Nein zu Bekehrungen, Ja zur Mission – Widerspricht sich der Papst selbst?


(Rom) Zum Athe­isten Euge­nio Scal­fa­ri sag­te Papst Fran­zis­kus: Nein zu Bekeh­run­gen. Bei der Gene­ral­au­di­enz am ver­gan­ge­nen Mitt­woch erklär­te er den mis­sio­na­ri­schen Auf­trag der Kir­che zur „Prio­ri­tät“ sei­nes Pon­ti­fi­kats. Ein Wider­spruch? Wie läßt er sich auf­lö­sen? War­um kon­ter­ka­riert der Papst sei­ne eige­ne Linie und schwächt damit, was er eigent­lich vor­gibt errei­chen zu wol­len? Oder liegt nur ein Miß­ver­ständ­nis vor? Wie ist der ver­meint­li­che oder tat­säch­li­che Wider­spruch zu entschlüsseln?

Anzei­ge

Noch nie zuvor erging ein sol­cher Fluß an Stel­lung­nah­men von einem Papst. Die Kir­che unter­schei­det tra­di­tio­nell zwi­schen Aus­sa­gen, die Teil des päpst­li­chen Lehr­am­tes sind und per­sön­li­chen Äuße­run­gen. Da die Unter­schei­dung schwie­rig ist und Miß­ver­ständ­nis­se leicht vor­her­seh­bar sind, ver­zich­te­ten die Päp­ste grund­sätz­lich auf „pri­va­te“ Stel­lung­nah­men. Papst Fran­zis­kus traf die­se Unter­schei­dung noch nicht und so ver­brei­ten die Medi­en jede Wort­mel­dung unter­schieds­los in die Welt hin­aus, von den mor­gend­li­chen „Papst­per­len“, die nicht Teil des Lehr­am­tes sind bis zu den offi­zi­el­len Anspra­chen, Pre­dig­ten und Kate­che­sen, die es sind.

Scalfari-Interview Teil päpstlichen Lehramtes? – „Proselytismus Riesendummheit“

Nicht zum Lehr­amt gehö­ren auch die umstrit­te­nen Inter­views, mit denen der Papst für viel Dis­kus­si­on und Unsi­cher­heit sorg­te. Zumin­dest soll­te es so sein. Aber selbst dies­be­züg­lich herrscht Unklar­heit. Das Inter­view mit Papst Fran­zis­kus, geführt vom Grün­der der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Repubbli­ca, Euge­nio Scal­fa­ri („L’Os­ser­va­to­re Roma­no“ vom 2. Okto­ber 2013) wur­de offi­zi­ell und in ver­schie­de­nen vom Vati­kan erstell­ten Über­set­zun­gen auf der Inter­net­sei­te des Hei­li­gen Stuhls ver­öf­fent­licht, die die lehr­amt­li­chen Aus­sa­gen des Pap­stes sam­melt. Das Inter­view für die Jesui­ten­zeit­schrift Civil­tà  Cat­to­li­ca fin­det sich dort hin­ge­gen nicht.

Das Scal­fa­ri-Inter­view gilt also als lehr­amt­li­che Aus­sa­ge? So scheint es. Zumin­dest muß bis auf Wider­ruf davon aus­ge­gan­gen wer­den. In die­sem Inter­view bezeich­ne­te Papst Fran­zis­kus den „Pro­se­ly­tis­mus“ als „Rie­sen­dumm­heit“. Ein­fach so und knall­hart. Im Deut­schen nennt der Duden statt Pro­se­ly­tis­mus das Wort Pro­se­ly­ten­ma­che­rei: „jemand der Pro­se­ly­ten macht“. Im Grie­chi­schen meint prosḗlytos „Hin­zu­ge­kom­me­ner“, ein Neu­be­kehr­ter. Der Athe­ist Scal­fa­ri, der das Inter­view führ­te, war begeistert.

Der­sel­be Papst bezeich­net jedoch gleich­zei­tig „Mis­si­on“ als Prio­ri­tät sei­nes Pon­ti­fi­kats. Nach Jahr­zehn­ten, in denen der mis­sio­na­ri­sche Eifer der Kir­che von innen her­aus erlahm­te, drängt ein Papst stär­ker als sei­ne Vor­gän­ger auf die Wie­der­auf­nah­me der Mis­si­ons­tä­tig­keit. Ein offen­sicht­li­cher Wider­spruch? Ist die Absa­ge an die Bekeh­rung nur ein Wort­spiel wie im Ant­wort­brief an Scal­fa­ri? In die­sem demen­tier­te der Papst, daß es eine „abso­lu­te Wahr­heit“ gebe, weil das latei­ni­sche Wort absol­vere etwas ganz ande­res mei­ne. Wel­chen Sinn machen aber Wort­spie­le, die nur Ver­wir­rung stiften?

Bei der Gene­ral­au­di­enz am ver­gan­ge­nen Mitt­woch den 16. Okto­ber und in sei­ner Bot­schaft zum Welt­mis­si­ons­sonn­tag beharrt Papst Fran­zis­kus dar­auf, daß die Kir­che „apo­sto­lisch“ ist, „weil sie aus­ge­sandt ist, das Evan­ge­li­um der gan­zen Welt zu bringen“.

Am 16. Okto­ber sag­te der Papst:

Die Mis­si­on selbst, die Chri­stus den Apo­steln anver­traut hat, geht auf dem Weg der Geschich­te wei­ter: „Dar­um geht zu allen Völ­kern und macht alle Men­schen zu mei­nen Jün­gern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Gei­stes, und lehrt sie, alles zu befol­gen, was ich euch gebo­ten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Das ist es, was uns Jesus gesagt hat, zu tun! Ich behar­re auf die­sen Aspekt des Mis­sio­na­ri­schen, weil Chri­stus alle ein­lädt, den ande­ren ent­ge­gen „zu gehen“, er sen­det uns, er will, daß wir uns bewe­gen, um die Freu­de des Evan­ge­li­ums zu brin­gen! Fra­gen wir uns noch ein­mal: Sind wir Mis­sio­na­re mit unse­rem Wort, aber vor allem mit unse­rem christ­li­chen Leben, mit unse­rem Zeug­nis? Oder sind in unse­rem Herz und in unse­ren Häu­sern ein­ge­schlos­se­ne Chri­sten, Sakris­tei­ch­ri­sten? Den Wor­ten nach Chri­sten, die aber wie Hei­den leben? Wir müs­sen uns die­se Fra­gen stel­len, die kein Vor­wurf sind.

Die Kir­che hat ihre Wur­zeln in der Ver­kün­di­gung der Apo­stel, authen­ti­sche Zeu­gen Chri­sti, sie schaut aber in die Zukunft, sie hat das siche­re Gewis­sen, gesandt zu sein – gesandt von Jesus, mis­sio­na­risch zu sein, den Namen Jesu zu brin­gen mit dem Gebet, die Ver­kün­di­gung und das Zeugnis.

Mis­si­on, aber kei­ne Bekeh­run­gen? Am 20. Okto­ber ist Welt­mis­si­ons­sonn­tag. In sei­ner Bot­schaft ging Papst Fran­zis­kus direkt auf die­sen Wider­spruch ein:

Das Mis­sio­na­ri­sche der Kir­che ist nicht Pro­se­ly­ten­ma­che­rei, son­dern Lebens­zeug­nis, das den Weg erleuch­tet, das Hoff­nung und Lie­be bringt. Die Kir­che ist nicht eine Ver­sor­gungs­or­ga­ni­sa­ti­on, ein Unter­neh­men, eine NGO, son­dern eine Gemein­schaft von Men­schen, bewegt vom Hei­li­gen Geist, die das Stau­en der Begeg­nung mit Jesus Chri­stus erlebt haben und erle­ben und die­se Erfah­rung höch­ster Freu­de zu tei­len wün­schen, die Bot­schaft der Ret­tung zu tei­len wün­schen, die der Herr uns gebracht hat.

Also doch nur ein Wort­spiel? In wel­chem Sinn? Daß die Chri­sten nicht in die Welt hin­aus­ge­hen sol­len, um den Selbst­zweck mög­lichst vie­le Neu­be­keh­run­gen zu erwecken? Son­dern „ergeb­nis­of­fen“ hin­aus­ge­hen sol­len, das Evan­ge­li­um zu ver­kün­den und wer getauft wer­den will, wird getauft? Will der Papst damit sagen, frü­her tat man Erste­res und nun wünscht er Zwei­te­res? Gab es einen sol­chen Gegen­satz jedoch? Wird Papst Fran­zis­kus damit dem mis­sio­na­ri­schen Eifer Tau­sen­der und Aber­tau­sen­der Prie­ster, Ordens­leu­te und Gläu­bi­gen vor der Geschich­te gerecht?

Tat­sa­che ist, daß der mis­sio­na­ri­sche Eifer der Kir­che seit dem Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil merk­lich nach­ge­las­sen hat. Eine Fra­ge, die mit einer grund­sätz­li­chen Ver­än­de­rung des Kir­chen­ver­ständ­nis­ses zu tun hat­te. Auch mit einem „neu­en Ver­hält­nis“ zu den ande­ren Reli­gio­nen. Heu­te stellt sich der Rela­ti­vis­mus radi­kal der Mis­si­on entgegen.

Papst Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. waren bemüht, die im Umfeld des Kon­zils ein­ge­tre­te­ne läh­men­de „Kli­ma­än­de­rung“ zu kor­ri­gie­ren. „Mit beschei­de­nen Ergeb­nis­sen“, so der Vati­ka­nist San­dro Magister.

Nun scheint Papst Fran­zis­kus auf sei­ne Art eine „Kurs­kor­rek­tur“ vor­neh­men zu wol­len. Das Ergeb­nis wird man in der Zukunft sehen.

„Zunächst muß man die Ursa­chen und Ent­wick­lung die­ser Kri­se der Mis­si­on anschau­en“, so Magi­ster. Zum The­ma erschien jüngst das Buch des Mis­sio­nars Pater Pie­ro Ghed­do. Der heu­te 84 Jah­re alte Pater Ghed­do gehört dem Orden des Päpst­li­ches Insti­tuts für die aus­wär­ti­gen Mis­sio­nen (PIME) an. Er wirk­te bereits auf allen Kon­ti­nen­ten und ist Autor von über 80 Büchern. Johan­nes Paul II. beauf­trag­te ihn mit der Abfas­sung des Ent­wurfs für die Mis­si­ons­en­zy­kli­ka Redempto­ris mis­sio von 1990. Wäh­rend des Kon­zils gehör­te er bereits zu den Autoren des Kon­zils­de­krets Ad gen­tes.

In sei­nen Tage­bü­chern ver­zeich­ne­te er die Ent­ste­hungs­ge­schich­te die­ses Dekrets, sei­ne Umset­zung und die Schwie­rig­kei­ten, auf die sei­ne Umset­zung stieß. In sei­nem neu­en Buch legt er die­se Hin­ter­grün­de erst­mals offen.

Im Vor­feld des Kon­zils hat­te Jor­ge Mario Kar­di­nal Berg­o­glio von unter­schied­li­chen Kir­chen­bil­dern gespro­chen: „Es gibt zwei Bil­der der Kir­che: die evan­ge­li­sti­sche Kir­che, die aus sich selbst hin­aus­geht, oder die mon­dä­ne Kir­che, die in sich selbst aus sich selbst und für sich selbst leben will.“

Unge­klärt bleibt: War­um kon­ter­ka­riert und schwächt Papst Fran­zis­kus sei­ne eige­ne Auf­for­de­rung durch wider­sprüch­li­che Aus­sa­gen oder für Kir­chen­fer­ne wohl­ge­fäl­li­ge Wort­spie­le? Die eigen­wil­li­ge Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie des Pap­stes hat zur Fol­ge, daß das Nein zu Bekeh­run­gen im Scal­fa­ri-Inter­view, ob es nun offi­zi­ell Teil des päpst­li­chen Lehr­am­tes ist oder nicht, von den Mas­sen­me­di­en rund um die Welt getra­gen wur­de und in die Köp­fe der Chri­sten und Nicht-Chri­sten vor­ge­drun­gen ist; daß das Ja zur Mis­si­on und zum mis­sio­na­ri­schen Eifer der Kir­che als siche­rer Teil des Lehr­am­tes besten­falls in den katho­li­schen Medi­en Ver­brei­tung fin­det und damit nur ein­ge­schränk­te Wir­kung ent­fal­ten kann. Woll­te man danach gehen, wären die Prio­ri­tä­ten des Pap­stes aller­dings anders gesetzt. Alles nur ein Mißverständnis?

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Per­fetta Letizia

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!