(Vatikan) Das Vorpreschen der Erzdiözese Freiburg zur De-facto-Abschaffung des Ehesakramentes erfolgt unter dem Applaus weiterer Diözesen einschließlich der Kardinäle Marx und Woelki. Lediglich aus dem Erzbistum Köln sind verhaltene Töne und Zweifel zu hören. Es ist ein Signal für eine umfangreichere Unruhe innerhalb der katholischen Kirche beim Thema wiederverheiratete Geschiedene. Das immer stärkere Auseinanderklaffen zwischen dem kirchlichem Anspruch und der Praxis vieler Katholiken führt zu einer Spannung, die nicht mehr mit verbaler Kosmetik und stillschweigendem Dulden unorthodoxer Praktiken zugedeckt werden kann. Eine Entscheidung steht an. Und da gehen die Meinungen auseinander. In einem Jahr wird eine Sonderbischofssynode in Rom zusammentreten und sich mit der Frage „irregulärer“ Lebenssituationen rund um das Sakrament der Ehe befassen. In welche Richtung wird die Synode gehen? Was läßt sich aus den bisherigen Aussagen von Papst Franziskus herauslesen? Der Versuch einer Spurensuche.
Eine Vorbemerkungen zur herrschenden Praxis und deutscher Unduldsamkeit
Das Problem ist real und die Kirche hat in zweitausend Jahren reiche Erfahrung mit dem Phänomen fehlender Deckungsgleichheit zwischen Lehre und Praxis gesammelt. Die Lehre ist göttlich, der Mensch ist gefallen. Aufgabe der Kirche ist aber nicht, den Anspruch zur Praxis hinabzudrücken, sondern die Praxis zum Anspruch hinaufzuheben. In Zeiten des realexistierenden Relativismus steht allerdings der Anspruch unter Erklärungsdruck, nicht mehr die sündhafte Praxis. Dem scheinen viele Kirchenvertreter nicht gewachsen zu sein oder sich nicht stellen zu wollen.
Die Kirche bewegt sich daher zwischen zwei Polen, einerseits der Notwendigkeit, die herrschende, abweichende Praxis zur Kenntnis zu nehmen und pastorale Antworten darauf zu suchen. Konkret bedeutet dies die Suche nach geeigneten Formen, die der Kirche von Christus anvertraute Glaubenswahrheit den Menschen zu verkünden, verständlich und sichtbar zu machen. Die Unauflöslichkeit der Ehe gehört als Sakrament zum Kern des christlichen Glaubens und ist daher unumstößlich, egal wie viele Katholiken das derzeit auch mißachten mögen.
Der Gegenpol ist der Druck, den eine radikalbequeme Gruppe in der Kirche auszuüben versucht. Nach weltlichen Gesetzmäßigkeiten soll sich im positivistischen Sinn die Theorie der Praxis anpassen. Nicht zufällig bildet der deutsche Sprachraum die Speerspitze dieser befremdlichen Strömung. Die Praxis des Protestantismus, der die Ehe nicht als Sakrament kennt und sich selbst in den Landeskirchen weitgehend zum perfekten Dienstleister degradiert hat, setzt die katholischen Diözesen unter Zugzwang. Viele katholische Schafe halten es nach dem Motto: Katholisch sein, aber protestantisch leben. Und nicht wenige katholische Priester liebäugeln mit dieser verwässerten Praxis, die „ja alles viel leichter machen würde“, wie einer dieser Hirten mir einmal fast beschwörend erklärte. Die deutschen Diözesen, allen voran die Bischöfe, die Verantwortlichen der Ehe- und Familienpastoral, die Priester müssen entscheiden, ob sie sich aus der Defensive losreißen wollen, in die sie sich vom dominanten Zeitgeist haben drängen lassen (mit dem sich der Protestantismus längst arrangiert hat) und ob sie offensiv, missionarisch und evangelisierend die katholische Lehre verteidigen und den Menschen als die heilbringende und rettende Lebensalternative aufzeigen und anbieten wollen. Oder ob sie den Weg des geringsten Widerstandes gehen und sich nach protestantischem Vorbild der christusfernen vorherrschenden kulturellen Strömung anschließen wollen. Rom ist ja schließlich weit. Dabei spielt ein weiterer Druck eine Rolle: das deutsche Kirchensteuersystem. Es sichert den deutschen Diözesen goldene Apanagen. Obwohl nur einer von zehn Katholiken praktizierend ist, zahlen alle zehn Jahr für Jahr Kirchensteuer. Eine wahrlich glückliche Fügung.
Freiburger Vorstoß – Progressiver Wunschzettel bei wiederverheiratet Geschiedenen mit breiter Basis
Außerhalb Deutschlands ist man über den Freiburger Vorstoß weniger glücklich. Man fürchtet, daß er die Überlegungen zum Thema mehr erschwert denn erleichtert. Mit Überlegungen ist vor allem die Sonderbischofssynode im Herbst 2014 befaßt. Es könnte eine Synode in „Etappen“ werden, mit einer Fortsetzung im Jahr 2015. Die Ehescheidungen nehmen zu, Ehe und Familie werden immer zerbrechlicher. Kirchenferne Kräfte tun das Möglichste, um diesen Prozeß zu beschleunigen durch die Legalisierung von Scheidung und Abtreibung, durch Pornographie und künstliche Befruchtung und neuerdings durch die „Homo-Ehe“.
Progressive Kirchenkreise haben die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener ganz oben auf ihrer „Wunschliste“. Im Gegensatz zu anderen Forderungen wie Abschaffung des Priesterzölibats oder Frauenpriestertum, die nur kleine Gruppen betreffen, betrifft das Thema derer, die objektiv Ehebrecher sind, eine wachsende Zahl von Katholiken. Da sich viele von ihnen nicht dem kirchlichen Gebot unterwerfen wollen, gibt es bisher nur zwei Reaktionsmuster. Die Kirche tut so, als würde sie die Ehebrecher nicht sehen und alles geht irgendwie weiter wie zuvor, oder diese Katholiken distanzieren sich von der Kirche, mit der sie im offenen Widerspruch stehen. Nicht wenige Kirchenvertreter bevorzugen das stillschweigende Wegschauen, weil sie fürchten, daß jede Betonung der kirchlichen Lehre zu weiteren Kirchenaustritten führen könnte. Das wiederum bedeutet in Deutschland und Österreich vor allem auch einen Verlust an Kirchensteuereinnahmen. Dem einzigen Thema, wo man in manchen Diözesen sofort reagiert.
Angesichts der Dimension der in einer irregulären Situation lebenden Katholiken sprechen manche in der Kirche von einem „stillen Schisma“. Einigen Prälaten und Kirchenfunktionären graut vor der Vorstellung eines offenen Schismas.
Was sagt Papst Franziskus zum Thema? – Drei Ansätze
Papst Franziskus kam bereits mehrfach auf das Thema zu sprechen, zuletzt vor einem Monat, als er sich mit dem Klerus seiner Diözese Rom traf. Auf die Frage eines Priesters zu Eheanullierungen und Zweitehen gab der Papst eine ausführliche Antwort. Er berichtete von seiner Erfahrung in Buenos Aires, wo das Kirchengericht die Eheannullierungsverfahren unnötig bürokratisiert und verschleppt habe. Wörtlich sagte der Papst: „Man kann das Problem nicht nur darauf reduzieren, ob die wiederverheiratet Geschiedenen die Kommunion empfangen dürfen oder nicht, denn wer das Problem nur darauf beschränkt, versteht das eigentliche Problem nicht“. Das Problem sei hingegen „von schwerwiegender Verantwortung für die Kirche gegenüber den Familien, die in dieser Situation leben“. Was der Papst damit genau sagen wollte, wurde darauf allerdings nicht klar.
Papst Franziskus beharrt auf einer Botschaft der Barmherzigkeit. Nimmt man seine Wortmeldungen zum Thema zusammen, läßt sich etwas mehr herauslesen. Er spricht von „Begleitung“, von „Nähe der Hirten“ zu jenen, die in diesen Situationen objektiver Unordnung leben. Von Sünde, vom Sakrament der Ehe und ihrer Unauflöslichkeit spricht er nicht.
Erster Ansatz: Betonung der Barmherzigkeit statt der Sünde
Der erste Ansatz der Sonderbischofssynode dürfte daher auf einen „pastoralen Weg“ abzielen. Menschen, die objektiv Ehebrecher sind, und im Zustand öffentlichen Skandals leben, sollen sich, so die erste Absicht, von der Kirche nicht ausgeschlossen oder zurückgewiesen fühlen. „Ich glaube, daß das die Zeit der Barmherzigkeit ist“, hatte Papst Franziskus auf dem Rückflug von Rio de Janeiro gesagt. „Die Kirche muß die Wunden heilen durch Barmherzigkeit. Wenn der Herr nicht müde wird, zu vergeben, dann haben auch wir keine andere Wahl: zuallererst die Verwundeten pflegen. Die Kirche ist eine Mutter und muß auf diesem Weg der Barmherzigkeit gehen. Und Barmherzigkeit für alle finden!“
Zweiter Ansatz: Beschleunigung der Eheannullierungsverfahren
Einen zweiten Ansatz nannte Papst Benedikt XVI., wenn auch in einem etwas anderen Zusammenhang: die Beschleunigung der Eheannullierungsverfahren. Benedikt XVI. nahm mehrfach dazu Stellung. Keine dogmatischen Verkürzungen, sondern praktisch-technische Verfahrensverbesserungen der Instrumente, die der Kirche immer zur Verfügung standen. Papst Benedikt erwähnte 2005 vor allem die Menschen, die, obwohl nicht wirklich gläubig, aus Tradition und gesellschaftlicher Konvention kirchlich geheiratet haben, deren Ehe zerbrach, die dann zum Glauben fanden und nun auf richtiger Grundlage neu heiraten wollten. Der Papst sprach im Zusammenhang mit diesen Menschen von einem „wirklich schmerzlichen Problem“. Er bat damals römische Kongregationen und einige Bischofskonferenzen die Frage der „ohne Glauben vollzogenen Sakramente“ zu prüfen.
Papst Franziskus sagte, immer auf dem Rückflug von Buenos Aires: „Kardinal Quarracino, mein Vorgänger sagte, daß für ihn die Hälfte aller Ehen nichtig seien. Warum aber sagte er das? Weil sie ohne Reife heiraten, sie heiraten ohne zu merken, daß es für das ganze Leben ist, oder sie heiraten, weil sie gesellschaftlich heiraten müssen… Und das gehört auch in die Ehepastoral.“ Dagegen wurde allerdings bereits damals der Einwand geltend gemacht, daß der Trauungspriester diese Fragen ausdrücklich vor der Eheschließung zu klären hat.
Dritter Ansatz: Orthodoxe Praxis einer Zweitehe unter bestimmten Umständen?
Schließlich deutete Papst Franziskus in der improvisierten Pressekonferenz auf dem Rückflug von Rio noch einen dritten Ansatz an, wenn auch nur flüchtig: „Mit Bezug auf das Problem der Kommunion an Menschen in zweiter Ehe… Ich glaube, daß das in der Gesamtheit der Ehepastoral zu betrachten ist. Und deshalb ist es ein Problem. Ich öffne eine Klammer: Die Orthodoxen haben eine andere Praxis. Sie folgen der Theologie der Ökonomie, wie sie sie nennen und geben eine zweite Gelegenheit. Sie lassen das zu. Ich glaube aber, daß dieses Problem – und damit schließe ich die Klammer – im Rahmen der Ehepastoral zu studieren ist. Wir sind auf dem Weg zu einer etwas tieferen Ehepastoral.“
Wenn auch nur als Klammer, erwähnte der Papst die orthodoxe Praxis, die von der katholischen Kirche verworfen wurde, weil sie den sakramentalen Charakter der Ehe nicht leugnet, aber untergräbt. Es war Kardinal Roger Etchegaray, der in einem Konsistorium die orthodoxe Theologie „der Ökonomie und Philantropie“ thematisierte. Die Orthodoxen gewähren aus „Liebe“ zum Menschen eine „Dispens“ für eine Zweitehe. Sie berufen sich dabei auf eine Ausnahme, die Jesus Christus selbst gewährte, wenn er in Matthäus 19,9 sagt: „Ich sage euch: Wer seine Frau entläßt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch.“
Die Orthodoxen haben von diesem Herrenwort ausgehend, die Praxis dann etwas großzügig erweitert. Nicht nur bei wiederholtem Ehebruch eines Ehepartners kann die Ehe annulliert werden, sondern zum Beispiel auch, wenn die Ehe nur mehr ein Schein ist. Ein zweites Mal heiraten kann allerdings nur der unschuldige Ehepartner. Auch für diesen kann eine zweite Eheschließung nur mit einer deutlich reduzierten Zeremonie stattfinden, um den Unterschied zur ersten Ehe hervorzuheben. Mit anderen Worten, die Liturgie bei der zweiten Eheschließung entspricht statt einem Freuden- einem Bußakt. Darin soll das eigene Scheitern sichtbar gemacht werden, das nach Absolution verlangt, die dann gewährt wird, aber den ursprünglichen, reinen Zustand nicht wieder ganz herstellen kann, denn alle menschlichen Handlungen ziehen Folgen nach sich.
Da bei der zweiten Eheschließung die Krönung der Eheleute fehlt, die gemäß orthodoxer Theologie das zentrale liturgische Element ist, rechtfertigten die orthodoxen Kirchen damit diese Praxis, weil die Zweit-Ehe letztlich nicht mehr Sakrament, sondern nur mehr eine Sakramentalie ist. Allerdings genügt dies, daß die Eheleute sich von der kirchlichen Gemeinschaft als vollwertig anerkannt betrachten können. Diese reduzierte Form wird auch bei Witwen und Witwern angewandt, denn laut orthodoxem Verständnis kann es im Leben eines Menschen nur eine wirkliche sakramentale Ehe geben. Während in der katholischen Kirche dem verwitweten Ehepartner eine neue Ehe ohne Hindernisse und als völlig gleichwertige sakramentale Ehe offensteht.
Die kommenden Monate werden zeigen, in welche Richtung die Überlegungen gehen werden. Mit dem Freiburger Kniefall vor der Scheidungs- und Wiederverheiratungspraxis zeigt kein Ansatz konkrete Übereinstimmungen, wobei der erste Ansatz so vage gehalten ist, daß kaum abschätzbar ist, was tatsächlich damit gemeint sein könnte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Orthodoxe Kirchengemeinde/Jan van Eyck: Arnolfini-Hochzeit, 1434/Catholicus/Accion Liturgica
„Aufgabe der Kirche ist aber nicht, den Anspruch zur Praxis hinabzudrücken, sondern die Praxis zum Anspruch hinaufzuheben.“
Sehr treffend. Allerdings war das nur bis zum „Zweiten Vatikanischen Konzil“ so. Mit dem Aggiornamento wurde dieses Verhältnis umgekehrt.
Vergelt´s Gott für die Übersetzung dieses Artikels von vaticaninsider ins Deutsche! Als ich ihn heute zuerst in Italienisch sah, was ich nur mittels Google-Übersetzung verstehen kann, habe ich auf die Englisch-Version dort gewartet, da mir klar war, dieser Artikel ist ein Knüller. Aber deutsch ist natürlich noch besser als Englisch!
Besonders interessant finde ich die „Erfahrungen aus Buenos Aires“.
ich finde es skandalös, dass ein Papst das Wort „wiederverheiratete Geschiedene“ überhaupt in den Mund nimmt, denn so etwas gibt es nicht, da eine gültige Ehe unauflöslich ist. Früher wussten das nicht nur Päpste, sondern auch alle Kardinäle haben dafür gekämpft.
http://hl-herz-jesu.blogspot.de/2012/05/kardinal-faulhaber-uber-die.html
Heute scheint es keiner mehr wissen zu wollen. Wenn die Ehe nicht gültig war, ist man nicht „wiederverheiratet“, sondern erstmalig verheiratet. Die einzige Möglichkeit „wiederverheiratet“ zu sein hat man als Witwer.
Ein „wiederverheirateter Geschiedener“ ist daher nichts anderes als ein Ehebrecher. Es wäre echte Barmherzigkeit den Betreffenden das zu sagen, damit sie von dieser Sünde ablassen und durch Reue und Beichte vom Stand der Todsünde wieder in den Stand der heiligmachenden Gnade kommen können.
wunderbar Martina!
Wenn Papst Franziskus etwas sagt, so ist es fast niemals klar und eindeutig. Wahrscheinlich soll es das auch gar nicht sein, damit jeder daraus machen kann was er will. Aber aus einem Unrecht kann kein Mensch ein Recht machen, nur weil so viele dieses Unrecht begehen. Auch ein Papst Franziskus kann das nicht!
Der Familienbischof Tebart-van Elst ist jedenfalls ausgeschaltet. Welche konservative Stimme bleibt in der DBK übrig?