Wahrheit und Gewissen – Die Mißverständnisfalle im Dialog mit Ungläubigen


Blindensturz von Pieter Bruegel dem Älteren. Wahrheit und Gewissen. Die Mißverständnisfalls im Dialog mit Ungläubigen. (Rom) Der Chef­re­dak­teur der katho­li­schen Inter­net­sei­te „Ris­cos­sa Cri­stia­na“, Pao­lo Deot­to, stellt eini­ge Über­le­gun­gen zum Ver­hält­nis von Wahr­heit und Gewis­sen an. Er warnt vor einer Miß­ver­ständ­nis­fal­le im Dia­log mit Ungläu­bi­gen, die er „immer häu­fi­ger“ auch bei Kir­chen­ver­tre­tern fest­zu­stel­len meint.
Anlaß für die Über­le­gun­gen ist, ohne den Zusam­men­hang zu erwäh­nen, der Brief von Papst Fran­zis­kus an den Athe­isten und Kir­chen­geg­ner Euge­nio Scal­fa­ri, der statt zu Klar­heit, zu Miß­ver­ständ­nis­sen führ­te (sie­he eige­nen Bei­trag: Gibt es kei­ne abso­lu­te Wahr­heit? – Miß­ver­ständ­li­cher Papst­brief an Athe­isten Euge­nio Scal­fa­ri).
Der „Dia­log“ sei kein Selbst­zweck, so Deot­to, son­dern habe nur einen Sinn, wenn er ein kla­res Ziel hat. Das „ein­zi­ge Ziel“ eines „Dia­logs“ der Katho­li­ken mit Ungläu­bi­gen kann nur deren Bekeh­rung sein. Alles ande­re füh­re ins Nichts und sei daher sinnlos.

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Wahrheit und Gewissen – Die Mißverständnisfallen im Dialog mit Ungläubigen

von Pao­lo Deotto

Die gro­ße Ver­wir­rung, in der die gegen­wär­ti­ge Gesell­schaft lebt, ohne siche­re Bezugs­punk­te, an denen sich Ent­schei­dun­gen in allen Berei­chen aus­rich­ten könn­ten, vor allem im ethi­schen und poli­ti­schen (der mit erste­rem eng ver­bun­den ist, wenn man eine Poli­tik im Dienst für den Men­schen will), trifft unwei­ger­lich auch die Kir­che, von der wir wis­sen, daß die Pfor­ten der Höl­le sie nicht über­win­den kön­nen, der es aber den­noch nicht immer gelingt, da sie aus Men­schen besteht und daher aus Sün­dern, sich mit jener not­wen­di­gen Klar­heit zu äußern, daß ihre Bot­schaft nicht Anlaß zu tau­send Miß­ver­ständ­nis­sen ist.

Auftrag Christi an Seine Kirche: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!…“

Die Sor­ge um die Öff­nung zur Welt und um den Dia­log ist ohne Zwei­fel gut und rich­tig, natür­lich nur sofern nicht die wirk­li­che Ziel­set­zung die­ses „Dia­logs“ aus den Augen ver­lo­ren wird und nur sofern man nicht ver­gißt, daß die katho­li­sche Kir­che seit jeher immer offen für die Welt war, gera­de weil sie von Chri­stus einen prä­zi­sen Auf­trag erhal­ten hat (Mk 16,15–16):

„Geht hin­aus in die gan­ze Welt, und ver­kün­det das Evan­ge­li­um allen Geschöp­fen! Wer glaubt und sich tau­fen läßt, wird geret­tet; wer aber nicht glaubt, wird ver­dammt werden.“

„… wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.“

Daher ist zunächst und vor allem fol­gen­der Fix­punkt fest­zu­hal­ten: der Auf­trag, den Chri­stus den Apo­steln und daher Sei­ner Kir­che erteilt, ist die Bekeh­rung der Welt. „Wer nicht glaubt, wird ver­dammt werden.“

In die­ser mis­sio­na­ri­schen Optik, die für die Kir­che unum­gäng­lich ist, kann der „Dia­log“ nur ein ein­zi­ges Ziel haben: die Ver­kün­di­gung der Wahr­heit – die ihrer Natur und der Ver­nunft wegen nur eine ein­zi­ge sein kann – und die dar­aus fol­gen­de Bekeh­rung des Ungläu­bi­gen mit dem Ziel sei­ner Rettung.

Die Wahr­heit aber ist kein abstrak­tes Kon­zept oder eine Ansamm­lung von Regeln. „Ich bin der Weg und die Wahr­heit und das Leben; nie­mand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Joh 14,6). Bewah­rer und Hüter der Wahr­heit bis zur Wie­der­kunft Chri­sti am Ende aller Zei­ten ist die Kir­che, die von Chri­stus gestif­tet wur­de und der Chri­stus, durch die Ein­set­zung des Pri­mats des Petrus, die Schlüs­sel des Him­mel­reichs gab (Mt 16,18–19).

„Außerhalb der katholischen Kirche kann sich niemand retten“.

Die­se Prä­mis­sen machen uns die Fest­stel­lung ver­ständ­lich, die noch alle ken­nen, die den alten Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che stu­diert haben: „Außer­halb der katho­li­schen, apo­sto­li­schen, römi­schen Kir­che kann sich nie­mand retten.“

Zwei­fels­oh­ne kann man dann unter den „Ungläu­bi­gen“ (aber das gilt auch für die Gläu­bi­gen) zwi­schen jenen unter­schei­den, die gute oder böse Wer­ke tun. Aber auch für die „Ungläu­bi­gen“, die ein ehr­li­ches Leben füh­ren, gel­ten die Wor­te Chri­sti: „Wer glaubt und sich tau­fen läßt, wird geret­tet; wer aber nicht glaubt, wird ver­dammt werden.“

Zudem ist ein wei­te­rer grund­le­gen­der Fak­tor zu beden­ken: Kann ein Ungläu­bi­ger wirk­lich ein „ehr­li­ches“ Leben füh­ren, ohne an der Wahr­heit teil­zu­ha­ben, die nicht ein abstrak­tes Kon­zept ist, son­dern in der Per­son Chri­sti fleisch­ge­wor­den ist? Das Kon­zept „Ehr­lich­keit“ ist mit Vor­sicht zu betrach­ten, da es leicht als vager Mora­lis­mus defi­nier­bar ist, der unwei­ger­lich vage bleibt, wenn er nicht einen ein­deu­ti­gen und prä­zi­sen Bezug hat, näm­lich Chri­stus und daher Sei­ne Kir­che. Ein vager Mora­lis­mus aber muß unwei­ger­lich in den Rela­ti­vis­mus fal­len, weil zwar jeder sein Gewis­sen befra­gen wird, es aber nur auf der Grund­la­ge sei­ner eige­nen Kri­te­ri­en befra­gen wird, und dadurch tau­sen­de ver­schie­de­ne „Wahr­hei­ten“ her­vor­brin­gen wird, aus denen sich wie­der­um tau­send ver­schie­de­ne Defi­ni­tio­nen von „Ehr­lich­keit“ ablei­ten lassen.

Ein Gewissen ohne Wahrheit führt auf Abwege

Mein Gewis­sen kann mir nahe­le­gen, ein geset­zes­treu­er Bür­ger zu sein. Und das ist gut so. Wenn aber die­se Geset­ze dem Gesetz Got­tes wider­spre­chen (es genügt als Bei­spiel das ruch­lo­se Abtrei­bungs­ge­setz zu nen­nen), wie kann dann ich, Ungläu­bi­ger, ohne siche­ren Bezugs­punkt, auf Dau­er wirk­lich recht­schaf­fen leben?

Vor allem aber, wie kann ich, ein ratio­na­les Wesen, akzep­tie­ren, daß tau­send Wahr­hei­ten exi­stie­ren könn­ten? Das ist ein offen­sicht­li­cher Wider­spruch und zudem ein unver­meid­li­cher, weil uns die all­ge­mei­ne, täg­li­che Erfah­rung zeigt, daß der Mensch allein aus eige­ner Kraft nicht imstan­de ist, die Wahr­heit zu erken­nen. Wenn die Gren­zen der Wahr­heit stän­dig in Bewe­gung sind, kann ich dar­aus letzt­lich nur eine tie­fe Ver­wir­rung gewin­nen, denn so sehr ich mich auch anstren­ge, wird es mir nie gelin­gen, ein System einer abso­lu­ten Wahr­heit zu „kon­stru­ie­ren“, das jenes ratio­na­le Bedürf­nis stillt, das mich antreibt, die Wahr­heit zu suchen.

Die Kon­se­quen­zen: ich kann im Zynis­mus leben, ich kann mir Ido­le schaf­fen (die „Lega­li­tät“ ist das ver­brei­tet­ste) oder ich kann zum Revol­ver grei­fen, ihn mir an die Schlä­fe hal­ten und abdrücken.

Enorme Verantwortung jedes Gläubigen, vor allem aber der Hirten

Keh­ren wir also zum Aus­gangs­punkt zurück. Wir kön­nen also erken­nen, wie groß unse­re Ver­ant­wor­tung gegen­über den Ungläu­bi­gen ist, indem wir mit „unse­re“ die Ver­ant­wor­tung eines jeden Glie­des der Kir­che, vor allem aber der Hir­ten mei­nen, die sie von Unse­rem Herrn die Auf­ga­be erhal­ten haben, die Her­de zu füh­ren, nicht auf den leich­ten Stra­ßen der Welt, des Spie­ßer­tums, des Gut­men­schen­tums und der Popu­la­ri­tät, son­dern auf der Stra­ße, die zum Heil führt.

Die Wahr­heit ist nicht ein Kon­zept, son­dern Chri­stus selbst. „Was ist Wahr­heit?“, fragt sich ein inner­lich gequäl­ter Pon­ti­us Pila­tus, der aber nicht den näch­sten, ent­schei­den­den Schritt zu set­zen weiß, und der denkt, sein Gewis­sen zu ent­la­sten, indem er den Men­schen­sohn jenen aus­lie­fert, die ihn tot sehen wol­len, und damit eine Fra­ge der „öffent­li­chen Ord­nung“ dar­aus macht, um Unru­hen zu vermeiden.

Die Wahrheitssuche des Ungenannten in Manzonis Roman Die Brautleute

Der Unge­nann­te in Ales­san­dro Man­zo­nis Roman Die Braut­leu­te weiß den näch­sten Schritt zu set­zen und inner­lich gequält durch die Stim­me Got­tes, die ihm die erdrücken­de Last der von ihm began­ge­nen bösen Taten in Erin­ne­rung ruft, gibt er sei­nen Stolz auf und geht zum Kar­di­nal. Die­ser for­dert ihn nicht auf, sein Gewis­sen zu befra­gen, das­sel­be Gewis­sen, das ihm erlaubt hat­te, ein kri­mi­nel­les Leben zu füh­ren. Er drängt ihn statt des­sen, end­lich die Wahr­heit anzu­er­ken­nen, die außer­halb von ihm ist, die ihn über­steigt und ihn ruft. Dann und erst dann, als der Unge­nann­te end­lich sein Herz Gott öff­net, beginnt das Gewis­sen auf­rich­tig zu ihm zu spre­chen und drängt ihn, nach Wie­der­gut­ma­chung für die von ihm began­ge­nen Ver­bre­chen zu suchen und Gutes zu tun.

Der Roman stellt zwei gran­dio­se Figu­ren gegen­über! Der Unge­nann­te, der in sei­ner Ruch­lo­sig­keit groß war, der aber ein unstill­ba­res Bedürf­nis nach Wahr­heit hat und daher nach Ratio­na­li­tät. Der Kar­di­nal, der ihn zu Gott führt, gera­de weil er an sei­ne Ratio­na­li­tät appel­liert, indem er ihn ein­lädt in dem Ruf, der ihn quält, die Stim­me Got­tes zu erken­nen. Der Kar­di­nal geht nicht von einem mora­li­sie­ren­den Dis­kurs aus, son­dern von der Fest­stel­lung der Rea­li­tät. Und sein mäch­ti­ger und böser Gesprächs­part­ner bekehrt sich, weil er end­lich Ant­wort auf sei­ne inne­re Qual fin­det, indem er den ein­zi­gen ratio­nal mög­li­chen Schritt setzt: das Herz der Wahr­heit öffnen.

Was kann also die „Stim­me des Gewis­sens“ sein, wenn nicht die Stim­me Got­tes, die zu unse­rem Her­zen spricht? Wie aber kann sie zu unse­rem Her­zen spre­chen, wenn wir nicht zuerst der Wahr­heit anhän­gen, das heißt Chri­stus und Sei­ner Kir­che? Wir kön­nen die Zeit nicht umkeh­ren, das Gewis­sen anru­fen und dann war­ten, daß es uns auf irgend­wel­chen Wegen zur Wahr­heit führt. Blei­ben wir bei unse­rem Bei­spiel: Der Unge­nann­te zieht sich nicht zu Medi­ta­ti­on und Tüf­te­lei­en zurück, son­dern bricht von sei­nem Schloß auf, um sich dort­hin zu bewe­gen, wo er intui­tiv ahn­te, die Ant­wort auf sein Lei­den zu fin­den: zum Kar­di­nal, zum Hir­ten, der die Auf­ga­be hat, die Her­de zum Heil zu führen.

Nebel der Irrationalität auch bei Kirchenvertretern läßt vom rechten Weg abkommen

Ich habe die­se Über­le­gun­gen ange­stellt, nicht weil ich mich als Theo­lo­gen bezeich­nen wür­de, son­dern weil ich auch in den Ver­tre­tern der Kir­che immer häu­fi­ger jenen Nebel der Irra­tio­na­li­tät wahr­neh­me, der den rech­ten Weg ver­lie­ren läßt, um zu unse­rem ent­schei­den­den Ziel zu gelan­gen, dem See­len­heil. All­zu­oft wird ein mora­li­sie­ren­der Dis­kurs ange­schla­gen, der vage gut­mensch­lich ist, viel­leicht aus Angst, der Welt ja nicht „uner­wünscht“ zu sein. Die­se Hal­tung führt aber zu nichts und das ver­steht sogar ein „ein­fa­cher“ Sün­der, wie der Unter­fer­tig­te, denn es genügt sich die Wor­te Unse­res Herrn und die Leh­re des Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che in Erin­ne­rung zu rufen: „Außer­halb der katho­li­schen, apo­sto­li­schen und römi­schen Kir­che kann sich nie­mand ret­ten.“ Wer sich bekehrt, nur wer sich bekehrt und im Glau­ben bleibt dank der Sakra­men­te der Beich­te und der Eucha­ri­stie kann mit gutem Grund sein Gewis­sen befragen.

Wahrheit des Evangeliums und des Opfers Jesu Christi keine „optionals“ – das wäre größte Mißverständnisfalle

Wenn wir die­se Posi­ti­on nicht aner­ken­nen, dann bleibt nur, Gott möge uns vor sol­chen Gedan­ken bewah­ren, daß das Evan­ge­li­um und sogar das Opfer Unse­res Herrn Jesus Chri­stus im Grund nur „optio­nals“ auf dem Weg des Heils sind. Damit aber wür­den wir in der größ­ten aller Miß­ver­ständ­nis­fal­len stecken und könn­ten wir weder uns, und schon gar nicht ande­ren auf dem Weg zum See­len­heil helfen.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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