangsweise der Kirche sind heute dieselben wie jene der Kirche von damals. Die Grundsätze und Vorgangsweise der Häretiker von damals sind dieselben wie jene der Protestanten von heute. „Ich habe es mit Entsetzen festgestellt“, so Newman.
Doch die Kirche läßt keine Seele allein vor einer Wahrheit, die in Angst versetzen könnte. Jedem bietet sie die strenge und sanfte Liebkosung des Ritus an. Die Tradition zeigt sich dem Menschen immer durch ein heiliges Poem, das in der Katholizität, wie Domenico Giuliotti schreibt, seinen himmlischen Ausdruck in der eucharistischen Zelebration hat: „Die Heilige Messe, und nicht die Göttliche Komödie, ist das wirklich heilige ‚Poem‘, an das Himmel und Erde Hand angelegt haben (…) Gott, die Dreifaltigkeit und alle Engel bilden das Argument. Die Wandlung, die die Fleischwerdung erneuert, ist der Höhepunkt in diesem immensen Mysterium. Und der Priester ist gleichzeitig Thaumaturg und Poet“. Die Ausstrahlung des Himmels auf die Erde, Tradition und Liturgie sind fast konsubtantiell sogar in der Methode, mit der die Menschen an ihrer Ausformung beigetragen haben. Während das eine das Repertorium der Gedanken ist, gereinigt von allem, was nicht definitiv das Göttliche sagt, ist das andere die Komposition aus Gesten und unveränderlichen Worten, befreit von allem, was nur menschlich ist.
Die Kirche hat immer dem Sünder vergeben. Vergibt sie heute der Sünde?
Es sind zwei Zugänge zur selben Welt, wo jeder immer bekommt, was ihm zusteht, wo immer er sich auch befindet und in welcher Zeit auch immer er lebt. Auf Erden gibt es nichts Gerechteres. John Henry Newman erzählt dies mit sanfter Präzision in seinem Roman Verlust und Gewinn (London 1848), wenn er die Gedanken und die Eindrücke der jungen Hauptfigur beschreibt, die zum ersten Mal einer katholischen Meßfeier beiwohnt. Damals waren dieselbe Lehre und dieselbe Liturgie für alle gut, für die Heiligen und für die Sünder, für die Lebenden und für die Verstorbenen, für die Römer und für die Barbaren. Es gab noch nicht jenes Klagen, das Nicolas Gomez Davila später wahrnehmen sollte: „Die Kirche vergab einst den Sündern, heute hat sie beschlossen, den Sünden zu vergeben.“
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Verlag/Polis (Montage)