Nicht gnostisch, nicht pelagianisch, sondern evangelistisch – Gefahren, die die Kirche von innen bedrohen: CELAM-Rede von Papst Franziskus


Ansprache Papst Franziskus an lateinamerikanische Bischofskonferenz CELAM(Rio de Janei­ro) Deut­li­che­re Wor­te als zu den Jugend­li­chen fand Papst Fran­zis­kus für die latein­ame­ri­ka­ni­schen Bischö­fe. In einer Rede wand­te sich das Kir­chen­ober­haupt an das Koor­di­nie­rungs­ko­mi­tee der Latein­ame­ri­ka­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz CELAM. Das war sicher die bedeu­tend­ste Anspra­che sei­ner Pasto­ral­rei­se nach Brasilien.Der Papst sprach über die inter­nen Gefah­ren für die Kir­che und nann­te die­se beim Namen.
Die Wor­te an die Jugend­li­chen waren teil­wei­se in einer Wei­se und mit einem Voka­bu­lar gehal­ten, die es Jour­na­li­sten ermög­lich­te eine weit­ge­hend belang­lo­se Zusam­men­fas­sung in Schlag­wör­tern zu pro­du­zie­ren und zu ver­brei­ten, die genau­so gut von US-Prä­si­dent Barack Oba­ma stam­men hät­ten können. 

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In sei­ner Rede an die Bischö­fe ging Papst Fran­zis­kus vom „Wun­der“ der 5. Voll­ver­samm­lung der CELAM aus, die 2007 in Apa­re­ci­da statt­fand. Eine für ihn grund­le­gen­de Erfah­rung, auf die er bereits mehr­fach zu spre­chen kam. Als Grün­de dafür nann­te der Papst bis­her, weil das Tref­fen an einem Mari­en­wall­fahrts­ort statt­fand, unter der Schirm­herr­schaft der Got­tes­mut­ter stand und weil es täg­li­chen Kon­takt mit den Gläu­bi­gen, die als Pil­ger dort­hin kamen, gab.

In Apa­re­ci­da habe die Kir­che begon­nen, sich der stark ver­än­der­ten Rea­li­tät Latein­ame­ri­kas zu stel­len, das sich von einem stark länd­lich gepräg­ten zu einem Kon­ti­nent der Groß­städ­te und Bal­lungs­zen­tren ver­wan­del­te. Zur Beschrei­bung der neu­en Situa­ti­on bedien­te sich Papst Fran­zis­kus Aus­drücke der moder­nen Sozio­lo­gie. Er sprach auch von der Koexi­stenz unter­schied­li­cher For­men von „kol­lek­ti­vem Gedächt­nis“ und „urba­nen Stämmen“.

Jesui­ti­scher Metho­dik fol­gend struk­tu­riert Papst Fran­zis­kus jede Anspra­che in drei Punk­te. So warn­te er die Bischö­fe vor den drei „Ver­su­chun­gen“, denen sei­ner Ansicht nach, die Kir­che von heu­te aus­ge­setzt ist:

  1. Ideo­lo­gi­sie­rung
  2. Funk­tio­na­lis­mus
  3. Kle­ri­ka­lis­mus.

1. Ideologisierung

Die Kir­che lau­fe heu­te Gefahr, von vier For­men des ideo­lo­gi­schen Reduk­tio­nis­mus ein­ge­schränkt zu wer­den, die sie an der Erfül­lung ihres Auf­trags behin­de­re, ablen­ke und fehllenke.

Sozialer Reduktionismus – Beispiel: Marxismus, Marktliberalismus

Die erste Bedro­hung stam­me vom sozia­len Reduk­tio­nis­mus, der sich zu sehr auf die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten ver­läßt und bereits zu ande­rer Zeit die Sozi­al­leh­re der Kir­che zu ver­drän­gen ver­such­te, ent­we­der durch mar­xi­sti­sche Kate­go­rien oder durch den Marktliberalismus.

Psychologischer Reduktionismus – Beispiel: Enneagramm-Methode

Die zwei­te Bedro­hung kom­me vom psy­cho­lo­gi­schen Reduk­tio­nis­mus, einer Form von Ideo­lo­gi­sie­rung, die sich am deut­lich­sten und häu­fig­sten in Kurs­an­ge­bo­ten über Spi­ri­tua­li­tät zei­ge, in denen der Glau­ben zur rei­nen Psy­cho­lo­gie redu­ziert wird. Fran­zis­kus nann­te als kon­kre­tes Nega­tiv­bei­spiel alle Ange­bo­te und Kur­se, die der Klas­si­fi­zie­rung der mensch­li­chen Cha­rak­te­re nach der Enne­agramm-Metho­de fol­gen, bei der ein­fach die Beson­der­heit der katho­li­schen Spi­ri­tua­li­tät ver­ges­sen wird.

Gnostische Ideologisierung – Beispiel: Pfarrer-Initiative, Wir sind Kirche

Die drit­te Bedro­hung stam­me von der gno­sti­schen Ideo­lo­gi­sie­rung, die typisch, so der Papst, für jene ist, die sich selbst als Trä­ger eines „höhe­ren“ Wis­sens sehen, das allein auf dem höch­sten, aktu­ell­sten und modern­sten Stand sei. In frei­er Rede ergänz­te das Kir­chen­ober­haupt, daß kon­kre­te Bei­spie­le für Ver­tre­ter die­ses neu­en Gno­sti­zis­mus jene sind, die ihm gleich nach sei­ner Wahl zum Papst begei­stert gra­tu­liert haben, um gleich­zei­tig sofort von ihm zu for­dern, „daß die Prie­ster hei­ra­ten dür­fen, daß Ordens­schwe­stern zu Prie­stern geweiht wer­den und daß auch die wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­nen zum Kom­mu­nion­emp­fang zuge­las­sen sind“, weil nur so die Kir­che „modern“ wer­de und auf der Höhe der Zeit sei.

Pelagianische Ideologisierung – Beispiel: rückwärtsgewandter Traditionalismus

Die vier­te Bedro­hung sei par­al­lel, aber als genau­es Gegen­teil des gno­sti­schen Reduk­tio­nis­mus, die pela­gia­ni­sche Ideo­lo­gi­sie­rung, die Papst Fran­zis­kus in Latein­ame­ri­ka in „klei­nen Grup­pen und eini­gen neu­en Ordens­ge­mein­schaf­ten“ am Werk sieht. In die­sen Krei­sen ver­folgt man den nicht ver­wirk­lich­ba­ren Traum einer Rück­kehr in eine „ver­lo­re­ne Ver­gan­gen­heit“ durch den Ver­such einer „Restau­ra­ti­on von über­hol­ten Ver­hal­tens­wei­sen und For­men“. Die Ver­tre­ter die­ser Rich­tung, warn­te der Papst, sehen das Heil in der „Sicher­heit von Leh­re und Dis­zi­plin“, wodurch sie aber Gefahr lau­fen, in einem selbst­be­zo­ge­nen Kreis ein­ge­schlos­sen zu blei­ben, ohne hin­aus­zu­ge­hen, um zu evangelisieren.

Der Papst füg­te hin­zu, daß er in der Dar­stel­lung der bei­den letz­ten Rich­tun­gen bewußt über­zeich­net, viel­leicht über­trie­ben habe, um die „uto­pi­sche“ und die „restau­ra­ti­ve“ Ver­su­chung dar­zu­le­gen. Manch­mal wür­den aber auch kari­kie­ren­de Dar­stel­lun­gen hel­fen, die Gefah­ren zu erken­nen, um sie zu ver­mei­den. Im kon­kre­ten Fall gehe es ihm dar­um vor der Gefahr zu war­nen, in einer „hypo­the­ti­schen Zukunft“ oder einer „hypo­the­ti­schen Ver­gan­gen­heit“ zu leben, aber nicht in der Gegen­wart. Bei­de Ver­su­chun­gen sei­en eine kon­kre­te Gefahr, sowohl die Fixie­rung auf eine fik­ti­ve Zukunft, als auch eine Fixie­rung auf eine ver­gan­ge­ne Ver­gan­gen­heit, die vom Weg abbräch­ten, denn die kon­kre­ten, leben­den, zu evan­ge­li­sie­ren­den Men­schen leben in der Gegenwart.

2. Funktionalismus

Die zwei­te Ver­su­chung der Kir­che sei der „Funk­tio­na­lis­mus“. Er dul­de kein Myste­ri­um, kein Glau­bens­ge­heim­nis und glaubt nur an die Effi­zi­enz und die Sta­ti­sti­ken und redu­ziert – ein Aus­druck, den Papst Fran­zis­kus häu­fig gebrauch­te – „die Wirk­lich­keit der Kir­che auf eine NGO“. Die­se Gefahr sei, so der Papst, zum Bei­spiel unter ande­rem kon­kret in auf­ge­bläh­ten Appa­ra­ten der Bischofs­kon­fe­ren­zen gege­ben. Der Papst sprach wört­lich von der „Ele­phan­ti­a­sis der Bischofskonferenzen“.

3. Klerikalismus

Die drit­te Ver­su­chung der Kir­che sei hin­ge­gen der „Kle­ri­ka­lis­mus“. Gemeint sei damit, so der Papst, eine „sünd­haf­te Kom­pli­zen­schaft“ zwi­schen einem Kle­rus, der „Mani­pu­la­ti­on“ und „unan­ge­mes­se­ne Unter­wer­fung“ prak­ti­ziert und einem Lai­en­tum, das letzt­lich den Kle­ri­ka­lis­mus wünscht, weil er bequem ist. Einen nicht­kle­ri­ka­len Kle­rus erkennt man an der Qua­li­tät der Pre­dig­ten, die nicht „fern“ und „abstrakt“ sind, son­dern nahe am Bei­spiel der Reden Jesu im Evan­ge­li­um. Er müs­se von Bischö­fen ange­führt wer­den, die die „Psy­cho­lo­gie der Grund­sät­ze“ auf­ge­ben und ein Leben der Stren­ge führen.

„Die Rede an die CELAM läuft Gefahr eine bestimm­te ‚Lin­ke‘, die Fran­zis­kus als ‚gno­stisch‘ bezeich­ne­te, und eine bestimm­te ‚Rech­te‘, die er als ‚pela­gia­nisch‘ beschrieb, zu ent­täu­schen. Herz­stück sei­ner Anspra­che war jedoch, daß die erste und wich­tig­ste Auf­ga­be der Kir­che die Evan­ge­li­sie­rung ist, die durch jeden Blick kom­pro­mit­tiert wird, der nicht auf die Gegen­wart, son­dern auf die Ver­gan­gen­heit oder eine unwahr­schein­li­che Zukunft gerich­tet ist. Der Auf­trag läuft dadurch Gefahr, ideo­lo­gi­siert zu wer­den und sich selbst­be­zo­gen ein­zu­schlie­ßen, statt hin­aus­zu­ge­hen“, so der ita­lie­ni­sche Jurist und Reli­gi­ons­so­zio­lo­ge Mas­si­mo Introvigne.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Nuo­va Bus­so­la Quotidiana/​WJT 2013

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