(Rom) „Aufwiegelung zur Meuterei“, das ist die Botschaft, die Pater Fidenzio Volpi OFM Cap. in seinem ersten öffentlichen Dokument als Apostolischer Kommissar den Franziskaner der Immakulata übermittelte, so die katholische Historikerin und Publizistin Cristina Siccardi. Die Botschaft werde indirekt, aber dafür eindeutig ausgesprochen. Der Kapuzinerpater Volpi wurde im Juli von der Ordenskongregation zum kommissarischen Verwalter des traditionsverbundenen Ordens eingesetzt und hat in diesen Tagen seine Arbeit aufgenommen.
Die Franziskaner der Immakulata, 1990 kirchenrechtlich als eigener Orden anerkannt, stellen eine Besonderheit unter den Orden dar und zwar mitten in Europa. Im Gegensatz zu vielen katholischen Orden haben sie keine Nachwuchsprobleme. Sie führen ein diszipliniertes Leben der Buße und der evangelischen Räte, sind missionarisch und kontemplativ, unterscheiden sich durch das würdige Tragen ihrer Ordenstracht und haben, das war in den Augen einiger einflußreicher Kirchenkreise der Sündenfall, in treuer Anhänglichkeit an Papst Benedikt XVI. auch den überlieferten Römischen Ritus für sich wiederentdeckt. Der Orden bildet daher in doppeltem Maß eine Ausnahme unter den Orden: Er ist wegen seiner Ernsthaftigkeit für junge Menschen attraktiv und er hat als Orden, der mit dem Novus Ordo gegründet wurde, den Vetus Ordo angenommen.
Dieses Herausragen aus der Schar anderer Orden könne nicht geduldet werden, umschrieb der Historiker Roberto de Mattei den radikalen Eingriff der Ordenskongregation in das Leben der Franziskaner der Immakulata. Der Orden soll „normalisiert“ werden. Er könnte sonst weiterhin durch seine Vitalität den anderen Orden indirekt einen Spiegel vorhalten und Fragen aufwerfen, warum andere Orden überaltern und nahe dem Aussterben sind, während daneben inmitten derselben Landschaft ein junger Orden blüht. Und es könnten andere Orden des Novus Ordo dem Beispiel der Franziskaner der Immakulata folgen und ebenfalls den alten Römischen Ritus annehmen, weil sie vielleicht einen Zusammenhang zwischen Tradition und Blüte sehen könnten. De Mattei ist der Meinung, daß dem nicht mehr so sein wird, denn die Ordenskongregation sei entschlossen, den jungen Orden zu „reformieren“, was, so der Historiker, seiner Zerschlagung sehr nahe komme. Derselben Ansicht ist auch Cristina Siccardi.
Am Mittwoch wurde auf der Internetseite der Franziskaner der Immakulata die erste „Botschaft des Apostolischen Kommissars“ an den Orden veröffentlicht. Der Kommissar will heute seine weiteren Pläne bekanntgeben. Die veröffentlichte Botschaft trägt das Datum des 31. August und wendet sich an die jungen Ordensmitglieder, die morgen ihre feierliche Profeß ablegen werden.
Der Ton der „Botschaft“ sei „väterlich“, doch die Botschaft eine Aufforderung zur „Meuterei“ gegen den Ordensgründer Pater Stefano Maria Manelli. Eine Anstiftung zur „Auflehnung der Söhne gegen die Väter im klassischen revolutionären Stil“ so Siccardi. Der Kommissar wolle sofort seine ganze Autorität demonstrieren, die ihm verliehen wurde. Eine Autorität, die sofort der Autorität der Gründerväter gegenübergestellt wird und als „höherwertig, außer Diskussion stehend und fast im Range der Unfehlbarkeit“ präsentiert werde, so die Historikerin.
Der Apostolische Kommissar zitierte in seiner ersten Botschaft den Schweizer Theologen und Kardinal Hans Urs von Balthasar über die Spiritualität (Verbum Caro): Wenn sich eine kirchliche oder religiöse Wirklichkeit vor allem darum sorge, sich von den anderen zu unterscheiden und die eigenen Überzeugungen als einzig waren Bezugspunkt sehe, sei dies das Zeichen einer Abschließung, die die Zukunft der Kirche selbst schädigen müsse.
Der Kommissar geht davon ausgehend noch weiter und unterstellt indirekt, daß die beiden Gründer der Franziskaner der Immakulata ihre Empfehlungen, Verhaltensweisen und Worte über jene des kirchlichen Lehramtes „wenn nicht sogar die biblischen Texte“ gestellt hätten.
Cristina Siccardi verwirft entschieden den Zusammenhang, den Pater Volpi zwischen der Aussage von Balthasars und den Franziskanern der Immakulata herzustellen versucht. Ebenso die Schlußfolgerungen des Kommissars. Sie bezeichnet die Behauptung als „einseitig und haltlos“. Die Aussage des Apostolischen Kommissars sei das Ergebnis „einer Reihe gewollter und kalkulierter Unterschlagungen“. Hätten solche Bedenken bestanden, hätte der Orden kirchenrechtlich nie anerkannt werden dürfen. Die Bedenken haben jedoch nie bestanden, so die Historikerin. Der Kommissar stelle die Heilige Schrift und das Lehramt auf dieselbe Stufe, als wären beide Quellen der Offenbarung, unterschlage jedoch zugleich, die Tradition als Quelle zu nennen. „Solchermaßen konzipiert, wird die Tugend des Gehorsams, statt ein Instrument der Angleichung an den sicheren und unveränderlichen, ein für alle Mal offenbarten Willen Gottes zu sein, zu einem Instrument der Willkür von Vorgesetzten, gerade so als hätte sich jeder Ordensmensch deren veränderlichen Launen anzupassen“, so Siccardi auf das Vorgehen der Ordenskongregation gemünzt.
„Alle, die den Orden den Franziskaner der Immakulata kennen, wissen, daß er ein Leben des Gebets und der Heiligung, der Opfer und der Anbetung Gottes anstrebt. So wollte es Pater Manelli, der durch die Schule des Heiligen Pater Pio von Pietrelcina ging, der ebenso unter kommissarische Verwaltung gestellt wurde, wie es nun sein geistlicher Sohn erleidet“, so die Historikerin.
Seit Bekanntwerden des Dekrets der Ordenskongregation gegen den jungen Orden stelle sich die Frage nach den Gründen. Auch die „Botschaft“ des Apostolischen Kommissars liefere jedoch keine Antworten. Sie enthalte keine „Fakten“, sondern „nur eine Reihe von Anspielungen und Unterstellungen“, so Siccardi. „Unter der Oberfläche wird der Wille sichtbar, diesen wunderbaren Orden mit seinen zahlreichen Berufungen in das Becken der Normalität der Orden in unserer tristen kirchlichen Zeit zurückzustoßen.“
Was „offensichtlich [in Rom einige] erschrecke“, sei die „immer tiefere Wiederentdeckung der Tradition“, so Siccardi. In den Worten des Kommissars klinge das dann so: „Eine der zentralen Problematiken rührt, meines Erachtens, gerade von der Gefahr einer gewissen Selbstbezogenheit, das heißt, dem Wunsch um jeden Preis die eigene charakteristische Besonderheit zu unterstreichen. Ich meine aber, daß es gerade ein sicherer Beweis der Reife ist, ein solches Verhalten zu überwinden (…)“. „Die Böswilligkeit ist offensichtlich“, so Siccardi. Bewahrung und Pflege des eigenen Charismas sei keine Selbstbezogenheit. Und die zentrale „Besonderheit“ des Ordens, um die sich letztlich alles dreht und die Ausgangspunkt der radikalen Maßregelung ist, nämlich die Wiederentdeckung der Tradition und der Alten Messe, sei vom Stellvertreter Christi in der Person von Papst Benedikt XVI. selbst gutgeheißen und bewilligt worden. „Der Reichtum der Kirche liegt gerade im ‚Charisma‘: so wie jedes Kind Gottes anders ist, so muß jede Ordensfamilie der Kirche anders als die anderen sein, und diese Verschiedenheit erhält sie gerade durch das ‚Charisma‘ des Gründers, wie es auch im Konzilsdekret über die Erneuerung des Ordenslebens Perfectae caritatis heißt.
2. Zeitgemäße Erneuerung des Ordenslebens heißt: ständige Rückkehr zu den Quellen jedes christlichen Lebens und zum Geist des Ursprungs der einzelnen Institute, zugleich aber deren Anpassung an die veränderten Zeitverhältnisse. Diese Erneuerung ist unter dem Antrieb des Heiligen Geistes und unter der Führung der Kirche nach folgenden Grundsätzen zu verwirklichen:
a) Letzte Norm des Ordenslebens ist die im Evangelium dargelegte Nachfolge Christi. Sie hat allen Instituten als oberste Regel zu gelten.
b) Es ist der Kirche zum Nutzen, daß die Institute ihre Eigenart und ihre besondere Aufgabe haben. Darum sind der Geist und die eigentlichen Absichten der Gründer wie auch die gesunden Überlieferungen, die zusammen das Erbe jedes Institutes ausmachen, treu zu erforschen und zu bewahren.
Einen weiteren Zweifel an der Behauptung des Apostolischen Kommissars liefert Siccardi eine Ansprache von Johannes Paul II. an die Verantwortlichen neuer Gemeinschaften des Geweihten Lebens vom 30. Mai 1998. Die Franziskaner der Immakulata seien längst eine konsolidierte Realität in der katholischen Kirche. Ihren Ausgangspunkt haben sie im Jahr 1969 als Pater Manelli, damals noch als Angehöriger des Minoritenorden die Franziskanischen Quellen studierte und meditierte und die Schriften von Pater Maximilian Kolbe (1894–1941) entdeckte. So entstand sein Wille gemeinsam mit Pater Pellettieri zum authentischen franziskanischen Geist zurückzukehren und dies auf einer marianischen Grundlage zu tun. Die Franziskaner der Immakulata haben daher ein viertes, marianisches Gelübde, das bei der Profeß an erster Stelle abgelegt wird, gefolgt von Keuschheit, Armut und Gehorsam.
Der Apostolische Kommissar zeige, so Siccardi, in welche Richtung es gehen soll, wenn er bereits in seiner ersten offiziellen Erklärung die jungen Novizen auffordere, das Ordenscharisma und das Vorbild der Gründer in Frage zu stellen. Worte, die er an junge Ordensangehörige richte, die gerade dabei sind, durch die Ablegung der Gelübde ganz in den Orden einzutreten. „Mit einer solchen Aufforderung soll es den jungen Novizen doch menschlich und geistlich unmöglich gemacht werden, das Gehorsamsgelübde uneingeschränkt abzulegen. Wie soll ein Novize seinem Ordensoberen Gehorsam geloben, wenn dessen Autorität so offen in Zweifel gezogen wird?“, so Siccardi. „Nicht nur das Gehorsamsgelübde, sondern das ganze religiöse Leben dieser jungen Männer wäre beschmutzt und befleckt, sollten sie den Worten von Pater Volpi Bedeutung schenken.“
Pater Volpi betreibe ein „regelrechtes Werk der Verwüstung des Ordens“, so Siccardi. Er stütze sich dabei auf fünf Franziskaner der Immakulata, die sich ihren Ordensoberen widersetzen und diesen nicht mehr gehorchen wollen. Diese lehnen sich sowohl gegen die Strenge der Ordensregel auf, die jedoch an die ursprüngliche Strenge des Heiligen Franz von Assisi anknüpft, als auch gegen die Vertiefung in die Tradition. „Sie benehmen sich wie jene Athleten, die nicht imstande sind ein Hindernis zu überwinden und daher vom Schiedsrichter die Herabsetzung der Hürde verlangen“, so Siccardi.
Die fünf Dissidenten, die der Ordenskongregation als Aufhänger für ihren Eingriff dienten, sagen es ganz offen. Es geht um den überlieferten Ritus, um die Wiederentdeckung der Tradition und den sich daraus ergebenden Folgerungen. Was sie nicht sagen, lasse sich unschwer ergänzen und findet Bestätigung in den Worten des Apostolischen Kommissars: Die Strenge und die Alte Messe würden den Orden aus der breiten Masse der Orden wegführen, mache ihn auffällig und damit zum „Störenfried“. Daher sei der Störenfried zu beseitigen, damit alles wieder seine „Normalität“ habe.
So betonen die fünf Dissidenten im Orden, ursprünglich waren es sechs, doch einer hatte bereits vor dem Dekret den Orden verlassen und war damit ehrlicher und konsequenter als die anderen: Der Orden sei mit dem Novus Ordo gegründet worden, deshalb könne er nicht den Vetus Ordo annehmen, denn das stehe im Widerspruch zum Gründungsgeist. Die Tatsache, daß es die Gründer selbst sind, die diese Entwicklung vollzogen, weshalb der „Gründungsgeist“ nicht tangiert wird, kümmert die Rebellen nicht. Wie sie wohl schnell begriffen, fanden sie an der Ordenskongregation bereitwillige Ohren. Die Chronologie der Ereignisse legt nahe, daß man dort allerdings erst nach dem Abtritt Benedikts XVI. die Möglichkeit sah, einen Schlag gegen die Franziskaner der Immakulata auszuführen.
Siccardi wendet sich mit einer Bitte an die Franziskaner der Immakulata „nicht an Pater Volpi und nicht an die Ordenskongregation“: „Laßt Euch nicht vom Stiefel der Macht zertreten, verteidigt und liebt weiterhin Eure Sandalen der Franziskaner der Immakulata, laßt Euch nicht von heuchlerischen Personen blenden, die Euch nicht lieben, die Euch nur gebrauchen, um Euch mit allen anderen unter die Herrschaft eines New-Age-Geistes (typisch für die 60er und 70er Jahre) zu zwingen, der sich sehr gut mit der Etikette ‚Gemeinschaft‘ tarnt.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana