Postmoderner Papst Franziskus will theologische Diskussion überwinden – Die Niederlage Benedikts XVI.


Die Niederlage Benedikts XVI. und der Aufstieg des ersten wirklichen Konzilspaptes Franziskus(Rom) Das Lei­den, an dem die Kir­che krankt, rührt von weit her. Sei­nen Aus­druck fin­det es dar­in, daß sich der Glau­ben von der tran­szen­den­ten Wahr­heit löst und zur „Erfah­rung“ wird. Der bekann­te Histo­ri­ker Rober­to de Mat­tei befaßt sich in sei­nem jüng­sten Auf­satz mit der Kri­tik an den Auf­sät­zen des Rechts­phi­lo­so­phen Mario Pal­ma­ro und des Jour­na­li­sten Ales­san­dro Gnoc­chi, in denen sie Beden­ken zu Aus­sa­gen und Gesten von Papst Fran­zis­kus äußern. De Mat­tei kommt dabei zum Schluß, daß Joseph Ratz­in­ger den Kampf um die Über­win­dung des „vir­tu­el­len“ Kon­zils ver­lo­ren hat. Eine Nie­der­la­ge, die auch daher rüh­re, daß er als Papst Bene­dikt XVI. die Fra­ge der Inter­pre­ta­ti­on des Kon­zils und damit die Dis­kus­si­on über Fehl­ent­wick­lun­gen der Nach­kon­zils­zeit nicht mit päpst­li­cher Auto­ri­tät ent­schied. Mehr noch, daß er mit einer blo­ßen Fra­ge der Her­me­neu­tik der von ihm erkann­ten Fehl­ent­wick­lung nicht wirk­lich etwas ent­ge­gen­ge­setzt hat, das Abhil­fe schaf­fen hät­te könn­nen. Durch die­se Nie­der­la­ge brei­te sich nun die neue „Pasto­ra­li­tät“ von Fran­zis­kus aus. Für de Mat­tei ist Fran­zis­kus der erste Papst, der wirk­lich das „Pro­dukt“ des  Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils auf dem Stuhl Petri ist. Die für einen Papst erstaun­li­chen wie unzu­mut­ba­ren theo­lo­gi­schen Unge­nau­ig­kei­ten, durch die Papst Fran­zis­kus auf­fällt, wären dem­nach kein Zufall, son­dern das Ergeb­nis des Vor­rangs, der der Glau­bens­pra­xis vor der Glau­bens­leh­re ein­ge­räumt wird. Unge­nau­ig­kei­ten bis hin zu Wider­sprüch­lich­kei­ten sei­en gewollt, da sich Papst Fran­zis­kus als post­mo­der­ner Papst ver­ste­he, der die theo­lo­gi­sche Dis­kus­si­on über­haupt über­win­den wol­le. Die Theo­lo­gie habe sich der situa­ti­ons­be­ding­ten pasto­ra­len Pra­xis zu unterwerfen.

Anzei­ge

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Die sich verflüssigende Kirche – Das Leiden der Kirche kommt von weit her

Von Rober­to de Mattei

Der Groß­teil derer, die sich von den Arti­keln von Ales­san­dro Gnoc­chi und Mario Pal­ma­ro in der Tages­zei­tung Il Foglio distan­ziert haben, beschränk­te sich auf eine grund­sätz­li­che Ver­ur­tei­lung und mied eine inhalt­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit den von den bei­den katho­li­schen Autoren berühr­ten Argu­men­ten. Doch die von Gnoc­chi und Pal­ma­ro auf­ge­wor­fe­nen Pro­ble­me drücken nicht nur das Unbe­ha­gen vie­ler aus, son­dern wer­fen eine Rei­he von Pro­ble­men auf, die über die Per­son von Papst Fran­zis­kus hin­aus­ge­hen und ins­ge­samt die ver­gan­ge­nen 50 Jah­re im Leben der Kir­che betref­fen. Gnoc­chi und Pal­ma­ro haben die­se Pro­ble­me bereits in einem Buch ans Tages­licht gebracht, das nicht die Auf­merk­sam­keit fand, die es ver­dient hät­te: (Dorn­rös­chen. War­um die Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil in eine Kri­se gera­ten ist. War­um sie sich wie­der erho­len wird. [1]La Bel­la addor­men­ta­ta. Per­ché dopo il Vati­ca­no II la Chie­sa ਠent­ra­ta in cri­si. Per­ché si ris­ve­glierà , Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2012 Die „schla­fen­de Schö­ne“ ist die Braut Chri­sti, die in ihrer gött­li­chen Erschei­nung ihre Schön­heit unver­än­dert bewahrt, aber in einen tie­fen Win­ter­schlaf gefal­len scheint. In ihrer mensch­li­chen Erschei­nung aber hat sie ein ent­stell­tes Gesicht von einer Pla­ge, die töd­lich schie­ne, wenn wir nicht wüß­ten, daß ihr Unsterb­lich­keit ver­hei­ßen ist.

Das Übel, das mit Zweitem Vatikanum zum Ausbruch gelangte

Das Übel, an dem die Kir­che lei­det, kommt aus der Fer­ne und kam mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil zum Aus­bruch, des­sen 50jähriges Geden­ken man fei­ert. Das Zwei­te Vati­ka­num, eröff­net am 11. Okto­ber 1963, war ein Pasto­ral­kon­zil, dem – laut eige­ner aus­drück­li­cher Erklä­rung – die vol­un­tas defi­ni­en­di fehl­te, das heißt die Absicht, in for­ma­ler Wei­se dog­ma­ti­sche Wahr­hei­ten zu defi­nie­ren. Die­se Pasto­ra­li­tät hat­te einen anor­ma­len Cha­rak­ter, wie ein emp­feh­lens­wer­tes, soeben erschie­ne­nes Buch des Phi­lo­so­phen Pao­lo Pas­qu­aluc­ci her­aus­streicht (Katho­li­ken erhe­bet die Her­zen! Kämp­fen wir furcht­los für das Wie­der­erstar­ken der Kir­che). [2]Cat­to­li­ci in alto i cuo­ri! Bat­ti­am­o­ci sen­za pau­ra per la rina­s­ci­ta del­la Chie­sa, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2013 Das Vati­ka­num II beschränk­te sich eben nicht dar­auf, auf neue Wei­se (nove) die über­lie­fer­te Leh­re aus­zu­drücken, son­dern woll­te zu eini­gen Punk­ten auch „neue Din­ge“ (nova) leh­ren. Kei­ne die­ser Neu­hei­ten wur­de mit dem Sie­gel einer dog­ma­ti­schen Defi­ni­ti­on aus­ge­stat­tet, aber in ihrer Gesamt­heit stell­ten sie ein regel­rech­tes Lehr­amt dar, das als Alter­na­ti­ve zum tra­di­tio­nel­len prä­sen­tiert wur­de. Im Namen des Vati­ka­num II erho­ben die Neue­rer den Anspruch, ab imis die gesam­te Kir­che zu refor­mie­ren. Um die­ses Ziel zu errei­chen, gin­gen sie vor allem auf der Ebe­ne der Pra­xis bezie­hungs­wei­se einer Pasto­ra­li­tät vor, die durch Anwen­dung selbst zur Dok­trin wur­de. Nicht zufäl­lig sehen Giu­sep­pe Albe­ri­go und sei­ne Schü­ler der „Schu­le von Bolo­gna“ in der Pasto­ra­li­tät die kon­sti­tu­ie­ren­de Dimen­si­on des Zwei­ten Vati­ka­nums. Im Namen des „Kon­zils­gei­stes“, der aus der Pasto­ra­li­tät des Kon­zils aus­strömt, wider­setz­ten sich die „Bolo­gne­ser“ der „Erneue­rung in der Kon­ti­nui­tät“, die von Bene­dikt XVI. ver­tre­ten wur­de und begrü­ßen heu­te mit Begei­ste­rung das Pon­ti­fi­kat von Papst Franziskus.

Benedikt XVI. legte seine Grundthese zum Konzil in zwei Reden am Anfang und Ende seines Pontifikats dar

Bene­dikt XVI. hat sei­ne Grund­the­se in zwei Reden dar­ge­legt, die sein Pon­ti­fi­kat ein­lei­te­ten und been­de­ten und einen Leit­fa­den bie­ten: jener an die Römi­sche Kurie vom 22. Dezem­ber 2005 und jene an den römi­schen Kle­rus vom 14. Febru­ar 2013, drei Tage nach der Rück­tritts­an­kün­di­gung. Die­se letz­te, aus­führ­li­che und arti­ku­lier­te Rede hielt er frei, ex abun­dan­tia cor­dis und stellt gewis­ser­ma­ßen ein dok­tri­nel­les Testa­ment Bene­dikts XVI. dar. Der Papst gibt eine Kir­chen­kri­se zu, die mit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil zusam­men­hängt, aber er schreibt die Ver­ant­wor­tung dafür einem „vir­tu­el­len“ Kon­zil zu, das das wirk­li­che Kon­zil über­la­gert habe. Das vir­tu­el­le Kon­zil ist jenes, das von den Medi­en und von bestimm­ten theo­lo­gi­schen Krei­sen durch­ge­setzt wur­de, die im Namen eines falsch­ver­stan­de­nen „Gei­stes“ des Zwei­ten Vati­ka­nums, die Absich­ten der Kon­zils­vä­ter ver­zerrt hät­ten. Eine miß­bräuch­li­che nach­kon­zi­lia­re Pra­xis habe die Wahr­heit des Kon­zils, die in sei­nen theo­lo­gi­schen Doku­men­ten aus­ge­drückt ist, ver­ra­ten und man müs­se zu die­sen Tex­ten zurück­keh­ren, um die Echt­heit wie­der­zu­fin­den. Das Pro­blem des Kon­zils ist für Papst Bene­dikt nicht an erster Stel­le ein histo­ri­sches oder theo­lo­gi­sches, son­dern zunächst vor allem ein her­me­neu­ti­sches: das Pro­blem einer fal­schen Her­me­neu­tik, die sich der authen­ti­schen Inter­pre­ta­ti­on wider­setzt, und zwar nicht nur der Tex­te, son­dern des Kon­zils­er­eig­nis­ses selbst.

These Benedikts XVI. entspricht dem „Schisma“ zwischen den Zeitschriften Concilium und Communio

Die The­se von Papst Bene­dikt XVI. ist nicht neu. Es ist der Grund­ge­dan­ke jener Theo­lo­gen, die 1972, nach­dem sie gemein­sam mit Karl Rah­ner, Hans Küng und Edward Schil­le­be­eckx an der Grün­dung der Zeit­schrift Con­ci­li­um mit­ge­wirkt hat­ten, die­se ver­lie­ßen, um die Zeit­schrift Com­mu­nio zu grün­den. Pater Hen­ri de Lubac präg­te in einem berühm­ten Inter­view, das er dem dama­li­gen Msgr. Ange­lo Sco­la gab (Rei­se durch das Nach­kon­zil) [3]Viag­gio nel post­con­ci­lio, Edit, Mai­land 1985, S. 32–47 den Aus­druck „Para-Kon­zil“, um jene orga­ni­sier­te Bewe­gung zu benen­nen, die die Leh­re des Kon­zils durch eine ten­den­ziö­se Inter­pre­ta­ti­on die­ses Ereig­nis­ses defor­miert habe. Ande­re Theo­lo­gen gebrauch­ten den Aus­druck „Meta-Kon­zil“ und Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger, nahm in sei­nem berühm­ten Gesprächs­buch Zur Lage des Glau­bens von 1985 die The­se vom vir­tu­el­len Kon­zil vor­weg, die er dann wäh­rend sei­nes Pon­ti­fi­kats mehr­fach formulierte.

Eingeständnis eines Scheiterns – Warum aber konnte sich Benedikt XVI. nicht durchsetzen?

Die Rede des Jahrs 2013 ist jedoch vor allem das betrüb­te Ein­ge­ständ­nis einer Kri­se der Her­me­neu­tik der „Erneue­rung in der Kon­ti­nui­tät“. Das Bewußt­sein die­ses Schei­terns hat­te sicher maß­geb­li­ches Gewicht für sei­ne Ver­zichts­er­klä­rung vom 11. Febru­ar. War­um aber ist es der „bene­dik­t­i­ni­schen“ Inter­pre­ta­ti­ons­li­nie nicht gelun­gen, sich durch­zu­set­zen und war­um wur­de sie von den The­sen der „Schu­le von Bolo­gna“ besiegt, die sich unauf­halt­sam an den Uni­ver­si­tä­ten und den katho­li­schen Semi­na­ren ausbreiten?

Der Haupt­grund liegt dar­in, daß die Geschich­te weder von der theo­lo­gi­schen Debat­te gemacht wird und noch weni­ger von der her­me­neu­ti­schen. Die her­me­neu­ti­sche Dis­kus­si­on legt den Akzent mehr auf die Inter­pre­ta­ti­on eines Ereig­nis­ses, als auf das Ereig­nis selbst. Aber in dem Moment, in dem ver­schie­de­ne Her­me­neu­ti­ken ein­an­der gegen­über­ge­stellt wer­den, ent­fernt man sich von der Objek­ti­vi­tät des Fak­tums, indem die­sem die sub­jek­ti­ven Inter­pre­ta­tio­nen des Ereig­nis­ses über­ge­stülpt wer­den, die zu blo­ßen Mei­nun­gen redu­ziert wer­den. Ange­sichts einer sol­chen Plu­ra­li­tät der Mei­nun­gen, könn­te das ent­schei­den­de Wort von einer höch­sten Auto­ri­tät gespro­chen wer­den, die ohne jeden Schat­ten eines Zwei­fels die zu glau­ben­de Wahr­heit defi­niert. Doch in sei­nen Reden woll­te Bene­dikt XVI., wie auch die Päp­ste vor ihm, sei­ner Inter­pre­ta­ti­ons­the­se kei­nen lehr­amt­li­chen Cha­rak­ter ver­lei­hen. In der statt­fin­den­den Her­me­neu­tik­de­bat­te bleibt das Letz­tur­teil daher die Objek­ti­vi­tät der Fak­ten. Und wenn es ein vir­tu­el­les Kon­zil gab, dann ist es eine unleug­ba­re Tat­sa­che, daß die­ses nicht weni­ger real war, als jenes, das in den Doku­men­ten fest­ge­hal­ten ist. Die Tex­te des Zwei­ten Vati­ka­nums wur­den in eine Schub­la­de gelegt, wäh­rend das, was mit Prä­po­tenz in die Geschich­te ein­ging, sein „Geist“ war. Ein wenig hei­li­ger und sehr mensch­li­cher Geist, durch den lob­by­isti­sches Wir­ken, poli­ti­scher Druck und media­le Ein­fluß­nah­me zum Aus­druck kamen, die den Ablauf der Ereig­nis­se lenk­ten. Und da die Spra­che der Tex­te gewollt zwei­deu­tig und unde­fi­niert war, bot das vir­tu­el­le Kon­zil die authen­ti­sche Les­art der Schluß­do­ku­men­te. Das Kon­zil der Tex­te kann nicht von jenem der Geschich­te getrennt wer­den, wes­halb die „Schu­le von Bolo­gna“ nicht ganz Unrecht hat, wenn sie die revo­lu­tio­nä­re Neu­heit des Ereig­nis­ses betont. Sie liegt aller­dings falsch, wenn sie dar­aus einen „theo­lo­gi­schen“ Anspruch als höch­stes Kri­te­ri­um zur Beur­tei­lung der Geschich­te ablei­ten will.

Hermeneutik Benedikts XVI. gelang es nicht, historische Entwicklung seit 1965 zu begründen

Der Her­me­neu­tik von Bene­dikt XVI. ist es nicht gelun­gen, die Geschich­te zu begrün­den, das, was seit 1965 bis in unse­re Tage gesche­hen ist. Die Kon­zils­tex­te wur­den von der nach­kon­zi­lia­ren Pra­xis erdrückt, einer Rea­li­tät die kei­ne Wider­re­de erlaubt, wenn man ihr nur eine Her­me­neu­tik ent­ge­gen­set­zen will. Zudem, wenn man das Zwei­te Vati­ka­num nicht kri­ti­sie­ren, son­dern nur auf ande­re Wei­se inter­pre­tie­ren darf, wor­in besteht dann der Unter­schied zwi­schen den Theo­re­ti­kern der Dis­kon­ti­nui­tät und jenen der Erneue­rung in der Kon­ti­nui­tät? Für bei­de ist das Kon­zil letzt­lich ein irrever­si­bles und jeder Beur­tei­lung ent­zo­ge­nes Ereig­nis, das selbst letz­tes Kri­te­ri­um für Leh­re und Ver­hal­ten ist. Jeder, der die Mög­lich­keit leug­net, eine Debat­te über das Zwei­te Vati­ka­num zu begin­nen, und dies im Namen des Hei­li­gen Gei­stes tut, der des­sen Garant sei, macht dar­aus ein unfehl­ba­res Ereig­nis und ein Super­dog­ma, das de fac­to geschichts­im­ma­nent ist.

Die Geschich­te ist für den Chri­sten aber das Ergeb­nis einer Ver­wick­lung von Ideen und Ereig­nis­sen, die ihre letz­te Wur­zel im Gewirr mensch­li­cher Lei­den­schaf­ten und im Wir­ken über­na­tür­li­cher und außer­na­tür­li­cher Kräf­te haben, die in ewi­gem Kon­flikt mit­ein­an­der ste­hen. Die Theo­lo­gie muß sich zur Geschichts­theo­lo­gie machen, um die mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten zu ver­ste­hen und zu beherr­schen, andern­falls wird sie von der Geschich­te ver­ein­nahmt, die zum höch­sten Beur­tei­lungs­maß­stab der Din­ge die­ser Welt wird. Der Imma­nen­tis­mus ist nichts ande­res als der Ver­lust eines tran­szen­den­ten Prin­zips, das über die Geschich­te urteilt und nicht von ihr beur­teilt wird. Unter die­sem Gesichts­punkt betrach­tet sind die Absich­ten der Kon­zils­vä­ter und die Tex­te, die sie pro­du­ziert haben, nichts ande­res als ein Teil der Rea­li­tät. Das Zwei­te Vati­ka­num ist wie die fran­zö­si­sche oder die pro­te­stan­ti­sche Revo­lu­ti­on ein Ereig­nis, das auf ver­schie­de­nen Ebe­nen ana­ly­siert wer­den kann, aber ein Uni­kum mit einer beson­de­ren Eigen­tüm­lich­keit dar­stellt, und als sol­ches stellt es zwei­fel­los einen Moment und in gewis­ser Wei­se sogar apo­ka­lyp­ti­scher histo­ri­scher Dis­kon­ti­nui­tät dar.

Papst Franziskus will als postmoderner Papst theologische Diskussion überwinden

Der Sieg der „Schu­le von Bolo­gna“ wur­de durch die Wahl von Papst Fran­zis­kus besie­gelt, der kaum über das Kon­zil spricht, weil er nicht an der theo­lo­gi­schen Dis­kus­si­on inter­es­siert ist, son­dern an der Rea­li­tät der Fak­ten. Es ist die Pra­xis, in der er bewei­sen will, der wirk­li­che Umset­zer des Zwei­ten Vati­ka­nums zu sein. Unter die­sem Gesichts­punkt könn­te man sagen, ver­kör­pert er die Essenz des Zwei­ten Vati­ka­nums, die zur Dok­trin wird, indem es sei­ne pasto­ra­le Dimen­si­on ver­wirk­licht. Die theo­lo­gi­sche Dis­kus­si­on gehört zur Moder­ne und Papst Fran­zis­kus prä­sen­tiert sich wie ein post-her­me­neu­ti­scher und damit post­mo­der­ner Papst. Der Kampf der Ideen gehört einer Pha­se der Kir­chen­ge­schich­te an, die er über­win­den will. Fran­zis­kus wird ein Kon­ser­va­ti­ver oder ein Pro­gres­si­ver sein, je nach den histo­ri­schen und poli­ti­schen Not­wen­dig­kei­ten des Augen­blicks. Die „pasto­ra­le Revo­lu­ti­on“ ist für Alber­to Mel­lo­ni von der „Schu­le von Bolo­gna“ das wich­tig­ste Wesens­merk­mal des Pon­ti­fi­kats von Fran­zis­kus I.
Mel­lo­ni schrieb bereits zwei Wochen nach der Papst­wahl: „‘Pasto­ral‘ ist ein Schlüs­sel­be­griff, um das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus zu ver­ste­hen. Nicht weil er Pasto­ral­theo­lo­gie gelehrt hät­te, son­dern weil Fran­zis­kus, wenn er sie inter­pre­tiert, mit erstaun­li­cher Natür­lich­keit jenes pul­sie­ren­de Herz des Evan­ge­li­ums in der Zeit und der Annah­me (oder Ableh­nung) des Zwei­ten Vati­ka­nums wach­ruft. ‚Pasto­ral‘ stammt aus der Spra­che von Papst Johan­nes: so woll­te er ‚sein‘ Kon­zil, als ‚pasto­ra­les‘ Kon­zil – und so war das Zwei­te Vati­ka­num“. [4]Alber­to Mel­lo­ni: L’estasi pasto­ra­le di papa Fran­ces­co dis­se­mi­na­ta di rif­e­ri­men­ti teo­lo­gi­ci (Die von theo­lo­gi­schen Bezü­gen durch­drun­ge­ne pasto­ra­le Exta­se von Papst Fran­zis­kus), in: Cor­rie­re del­la … Con­ti­n­ue rea­ding

Papst Franziskus und das erste wirklich authentische Konzilspontifikat

Mel­lo­ni biegt wie immer die Rea­li­tät, aber er hat im Grun­de nicht ganz Unrecht. Das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus ist wohl am authen­tisch­sten ein kon­zi­lia­res Pon­ti­fi­kat, jenes, in dem sich die Pra­xis in Leh­re ver­wan­delt mit dem Ver­such, Erschei­nungs­bild und Rea­li­tät der Kir­che zu ändern. Die Her­me­neu­tik von Bene­dikt XVI. ist heu­te zu den Akten gelegt und von der Pasto­ral des neu­en Pap­stes dür­fen wir uns noch eini­ge Über­ra­schun­gen erwar­ten. Der Chef­re­dak­teur der Tages­zei­tung Il Foglio hat dies durch die Ver­öf­fent­li­chung der Arti­kel von Gnoc­chi und Pal­ma­ro mit jour­na­li­sti­schem und in die­sem Fall auch theo­lo­gi­schem Spür­sinn intui­tiv erfaßt.

Es stellt sich aber eine letz­te Fra­ge. War­um kom­men die ver­bis­sen­sten Ver­tei­di­ger des Zwei­ten Vati­ka­nums und auch streng­sten Kri­ti­ker von Gnoc­chi und Pal­ma­ro heu­te unter ande­rem aus dem Bereich der Gemein­schaft Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne (CL)? Die Ant­wort fällt nicht schwer, wenn man an die Wur­zeln von CL und die Wur­zeln des Den­kens ihres Grün­ders, Don Lui­gi Giu­s­sa­ni denkt. Der Hori­zont von CL war und blieb jener der pro­gres­si­ven Nou­vel­le theo­lo­gie. In einem berühm­ten, 1946 erschie­ne­nen Arti­kel mit dem Titel La nou­vel­le théo­lo­gie o๠va-t-elle bezeich­ne­te der Dome­ni­ka­ner Regi­nald Gar­ri­gou-Lagran­ge, einer der gro­ßen Theo­lo­gen des 20. Jahr­hun­derts als Wesens­merk­mal der Nou­vel­le théo­lo­gie, die Redu­zie­rung der Wahr­heit auf die „reli­giö­se Erfah­rung“. „Die Wahr­heit ist nicht mehr die Über­ein­stim­mung des Urteils mit der extra­men­ta­len (objek­ti­ven) Rea­li­tät und ihren unver­än­der­li­chen Geset­zen, son­dern die Über­ein­stim­mung des Urteils mit den Not­wen­dig­kei­ten des Han­delns und des mensch­li­chen Lebens, das sich stän­dig wan­delt. Die Phi­lo­so­phie des Seins oder der Onto­lo­gie wird ersetzt durch die Phi­lo­so­phie des Han­delns, die die Wahr­heit nicht mehr in Funk­ti­on des Seins, son­dern des Han­delns defi­niert“, so Gar­ri­gou-Lagran­ge, der Dok­tor­va­ter von Karol Woj­ty­la war.

Die Nouvelle theologie verhindert unvoreingenommenen Blick auf die Kirchenkrise und ihre Überwindung

Wir fin­den die­ses von Gar­ri­gou-Lagran­ge beschrie­be­ne Wesens­merk­mal in der Spra­che und der Pra­xis vie­ler Ver­tre­ter von CL. Es genügt an die stän­di­ge Beto­nung des Glau­bens als „Begeg­nung“ und „Erfah­rung“ zu erin­nern und der damit zusam­men­hän­gen­den Redu­zie­rung der Grund­sät­ze auf blo­ße Instru­men­te. Wahr ist, daß es kein Chri­sten­tum gibt, wenn es nicht gelebt ist. Wahr ist aber auch, daß man einen Glau­ben, den man nicht kennt, auch nicht leben kann. Außer man ist der Mei­nung, wie der Moder­nis­mus und die Nou­vel­le theo­lo­gie, daß der Glau­ben aus der Lebens­er­fah­rung des Sub­jekts her­vor­geht. Eine „Erfah­rung“, die in allen Reli­gio­nen mög­lich sei und die das Chri­sten­tum zu einem Pseu­do-Mysti­zis­mus oder zu einer rei­nen Moral­prak­tik reduziert.
Die Histo­ri­ke­rin Cri­sti­na Sic­car­di ana­ly­siert im emp­feh­lens­wer­ten neu­en Buch Der Win­ter der Kir­che nach dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil [5]L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II. I mut­amen­ti e le cau­se, Sug­ar­co, Mai­land 2013 detail­liert die Fol­gen die­ser Pasto­ral der „Erfah­rung“ und erin­nert an die Wor­te eines ande­ren gro­ßen domi­ni­ka­ni­schen Theo­lo­gen des 20. Jahr­hun­derts, Pater Roger-Tho­mas Cal­mel: „Leh­ren, Riten, geist­li­ches Leben sind einem so radi­ka­len und so per­fek­tio­nier­ten Pro­zeß der Ver­flüs­si­gung unter­wor­fen, daß sie nicht mehr die Unter­schei­dung zwi­schen Katho­li­ken und Nicht-Katho­li­ken erlau­ben. Da das Ja und das Nein, das Defi­nier­te und das Defi­ni­ti­ve als über­holt gel­ten, fragt man sich, was die nicht-christ­li­chen Reli­gio­nen eigent­lich dar­an hin­dert, nicht auch Teil der neu­en Welt­kir­che zu wer­den, die durch die öku­me­ni­schen Inter­pre­ta­tio­nen stän­dig ‚aggior­na­ta‘ wird“. [6]Roger-Tho­mas Cal­mel: Bre­ve apo­lo­gia del­la Chie­sa di semp­re (Klei­ne Apo­loge­tik der ewi­gen Kir­che), Ich­tys, Alba­no Lazia­le 2007, S. 10–11

Beweist der Gläubige durch seine „religiöse Erfahrung“ die Wahrheit seines Glaubens?

So wie Karl Marx sag­te, daß der Phi­lo­soph in der Pra­xis die Wahr­heit sei­ner Leh­re beweist, kön­nen wir in der nach­kon­zi­lia­ren Theo­lo­gie den Grund­satz erken­nen, laut dem es die „reli­giö­se Erfah­rung“ ist, mit der der Glau­ben­de die Wahr­heit sei­nes Glau­bens beweist. Im Kern geht es um den Vor­rang der Pra­xis in der moder­nen säku­la­ri­sier­ten Phi­lo­so­phie. Die­se Phi­lo­so­phie der reli­giö­sen Pra­xis wur­de von den radi­kal­sten Sek­ten des 16. und 17. Jahr­hun­derts wie den Wie­der­täu­fern und Sozi­nia­nern theo­re­ti­siert. Für sie wird der Glau­ben durch sei­ne Inten­si­tät gemes­sen: was zählt, ist nicht die Rein­heit und Inte­gri­tät der Wahr­heit, an die man glaubt, son­dern die Inten­si­tät des Aktes, mit dem man glaubt. Der Glau­ben hat also sei­nen Maß­stab nicht in der geglaub­ten Leh­re, son­dern im „Leben“ und dem Han­deln des Gläu­bi­gen. Der Glau­ben wird zur reli­giö­sen Erfah­rung, los­ge­löst von jeder objek­ti­ven regu­la fidei. Wir fin­den die­se Ten­den­zen auch in der pro­gres­si­ven Theo­lo­gie, die das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil vor­be­rei­te­te, lenk­te und zum Teil auch umsetzte.

Die pro­gres­si­ve Nou­vel­le théo­lo­gie hat­te ihre Haupt­ver­tre­ter im Domi­ni­ka­ner Marie-Domi­ni­que Chenu und im Jesui­ten Hen­ri de Lubac. Nicht von unge­fähr war Chenu der Leh­rer von Giu­sep­pe Albe­ri­go und de Lubac der Bezugs­punkt der Schü­ler von Don Giu­s­sa­ni. Und nicht zufäl­lig fin­det sich unter den ersten offi­zi­el­len Tex­ten von Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne Anfang der 70er Jah­re die Arbeit des Theo­lo­gen Giu­sep­pe Rug­gie­ri mit dem Titel Zur Fra­ge von Chri­sten­tum und Revo­lu­ti­on. Rug­gie­ri war damals für die theo­lo­gi­sche Schrif­ten­rei­he des Ver­lags Jaca Book zustän­dig und lei­tet heu­te die von Giu­sep­pe Albe­ri­go gegrün­de­te Vier­tel­jah­res­schrift Cri­stia­ne­si­mo nella Sto­ria (Chri­sten­tum in der Geschich­te). Gemein­sam mit Alber­to Mel­lo­ni ist er heu­te der füh­ren­de Ver­tre­ter der „Schu­le von Bolo­gna“. In Rug­gie­ris intel­lek­tu­el­lem Wer­de­gang, wie Mel­lo­ni selbst im Buch Alles ist Gna­de [7]Tut­to ਠgra­zia, Jaca Book, Mai­land 2010 dar­legt, läßt sich kei­ne Inko­hä­renz fest­stel­len. Gemein­sam ist der Theo­lo­gie von CL und jener der „Schu­le von Bolo­gna“ die „Theo­rie des Ereig­nis­ses“, der Pri­mat der Pra­xis vor der Leh­re, der Erfah­rung vor der Wahr­heit, die CL in der Begeg­nung mit der Per­son Chri­sti ansie­delt und die „Schu­le von Bolo­gna“ in der Begeg­nung mit der Geschichte.

Giu­sep­pe Rug­gie­ri war der Theo­lo­ge von Comu­nio­ne e Libe­ra­zio­ne und er ist heu­te der Theo­lo­ge der „Schu­le von Bolo­gna“. Und heu­te dämo­ni­sie­ren die Ver­tre­ter von CL und der „Schu­le von Bolo­gna“ gemein­sam in Gnoc­chi und Pal­ma­ro nicht die Kri­ti­ker von Papst Fran­zis­kus oder des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils, son­dern die „mora­li­sti­schen“ Katho­li­ken, die den Pri­mat der Wahr­heit und des Geset­zes ein­for­dern. Dabei sagt Jesus: „Wer mich liebt, befolgt mei­ne Gebo­te“ (Joh 14,15–21). Es gibt kei­ne Lie­be zu Gott ohne Befol­gung des Natur­rechts und des Got­tes­ge­set­zes. Die Befol­gung die­ser Wahr­heit und die­ses Geset­zes ist der Maß­stab für die christ­li­che Liebe.

Einleitung/Übersetzung:Giuseppe Nar­di
Bild: Mes­sa in Latino/​Corrispondenza Romana

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1 La Bel­la addor­men­ta­ta. Per­ché dopo il Vati­ca­no II la Chie­sa ਠent­ra­ta in cri­si. Per­ché si ris­ve­glierà , Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2012
2 Cat­to­li­ci in alto i cuo­ri! Bat­ti­am­o­ci sen­za pau­ra per la rina­s­ci­ta del­la Chie­sa, Fede & Cul­tu­ra, Vero­na 2013
3 Viag­gio nel post­con­ci­lio, Edit, Mai­land 1985, S. 32–47
4 Alber­to Mel­lo­ni: L’estasi pasto­ra­le di papa Fran­ces­co dis­se­mi­na­ta di rif­e­ri­men­ti teo­lo­gi­ci (Die von theo­lo­gi­schen Bezü­gen durch­drun­ge­ne pasto­ra­le Exta­se von Papst Fran­zis­kus), in: Cor­rie­re del­la Sera vom 29. März 2013
5 L’inverno del­la Chie­sa dopo il Con­ci­lio Vati­ca­no II. I mut­amen­ti e le cau­se, Sug­ar­co, Mai­land 2013
6 Roger-Tho­mas Cal­mel: Bre­ve apo­lo­gia del­la Chie­sa di semp­re (Klei­ne Apo­loge­tik der ewi­gen Kir­che), Ich­tys, Alba­no Lazia­le 2007, S. 10–11
7 Tut­to ਠgra­zia, Jaca Book, Mai­land 2010
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