(Rom) Ein Brief und ein Aufsatz sorgen weltweit unter Katholiken für Diskussionen und einige Unruhe. Es ist einmal ein sehr persönlich gehaltener Brief der mexikanischen Katholikin und neunfachen Mutter Lucrecia Rego de Planas an Papst Franziskus. Und zum anderen eine scharfsinnige Analyse von zwei katholischen Intellektuellen aus Italien, des Rechtsphilosophen Mario Palmaro und des Journalisten Alessandro Gnocchi. Brief und Aufsatz haben große Zustimmung erfahren. Viele Katholiken sehen darin ihre eigenen Gedanken, Befürchtungen und Gefühle zum Ausdruck gebracht. Palmaro und Gnocchi wurden aber auch von Radio Maria entlassen und es gab teils heftige und teils untergriffige Kritik. An der Kritik fällt unangenehm eine fast kategorische Verweigerung auf, sich einer inhaltlichen Diskussion zu stellen. Hat der Papst recht mit seinen umstrittenen Aussagen? Sind diese Aussagen katholisch? Was bedeutet das für die Kirche und ihre Glaubenslehre? Welche Auswirkungen haben die Aussagen auf Katholiken in der Welt?
Gegen diese Kritik an der Kritik an Papst Franziskus ohne inhaltlich auf die aufgeworfenen Punkte einzugehen, wendet sich der Rechtsphilosoph Corrado Gnerre, der unter anderem an der Europäischen Universität Rom Philosophische Anthropologie lehrt. Am Beispiel einer Antwort des katholischen Journalisten Antonio Socci, „die keine ist“, zeigt Gnerre auf, wie diese Diskussionsverweigerung einer Form von Realitätsverweigerung gleichkommt und daher nichts löst und niemandem hilft. Die Frage steht weiterhin im Raum: Hat Papst Franziskus durch einige Aussagen substantielle Probleme erzeugt: ja oder nein? Manche vermuten, es liege an einer nicht vollständigen Beherrschung der italienischen Sprache. Selbst dann wären Konsequenzen geboten. Eine Vogelstraußhaltung auf diese Frage mag bequem sein, tauge aber nichts, so die These Gnerres.
.
Vom „Denzinger-Katholiken“ zum „moralistischen Katholiken“, einige Etiketten mehr, doch die Probleme bleiben
von Corrado Gnerre
In unserer Zeit wird die Biodiversität gefeiert. Es herrscht die Überzeugung vor, daß Verschiedenartigkeit grundsätzlich schön ist, je mehr, desto besser, je bunter, desto faszinierender … Kurzum, wie man in meiner Gegend zu einer vollbelegten Pizza sagt: je mehr du drauflegst, umso mehr findest du daran!
Auch in der Kirche lebt man in gewisser Weise diese Atmosphäre. Wäre es eine symphonische Atmosphäre, gäbe es nichts daran auszusetzen, denn die Symphonie ist die „Einheit in der Vielfalt“. Vielfalt in der Art und Weise, aber Einheit in der Lehre. Das war immer so in der Kirche. Vielmehr noch ist es gerade ihr Hauptmerkmal. Das ist aber nicht das, was wir heute erleben. Betrügen wir uns nicht selbst: das ist es nicht. Nicht die Symphonie wird heute gefeiert, sondern der Widerspruch, das Anderssein, und das ist etwas ganz anderes.
Wenn Wörter einen Sinn haben, warum interpretiert man sie um?
Seit einigen Tagen mußten wir entdecken, daß es auch „den ideologischen und den moralistischen Katholiken“ gibt. Wenn wir die Worte nach ihrer eigentlichen Bedeutung interpretieren, dann hätte eine solche Entdeckung in Wirklichkeit schon vor langem gemacht werden müssen. Wenn Worte nämlich einen Sinn haben, dann müßte der ideologische Katholik jener sein, der den eigenen Glauben in Ideologie verwandelt, und Ideologie ist wiederum der Anspruch, die Realität in eine intellektuelle und subjektive Konstruktion umzuwandeln. Der Vater der Ideologie ist übrigens der Rationalist René Descartes.
Und wenn Worte wirklich einen Sinn haben, dann müßte der moralistische Katholik jener sein, der die natürliche und übernatürliche Moral in menschliche Ethik verwandelt, oder anders ausgedrückt, jener, der das Gesetz durch Regeln ersetzt. Jene Regeln, die lediglich auf der Schwachheit menschlicher Meinungen und soziokultureller Kontexte gründen.
In diesen Tagen mußten wir also nicht nur die Existenz „des ideologischen und des moralistischen Katholiken“ entdecken, als handle es sich um eine Neuheit. Wir mußten auch entdecken, daß man unter diesen Etiketten etwas ganz anderes zu verstehen hat, als die Worte eigentlich aussagen, ja, daß man in Wirklichkeit darunter den Katholiken zu verstehen hat, der treu an der Tradition festhält (also dem lebendigen und ewigen Gott in der Geschichte und damit etwas ganz anderes als Ideologie) und der treu an der geoffenbarten Moral festhält (also der Nachfolge des lebendigen und ewigen Gottes in der Geschichte und damit etwas ganz anderes als Moralismus).
Die Orientierung ist verlorengegangen, nichts mehr und nichts weniger
Warum aber diese Verwirrung? Aus einem ganz einfachen Grund: weil die Orientierung verlorengegangen ist, nichts mehr und nichts weniger. Durch den Verlust des Bewußtseins für die Wahrheit und vor allem der Tatsache, daß die Wahrheit „informieren“ muß (im Sinne von formen), wird alles, nicht nur die Vielfalt, zum Selbstzweck und entsprechend löst sich auch der Sinn der Wörter auf.
So vernachlässigt man das Problem und konzentriert sich auf Methode und Form. Nehmen wir den Fall Gnocchi und Palmaro. Ich will nicht auf die Frage der Methode eingehen, weil auch ich diesbezüglich vielleicht unklare Vorstellungen haben könnte, nämlich ob Gnocchi und Palmaro gut oder weniger gut getan haben, bestimmte Dinge zu schreiben. Was ich aber ablehne ist, daß sich die stattfindende Diskussion primär darauf beschränkt, ob sie respektlos waren oder nicht, daß sich aber kein Kritiker – und ich wiederhole keiner – wagt, den Nachweis zu erbringen, ob das, was sie geschrieben haben, falsch war.
Der jüngste Beitrag des katholischen Publizisten Antonio Socci vom 24. Oktober in der Tageszeitung Il Foglio hat die Sache nur noch kompliziert. Er hat viel geschrieben, aber letztlich nichts gesagt. Er hat uns informiert, daß Benedikt XVI. ein Meister des Logos war. Gut. Er hat uns informiert, daß Paul VI. viele interessante Dinge über die Treue zur Tradition geschrieben hat. Sehr gut. Er hat uns informiert, daß alle in der Kontinuität stehen. Hoffen wir es. Alles garnierte er damit, daß er eine Reihe von Intellektuellen und gnostischen Modetheologen wie sie Eugenio Scalfari gefallen, an den Ohren zog. Das freut uns. Er hat uns über viele schöne Dinge informiert …, das Problem aber hat er damit nicht gelöst.
Ist die Aussage von Papst Franziskus über das Gewissen mit der kirchlichen Lehre vereinbar? Ja oder Nein
Er hat uns zum Beispiel nicht erklärt, wie die Aussagen von Papst Franziskus über das Gewissen in seinen Gesprächen mit dem Gründer der Tageszeitung La Repubblica in Einklang, ich sage ja nicht einmal gleich mit dem ganzen Denzinger, aber zumindest mit der Enzyklika Veritatis Splendor von Johannes Paul II. zu bringen sind. Apodiktisch verkündete er nur, daß dem so ist, ohne es zu erklären. Und wenn er davon nur überzeugt ist, weil Papst Franziskus ein Sohn des Heiligen Ignatius ist, dann ist das kein so starkes Argument …, wenn es stimmt, und es stimmt, daß auch Kardinal Martini ein Jesuit war. Wenn Socci aber davon überzeugt ist, daß das, was Papst Franziskus sagt, immer in Einklang mit dem Logos ist, weil er der Papst ist, in Einklang mit jenem Logos, der – wie Socci selbst schreibt – sich jeder Reduzierung des Christentums auf Emotionen und Gefühle entzieht, wie es – immer laut Meinung von Socci – die charismatischen Gruppen zu tun pflegen, dann sollte Socci aber sich darüber informieren, welche Meinung Papst Franziskus von den charismatischen Gruppen hat. Seine Heiligkeit hat sie immer gelobt und unterstützt.
„Denzinger-Katholik“ ist nicht beleidigend, aber eine überflüssige Etikettierung
Aber kehren wir zur „Biodiversität“ zurück, die alles in Einklang bringt und alles in der Dialektik und im Kampf harmonisiert, wie den Wolf mit dem Lamm und die Gazelle mit dem Leoparden. Und damit zurück zum Aufsatz von Socci. Den Lefebvrianer (der Autor dieser Zeilen ist weder Lefebvrianer noch sonstwie etikettierbar) als einen Denzinger-Katholiken zu bezeichnen, mag abwertend gemeint sein, ist es aber nicht unbedingt. Lassen wir aber die Frage nach der Eleganz des Ausdruckes beiseite und betrachten wir die Substanz der Aussage. Denzinger-Katholik, das will sagen: ein Katholik, der auf die Gesamtheit des Lehramtes schaut. Das aber ist – und Socci sollte es wissen – für einen Katholiken keine Option, sondern eine Pflicht, weil es nur ein Lehramt gibt und das steht in einer ununterbrochenen Kontinuität. Gemeint ist jene Kontinuität, die auch Socci nach eigenen Worte so wichtig ist, und die er durch Zitate von Joseph Kardinal Ratzinger/Papst Benedikt XVI. zum Ausdruck bringen will. Damit wären wir wieder am üblichen Punkt: Man wirft irgendeine Wendung hin, um jemanden anzugreifen (im konkreten Fall das Duo Gnocchi und Palmaro), ohne aber wirklich etwas zu erklären.
Es gibt Moralisten, aber keine moralistischen Katholiken
Kommen wir also zu einem anderen Punkt. Der moralistische Katholik würde also zu sehr auf der Moral beharren. Haben wir uns aber schon einmal gefragt, was eigentlich die Moral im Bereich der katholischen Theologie ist? Der Gott-Logos ist ein Gott, der nicht über Gut und Böse steht, sondern konstitutiv gut ist. Daher ist das Moralgesetz nicht eine willkürliche Entscheidung Gottes, sondern seine eigene Natur. Die Zehn Gebote zum Beispiel sind nichts anderes als die kodifizierte Natur Gottes. Das Gesetz Gottes beachten, bedeutet daher an Seiner Natur teilhaben, Gott umarmen. Im Umkehrschluß ist es nicht möglich, sich für Gott zu entscheiden, aber sein Gesetz nicht zu beachten. In all dem ist nichts Moralistisches, weil für den Moralismus die Moral etwas Abstraktes und eine intellektuelle Entscheidung ist, die in einer bestimmten Weise ausfällt, aber ebenso gut auch in einer anderen Weise ausfallen könnte. Die Heiligen hingegen haben verstanden, daß es keinen Gott ohne Moralgesetz gibt und kein Moralgesetz ohne Gott, weil Gott ein lebendiger Gott ist. Jene als Moralisten zu bezeichnen, die auf das Moralgesetz achten und andere dazu auffordern, es ebenso zu tun, bedeutet, den Heiligen widersprechen. Was sollte man denn sonst über einen Heiligen Pater Pio von Pietrelcina sagen, der so unnachgiebig beharrte. Jesus ist sehr klar: „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich“ (Mt 5,19).
In diesem Sinn beharrte Benedikt XVI. so nachdrücklich auf die sogenannten nichtverhandelbaren Grundsätze, denn vom Umgang mit dem menschlichen Leben hängt auch ab, wie man mit allen anderen großen Fragen umgeht, die unsere Zeit beherrschen. Benedikt XVI. bezeichnete zum Beispiel die Gender-Ideologie als schwerwiegenden Angriff gegen den Frieden und als große Herausforderung, der sich die Kirche gegenübersieht. Im Umgang mit dem menschlichen Leben drückt sich Zeugnis und Liebe für Jenen aus, der allein Weg, allein Wahrheit und allein Leben ist.
Ein Appell: Wollen wir über Inhalte diskutieren oder nicht?
So richte ich einen Appell: Wollen wir oder wollen wir nicht über Inhalte nachdenken und diskutieren, statt beleidigende Definitionen in den Raum zu stellen und Katholiken zu katalogisieren? Wollen wir die Probleme benennen und lösen oder nicht? Zu sagen, es würde genügen, der eigenen subjektiven Vorstellung von Gut und Böse zu folgen, um sich zu retten; zu sagen, daß man unabhängig vom Glauben an Christus den Glauben nicht verlieren kann; zu sagen, daß Gott nicht katholisch ist; zu sagen, daß es nicht vordringliches Ziel des Christen ist, andere zu bekehren, auf daß auch sie gerettet werden… dieses ganze Gerede, stellt es ein Problem dar oder nicht? Das ist die Frage!
In der Fabel von Pinocchio war es eine einfache Grille, die sprach (um die Entomologie zu erwähnen, da wir mit der Biodiversität begannen), sie wurde zertreten. Sie sprach, aber sie erfüllte ihre Pflicht. Sie warf die richtigen Fragen auf. Pinocchio sagte ihr, sie solle still sein, weil sie nur eine mickrige Grille sei und zertrat sie. Die Probleme löste er damit aber nicht … auch nicht seine Zweifel und die seines „Vaters“.
Einleitung/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons
Hervorragend! Das ist ausgezeichnet beobachtet.
Der Graben verläuft zwischen denen, die das Glaubensgut für objektiv halten und denen, die denken, man könne alles subjektiv endlos debattieren und müsse es ständig neu lesen und bis zur Unkenntlichkeit uminterpretieren.
Sehr gut auch die Bemerkung, dass Worte einen Sinn haben und deswegen nicht ständig auf das hin befragt wedren müssen, was definitiv nicht in ihnen steckt… Für mich hat die permanente Leugnung weiter Kreise, dass man Worte ihrem Sinn gemäß deuten müsse, inzwischen das Ausmaß eines kollektiven Wahns erreicht. Wenn wir nicht mehr sicher sein können können, dass wir mit dem reden auch einen bestimmten Sinn transportieren, sollten wir aufhören zu reden und stattdessen Tierlaute geben – nichts anderes wäre dieses stets unendlich ausdeutbare Reden.
F. hat ein großes Problem mit der Vernunft, dem rationalen Erkennen. Das hat er schon so oft deutlichst formuliert. Ich habe den Verdacht, dass er sich einfach treiben lässt, sehr undiszipliniert denkt.
das wäre jedoch keine Qualität, sondern eine persönliche Schwäche, an der gearbeitet werden sollte, denn wie Jesus es sagte: jaja und nein nein. Und das präzise und immer gleich. Was heute ja ist, kann nicht morgen nein sein und umgekehrt.
Tja…
Dank an die Redaktion für diesen hervorragenden Artikel von Corrado Gnerre!
Besonders der Absatz über den Zusammenhang zwischen der biblisch geoffenbarten Moral und dem wesenhaften Gut-Sein Gottes ist wunderbar. Dieser Artikel erfüllt den Leser mit einer Freude, die nur von der Wahrheit kommen kann. Und das im Unterschied zu dem im vorletzten Absatz erwähnten „Gerede“.
Wie herrlich, dass es noch Katholiken gibt, die für die Wahrheit einstehen, und wie schrecklich, wenn einer den Unterschied zwischen Gut und Böse nicht mehr erkennt und anerkennt, noch dazu, wenn derjenige das Amt innehat, genau darüber zu wachen.
Fürwahr! Die eigentlichen Dialogverweigerer sind die Dialogkatholiken.
Das sind alles uns aufgezwungene Diskussionen, die unnötig Kraft verbrauchen. Ich will nicht noch einmal sagen, woran es liegt. Jedenfalls wäre WENIGER an Buntheit und Interviews zu den Rändern gut für die Kirche von unten bis ganz oben.Der Brief der Lucrecia Rego di Planas trifft auch nach Beobachtungen eines Medienkonsumenten wohl zu. So geriert sich Franziskus und ich füge ein leises „Leider“ hinzu.
@Zeitschnur
Wie so oft, stimme ich Ihrem Kommentar größtenteils zu. Ihren Vergleich mit den Tierlauten finde ich höchst kreativ und originell.
Doch leider macht Franziskus das Maß seiner Vorgänger „nur“ voll. Wenn wir das Konzilskompendium zur Hand nehmen, stellen wir ohne Anstrengung Widersprüche nicht nur zwischen einzelnen Dokumenten, sondern innerhalb ein und desselben Dokuments fest. Die Erklärung ist relativ einfach: Es ist den „Denzinger-Konzilsvätern“ immer wieder gelungen, berichtigende Sätze in rein progressistische Texte einzufügen. Doch damit ist der Wahrheitsgehalt relativiert. Damals hat es begonnen. F. repräsentiert den Höhepunkt oder das Ende, die Frage lasse ich offen.
Das Problem liegt komplizierter in der Zeit – die Kirche muss natürlich fragen, wie sie ihre objektive Wahrheit hier und heute verkündet. Das kann nicht nur in Abgrenzung von der Moderne geschehen. Vielleicht hatten viele das in der exzessiven Form, die Geschmack mit Wahrheit verwechselt, in der Kirche auch über.
Und es ist schwer, eine riesige intellektuelle Anforderung!
Mir scheint, dass es die Aufgabe aller potenten und dazu berufenen Männer und Frauen unter den Priestern, Ordensleuten und Laien ist, hier in die Debatte einzugreifen. Sie werden mir wieder entgegenhalten, dass das das Amt der Hirten sei (Bischöfe + Papst). Ja, aber immer, wenn in der Geschichte die Hirten versagt haben, waren es die anderen, die den rechten Glauben nicht nur erhalten, sondern auch lebendig und in Tat und Wahrheit erhalten haben. Nicht umsonst hat die Kirche diese Menschen später, viel später, nicht nur als Heilige, sondern auch als „doctores ecclesiae“ erhoben. Denken Sie an Hildegard von Bingen, an Theresa von Avila, an Johannes vom Kreuz, an Katharina von Siena etc. – alles „doctores ecclesiae“ und einige in ihrer Zeit z.T. grausam auch innerhalb (!) der Kirche verfolgt oder gewissermaßen auf Messers Schneide dazu.
Das wesentliche Merkmal des Glaubens ist die übernatürliche Liebe. Ohne sie ist alles Schall und Rauch, und sei es noch so richtig. Nun sagen deshalb heute viele unbedarfte Personen, damit könne man das andere relativieren. Nein – natürlich nicht, das wäre absurd! Aber das andere, das „Orthodoxe“, erhält erst seinen Glanz und seine Fruchtbarkeit durch die Liebe, die in uns aufscheint.
In der Schrift ist es Johannes, der sich selbst als einen Apostel in diesem wesentlichsten Merkmal des Glaubens erkennt: er spricht von sich als von dem „Jünger, den der Herr liebhatte“. Petrus dagegen hat ein Problem mit der Liebe. Dreimal fragt ihn der Herr danach… Und folgerichtig ist Petrus auch im Kontrast zu Johannes: „Was ist mit ihm Herr?“ Und Jesus sagt: „Wenn er bleibt, bis ich komme – was geht’s dich an! Folge du mir nach!“
Das zeigt uns, dass es von Anfang an so war, dass der hohe Klerus (Petrus + Bischöfe) nicht immer die tiefste Weisheit hatte und sich sogar eher vergaloppieren konnte oder gar in der Verleugnung Christi endete.
Aber der kleine Priester Johannes stand mit Maria „und den anderen Frauen“ unter dem Kreuz, hielt aus, konnte in der Liebe bleiben.
Auch das wird gegenwärtig gesetzt.
Sie haben ganz Recht: F. hat diesen Einbruch nicht erfunden. Er folgt seinen Vorgängern, die sich selbst schon im ersten Petrus finden lassen.
Petrus ist notwendig, aber das Versagen gehört wohl zu seinem Charisma dazu: viele der ersten werden die letzten sein und viele der letzten werden die ersten sein.
Jeder wuchere mit seinen Talenten und befrage IHN täglich: Was soll ich tun, Herr?
Ja, es geht um das objektiv Wahre und Richtige, wobei Richtiges zur Wahrheit führt. Ich hole jetzt einmal etwas aus: Wahres gibt es im Sein und, ich will den Begriff ruhig gebrauchen, im Teleologischen. Die Idee einer Wahrheit im Teleologischen ist die, seit dem Mittelalter (und lt. Berman die Neuzeit begründende*) gedachte, heilsgeschichtliche Verheißung. Die Kirche wurde als Institution (und Rechtsperson) wahrgenommen – und es wurde mithin das erste mal überhaupt eine „Institution“ gedacht. Daß die erste gedachte Institution die Kirche war, führte zu der Annahme (und das Wirken der Kirche sprach dafür), daß sich die Heilsgeschichte durch Institutionen verwirklicht und daß die Welt – in kleinen Schritten, jedoch kontinuierlich – verbessert werden können. Der Institutionenglaube war geboren. Er wurde dann später säkularisiert und erst nach zwei Weltkriegen infragegestellt, nachdem selbst Völkerstaaten (Nationen) als – sogar maßgebliche** – Institutionen angesehen wurden und sich in darwinistischer Verblendung durch als natürlich angesehenen Kampf und Selektion zu verbessern suchten.
Der nun erschütterte Institutionenglaube fand verschiedene Formen der Erschütterung. Die wohl wirkmächtigste war die, die in die 68er-Bewegung führte. Und hier dann findet sich ein Umdenken, welches fatal ist und inzwischen bis in die Kirche hinein wirkt. Dazu gehe ich noch einmal in der Geschichte zurück, in die Zeit, als sich die Monarchen überhöhten und anstelle Gottes setzten. Der anmaßende Absolutismus fand völlig zurecht Widerspruch und Widerstand – auch hier in verschiedenen, guten und schlechten, Formen. Letztendlich wurde jedoch die Monarchie verworfen und nicht der Absolutismus; der Monarch durch den Demos ersetzt und die Archie durch Kratie. Heute sieht man die energische Durchsetzung des Volkswillens als legitime Demokratie an**. Der Absolutismus blieb, die überhöhte, nahezu als gottgleich ausgestattete Entität, ward nun der Demos.*** Das Kritikwürdige wurde also nicht – im besten Sinne – reformiert, also wieder zu seinem ursprünglich guten Kern neu formiert, sondern übernommen und nur die Inhalte wurden ausgetauscht. Der Institutionensturm traf die Monarchie nicht den Absolutismus. Ganz gleich ging es in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu. Irgendwann entschieden sich die Bewegten, die ja mit ihrer Institutionenkritik als solcher ganz richtig lagen, dafür, anstatt die Institutionen auf ihren guten Kern zurückzuführen (ich komme darauf zurück), diese zu nutzen, und die eigenen (ideologischen) Inhalte zu transportieren. Der Marsch durch die Institutionen war geboren und befindet sich heute auf seinem Höhepunkt. ‑2-
Mister X ja so ist es wohl, man hat, um es banal auszudrücken das Kind mit dem Bade ausgeschüttet.
Man merkt es auch jeder Diskussion über Geschichte an, alles was früher verkehrt lief wird dem Ganzen angelastet.
Die Fähigkeit gut und böse zu unterscheiden gibt es nicht mehr.
-2- (Fortsetzung)
Dies war ja schon bei der Säkularisation so: Die Form wurde von der Kirche übernommen (Institutionalisierung), die Inhalte aber wurden willkürlich gewählt (Säkularisation). Das Ganze wurde von der Kirche zumindest geduldet, die ja seit Papst Gelasius I. unter dem Eindruck der Zwei-Schwerter-Lehre stand. Da war es leicht, anzunehmen, daß das, was im Geistigen recht ist, im Weltlichen billig sein möge.
Nach zwei furchtbaren Weltkriegen mit Völkerschlachten und Übergriffen selbst gegen zivile Massen schien die Zeit reif für eine Institutionenkritik. Diese drang jedoch nicht bis zum Kern vor und so würden die Menschen verführt („bewegt“), sich mit neuen Inhalten an denselben säkularisierten Institutionen zu versuchen. Und dies wirkt heute auf die Kirche zurück – mit aller Kraft einer falschen Idee.
Der gute Kern: Nun war die erste wahrgenommene Institution nur deshalb eine heilsame, nicht weil sie eine Institution war, sondern weil es die wahre Kirche war. Hier, in der Kirche fallen Wahrheit und Richtung zusammen; hier, in der Kirche, ist das objektiv Wahre und das teleologisch Richtige aufgehoben. Dies läßt sich nicht säkularisieren – und es ist auch nichts, was Institutionen innewohnt. Es gibt da nichts, es gibt kein X, welches größer ist als die Summe seiner Teile. Es gibt auch keine Dialektik, die durch bloßen Dualismus auch nur über eine (neue) These hinauszuführen vermag.
Da ist nichts. Was ist, das ist das Wort Jesu Christi. Was ist, ist sein Auftrag und vollumfängliche Bemächtigung aus dem Vater und mit dem Heiligen Geist. Dies ist die Kirche und sie kann nichts anderes sein.
*Berman: Recht und Revolution
http://bit.ly/HHjMve
**Siehe exemplarisch hier: http://www.bbc.co.uk/news/business-24804804
Zur Staatsgewalt: http://bit.ly/17lDQ1T
***Hoppe: Demokratie – der Gott, der keiner ist
http://bit.ly/HOac9v
Bischof Huonder von Chur warnt vor dem „nur noch relativ Katholischsein“:
-
„Ich stelle fest, dass.…offenbar ein Riesendruck herrscht,
gängige gesellschaftliche Standards auch in der Kirche zu übernehmen.
Dabei hat sich die Kirche nie von der Mehrheit abhängig gemacht.
[.…]
Denn „seit 2000 Jahren ist die katholische Kirche der Weisung Jesu gefolgt.
Wenn sie gesellschaftlichen Trends nachlaufen würde, wäre sie nicht mehr römisch katholisch, sondern nur noch relativ katholisch“
-
Ich bin ein Denzinger-Katholik.
Erstes Vatikanisches Konzil, 3. Sitzung, 4. Kap., Glaube und Vernunft:
„Daher muß bezüglich der heiligen Dogmen für immer jener Sinn festgehalten werden, den die heilige Mutter Kirche einmal erklärt hat, und niemals darf von diesem Sinn, auch nicht unter dem Anschein und im Namen eines tieferen Verständnisses, abgewichen werden.“
Bonifaz VIII., „Unam sanctam“:
„Eine heilige katholische und ebenso apostolische Kirche zu glauben und festzuhalten,
werden wir auf Drängens des Glaubens gezwungen, und diese glauben wir fest und bekennen wir aufrichtig, außerhalb derer weder Heil noch Vergebung der Sünden ist …; sie stellt den einen mystischen Leib dar … Eine Arche Noachs gab es nämlich zur Zeit der Sintflut, die die eine Kirche vorausbildete; in einer Elle vollendet hatte sie einen Führer und Lenker, nämlich Noach; außerhalb dieser wurden, wie wir lesen, alle Wesen auf Erden vernichtet. … Wir erklären, sagen und definieren nun aber, daß es für jedes menschliche Geschöpf unbedingt notwendig zum Heil ist, dem Römischen Bischof unterworfen zu sein.“
Konzil von Chalkedon, Tomus ad Flavianum:
„‘Denn drei sind es, die Zeugnis geben, Geist, Wasser und Blut, und die drei sind eins‘, nämlich der Geist der Heiligung, das Blut der Erlösung und das Wasser der Taufe. Diese drei sind eins, bleiben untrennbar, und nichts von ihnen kann aus ihrer Verbindung losgelöst werden.“
Da haben wir es doch. Was heißt denn Sinn*? Dieser Rekurs auf den Sinn ist doch schon eine relativierende Subjektivierung ganz im Zeitgeist (Quantenphysik**). Das ist keine klare Sprache, wie sie sich in den anderen beiden Beispielen findet. Und es scheint mir ganz typisch. Es klingt wohlfeil und annehmbar und trägt in sich schon den Keim der Leugnung des Wesentlichen. So in etwa, wie eine Frau sagen mag, daß sie einen schönen Mann hat, um auszudrücken, daß er dumm ist.
Ich bin kein studierter Theologe und mag mich irren, doch vorgenanntes Phänomen fällt mir auch hier gleich wieder auf.
*http://de.wikipedia.org/wiki/Sinn_(Wahrnehmung)
und http://de.wikipedia.org/wiki/Sinn_(Semantik)
**Die richtig sein mag, jedoch nicht ohne weiteres auf die Geisteswissenschaften übertragbar ist. In der Quantenphysik hat man festgestellt, daß sich ein Sein durch Beobachten verändert – es mithin auf das Subjekt ankommt.
Denke, dass 1870 noch keine ausufernden Debatten über den Begriff „Sinn“ von sprachlichen Äußerungen stattgefunden haben. Eher debattierte man über den „Sinn“ von Gegenständen.
Das Vat. I wollte sich vermutlich – auf eine hilflose Weise – von der beginnenden liberalen Bibelexegese abgrenzen, die wörtliche, objektive biblische/dogmatische Tradition durch historische Einbettungen und dergleichen relativieren wollte. Die „Textkritik“ kam in Mode. Man grub irgendwelche Vorkommnisse aus der Geschichte aus, die die Praxis der Kirche relativieren sollten. Motto: wenn der hl. Tarcisius den versteckten Christen in den Katakomben die Hl. Kommunion bringen konnte, warum dann nicht auch heute die Laien zur Kommunionausteilung heranziehen? Ausnahmen und Regeln wurden wild durcheinandergeworfen und Texte als bloße Oberflächen tiefer drunterliegender Realitäten, die natürlich erst noch zu beweisen waren und sind. Jedoch: wer sucht, der findet. Und so findet man bis heute o Wunder immer die richtigen Sinnzusammenhänge aus der „Geschichte“, erhellend dargestellt in hochaktiellen neuen theologischen Büchern, die uns alles und nichst beweisen. Es ist die moderne Märchenliteratur, die aber auch gleich wieder übern Haufen geworfen wird, sobald der Wind in andere Richtungen weht. Wundert sich einer, wieso das keinen hinterm Ofen und in die Kirche lockt?
Das Vat. I. wollte wohl auf den einfachen Sinn der Dogmen verweisen, der sich aus den Sätzen selbst ergibt. Beispiel: wenn man das Heil nur in der Kirche finden kann, heißt das, dass man das Heil nur in der Kirche finden kann. Punkt. Man muss nicht suchen und beweisen, dass dieser Satz zeitbedingt und darum relativ und in „unsere Wirklichkeit“ übersetzt werden müsse („Das kann man heute nicht mehr so sehen…“). Doch: diese Sätze sind gültig für immer!
Ihr Verweis auf die Quantenphysik ist hier – denke ich – nicht von Belang. Wir glauben ja, dass alles, was die Kirche „de fide“ verkündet, übernatürlich ist, also den gewöhnlichen irdischen Mechanismen nicht unterworfen ist. Kein Mensch hätte die Dogmen „erfinden“ können…
Der Begriff „Denzinger-Katholik“ (m.E. sicher verzichtbar) müßte doch näher im Hinblick auf den „Namensgeber „erläutert werden.
@Zeitschnur
Es geht doch nicht darum, sich grundsätzlich gegen die Moderne abzugrenzen. Wenigstens nicht oberflächlich. Allerdings gegen die neuzeitliche Philosophie. Wenn Kant lehrt, dass es der menschlichen Vernunft unmöglich ist, über die Phänomene hinaus irgendetwas Gültiges zu erkennen, wenn er damit die Metaphysik „erledigt“, dann ist katholischer Glaube obsolet. Weil er mehr ist als ein tief inneres Bedürfnis, das aus unserem Unterbewusstsein aufsteigt und in den Religionen lediglich ausformuliert wird.
Gott hat sich offenbart, schon im Alten Bund. Unüberbietbar und endgültig ist dieser Einbruch Gottes in die Geschichte durch die Inkarnation der Zweiten Göttlichen Person. Mit unserem Verstand können wir dieses Geheimnis niemals ausloten. Unsere Vernunft kann aber, im Gegensatz zur Lehre der Philosophie der Aufklärung, das Wirken Gottes in unserer Geschichte erkennen. Daran müssen wir festhalten, auch wenn es unmodern klingt.
Wenn ich den Eintrag hier richtig verstanden habe, ging es um die „Denzinger-Katholiken.“ „Denzinger-Schule“ wurde den Konzilsvätern, die wortwörtlich am überlieferten Offenbarungsgut festhalten wollten, vorgeworfen von Rahner und seinen „Gefährten.“
Wenn ich das II. Vatikanische Konzil kritisch sehe, ich weiß nicht, warum das gegen eine persönliche Christusbeziehung sein soll.
Heilige Frauen, Birgitta von Schweden, Caterina von Siena, um nur diese beiden zu nennen, haben immer wieder den Zustand der Kirche ihrer Zeit nicht nur öffentlich beklagt, sie haben sich an den Papst selbst gewandt.
Ausdrücklich ging es ihnen um die Kirche.
„Der Denzinger“ ist das Kompendium, das das Offenbarungsgut des katholischen Glaubens in den Lehräußerungen des Lehramtes gesammelt hat.
Ich weiß nicht, warum Sie den „Denzinger-Katholiken“ gegen den „liebenden Katholiken“ ausspielen. Für mich gehören sie untrennbar zusammen.
@Zeitlos
Ich habe nicht „Denzinger-Katholiken“ gegen „liebende Katholiken“ ausgespielt. Das sind Ihre Worte und Ihre Interprteationen.
Warum bauen Sie meine Worte so auf zu einem Gegenpol auf, den Sie dann bekämpfen?
Was ich sagen wollte ist, dass es eine Spannung gibt zwischen Petrus und Johannes, dass es ohne Liebe weder eine lebendige Hoffnung noch einen lebendigen Glauben gibt.
Und: Petrus versagt – wie schon öfter aber nun katastrophal, apokalyptisch!
Was wollen Sie tun? Sich einigeln? Und jammern, dass er versagt?
Irgendwie muss es ja dennoch weitergehen. Das meine ich – und weitergehen kann es nur in der Liebe zur Glaubenslehre, auch wenn Petrus sie verleugnet.