„Kein Katholik möchte den Papst kritisieren, aber wir konnten nicht länger schweigen“ – Interview mit Palmaro und Gnocchi


Papst Franzikus und die Kritik von Mario Palmaro und Alessandro Gnocchi(Mai­land) Am ver­gan­ge­nen 9. Okto­ber ver­öf­fent­lich­ten der Rechts­phi­lo­soph Mario Pal­ma­ro und der Jour­na­list Ales­san­dro Gnoc­chi in der Tageszeitung„Il Foglio“ eine har­te, aber klar umris­se­ne Kri­tik am bis­he­ri­gen Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus (sie­he eige­nen Bericht). Ein Text, der als „Ankla­ge“ und als „Ermah­nung“ an den Papst auf­ge­faßt wur­de. Der Auf­satz sorg­te für Auf­se­hen, fand viel Zustim­mung, geriet aber wegen eines „zu har­ten“ Titels selbst in die Kri­tik. Nicht nur das. Noch am Tag der Ver­öf­fent­li­chung wur­den bei­de nach zehn­jäh­ri­ger Mit­ar­beit von Radio Maria Ita­li­en gekün­digt. Pro­gramm­di­rek­tor Don Livio Fanz­a­ga begrün­de­te die dra­sti­sche Ent­schei­dung damit, daß eine Kri­tik am Papst mit der Stel­lung eines Mode­ra­tors von Radio Maria „unver­ein­bar“ sei. Der Sen­der habe „kla­re Grund­sät­ze“: er ste­he “ treu zum Papst und sei­nem Lehr­amt und sei­nen pasto­ra­len Vor­ga­ben“. So sei das unter Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. gewe­sen und so sei es auch unter Fran­zis­kus. Die Tages­zei­tung „Libe­ro“ führ­te mit den bei­den gefeu­er­ten Katho­li­ken ein Interview.

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Fan­gen wir beim Arti­kel an: Was hat der Papst gesagt oder getan, das zwei katho­li­schen Publi­zi­sten nicht gefällt?

Es gibt zwei pro­ble­ma­ti­sche Aspek­te: die Form und die Inhal­te. Fran­zis­kus hat Ver­hal­tens­wei­sen und einen Stil ange­nom­men, die zur Auf­lö­sung des Pon­ti­fi­kats in sei­ner for­ma­len Struk­tur füh­ren, die ten­den­zi­ell in Rich­tung einer Redu­zie­rung des Pap­stes auf einen Bischof unter vie­len füh­ren und nicht zum „süßen Chri­stus auf Erden“, von dem die Hei­li­ge Katha­ri­na von Sie­na spricht.
Auf der Ebe­ne der Inhal­te fin­den sich in den Inter­views der Civil­tà  Cat­to­li­ca und der Repubbli­ca nicht nur Zwei­deu­tig­kei­ten, son­dern objek­ti­ve phi­lo­so­phi­sche und lehr­mä­ßi­ge Irrtümer.
Spre­chen wir als Jour­na­li­sten­kol­le­gen mit­ein­an­der: Wir dis­ku­tie­ren über den klas­si­schen Fall einer Nicht-Mel­dung. Hier sind zwei getauf­te Katho­li­ken, die seit Mona­ten hören, was der Papst sagt und seit Mona­ten ein Unbe­ha­gen dabei emp­fin­den, weil das, was sie hören offen­sicht­lich sich in schnel­len Schrit­ten von dem ent­fernt, was die Glau­bens­leh­re sagt. Am Ende, schließ­lich ist es ihr Beruf zu schrei­ben und zu kom­men­tie­ren, schrei­ben und kom­men­tie­ren sie. So sieht es nicht nur eine Grund­re­gel der Infor­ma­ti­on vor, son­dern auch das Kir­chen­recht. Der Brief an Scal­fa­ri, das Inter­view mit Scal­fa­ri, das Inter­view mit der Civil­tà  Cat­to­li­ca sind nur die jüng­sten, ekla­tan­ten Bei­spie­le. Sie gin­gen um die Welt, sie führ­ten zum Ruf nach Revo­lu­ti­on, sie ent­setz­ten Tau­sen­de und Aber­tau­sen­de von Katho­li­ken, und damit See­len, und nie­mand hat dazu etwas zu sagen?
Die Mel­dung ist hin­ge­gen der ein­hel­li­ge Jubel­chor, der von bestimm­ten kon­ser­va­ti­ven Katho­li­ken über Enzo Bian­chi und Hans Küng bis zum offe­nen Kir­chen­has­ser Pan­nella reicht.

Sie haben das Euge­nio Scal­fa­ri gewähr­te Inter­view kri­ti­siert. War das Inter­view nicht in Ord­nung oder der Interviewer?

Die Wahl Euge­nio Scal­fa­ris ist bei­spiel­los und läßt vie­le Katho­li­ken fas­sungs­los. Er ist nicht nur ein Lai­zist oder ein Nicht-Gläu­bi­ger, son­dern ein histo­ri­scher Ant­ago­nist der Katho­li­zi­tät. Die Tages­zei­tung La Repubbli­ca ist das Sym­bol für eine radi­kal, schicke Kul­tur, die aus Schei­dung und Abtrei­bung die tra­gen­den Säu­len einer neu­en nihi­li­sti­schen Gesell­schaft gemacht hat, in der für Chri­stus und die Sakra­men­te kein Platz mehr ist. Etwas ande­res wäre es gewe­sen, Scal­fa­ri auf dis­kre­te Art zu tref­fen, um mit Blick auf sein Wohl mit ihm zu spre­chen. Und in der Hoff­nung auf sei­ne Bekehrung.

Im Zusam­men­hang mit dem Papst-Inter­view der Civil­tà  Cat­to­li­ca sagen Sie, daß die Sät­ze zur Abtrei­bung Leh­re und Barm­her­zig­keit in einen Gegen­satz set­zen. Was heißt das?

Die erste Form der Näch­sten­lie­be ist die Wahr­heit. Der gute Arzt ver­heim­licht dem Kran­ken die Schwe­re sei­ner Krank­heit nicht, damit die­ser sie kuriert. Gott wünscht ohne Unter­laß uns zu ver­ge­ben, aber er erwar­tet von uns Reue, es anzu­er­ken­nen, daß wir gesün­digt haben. Eine Kir­che, die zur Moral schweigt, um nicht mit der Welt zusam­men­zu­pral­len, wür­de es an Näch­sten­lie­be gegen­über den Sün­dern feh­len las­sen. Es ist leicht zu sagen, daß 300 Tote vor Lam­pe­du­sa „eine Schan­de“ sind. Viel schwe­rer ist es zu sagen, daß 300 abge­trie­be­ne Kin­der eine weit grö­ße­re Schan­de sind.

Und aus die­sem und ande­ren Grün­den haben Sie die „Nor­ma­li­sten“ kri­ti­siert, die Katho­li­ken, die im Gegen­satz zur lai­zi­sti­schen Pres­se kei­ne Revo­lu­ti­on gegen das kirch­li­che Lehr­amt erken­nen kön­nen. Was aber hat sich in Wirk­lich­keit geändert?

Wir haben jene kri­ti­siert, die wir aus einem ganz ein­fa­chen Grund als Nor­ma­li­sten bezeich­nen. Die­se Herr­schaf­ten machen seit sechs Mona­ten nichts ande­res als die Feh­ler von Papst Fran­zis­kus zu kaschie­ren: zum Gewis­sen, zur Ethik, zur Bio­ethik, zum Ordens­le­ben. Bei aller Aner­ken­nung des guten Wil­lens und der guten Absicht rich­ten sie damit einen enor­men Scha­den an, weil sie – indem sie sagen, es sei alles ganz nor­mal und es habe sich nichts geän­dert, und eine Katho­li­zi­tät behaup­ten, wo es sie gar nicht gibt – damit enden, die nack­ten Aus­sa­gen des Pap­stes als katho­lisch durch­ge­hen zu las­sen. Die Armen geben sich der Illu­si­on hin, medi­en­mä­ßig stär­ker zu sein als Berg­o­glio und mei­nen, daß ihre nach­träg­li­chen Kor­rek­tu­ren die Adres­sa­ten errei­chen. In Wirk­lich­keit haben sie gar nichts davon ver­stan­den, wie die Maschi­ne­rie der Mas­sen­me­di­en heu­te funk­tio­niert. Nicht sie sind es, die den Papst kor­ri­gie­ren, son­dern der Papst ist es, der sie aufsaugt.

Wenn der Papst aber sogar unka­tho­li­sche Aus­sa­gen machen soll­te, war­um tun dann die Nor­ma­li­sten so, als wür­den sie das alles nicht sehen?

Weil im Mit­tel­punkt des Pro­blems kein gerin­ge­rer als der Papst steht. Rich­ti­ger­wei­se sehen die Katho­li­ken in ihm den Füh­rer der Kir­che durch die Geschich­te und möch­ten ihn eigent­lich nie kri­ti­sie­ren müs­sen. Um es ver­ständ­lich zu machen: wenn das Inter­view in der Civil­tà  Cat­to­li­ca von einem Theo­lo­gen oder sogar von einem Bischof stam­men wür­de, wäre es längst in allen Tei­len kri­ti­siert wor­den, die dar­in nicht passen.

Aber abge­se­hen von den Inter­views haben Sie auch die Inter­pre­ta­ti­on des Pap­stes zum Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil kri­ti­siert. Ist das nicht eine zu har­te Kritik?

Wir hal­ten uns an die Fak­ten: Mit dem Zwei­ten Vati­ka­num erklärt die Kir­che offen, sich der Welt zu öff­nen und auf deren Erwar­tun­gen ant­wor­ten zu wol­len. Eine Umwäl­zung, die in die­sen Jahr­zehn­ten ihre Ergeb­nis­se her­vor­ge­bracht hat: die Prie­ster­se­mi­nar haben sich geleert, in vie­len von ihnen wer­den unka­tho­li­sche Leh­ren ver­brei­tet, und auf die Lehr­stüh­le wer­den, wie Car­lo Maria Mar­ti­ni woll­te, Ungläu­bi­ge gesetzt.

Sie wer­fen Berg­o­glio auch ein über­zo­ge­nes Fee­ling mit den Mas­sen­me­di­en vor. Sind Sie nicht der Mei­nung, daß er viel­mehr das Bild der Kir­che stärkt?

Hier­zu gilt immer die Ant­wort von McLu­han: Die Medi­en erzeu­gen eine Illu­si­on, die zum Fak­si­mi­le des mysti­schen Lei­bes wird, und die er „eine betäu­ben­de Erschei­nung des Anti­chri­sten“ nennt.

Aber gestern [11. Okto­ber 2013] beharr­te der Papst in sei­ner Pre­digt dar­auf, daß der Teu­fel eine Rea­li­tät und nicht eine Meta­pher ist und sag­te: „Wer nicht mit Jesus ist, ist gegen Jesus, es gibt kei­ne hal­ben Hal­tun­gen“. Steht das nicht im Wider­spruch zu Ihrem Bild eines „pro­gres­si­ven Papstes“?

In die­sen Mona­ten hat Papst Fran­zis­kus vie­le katho­li­sche Din­ge gesagt. Das aber ist nor­mal: Er ist der Papst. In unse­rem Arti­kel haben wir aber das, was Papst Fran­zis­kus über das Gewis­sen sagt, mit dem ver­gli­chen, was Papst Johan­nes Paul II. 1993 in der Enzy­kli­ka Veri­ta­tis sple­ndor dazu geschrie­ben hat. Nun, einer sagt das genaue Gegen­teil des ande­ren und wir den­ken, daß kei­ne Win­dung eines noch so gewun­de­nen Hirns behaup­ten könn­te, daß sie im Grun­de das­sel­be sagen. Bis­her ist nie­mand dar­auf ein­ge­gan­gen, was wir geschrie­ben haben. Nie­mand hat uns auch nur eine ein­zi­ge Zei­le wider­legt. Ein freund­li­cher Herr for­der­te uns öffent­lich sogar auf, beich­ten zu gehen. Die­ser Herr weiß natür­lich nicht, daß das bereits gesche­hen ist, wir die­se Din­ge im Beicht­stuhl gesagt haben und vom Beicht­va­ter die Ant­wort erhiel­ten, daß er genau so denkt, es aber nicht sagen kann. Die­ser Herr soll­te auch wis­sen, wie vie­le Brie­fe und Tele­fon­an­ru­fe wir von Katho­li­ken erhal­ten haben, die ein­fach nicht mehr konn­ten und sich für das bedank­ten, was wir geschrie­ben haben.

Die­se Über­le­gun­gen haben Ihnen den Raus­wurf bei Radio Maria gebracht. War die Ent­schei­dung zu ver­mei­den oder hattten Sie sie bereits vor­her einkalkuliert?

Wir hat­ten dar­an gedacht, aber wir konn­ten nicht län­ger schwei­gen. Wir waren mit Pater Livio Fanz­a­ga vor die­sem Vor­fall befreun­det und sind es auch jetzt noch. Er ist der Pro­gramm­di­rek­tor und er bestimmt die Linie. Wenn die­se Linie vor­sieht, daß man den Papst nicht ein­mal kri­ti­sie­ren darf, wenn er über Fuß­ball spricht, dann sind zwei wie wir offen­sicht­lich fehl am Platz. Wir erlau­ben es uns aber auch zu sagen, daß wir die­se Linie nicht tei­len. Man kann die Intel­li­genz nicht ersticken und man kann nicht von vorn­her­ein mehr als berech­tig­te Fra­gen zen­su­rie­ren. Das tut der katho­li­schen Welt nicht gut und es tut der Kir­che nicht gut. Wenn etwas eine gewis­se Bit­ter­keit erzeugt, dann die Tat­sa­che, daß nach zehn Jah­ren der Zusam­men­ar­beit der Anruf zwei Stun­den nach Erschei­nen des Arti­kels kam, ohne auch nur einen Augen­blick, um dar­über nach­zu­den­ken. Zehn Jah­re, in denen wir die Frei­heit hat­ten, alles zu sagen, was wir für not­wen­dig hiel­ten, auch zu hei­ßen The­men. Die­se Schnel­lig­keit tut weh.

Glau­ben Sie, daß die­ser Raus­wurf irgend­wo anders ent­schie­den wurde?

Das müß­te man Pater Livio fra­gen, der ein guter Prie­ster und ein anstän­di­ger Mensch ist.

Kann man aber in einem katho­li­schen Sen­der blei­ben und den Papst kritisieren?

Natür­lich, vor­aus­ge­setzt, daß die Kri­tik nicht gegen die Leh­re der Kir­che ver­stößt. Wenn Pau­lus von Tar­sus nicht den ersten Papst kri­ti­siert hät­te, dann wären wir Katho­li­ken heu­te alle beschnit­ten, weil der Hei­li­ge Petrus das zur Norm erhe­ben woll­te. Wenn die Hei­li­ge Katha­ri­na nicht die Päp­ste zurecht­ge­wie­sen hät­te, wäre Avi­gnon heu­te noch Papstsitz.

Der Papst sucht den Dia­log mit sehr vie­len Per­so­nen, auch mit ver­schie­de­nen mili­tan­ten Athe­isten. Erwar­ten Sie sich sei­nen Tele­fon­an­ruf? Daß er die Grün­de zwei­er über­zeug­ter Katho­li­ken anhö­ren möch­te und viel­leicht inter­ve­niert, um Ihnen die Sen­dun­gen im Radio zurückzugeben?

Wir den­ken, daß es viel bes­ser wäre, wenn der Papst sich sei­nem Amt wid­met: sei­ne Her­de im wah­ren Glau­ben zu bestär­ken; die Katho­li­ken wie­der zurück­zu­füh­ren, daß sie den Kate­chis­mus und die Glau­bens­leh­re ken­nen; und dafür zu wir­ken, damit die Fern­ste­hen­den sich bekehren.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Una Fides

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Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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