Vor dem Allerheiligsten – Verbiegungen I


Der Hl. Dominikus ruft in tiefer Reue: "Gott sei mir Sünder gnädig".Um „Ver­bie­gun­gen“ unter­schied­lich­ster, ja kon­trä­rer Art vor dem Aller­hei­lig­sten geht es im neu­en Gast­kom­men­tar der frei­schaf­fen­den Schrift­stel­le­rin und Künst­le­rin Han­na Jüng­ling. Aus­gangs­punkt für einen kri­ti­schen Blick auf Lage und Zustand der katho­li­schen Kir­che ist dabei die Fra­ge: „Wie seid ihr in Gegen­wart des Herrn?“
Zuletzt ver­öf­fent­lich­ten wir von Han­na Jüng­ling den Bei­trag: Kann die Kir­che einen „Dia­log ohne Vor­ur­tei­le“ füh­ren? – Eini­ge kri­ti­sche Ein­wän­de an Papst Fran­zis­kus.
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Vor dem Allerheiligsten

Anzei­ge

von Han­na Jüngling *

Verbiegungen I:
„Ich bin ein Sünder, den der Herr angeschaut hat“

„Ich fra­ge euch: Wie seid ihr in Gegen­wart des Herrn? Wenn ihr zum Herrn geht, auf den Taber­na­kel schaut, was macht ihr da?- (…) Schau auf den Taber­na­kel und lass dich anblicken… das ist ein­fach! Das ist ein wenig lang­wei­lig, ich schla­fe ein… Schlaf ruhig ein, schlaf ein! Er wird dich trotz­dem anblicken, er wird dich trotz­dem anblicken. Sei gewiss, dass er dich anblickt! Und das ist viel wich­ti­ger als der Titel des Kate­che­ten: das ist Teil des Kate­che­ten­seins. Das erwärmt das Herz, hält das Feu­er der Freund­schaft mit dem leben­dig, es lässt dich spü­ren, dass er wirk­lich auf dich blickt, dass er dir nahe ist und dich gern hat.“

Papst Fran­zis­kus am 27.9.2013 in Rom beim Kate­che­ten­tref­fen, zitiert nach kath​.net, das für den kor­rek­ten Wort­laut garan­tiert, wie Herr Schwi­bach schreibt.

Papst Fran­zis­kus liebt es, in letz­ter Zeit immer wie­der die­sen Satz zu äußern: „Ich bin ein Sün­der, den der Herr ange­schaut hat.

„Ich bin ein Sün­der, den der Herr ange­schaut hat.‘ Und er wie­der­holt: „Ich bin einer, der vom Herrn ange­schaut wird. Mei­nen Wahl­spruch Mise­ran­do atque eli­gen­do habe ich immer als sehr zutref­fend für mich empfunden.“

Das sag­te Fran­zis­kus in sei­nem Inter­view mit Anto­nio Spa­da­ro SJ am 19. Sep­tem­ber 2013, das in der Zeit­schrift La Civil­tà  Cat­to­li­ca ver­öf­fent­licht wurde.
Oder gestern (4. Okto­ber) in Assisi:

„Wo nimmt der Weg des hei­li­gen Fran­zis­kus zu Chri­stus sei­nen Anfang? Beim Blick des gekreu­zig­ten Jesus. Sich von ihm anschau­en las­sen in dem Moment, in dem er sein Leben für uns hin­gibt und uns zu sich zieht. Fran­zis­kus hat die­se Erfah­rung in beson­de­rer Wei­se in der klei­nen Kir­che von San Dami­a­no gemacht, als er vor dem Kru­zi­fix bete­te, das auch ich heu­te noch ver­eh­ren wer­de. Auf die­sem Kreuz erscheint Jesus nicht tot, son­dern lebend! Das Blut fließt aus den Wun­den der Hän­de, der Füße und der Sei­te her­ab, doch die­ses Blut drückt Leben aus. Jesus hat die Augen nicht geschlos­sen, son­dern geöff­net, weit offen: ein Blick, der zum Her­zen spricht. Und der Gekreu­zig­te spricht uns nicht von Nie­der­la­ge, von Schei­tern. Para­do­xer­wei­se spricht er uns von einem Tod, der Leben ist, der Leben her­vor­bringt, denn er spricht uns von Lie­be, weil er die Mensch gewor­de­ne Lie­be Got­tes ist. Und die Lie­be stirbt nicht, nein, sie besiegt das Böse und den Tod. Wer sich vom gekreu­zig­ten Jesus anschau­en lässt, wird gleich­sam neu erschaf­fen, wird eine ’neue Schöpfung‘.“

Der Hl. Dominikus betend in Kreuzform.Ist das Leh­re der Kir­che? Es klingt fromm, aber es ist nicht fromm. Bevor nun einer die Augen ver­dreht und denkt, ich sol­le nicht päpst­li­cher als der Papst sein, möge er mei­ne Beden­ken anhö­ren bis zum Schluss. Was Fran­zis­kus sagt, ist iso­liert – bis auf eini­ge gra­vie­ren­de Sät­ze (s.u.) – nicht falsch. Aber die Gesamt­aus­sa­ge ent­spricht den­noch nicht der Leh­re der Kir­che. Fan­gen wir bei der Ansicht an, ich kön­ne pas­siv, ja schla­fend sogar, vor IHM anbe­tend ver­wei­len. ER kann uns nicht ver­än­dern, wenn wir nicht mit allen unse­ren Kräf­ten dar­an mit­wir­ken. Es war der Pro­te­stan­tis­mus, der das bestritt, aber es war nie­mals Leh­re der katho­li­schen Kir­che, dass man nicht alles tun muss, um selig zu wer­den, wachend wie die klu­gen Jungfrauen!
Der Hei­li­ge Domi­ni­kus zum Bei­spiel jeden­falls ver­weil­te weder schla­fend noch pas­siv vor dem Kreuz. In sei­nen „Neun Gebets­wei­sen“ lehrt er uns etwas ganz ande­res, und dies im Ein­klang mit der Leh­re der Kir­che. Betrach­ten wir immer wie­der eine die­ser Gebets­wei­sen auf den Bildern.
Oder lasst uns sehen, was der Hl. Thérà¨se vom Kin­de Jesus vor dem Taber­na­kel in den Geist kam:

„Je m’offrais à  Jésus pour àªt­re sa petit fleur, je vou­lais le con­so­ler, m’appro­cher moi aus­si tout prà¨s du taber­na­cle, àªt­re regar­dée, cul­ti­vée et cueil­lie par lui.“ (Thérà¨se Mar­tin: Histoire d’u­ne à¢me)

„Ich bot mich Jesus an, sei­ne klei­ne Blu­me zu sein, ich woll­te ihn trö­sten, mich mei­ner­seits so nah wie es geht, dem Taber­na­kel nähern, von ihm ange­schaut, kul­ti­viert und gepflückt werden.“

Welch ein Unterschied!

In Fran­zis­kus‘ Aus­füh­run­gen fehlt ein wich­ti­ger Bestand­teil. Es ist das wich­ti­ge Ele­ment mei­nes frei­wil­li­gen, ersehn­ten, und aktiv betrie­be­nen Schreis nach Umkehr, nach die­sem „Mach mit mir, was du willst, Herr!“ Es fehlt das „Iudi­ca me!“ (Rich­te mich!). Es fehlt das „Je vou­lais m’appro­cher moi aus­si tout prà¨s du taber­na­cle…

Der Hl. Dominikus anbetend mit EisenketteAber nicht nur das: Fran­zis­kus unter­schlägt das Ärger­nis des christ­li­chen Glau­bens, näm­lich die Nie­der­la­ge, den wirk­li­chen Tod am Kreuz, dass uns nicht der „Leben­di­ge am Kreuz“ – wie er sug­ge­riert in sei­ner Rede – anschaut, son­dern viel­mehr der vom Tod (!) auf­er­stan­de­ne Herr!

Jesus schaut den Sün­der an, das ist wahr, aber nicht nur das. Er schei­tert an mei­ner Stel­le an mei­nem sünd­haf­ten Zustand. Bei Fran­zis­kus ist nie­mals die Rede davon, dass der Gekreu­zig­te in mir die­sen heil­sa­men Schock aus­löst, der mir offen­bart, wer ich eigent­lich bin! Wie die klei­ne Thérà¨se es beschreibt, muss das aus­lö­sen, dass ich mich IHM zu Füßen wer­fen will, dass ich IHN trö­sten will in mei­nem Schmerz über das, was ER an mei­ner Stel­le trägt, dass ich mich erhe­ben las­se durch die unver­dien­te Lie­be und Gna­de und mich IHM voll und ganz anbie­te, dass ER mit mir ver­fah­re wie ER will…

Von all dem ist bei Fran­zis­kus kei­ne Rede. Im Gegen­teil – er bestrei­tet dies sogar. Wer Ohren hat zu hören, der höre:

„Und der Gekreu­zig­te spricht uns nicht von Nie­der­la­ge, von Schei­tern. Para­do­xer­wei­se spricht er uns von einem Tod, der Leben ist, der Leben her­vor­bringt, denn er spricht uns von Lie­be, weil er die Mensch gewor­de­ne Lie­be Got­tes ist. Und die Lie­be stirbt nicht, nein, sie besiegt das Böse und den Tod.“

Was ist das für eine Leh­re? Das Para­dox, das Fran­zis­kus hier kre­iert, exi­stiert nicht! Wer nicht erkennt, wie ver­lo­ren unser Zustand ist, der mag es für ein Para­dox hal­ten. Wer sich in wah­rer Demut vor dem gro­ßen Herrn und Gott als Sün­der erkannt hat, weiß, dass gera­de die­se Situa­ti­on der ech­ten und tota­len Nie­der­la­ge, aus der allei­ne der Vater her­aus­führt, ganz und gar kein Para­dox ist. Hei­li­ge der Kir­che wie Domi­ni­kus haben sich dehalb vor dem Kreuz betend selbst gegei­selt… „All Sünd hast du getra­gen, sonst müss­ten wir ver­za­gen“… Es ist mei­ne Schuld, dass ER an die­ser Welt zugrun­de ging…

Der Hl. Dominikus betend: stehend und kniendDenn der Gekreu­zig­te spricht uns sehr wohl von Nie­der­la­ge! Wer IHN anschaut, wer sich IHM zu Füßen wirft, wer vor IHM ver­weilt, spürt dies. Wer den Kreuz­weg medi­tiert in all sei­ner Abgrün­dig­keit, ver­steht es:
ER trägt die Nie­der­la­ge der mensch­li­chen Verlorenheit.
Es ist so ver­kürzt for­mu­liert unwahr, dass die Lie­be nicht ster­be, son­dern das Böse und den Tod besie­ge. In der Tat ist Jesus gestor­ben: „Gekreu­zigt, gestor­ben und begra­ben. Hin­ab­ge­stie­gen in das Reich des Todes“ beken­nen wir im Credo.
ER ist mit unse­rer Sterb­lich­keit mit­ge­gan­gen bis ans Ende, bis in den bit­te­ren Tod! ER, der die Lie­be in Per­son ist, i s t gestor­ben. Er war wirk­lich tot!
Nicht das kit­schig-betu­li­che „Die Lie­be stirbt nicht“ ist unser Bekennt­nis, son­dern: „(Jesus ist) auf­er­stan­den von den Toten.“

Oft, wenn ich den Rosen­kranz bete, bestürzt mich die Sze­ne am Ölberg: ER hat für uns Blut geschwitzt. Unse­re gan­ze Nie­der­la­ge stand IHM vor Augen, stand IHM in der See­le, mein gan­zer Schmutz und mei­ne Todverfallenheit…ja, ich, wir alle haben IHN wirk­lich zu Tode gebracht.
Zwar spricht Fran­zis­kus auch von der Auf­er­ste­hung, aber ohne den bit­te­ren Tod zu nen­nen: „Es ist der Frie­de Chri­sti, der den Weg über die größ­te Lie­be, die des Kreu­zes, genom­men hat. Es ist der Frie­de, den der auf­er­stan­de­ne Jesus den Jün­gern schenkte..“
Da wird eines der wich­tig­sten Details der Leh­re ausgelassen!

Gänz­lich zu kurz kommt in Fran­zis­kus‘ Rede der Aspekt, dass Jesus wäh­rend der akti­ven und hin­ge­bungs­vol­len Anbe­tung zu dem auf­merk­sam hören­den Ohr spricht. Wer anbe­tet, sitzt im Schul­zim­mer Jesu Chri­sti. Und dabei geht es nicht dar­um, dass Jesus mich bestä­tigt und ich mich wohl­füh­le im Geliebt­wer­den. Ich ler­ne, so wie Maria von Betha­ni­en zu SEINEN Füßen saß und lausch­te, frag­te, lausch­te, frag­te, lausch­te, erkann­te, in seli­ger Umar­mung mit dem Herrn, nicht pas­siv, nicht auf sich selbst bezo­gen, son­dern in Vor­schau der ewi­gen Anbe­tung, die uns durch SEINEN Tod und SEINE Auf­er­ste­hung aus dem Tod mög­lich gemacht wurde.

Und dann kommt in Fran­zis­kus‘ Rede unwei­ger­lich wie­der der Hieb in Rich­tung derer, die zur gei­sti­gen, intel­lek­tu­el­len und objek­ti­ven Dis­zi­plin auf­ru­fen, wie ich es gera­de tue:

„Der Frie­de des hei­li­gen Fran­zis­kus ist der Frie­de Chri­sti, und die­sen Frie­den fin­det, wer Chri­sti „Joch auf sich nimmt“, näm­lich sein Gebot: Liebt ein­an­der, so wie ich euch geliebt habe. Und die­ses Joch kann man nicht mit Arro­ganz, mit Über­heb­lich­keit, mit Hoch­mut tra­gen, son­dern nur mit Gütig­keit und Her­zens­de­mut kann man es tragen.“

Der Hl. Dominikus: Gebetsweisen lernenNein, ich bit­te unter­tä­nigst um Ver­zei­hung, aber die­se Leh­re ist nicht die Leh­re der Kir­che: Das Joch Chri­sti ist nicht das „Liebt ein­an­der“, son­dern es ist der feste Wil­le, IHM ans Kreuz zu fol­gen, wenn ER es ver­langt, nicht um des Welt­frie­dens wil­len, son­dern um der Ret­tung der ver­lo­re­nen See­len wil­len! Das „Joch Chri­sti“ heißt: Umkehr! Es heißt: Stirb mit IHM. Nur so fin­dest du in IHM das wirk­li­che Leben. Von hier aus, von die­ser Welt aus aber ist die­ses wirk­li­che Leben nicht zu gewin­nen. Eine Kir­che, die das nicht mehr ver­kün­det, ver­rät das ewi­ge, anbe­tungs­wür­di­ge, bestür­zen­de und allein selig­ma­chen­de Opfer ihres Herrn Jesus Christus.
Die­se not­wen­di­ge per­sön­li­che Umkehr uner­müd­lich und tap­fer zu beken­nen, ja, das wäre … e c h t e Demut!

O Imma­cu­la­ta.

* Han­na Jüng­ling, frei­schaf­fen­de Musi­ke­rin, Schrift­stel­le­rin und Künstlerin

Text: Han­na Jüngling
Bild: Zeit­schnur

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