Klarsicht 1972: Kardinal Danielou über die Krise des Ordenslebens


Kardinal Jean Danielou über die Krise des Ordenslebens nach dem Konzil.(Rom) Der tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ne Prie­ster Don Alfre­do Mor­sel­li hat ein Inter­view von Kar­di­nal Jean Danie­lou (1906–1974) aus dem Jahr 1972 aus­ge­gra­ben. Das Inter­view ist wegen sei­nes Inhalts und der Klar­sicht als histo­risch zu bezeich­nen. Für den Kar­di­nal bedeu­te­te es die Aus­gren­zung im eige­nen Orden. Danie­lou gehör­te dem Jesui­ten­or­den an, dem auch Papst Fran­zis­kus ange­hört. „Schwar­zer Papst“ war damals der Bas­ke Pedro Arru­pe, der den Orden an den Rand der Selbst­auf­lö­sung führ­te. „Ein Bas­ke hat den Orden gegrün­det, ein Bas­ke sperrt ihn zu“, lau­te­te ein geflü­gel­tes Wort über die Amts­füh­rung Arru­pes, den Johan­nes Paul II. bald nach sei­ner Wahl zum Papst ent­mach­te­te. Für Kar­di­nal Danie­lou bedeu­te­te es auch das Aus­schei­den aus der Redak­ti­on der Jesui­ten­zeit­schrift Etu­des. Die Redak­ti­on unter Bru­no Ribes (Schrift­lei­ter 1965–1975) schwenk­te in den Chor der Kri­ti­ker der pro­phe­ti­schen Enzy­kli­ka Hum­a­nae vitae von Paul VI. ein. Eine Posi­ti­on, die Kar­di­nal Danie­lou ablehn­te. Der Jesu­it Ribes soll­te bald dar­auf den Orden und die katho­li­sche Kir­che ver­las­sen und wur­de zu einem der Autoren des fran­zö­si­schen Abtrei­bungs­ge­set­zes, mit dem die Mas­sen­tö­tung unge­bo­re­ner Kin­der lega­li­siert wur­de. Kar­di­nal Danie­lou war einer der füh­ren­den Theo­lo­gen nach dem Zwei­ten Welt­krieg und Haupt­ver­tre­ter der Nou­vel­le theo­lo­gie, der Aus­wir­kun­gen der Nach­kon­zils­zeit als Feh­ler erkann­te – ver­gleich­bar dem spä­te­ren Kar­di­nal Joseph Ratz­in­ger – und eine per­sön­li­che Kurs­kor­rek­tur vornahm.

Interview von Radio Vatikan mit Jean Kardinal Danielou vom 23. Oktober 1972

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Emi­nenz, gibt es wirk­lich eine Kri­se des Ordens­le­bens und kön­nen Sie uns das Aus­maß benennen?

Ich den­ke, daß es der­zeit eine sehr schwe­re Kri­se des Ordens­le­bens gibt und daß man nicht von Erneue­rung, son­dern viel­mehr von Ver­fall spre­chen muß. Ich den­ke, daß die­se Kri­se vor allem den atlan­ti­schen Raum betrifft. Ost­eu­ro­pa und die Län­der Afri­kas und Asi­ens zei­gen dies­be­züg­lich eine bes­se­re geist­li­che Gesund­heit. Die­se Kri­se zeigt sich in allen Berei­chen. Die evan­ge­li­schen Räte wer­den nicht mehr als Wei­he an Gott gese­hen, son­dern in einer sozio­lo­gi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Per­spek­ti­ve. Man ist besorgt, kein bür­ger­li­ches Gesicht zu zei­gen, doch auf der per­sön­li­chen Ebe­ne wird die Armut nicht prak­ti­ziert. Man ersetzt den reli­giö­sen Gehor­sam durch Grup­pen­dy­na­mik. Unter dem Vor­wand For­ma­lis­men zu über­win­den, wur­de jedes gere­gel­te Gebets­le­ben auf­ge­ge­ben und die Fol­gen die­ses Zustan­des der Ver­wir­rung sind vor allem ein Ver­sie­gen der Beru­fun­gen, denn jun­ge Men­schen ver­lan­gen nach einer ernst­haf­ten Aus­bil­dung. Gleich­zei­tig gibt es zahl­rei­che und skan­da­lö­se Aus­trit­te von Ordens­leu­ten, die ihren Bund ver­leug­nen, der sie an das christ­li­che Volk bindet.

Kön­nen Sie uns sagen, was Ihrer Mei­nung nach die Grün­de für die­se Kri­se sind?

Die Haupt­ur­sa­che die­ser Kri­se ist eine fal­sche Inter­pre­ta­ti­on des Zwei­ten Vati­ka­nums. Die Richt­li­ni­en des Kon­zils waren son­nen­klar: eine grö­ße­re Treue der Ordens­män­ner und Ordens­frau­en zu den Anfor­de­run­gen des Evan­ge­li­ums, wie sie in den Regeln jedes Insti­tuts fest­ge­hal­ten sind und zugleich eine Anpas­sung der Aus­füh­rung die­ser Regeln an die moder­nen Lebens­be­din­gun­gen. Die Insti­tu­te, die die­ser Richt­li­nie treu sind, erle­ben eine wirk­li­che Erneue­rung und haben Beru­fun­gen. Aber in vie­len Fäl­len wur­den die Direk­ti­ven des Zwei­ten Vati­ka­nums durch irri­ge Ideo­lo­gien ersetzt, die durch Zeit­schrif­ten, Tagun­gen und von Theo­lo­gen in Umlauf gesetzt wur­den. Und unter die­sen Irr­tü­mern sind zu nennen:

  • Die Säku­la­ri­sie­rung. Das Zwei­te Vati­ka­num hat erklärt, daß die mensch­li­chen Wer­te ernst­ge­nom­men wer­den müs­sen. Es hat nie gesagt, daß wir in eine säku­la­ri­sier­te Welt ein­tre­ten im Sin­ne, daß die reli­giö­se Dimen­si­on in der Kul­tur nicht mehr prä­sent wäre. Im Namen einer fal­schen Säku­la­ri­sie­rung legen Ordens­män­ner und Ordens­frau­en ihr Ordens­kleid ab, geben ihre Wer­ke auf, um sich in die welt­li­chen Insti­tu­tio­nen ein­zu­glie­dern und ersetz­ten die Anbe­tung Got­tes durch sozia­le und poli­ti­sche Akti­vi­tä­ten. Und das geht genau in die fal­sche Rich­tung, so unter ande­rem gegen das Bedürf­nis nach Spi­ri­tua­li­tät, das sich in der Welt von heu­te zeigt.
  • Eine fal­sche Vor­stel­lung von Frei­heit, die eine Ent­wer­tung der Kon­sti­tu­tio­nen und Regeln mit sich bringt und die Spon­ta­nei­tät und Impro­vi­sa­ti­on über­be­wer­tet. Das ist umso absur­der, weil die west­li­che Gesell­schaft der­zeit unter dem Feh­len einer geord­ne­ten Frei­heit lei­det. Die Wie­der­her­stel­lung fester Regeln ist eine Not­wen­dig­keit für das Ordensleben.
  • Eine irri­ge Vor­stel­lung von der Ent­wick­lung des Men­schen und der Kir­che. Auch wenn die Umstän­de sich ändern, blei­ben die kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­te des Mensch­seins und der Kir­che unver­än­dert. Die Infra­ge­stel­lung der kon­sti­tu­ti­ven Ele­men­te der Ordens­kon­sti­tu­tio­nen ist ein fun­da­men­ta­ler Irrtum.

Wel­che Abhil­fe sehen Sie aber, um die­se Kri­se zu überwinden?

Die ein­zi­ge und drin­gen­de Lösung, so den­ke ich, ist, die fal­sche Rich­tung, die zahl­rei­che Orden ein­ge­schla­gen haben, zu stop­pen. Dafür ist not­wen­dig: alle Expe­ri­men­te und alle Ent­schei­dun­gen, die den Richt­li­ni­en des Kon­zils wider­spre­chen zu stop­pen; vor Büchern, Zeit­schrif­ten, Tagun­gen, mit denen die­se irri­gen Vor­stel­lun­gen ver­brei­tet wer­den, zu war­nen; die Befol­gung der Kon­sti­tu­tio­nen und der vom Kon­zil gefor­der­ten Anpas­sun­gen in ihrer Voll­stän­dig­keit wie­der­her­zu­stel­len. Dort, wo das unmög­lich scheint, kann man es den Ordens­leu­ten, die den Kon­sti­tu­tio­nen ihres Ordens und den Richt­li­ni­en des Zwei­ten Vati­ka­nums treu sein wol­len, nicht ver­wei­gern, eige­ne Gemein­schaf­ten zu bil­den. Die Ordens­obe­ren sind ange­hal­ten, die­sen Wunsch zu respek­tie­ren. [1]In die­sem Sinn baten die bei­den spä­te­ren Grün­der der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta 1970 ihre Obe­ren des Mino­ri­ten­or­dens, nach der alten stren­gen Regel geson­dert leben zu dür­fen, Anm. … Con­ti­n­ue rea­ding

Die­sen Gemein­schaf­ten muß es bewil­ligt wer­den, eige­ne Aus­bil­dungs­häu­ser haben zu kön­nen. Die Erfah­rung wird zei­gen, ob die Beru­fun­gen in den Häu­sern der stren­gen Obser­vanz oder in den Häu­sern der gelocker­ten Obser­vanz zahl­rei­cher sind. Für den Fall, daß sich Obe­re sol­chen berech­ti­gen Anträ­gen wider­set­zen, wird eine Beru­fung an den Hei­li­gen Vater sicher genehmigt.

Das Ordens­le­ben ist zu einer gran­dio­sen Zukunft in der tech­ni­sier­ten Zivi­li­sa­ti­on geru­fen. Je mehr sich die­se ent­wickelt, desto stär­ker wird sich das Bedürf­nis nach Gott Gehör ver­schaf­fen. Das ist genau der Zweck des Ordens­le­bens. Um aber sei­ne Mis­si­on erfül­len zu kön­nen, ist es not­wen­dig, daß es sei­nen authen­ti­schen Sinn wie­der­fin­det und radi­kal mit einer Säku­la­ri­sie­rung bricht, die sie ihrem Kern zer­stört und das Anzie­hen von Beru­fun­gen verhindert.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Sagra­da Tradicion

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1 In die­sem Sinn baten die bei­den spä­te­ren Grün­der der Fran­zis­ka­ner der Imma­ku­la­ta 1970 ihre Obe­ren des Mino­ri­ten­or­dens, nach der alten stren­gen Regel geson­dert leben zu dür­fen, Anm. Katho​li​sches​.info
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