(London) Der liberale britische The Economist befaßt sich in der jüngsten Ausgabe mit Latein, der Sprache der römischen Antike und der katholischen Kirche. Das Wirtschaftsmagazin gelangt zum Schluß, daß Latein keineswegs tot ist, sondern sich vielmehr guter Gesundheit erfreue und eine beachtliche Erholung erlebe. Der Artikel erscheint morgen in der internationalen Druckausgabe.
Resurrexit vere – The revival of Latin
Als Papst Benedikt XVI. im Februar seinen Rücktritt bekanntgab, tat er dies auf Latein und lieferte Giovanna Chirri, der einzigen anwesenden Journalistin, die verstand, was er sagte, einen Scoop. Es war ein angemessenes Lebenszeichen eines unwahrscheinlichen Überlebens und Wiederaufblühens des Lateins als lebendige Sprache. Radio Bremen, ein deutscher Radiosender, strahlt seit 2001 eine wöchentliche Nachrichtensendung mit dem Titel Nuntii Latini Septimanales aus. Das finnische YLE Radio 1 produziert seit 1989 ein ähnliches Programm mit Zuhörern in über 80 Staaten.
Die Epigramme und Aphorismen in 140 Zeichen bei Twitter sind ideal für Latein: mit fünf Wörtern kann man häufig mehr sagen als mit zehn Wörtern in Englisch, betont David Butterfield, ein Latinist der Universität Cambridge.
Die Tweets lassen keinen Platz für problematische und lange Nebensätze. Das lateinische Benutzerkonto von Pontifex hat seit seiner Eröffnung durch Papst Benedikt XVI. im Januar 132.000 Anhänger gewonnen. Es wird vom vatikanischen Sekretariat für lateinische Briefe betreut, dem wahrscheinlich einzigen Arbeitsplatz der Welt, an dem die Sprache Vergils nach wie vor Verkehrssprache ist.
Msgr. Daniel Gallagher, einer der sieben Sekretäre, spricht vom „Vergnügen“, Tweets von der Art zu schreiben: „Plures hodie comparent rerum species falsae. Verum fideles si videri ipsi cupiunt christiani, dubitare haud debent contra aquam remigare.“ (Heute tauchen viele falsche Idole auf. Wenn die Christen treu sein wollen, dürfen sie keine Angst haben, gegen den Strom zu schwimmen.) Die englische Version verliert die klare Anspielung auf einen Brief von Seneca [gemeint ist die Epistula CXXIII, in der sich der Ausdruck remigare contra aquam findet].
Allerdings das antike Vokabular zu erweitern, um moderne Phänomene zu benennen, verlangt eine gewisse Genialität (siehe die Tabelle).
Unter den von Radio Bremen geprägten Wörtern findet sich autocinetum electricum (Elektroauto). Die lateinische Ausgabe von Wikipedia, die eine strenge Politik des „Noli fingere“ verfolgt, die sich gegen die Schöpfung von Neologismen für die 94.000 Artikel über iPod oder Handball richtet, stützt sich als Quelle auf das vatikanische Wörterbuch. Der automatische Google-Übersetzer bietet eine recht begrenzte Hilfe. Gestartet im Jahr 2010 mit einem Post auf dem Blog (in Latein), nützt die Software Übersetzungen der klassischen Texte: das eignet sich gut für die Übersetzung der Geschichte der Gallischen Kriege, ist aber weniger nützlich für die Nachrichtensender. Laut Google-Angaben wird der Übersetzungsdienst für Latein mehr genützt als der für Esperanto.
Wie Google bietet auch Facebook seinen Nutzern alle Einstellungen auf Latein, einschließlich „Mihi placet“ für „Gefällt mir“ und „Quid in animo tuo est?“ für „Woran denkst du?“. Und weiter auf den Abhängen des Parnassus befindet sich Schola, ein 2008 geschaffenes Soziales Netzwerk nur in Latein; dann Ephemeris, eine Online-Tageszeitung in Latein, die 2004 von einem polnischen Journalisten gegründet wurde und Korrespondenten in Kolumbien, Deutschland, Chile und den USA hat. Floreat!
Übersetzung: Katholisches.info
Bild: The Economist