Benedikts Rücktritt: „Gott hat es mir gesagt“? – Medienente des „großen Unbekannten“


Benedikt-XVI.(Vati­kan) Die Nach­richt klingt in Inhalt und Form unglaub­wür­dig. Eini­ge Medi­en über­schla­gen sich mit der Nach­richt, Bene­dikt XVI. habe zur Begrün­dung sei­nes uner­war­te­ten Rück­tritts gesagt: „Gott hat es mir gesagt.“ So zumin­dest ver­brei­te­te jüngst die katho­li­sche Nach­rich­ten­agen­tur Zenit (ita­lie­ni­sche Redak­ti­on) eine Mel­dung, die allem Anschein nach gar kei­ne ist.
„Gott hat es mir gesagt“, mit die­sen Wor­ten also habe Bene­dikt XVI. sei­nen Ent­schluß, am 28. Febru­ar 2013 zurück­zu­tre­ten, begrün­det. Der unge­wöhn­li­che Schritt beschäf­tigt nach wie vor ein­fa­che Gläu­bi­ge wie höch­ste Kir­chen­ver­tre­ter. Ein denk­wür­di­ger Tag, an dem augen­schein­lich grund­los das auf Lebens­zeit gewähl­te katho­li­sche Kir­chen­ober­haupt mit einem unhi­sto­ri­schen Akt auf sein weit über die mate­ri­el­le Welt hin­aus­grei­fen­des Amt ver­zich­te­te. Am Tag, an dem Bene­dikt XVI. sei­nen Schritt ankün­dig­te, gin­gen über dem Vati­kan mon­s­un­ar­ti­ge Regen­fäl­le nie­der und ein Blitz schlug in die Kup­pel des Peters­doms ein. Das wer­de wohl öfter gesche­hen, heißt es seit­her aus vie­len Mun­den, wenn die Rede auf das Natur­er­eig­nis kommt. Bele­gen kann das aller­dings nie­mand. Doku­men­tiert ist das dra­ma­ti­sche Phä­no­men nur für eben jenen Tag.

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Seit dem 28. Febru­ar gibt es ein neu­es, untrüg­li­ches Erken­nungs­merk­mal für Pro­gres­si­ve in der Kir­che. Wenn sie auf Bene­dikt XVI. zu spre­chen kom­men, loben sie ein­zig, dies aber mit Ver­ve sei­nen „Mut“ zum Rücktritt.

Seit der Wahl des neu­en Pap­stes und der völ­lig aty­pi­schen Situa­ti­on eines noch leben­den Vor­gän­gers bemüht sich der Vati­kan, eine mög­lichst naht­lo­se Kon­ti­nui­tät zwi­schen bei­den Pon­ti­fi­ka­ten zu beto­nen. Das hat natür­lich sei­ne selbst­ver­ständ­li­che Berech­ti­gung. In der Kir­che weiß man jedoch genau, daß eine Papst­wahl eine Rich­tungs­wahl ist. In den lan­gen Jahr­hun­der­ten, in denen fest­stand, daß ein Ita­lie­ner Papst wird und die­ser mit größ­ter Wahr­schein­lich­keit ent­we­der der Erz­bi­schof von Mai­land oder der Patri­arch von Vene­dig ist, war den Men­schen bewußt, daß jedes Kon­kla­ve eine Rich­tungs­ent­schei­dung bedeu­tet. Und man wuß­te, wofür der eine oder ande­re Kir­chen­fürst steht, etwa daß Kar­di­nal Siri, Kar­di­nal Ron­cal­li oder Kar­di­nal Mon­ti­ni nicht belie­big aus­tausch­ba­re Gestal­ten waren.

2013 kamen zwei Fak­to­ren hin­zu, die seit­her für eine gewis­se Ver­un­si­che­rung sor­gen: ein­mal der bei­spiel­lo­se Rück­tritt Bene­dikts XVI., bei­spiel­los weil er einem Ver­gleich mit den bei­den ein­zi­gen Rück­trit­ten eines Pap­stes in der Geschich­te nicht stand­hält; dann aber auch die Wahl eines Pap­stes aus einem fer­nen Land. Dabei ist nicht etwa die Ent­fer­nung aus­schlag­ge­bend, son­dern der Umstand, daß selbst nach meh­re­ren Mona­ten des neu­en Pon­ti­fi­kats nicht genau erkenn­bar ist, wes­halb und war­um die Wahl der Kar­di­nä­le in der Six­ti­ni­schen Kapel­le aus­ge­rech­net auf den Erz­bi­schof des latein­ame­ri­ka­ni­schen Lan­des fiel.

Die­se „Unsi­cher­hei­ten“ för­dern offen­sicht­lich die Bemü­hun­gen, die „Erklä­rungs­lücken“ zu schlie­ßen. Die bei­den Päp­ste wer­den absicht­lich zusam­men ins Bild gerückt, wie beim mit media­lem Maxi­ma­lis­mus auf­be­rei­te­ten ersten Besuch von Papst Fran­zis­kus bei sei­nem Vor­gän­ger Bene­dikt XVI. auf Castel Gan­dol­fo. Die Behaup­tung, zwi­schen die bei­den Päp­ste pas­se kein Blatt Papier, wur­de bereits zum geflü­gel­ten, wenn auch ange­zwei­fel­ten Wort.

Ein „Unbekannter“ enthüllt die „wahren Hintergründe“

In die Kate­go­rie die­ser „Bemü­hun­gen“ fällt offen­sicht­lich auch die neue­ste Nach­richt, um den Rück­tritt Bene­dikts XVI. zu erklä­ren und damit Ver­un­si­che­run­gen zu besei­ti­gen. Die Rekon­struk­ti­on einer Nachricht:
Eine unbe­kann­te Per­son, die anonym blei­ben will, habe Papst Bene­dikt XVI. besu­chen dür­fen. Und die­ser per­fek­te Unbe­kann­te ver­brei­te­te die Nach­richt, Bene­dikt XVI. habe ihm anver­traut, daß Gott selbst ihm „gesagt“ habe, zurück­zu­tre­ten. Auch der Nach­rich­ten­agen­tur Zenit kam die Sache zu Ohren und trotz der dürf­ti­gen Quel­len­la­ge posaun­te sie die „Nach­richt“ in die Welt hin­aus. Schwei­gen wäre auch eine Opti­on gewesen.

Die Zenit-Mel­dung läßt die sicher gut gemein­te Absicht erken­nen, wenn es heißt: „Fast sechs Mona­te nach der Ankün­di­gung, die die Welt erschüt­ter­te, gibt die Ent­schei­dung Ratz­in­gers, im Ver­bor­ge­nen zu leben, noch immer zu den­ken und wirft Fra­gen auf.“ Es ist die Suche nach Ant­wor­ten, die nicht nur die Jour­na­li­sten von Zenit bewegt.

Da Bene­dikt XVI. im Klo­ster Mater Eccle­siae nur aus­ge­spro­chen sel­ten Besuch emp­fängt, wäre ein sol­cher kaum unbe­merkt geblie­ben. Der deut­sche Psych­ia­ter Man­fred Lütz hat­te das Pri­vi­leg, vom eme­ri­tier­ten Papst emp­fan­gen zu wer­den. Lütz tat dies anschlie­ßend in den Medi­en auch ent­spre­chend kund. Damit zum gro­ßen Unbe­kann­ten der Zenit-Mel­dung: Wer wür­de so ange­mes­sen dis­kret han­deln, daß er auf jede media­le Auf­merk­sam­keit ver­zich­tet, um aber gleich­zei­tig ein­ge­hüllt in die Anony­mi­tät Inhal­te des Gesprächs mit Bene­dikt XVI. an die Medi­en weiterzugeben?

Zenit weiß zu berich­ten, daß der sol­cher­ma­ßen gesprä­chi­ge Unbe­kann­te von Bene­dikt XVI. nichts gehört habe, was irgend­wie als „Wor­te des ande­ren Pap­stes“ auf der Kir­che und dem amtie­ren­den Papst lasten könn­te. „Er kom­men­tiert nicht, ent­hüllt kei­ne Geheim­nis­se, läßt sich kei­ne Erklä­run­gen ent­locken“. Man fragt sich: Was bit­te hat sich der „gro­ße Unbe­kann­te“ denn erwar­tet, der angeb­lich das Pri­vi­leg hat­te, einen so gro­ßen Papst in sei­nem selbst­ge­wähl­ten inne­ren Exil zu besu­chen? Wenn es die­sen Anony­mus über­haupt geben soll­te, wüß­te man nun, was er mit ihm anver­trau­ten „Geheim­nis­sen“ getan hät­te. Er hät­te sie, anonym, sofort dem näch­sten Jour­na­li­sten ver­ra­ten. Man staunt zurecht über man­che Meldungen.

Erfolgt Kontinuität durch Taten, dann muß man sie nicht herbeireden

Den Grund, wes­halb die „Nach­richt“ zu den Medi­en gelang­te, dürf­te man nicht lan­ge suchen müs­sen. Sie will auf bei­de Unsi­cher­heits­fak­to­ren des Papst-Rück­tritts und der Papst-Wahl des Jah­res 2013 Ant­wort geben und das gleich mit einem Schlag. Bene­dikt XVI. „beob­ach­tet höchst zufrie­den das Wun­der­ba­re, das der Hei­li­ge Geist mit sei­nem Nach­fol­ger macht, oder er spricht über sich, so als wäre die­se Ent­schei­dung, zurück­zu­tre­ten von Gott inspi­riert wor­den“. Da wären wir wie­der: „Gott hat es mir gesagt“. Immer­hin habe das ehe­ma­li­ge Kir­chen­ober­haupt, so der Unbe­kann­te wei­ter, sofort „prä­zi­siert“, „nicht irgend­ei­ne Form von Erschei­nung oder ein ähn­li­ches Phä­no­men“ gehabt zu haben. Es habe sich viel­mehr um eine „mysti­sche Erfah­rung“ gehan­delt, die in ihm den „abso­lu­ten Wunsch“ geweckt habe, ganz allein mit Gott zu blei­ben. Soweit der Unbe­kann­te. Doch der Brücken­schlag zum neu­en Papst scheint damit noch nicht per­fekt. Des­halb wuß­te der geschwät­zi­ge Namen­lo­se, der so sehr dar­auf bedacht ist, sei­ne Anony­mi­tät zu wah­ren, aber gleich­zei­tig unbe­dingt will, daß sei­ne „Bot­schaft“ bekannt wird, noch mehr zu berich­ten: Je mehr Bene­dikt XVI. das „Cha­ris­ma“ sei­nes Nach­fol­gers Fran­zis­kus beob­ach­te, desto mehr ver­ste­he er, daß sei­ne Ent­schei­dung zurück­zu­tre­ten, der „Wil­le Got­tes“ war.

Die Beschei­den­heit ehrt Bene­dikt XVI. Dafür hät­te es kei­nes wei­te­ren Bewei­ses bedurft. Wie gesagt, Pro­gres­si­ve erkennt man untrüg­lich dar­an, mit wel­chem Eifer und hin­ge­bungs­vol­ler Inbrunst sie ein Lob­lied – wie im kon­kre­ten Fall – auf den Rück­tritt des deut­schen Pap­stes sin­gen. Anson­sten fällt ihnen übri­gens, zu Bene­dikt XVI. befragt, recht wenig ein.

Die Quint­essenz der neu­en Nach­richt ist die Bekräf­ti­gung der alten: Es paßt kein Blatt zwi­schen die bei­den Päp­ste. Eine Aus­sa­ge, die von Fra­ge­zei­chen umringt ist. Und je mehr Fra­ge­zei­chen auf­tre­ten, desto mehr „Gesten der Gemein­sam­keit“ wer­den pro­du­ziert. „Kon­ti­nui­tät“ aber kann Papst Fran­zis­kus durch sei­ne Ent­schei­dun­gen und Aus­sa­gen her­stel­len. Letzt­lich nur er und nicht anony­me Erzähler.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Asianews

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