Iota Unum: Der tiefe Fall eines Papstes – und unsere Zeit


Heiliger Athanasius, Patriarch von Alexandria und Kirchenvater.
Heiliger Athanasius, Patriarch von Alexandria und Kirchenvater.

(Rom) Betrach­tet man die Lage der Kir­che, sieht man das Schwin­den ihrer Kraft in Euro­pa, die Dau­er­an­grif­fe einer zuneh­mend feind­lich gesinn­ten ton­an­ge­ben­den Schicht in Staat und Gesell­schaft, die gro­ße Ver­wir­rung, die in den eige­nen Rei­hen herrscht, die vie­len „Kir­chen“, die im deut­schen Sprach­raum zu exi­stie­ren schei­nen und nach außen in man­chen Fra­gen das Bild einer schmer­zen­den Kako­pho­nie ergeben.
Jüngst ver­öf­fent­lich­te
Katho​li​sches​.info den Vor­trag des Rechts­so­zio­lo­gen Mas­si­mo Intro­vi­gne über das Ver­hält­nis Kir­che und Frei­mau­re­rei. Dabei führ­te er aus, daß die Frei­mau­re­rei eine Ant­wort auf die plu­ra­li­stisch gewor­de­ne Gesell­schaft nach der Kir­chen­spal­tung des 16. Jahr­hun­derts und deren ideen­ge­schicht­li­che Fol­ge­wir­kun­gen war. Das Pro­blem ergab sich für die Katho­li­sche Kir­che nach dem Kon­zil, als sie sich der Welt „öff­nen“ soll­te. Wie mit dem Plu­ra­lis­mus umge­hen? Zur har­mo­ni­schen Viel­stim­mig­keit der Kir­che trat nun eine diso­nan­te Poly­pho­nie. Der deut­sche Sprach­raum ist ein Para­de­bei­spiel dafür. Plötz­lich war die Kir­che nicht mehr eine Stim­me in der plu­ra­li­sti­schen Gesell­schaft, son­dern wie­der­hol­te im Klei­nen inner­halb ihrer Rei­hen den Plu­ra­lis­mus der Gesell­schaft. Eine umge­kehr­te Hefe­wir­kung der Welt in der Kir­che statt der Kir­che in der Welt. Zwangs­läu­fig muß­te ihre Strahl­kraft in die Gesell­schaft hin­ein schwin­den, wäh­rend der Rela­ti­vis­mus tief in die Kir­che ein­ge­drun­gen ist. Es genügt mit zehn Katho­li­ken zu spre­chen, um das ent­stell­te Bild eines völ­lig ver­stimm­ten Cho­res zu erhalten.

Cri­stia­na de Magi­stris, Mit­glied der Stu­di­en­grup­pe des Histo­ri­kers Rober­to de Mat­tei zum Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil, erin­nert in einem lesens­wer­ten Auf­satz dar­an, daß die Kir­chen­ge­schich­te vie­le schwie­ri­ge Momen­te durch­lit­ten hat und auch die Schwä­chen und das Ver­sa­gen von Katho­li­ken, selbst hoher und höch­ster Kir­chen­ver­tre­ter, immer wie­der her­vor­tra­ten. Sie erin­nert an die Zeit nach dem Kon­zil von Niz­äa und den Streit der Katho­li­ken gegen die Aria­ner um die Gott­heit Jesu Chri­sti. In dem Streit ging es „nur“ um ein ein­zi­ges Jota, das als geflü­gel­te Rede­wen­dung in den all­ge­mei­nen Sprach­schatz ein­ging. An einem ein­zi­gen Buch­sta­ben soll der gesam­te Glau­ben ste­hen und fal­len? Wie wür­de unse­re heu­ti­ge, so leger gleich­gül­ti­ge Zeit auf eine sol­che Fra­ge ant­wor­ten? Im Streit vor fast 1650 Jah­ren fiel sogar der regie­ren­de Papst um und knick­te unter dem Druck des Kai­sers und einer gro­ßen Mehr­heit der Bischö­fe ein.

Anzei­ge

Cri­stia­na de Magi­stris ruft die Geschich­te eines ein­zi­gen Buch­sta­bens in Erin­ne­rung, des tie­fen Falls eines Pap­stes und der leuch­ten­den Stand­haf­tig­keit eines gro­ßen Man­nes, des Hei­li­gen Atha­na­si­us. Aber noch mehr. Aus der Kir­chen­ge­schich­te geht her­vor, daß es damals vor allem das wirk­lich gläu­bi­ge Volk war, das den wah­ren Glau­ben bewahr­te, wäh­rend die mei­sten Kir­chen­ver­tre­ter versagten.
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Iota Unum – Der tiefe Fall von Papst Liberius und der große Triumph des Heiligen Athanasius

Cri­stia­na de Magistris

Im Jahr 325 defi­nier­te das Kon­zil von Niz­äa die Wesens­gleich­heit (homooúsion) des Vaters und des Soh­nes. Das Kon­zil leg­te fest, daß der Vater und der Sohn die glei­che gött­li­che Natur haben. Der Begriff homooúsion war gera­de­zu per­fekt, um aus­zu­drücken, daß der Sohn kon­sub­stan­ti­ell mit dem Vater ist und damit die aria­ni­sche Häre­sie zurück­zu­wei­sen. Die Aria­ner behaup­te­ten nur eine Wesens­ähn­lich­keit, da der uner­schaf­fe­ne Vater mit nie­man­dem sei­ne oúsia tei­len kön­ne, also sei­ne gött­li­che Natur. Der Begriff homooúsion war daher das ein­zi­ge Wort, das die Aria­ner nicht aus­spre­chen konn­ten, ohne auf ihre Häre­sie zu ver­zich­ten, wes­halb die­ses Wort zum siche­ren Prüf­stein für die katho­li­sche Ortho­do­xie wurde.

Am Konzil von Nizäa hätten sich viele Bischöfe eine flexiblere Formel gewünscht

Das Kon­zil von Niz­äa wur­de von Kai­ser Kon­stan­tin dem Gro­ßen ein­be­ru­fen, der die Defi­ni­ti­on der Wesens­gleich­heit des Vaters und des Soh­nes sehr ermu­tig­te. Der Hei­li­ge Hila­ri­us über­lie­fert, daß auf dem Kon­zil 80 Bischö­fe die Wesens­gleich­heit ablehn­ten, 318 sie aber annah­men. Von Letz­te­ren unter­schrieb ein beträcht­li­cher Teil das Glau­bens­be­kennt­nis aller­dings nur als Akt der Unter­wer­fung unter den Kai­ser. M.L. Cozens schreibt über die­se Bischö­fe: „Män­ner von Welt, sie lieb­ten die dog­ma­ti­sche Prä­zi­si­on nicht und woll­ten eine For­mel, die von Men­schen unter­schied­li­cher Ideen unter­schrie­ben und unter­schied­lich inter­pre­tiert wer­den konn­te. Für sie war der prä­zi­se und exak­te Glau­ben eines Atha­na­si­us glei­cher­ma­ßen untrag­bar, wie die hart­näcki­ge Häre­sie des Ari­us und sei­ner Anhän­ger. Respekt, Tole­ranz, Groß­zü­gig­keit: das war ihr Ide­al von Reli­gi­on. Aus die­sem Grund schlu­gen sie statt des zu defi­ni­ti­ven und schwer umin­ter­pre­tier­ba­ren homooúsion den vagen Begriff homo­ioúsion vor. Sie (…) bedien­ten sich einer schein­bar ortho­do­xen Spra­che, pro­kla­mier­ten an die Gött­lich­keit Unse­res Herrn zu glau­ben“ und bekämpf­ten die Posi­ti­on des Ari­us, „um es kurz zu machen: sie sag­ten die ortho­do­xe­sten Din­ge, die man sich nur vor­stel­len kann, außer die Erset­zung ihres homo­ioúsion durch das homooúsion von Niz­äa.“ (M. L. Cozen: A Hand­book of Here­sies, Lon­don 1960, S. 35–36)

Sowohl unter den Bischö­fen als auch unter den Gläu­bi­gen ver­brei­te­te sich die Mei­nung, daß die Unter­schei­dung zwi­schen den bei­den Begrif­fen (dem katho­li­schen homooúsion und dem aria­ni­schen homo­ioúsion) nur ein über­flüs­si­ger Kon­flikt sei. Hin­zu­kam, daß es als schäd­lich betrach­tet wur­de, die Kir­che nur wegen eines Jota zu spal­ten. Doch die wah­ren Katho­li­ken, an erster Stel­le der Hei­li­ge Atha­na­si­us, „lehn­ten es ent­schie­den ab, irgend­ei­ne Erklä­rung zu akzep­tie­ren, die nicht das homooúsion ent­hält oder mit jenen zu kom­mu­ni­zie­ren, die es leug­ne­ten“. (Ibi­dem)

Ein Jota als Unterschied zwischen Christentum und einer ganz anderen Religion

Der Hei­li­ge Atha­na­si­us hat­te recht. Die­ser eine ein­zi­ge Buch­sta­be stell­te den ein­zi­gen, aber ent­schei­den­den Unter­schied zwi­schen der von Jesus Chri­stus, dem Wort Got­tes gestif­te­ten Chri­sten­heit und einer auf einer ande­ren Krea­tur gegrün­de­ten Reli­gi­on dar, denn die Gott­heit Chri­sti leug­nen bedeu­tet das gan­ze Chri­sten­tum leugnen.

Atha­na­si­us war sein gan­zes Leben lang Zeu­ge und ent­schie­de­ner Ver­tei­di­ger der vom Kon­zil von Niz­äa erkann­ten Wahr­heit. Wegen die­ser Stand­haf­tig­keit muß­te er meh­re­re Ver­ur­tei­lun­gen und das Exil erdul­den in einer Zeit, die vom Jahr 328, dem Jahr sei­ner Beru­fung zum Bischof und Patri­ar­chen von Alex­an­dria in Ägyp­ten bis zu sei­nem Tod reichte.

Auf Papst Juli­us I. (337–352), der mutig den Glau­ben von Niz­äa und die Sache des Hei­li­gen Atha­na­si­us ver­trat, folg­te Libe­ri­us (352) auf den Papst­thron. Fast gleich­zei­tig (350) begann im Reich die Allein­herr­schaft des aria­ner­freund­li­chen Kai­sers Kon­stan­ti­us II.

Liberius, der Papst, der aus Schwachheit vom Glauben abfiel

Anfangs unter­stütz­te Libe­ri­us die Sache des Atha­na­si­us und bat aus die­sem Grund den Kai­ser, ein Kon­zil ein­zu­be­ru­fen, ein erstes nach Arles (353–354) und ein zwei­tes, mit grö­ße­rer Betei­li­gung nach Mai­land (355). Auf bei­den wur­de unter kai­ser­li­chem Druck Atha­na­si­us ver­ur­teilt. Als ihn der Papst reha­bi­li­tie­ren woll­te, wur­de er 355 nach Thra­ki­en ver­bannt, wo er zwei Jah­re ver­brach­te. Dort geschah, was als tie­fer „Fall eines Pap­stes“ in die Geschich­te einging.

Der spät­an­ti­ke Histo­ri­ker Phi­los­tor­gi­os über­lie­fert in sei­ner Kir­chen­ge­schich­te, daß Papst Libe­ri­us erst nach Rom zurück­keh­ren konn­te, nach­dem er auf kai­ser­li­chen Druck eine Kom­pro­miß­for­mel unter­schrie­ben hat­te, die den Begriff homooúsion ver­warf. Der Hei­li­ge Hie­ro­ny­mus schreibt in sei­ner Chro­nik, daß Libe­ri­us „im Exil von Lan­ge­wei­le geplagt, nach Unter­zeich­nung der Häre­sie im Trimph nach Rom zurück­kehr­te“. Atha­na­si­us hielt gegen Ende 357 fest: „Libe­ri­us, nach­dem er ins Exil geschickt wor­den war, kehr­te nach zwei Jah­ren zurück, und aus Angst vor dem Tod, mit dem er bedroht wur­de, unter­zeich­ne­te er (die Ver­ur­tei­lung des Atha­na­si­us). (Hist. Ar., XLI) Der Hei­li­ge Hila­ri­us von Poi­tiers schrieb 360 an Kon­stan­ti­us: „Ich weiß nicht wel­cher der größ­te Fre­vel war, ob sein Exil oder sei­ne Rück­kehr“. (Con­tra Const., II)

Papst Liberius: „erschreckendes Beispiel menschlicher Schwäche“

Libe­ri­us war nicht nur eine „Schwach­heit“, son­dern viel­mehr „ein tie­fer Fall“. Alban But­ler schrieb dazu: „Libe­ri­us begann unter dem Leid des Exils zusam­men­zu­bre­chen und sei­ne Ent­schlos­sen­heit [gegen die Aria­ner und zugun­sten von Atha­na­si­us] ist belebt durch die stän­di­gen Auf­for­de­run­gen von Demo­phi­lus, dem aria­ni­schen Bischof von Bero­rea, und For­t­u­na­tus, dem zau­dern­den Bischof von Aqui­le­ja. Doch indem er den Ein­flü­ste­run­gen und Schmei­che­lei­en lausch­te, denen er kein Ohr schen­ken hät­te dür­fen, wur­de er so schwach, daß er der Ver­su­chung nach­gab, ein schwer­wie­gen­der Skan­dal für die gesam­te Kir­che. Er unter­zeich­ne­te die Ver­ur­tei­lung des Atha­na­si­us und ein Bekennt­nis oder ein Cre­do, das von den Aria­nern von Sir­mi­um [dem heu­ti­gen Mit­ro­witz (Srems­ka Mit­ro­vica) in Ser­bi­en] ver­faßt wur­de, wenn auch die Häre­sie nicht aus­drück­lich dar­in erwähnt wur­de. Und er schrieb an die aria­ni­schen Bischö­fe des Ostens, den wah­ren katho­li­schen Glau­ben emp­fan­gen zu haben, den vie­le Bischö­fe in Sir­mi­um appro­biert hat­ten. Das Fal­len eines sol­chen Prä­la­ten und Beken­ners ist ein erschrecken­des Bei­spiel mensch­li­cher Schwä­che, das nie­mand ohne Zit­tern sich in Erin­ne­rung rufen kann. Der Hei­li­ge Petrus fiel wegen sei­nes über­heb­li­chen Ver­trau­ens in sei­ne eige­nen Kräf­te und sei­ne eige­nen Lösun­gen, auf daß wir ler­nen, daß man nur durch Demut ste­hen­blei­ben kann.“ (Alban But­ler: The Lives of the Saints, Lon­don 1934, 2. Aus­ga­be, S. 10)

Kardinal Newman: Liberius verkündete keine falsche Lehre, wurde der ganzen Wahrheit aber nicht gerecht

Obwohl ver­schie­de­ne Histo­ri­ker ver­sucht haben Libe­ri­us zu ent­la­sten und frei­zu­spre­chen, hat­te eine Auto­ri­tät wie Kar­di­nal John Hen­ry New­man kei­nen Zwei­fel, daß der tie­fe „Fall des Libe­ri­us eine histo­ri­sche Tat­sa­che ist“. (J. H. New­man: Ari­ans of the Fourth Cen­tu­ry, Lon­don 1876, S. 464) „Alles läßt dar­auf schlie­ßen, daß Libe­ri­us die erste For­mel von Sir­mi­um von 351 akzep­tier­te [und damit ein aria­ni­sches Glau­bens­be­kennt­nis]… er sün­dig­te schwer, indem er wil­lent­lich den Gebrauch des wich­tig­sten Begriffs des Glau­bens­be­kennt­nis­ses von Niz­äa, beson­ders das homooúsion mied. Obwohl man nicht sagen kann, daß Libe­ri­us eine fal­sche Leh­re ver­kün­de­te, muß man zuge­ben, daß er aus Furcht und Schwach­heit der gan­zen und voll­stän­di­gen Wahr­heit nicht gerecht wur­de“ (New Catho­lic Ency­clo­pe­dia, New York 1967, Bd. VIII, S. 715)

Der tie­fe Fall des Libe­ri­us ist im Rah­men einer gene­rel­len Fah­nen­flucht der Mehr­heit des gan­zen Epi­sko­pats jenes Zeit zu sehen, was die Stand­haf­tig­keit und das Hel­den­tum des Atha­na­si­us nur noch mehr unter­streicht und leuch­ten läßt. Im fünf­ten Anhang sei­ner „Aria­ner des 4. Jahr­hun­derts“ schreibt Kar­di­nal Newman:

A.D. 260: der Hei­li­ge Gre­gor von Nazi­anz stell­te unge­fähr zu jener Zeit fest: ‚Die Hir­ten haben sicher irr­sin­ni­ge Din­ge getan, da mit weni­gen Aus­nah­men, die ent­we­der wegen ihrer gerin­gen Bedeu­tung über­se­hen wur­den, oder wegen ihrer Tugend wider­stan­den und die man unter dem Ein­fluß des Hei­li­gen Gei­stes ließ wie ein Samen und eine Wur­zel für eine neue Blü­te und Wie­der­ge­burt Isra­els, alle dem Kom­pro­miß nach­ga­ben, mit dem ein­zi­gen Unter­schied, daß eini­ge sofort nach­ga­ben und ande­re spä­ter; eini­ge waren Mei­ster und Anfüh­rer des Fre­vels und ande­re schlos­sen sich ihm an, als der Kampf begon­nen hat­te, hörig der Angst, des Eigen­nut­zes, der Schmei­che­lei­en oder – was noch am mei­sten ent­schuld­bar ist – der Igno­ranz“. (Orat. XXI., 24)

Basilius: „Die gläubigen Menschen haben die Orte des Gebets verlassen und versammeln sich in der Wüste“

Kap­pa­do­zi­en. Der Hei­li­ge Basi­li­us erklär­te unge­fähr im Jahr 372: „Die Treu­en schwei­gen, aber jede got­tes­lä­ster­li­che Zun­ge ist frei zu reden. Die hei­li­gen Din­ge sind geschän­det. Die wirk­lich katho­li­schen Lai­en mei­den die Orte des Gebets wie Schu­len des Fre­vels und erhe­ben im Gebet die Arme zu Gott in der Ein­sam­keit, stöh­nend und wei­nend“ (Ep. 92). Vier Jah­re spä­ter füg­te er hin­zu: „Das ist der Stand der Din­ge: Die Men­schen haben die Orte des Gebets ver­las­sen und ver­sam­meln sich in der Wüste. Es ist ein trau­ri­ges Schau­spiel. Frau­en und Kin­der, Alte und Kran­ke, lei­den unter frei­em Him­mel im Win­ter: den Regen, den Schnee, den Wind und die Unwet­ter, und im Som­mer unter der glü­hen­den Son­ne: sie ertra­gen das alles, weil sie nicht Teil haben wol­len an der üblen aria­ni­schen Agi­ta­ti­on“ (Ep. 242). Und kurz dar­auf: „Nur eine Sün­de wird jetzt schwer bestraft: die auf­merk­sa­me Ein­hal­tung der Tra­di­tio­nen unse­rer Väter. Aus die­sem Grund sind die Guten ihren Orten fern und in die Wüste geführt“ (Ep. 243).

Ecclesia docens war zeitweilig suspendiert – Großteil der Bischfe versagte, den wahren Glauben zu bekennen

Im sel­ben Anhang zwei­felt Kar­di­nal New­man nicht, daß wäh­rend der aria­ni­schen Kri­se, die hei­li­ge Tra­di­ti­on mehr von den Gläu­bi­gen als von den Bischö­fen bewahrt wur­de, oder anders aus­ge­drückt, im Wider­spruch zur Norm, mehr von der eccle­sia doc­ta als von der eccle­sia docens. New­man schreibt:

„Die Tat­sa­che ist nicht von gerin­ger Bedeu­tung, daß – obwohl aus histo­ri­scher Sicht das 4. Jahr­hun­dert von gro­ßen Hei­li­gen und Kir­chen­leh­rern wie Atha­na­si­us, Hila­ri­us, die bei­den Gre­go­re, Basi­li­us, Chr­i­so­sto­mus, Ambro­si­us, Hie­ro­ny­mus und Augu­sti­nus (alle Bischö­fe außer einer) so reich ist – gera­de in die­ser Zeit die der unfehl­ba­ren Kir­che anver­trau­te gött­li­che Tra­di­ti­on viel mehr von den Gläu­bi­gen als vom Epi­sko­pat ver­kün­det und bewahrt wur­de. Ich will damit sagen, daß […] in jener Zeit größ­ter Ver­wir­rung das gött­li­che Dog­ma der Gott­heit Unse­res Herrn Jesus Chri­stus weit mehr von der Eccle­sia doc­ta als von der Eccle­sia docens ver­kün­det, geschützt und (mensch­lich gespro­chen) bewahrt wur­de. Der Groß­teil des Epi­sko­pats war sei­nem Auf­trag untreu, wäh­rend das Volk sei­ner Tau­fe treu blieb; manch­mal sogar der Papst, manch­mal die Patri­ar­chen, Metro­po­li­ten oder Bischö­fe, manch­mal selbst die Kon­zi­le (New­man bezieht sich nicht auf die Öku­me­ni­schen Kon­zi­le, son­dern auf jene Kon­zi­le, die eine gro­ße Zahl von Bischö­fen einer bestimm­ten Regi­on ver­sam­mel­ten.) erklär­ten, was sie nicht tun hät­ten dür­fen oder mach­ten Din­ge, die die offen­bar­te Wahr­heit ver­dun­kel­ten oder kom­pro­mit­tier­ten. Wäh­rend im Gegen­satz dazu das christ­li­che Volk, geführt von der Vor­se­hung, die kirch­li­che Kraft war, die Atha­na­si­us, Euse­bi­us und ande­re gro­ße Ein­zel­kämp­fer stütz­te, die nie ohne ihre Unter­stüt­zung stand­hal­ten hät­ten kön­nen. In gewis­ser Hin­sicht läßt sich sagen, daß es eine ‚zeit­wei­li­ge Aus­set­zung‘ der Funk­tio­nen der Ecce­sia docens gab. (New­man erklärt, daß er damit meint, daß “de fac­to zwi­schen dem Kon­zil von Niz­äa (325) und jenem von Kon­stan­ti­no­pel (381) die Stim­me der unfehl­ba­ren Kir­che ver­stummt war.) Der Groß­teil der Bischö­fe hat­te dar­in ver­sagt, den wah­ren Glau­ben zu bekennen.“

Der tie­fe Fall des Libe­ri­us, der Wider­stand des Atha­na­si­us, die Stär­ke des treu­en Vol­kes zur Zeit des Aria­nis­mus sind eine Leh­re für jede Zeit. New­man schrieb im Juli 1859 im Ram­bler:

„In der Zeit der aria­ni­schen Häre­sie sehe ich ein pla­sti­sches Bei­spiel eines Zustan­des der Kir­che, in dem man, um die Tra­di­ti­on der Apo­stel zu ken­nen, auf das gläu­bi­ge Volk zurück­grei­fen muß­te, […]. Des­sen Stim­me ist daher die Stim­me der Tradition“.

Die Anklage des Heiligen Athanasius

Die­se Stim­me hat­te in Atha­na­si­us einen mäch­ti­gen Anfüh­rer, der kei­ne Kom­pro­mis­se dul­de­te. Er zöger­te nicht, den lau­en Chri­sten zu sagen: „Ihr wollt Kin­der des Lichts sein, aber ihr möch­tet die Kind­schaft der Welt nicht gern auf­ge­ben. Ihr soll­tet an die Buße glau­ben, ihr aber glaubt an das Glück der neu­en Zeit. Ihr soll­tet von Gna­de spre­chen, aber ihr sprecht lie­ber vom mensch­li­chen Fort­schritt. Ihr soll­tet Gott ver­kün­den, aber ihr pre­digt lie­ber den Mensch und die Mensch­heit. Ihr heißt euch nach Chri­stus, aber ihr soll­tet euch lie­ber nach Pila­tus nen­nen… Ihr seid der gro­ße Ver­derb, denn ihr sitzt in der Mit­te. In der Mit­te wollt ihr sit­zen zwi­schen Licht und Welt. Ihr seid Mei­ster des Kom­pro­mis­ses und geht mit der Welt mit. Ich sage euch: geht lie­ber in die Welt fort und ver­laßt den Mei­ster, des­sen Reich nicht von die­ser Welt ist.“ (Cos­mus Flam: Atha­na­si­us kommt in die Groß­stadt oder Die Tier­gru­be, Bres­lau 1930, S. 84)

Die Geschich­te der aria­ni­schen Kri­se ist von außer­or­dent­li­cher Aktua­li­tät. „Was damals vor über 1600 Jah­ren geschah, wie­der­holt sich heu­te, nur mit dem zwei­fa­chen oder drei­fa­chen Unter­schied: Alex­an­dri­en ist heu­te die gan­ze Welt­kir­che, die in ihrem Bestand erschüt­tert ist, und was damals an phy­si­scher Gewalt und Grau­sam­keit erfolg­te, ver­la­gert sich auf eine ande­re Ebe­ne. Ver­ban­nung wird durch Tot­schwei­gen und die Tötung durch Ruf­mord ersetzt.“ (Rudolf Gra­ber: Atha­na­si­us und die Kir­che unse­rer Zeit, 10. Aufl., Abens­berg 1983, S. 23) Mit die­sen Wor­ten ver­glich Bischof Rudolf Gra­ber von Regens­burg bereits in den 70er Jah­ren die kom­ple­xe und zer­set­zen­de Kri­se des 4. Jahr­hun­derts mit dem schlei­chen­den Glau­bens­ab­fall unse­rer Zeit.

Der Hei­li­ge Hie­ro­ny­mus gei­ßel­te zur Zeit des Atha­na­si­us die aria­ni­sche Kri­se mit den berühm­ten Wor­ten: „Inge­muit totus orbis et aria­num se esse mira­tus est“ , es stöhn­te der gan­ze Erd­kreis und wun­der­te sich, daß er aria­nisch gewor­den war. (C. Lucif. 19)

Die Lage heute? Nur wenige stöhnen und wundern sich – Wo ist ein neuer Athanasius?

Das bemer­kens­wer­te an unse­rer Zeit, in der wir eine regel­rech­te Auf­lö­sung des Chri­sten­tums erle­ben, die weit schlim­mer ist als der Aria­nis­mus, ist die Tat­sa­che, daß – von weni­gen Aus­nah­men abge­se­hen – nie­mand stöhnt und sich auch nie­mand zu wun­dern scheint. Ganz im Gegen­teil. Trotz der all­ge­mei­nen Auf­lö­sung, die kein mit etwas Haus­ver­stand geseg­ne­ter Gläu­bi­ger leug­nen kann, fährt man fort alte und neue Lob­lie­der zu Ehren einer Kir­che anzu­stim­men, die es end­lich aus den Kata­kom­ben her­aus­ge­schafft habe. Dabei ver­ges­sen sie ganz, daß die aria­ni­sche Kri­se genau ein­setz­te, als die Ver­fol­gun­gen endeten.

Die aria­ni­sche Geschich­te zeigt sich uns heu­te in viel dra­ma­ti­sche­ren Zügen. Kon­rad Kirch schrieb dazu: „Einen sol­chen Mann sand­te der Welt die Vor­se­hung in jenen Tagen, da eine gewal­ti­ge Winds­braut stär­ker und stär­ker heul­te und dann an den Säu­len der Kir­che rüt­tel­te, daß sie wank­ten und san­ken, da die hei­li­gen Mau­ern zu stür­zen droh­ten, da es den Anschein nahm, als ob die Mäch­te der Tie­fe und die Kräf­te in den Höhen die Kir­che vom Erd­bo­den ver­til­gen wür­den. Aber einer stand da wie ein Fels, ein Wogen­bre­cher, Atha­na­si­us; einer sprang über­all in die Bre­sche, Atha­na­si­us; einer schwang Got­tes Schwert über Mor­gen­land und Abend­land, Atha­na­si­us.“ (Kon­rad Kirch Hg.: Hel­den des Chri­sten­tums: I. Aus dem christ­li­chen Alter­tum: 1. Die Kir­che der Mär­ty­rer, 5. Aufl., Pader­born 1936, S. 12f)

Die wirk­li­che Tra­gö­die unse­rer Zeit ist es viel­leicht, kei­nen neu­en Atha­na­si­us zu haben.

Text: conciliovaticanosecondo.it
Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Cor­ri­spon­den­za Romana

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