Verteidigungslinie für Ricca hält nicht – Die „Kommandokette“ im Vatikan zur Zeit der Vertuschung


Homo-Lobby im Vatikan: Die Kommandokette zur Zeit von Riccas uruguayischen "Abenteuern" und der Reinwaschung seiner Personalakte(Rom/​Montevideo) „Es genügt in die­sen Tagen die Büros des IOR auf­zu­su­chen, um zu sehen, wie wenig die Ver­tei­di­gungs­li­nie für Msgr. Bat­ti­sta Ric­ca, den Haus­prä­la­ten des IOR mit einer skan­da­lö­sen Ver­gan­gen­heit hält“, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. Drei Stock­wer­ke unter dem Fen­ster, an dem der Papst an Sonn­ta­gen den Engel des Herrn betet, ist eine Son­der­er­mitt­lungs­ein­heit unter der Lei­tung von Anto­nio Mon­ta­re­si im Ein­satz. Mon­ta­re­si war nach dem Rück­tritt am 1. Juli des IOR-Gene­ral­di­rek­tors Pao­lo Cipria­ni und sei­nes Vizes als Chief Risk Offi­cer der Vatik­an­bank ernannt wor­den. Er steht dabei IOR-Prä­si­dent Ernst von Frey­berg zur Sei­te, der vor­über­ge­hend auch die Funk­ti­on des Gene­ral­di­rek­tors wahr­nimmt. Die Ein­heit ist auf der Jagd nach ver­däch­ti­gen Bank­be­we­gun­gen der Ver­gan­gen­heit. Die in und außer­halb des Vati­kans sehr akti­ven Ric­ca-Apo­lo­ge­ten set­zen der­zeit das Mär­chen in Umlauf, daß durch einen Angriff auf ihn die „alte Gar­de“ der Römi­schen Kurie die Neu­ord­nung und Sanie­rung der „Bank des Pap­stes“ ver­hin­dern wol­le. „Die Fak­ten sagen jedoch das Gegen­teil“, so Magister. 

Mit oder ohne „Hausprälat“ geht Überprüfung der Vatikanbank weiter

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Mit oder ohne Haus­prä­lat wer­den alle Kon­ten und Bewe­gun­gen der IOR zügig über­prüft. Jede ver­däch­ti­ge Bewe­gung wird der von René Brül­hart als Vize­prä­si­dent der Finan­cial Intel­lin­gence Unit gelei­te­ten inter­na­tio­na­len Finanz­auf­sichts­be­hör­de gemel­det, die wie­der­um die Finanz­be­hör­den der ande­ren even­tu­ell betei­lig­ten Staa­ten infor­miert. Und falls not­wen­dig wird auch die vati­ka­ni­sche Justiz in Kennt­nis gesetzt. Zudem: wel­che „alte Gar­de“? Die „Alte Gar­de“ hat­te das Sagen, als aus Uru­gu­ay 1999–2001 Ric­cas Homo-Eska­pa­den gemel­det und um Abhil­fe gebe­ten wur­de. Eine Abhil­fe, die lan­ge ver­wei­gert wur­de. Und es hat­te die „Alte Gar­de“ das Sagen, als Ric­cas Per­so­nal­ak­te im Vati­kan gesäu­bert wur­de, um ihm eine zwei­te Kar­rie­re zu ermög­li­chen, und nun unter Papst Franrzis­kus einen wei­te­ren Kar­rie­re­sprung nach oben. Aller­dings einen getürk­ten, denn der Papst wur­de hintergangen.

Der Fall ist der erste Stol­per­stein im neu­en Pon­ti­fi­kat. Wenn Kar­di­nal Mara­dia­ga davon redet, daß der Papst „unge­fil­tert“ die Infor­ma­tio­nen erhal­ten sol­le, mit dem nicht ganz durch­sich­ti­gen Zusatz „nicht wie unter Bene­dikt XVI.“, dann zeigt sich, daß das neue Infor­ma­ti­ons­sy­stem von Papst Fran­zis­kus gleich bei der ersten Per­so­nal­ent­schei­dung an der Römi­schen Kurie nicht funk­tio­nier­te. Wahr­schein­lich zu zah­len­des Lehr­geld, um sich in Rom zurecht­zu­fin­den. Noch steht die Reak­ti­on des Pap­stes auf den Fall Ric­ca und jene, die ihm offen­bar zunächst ent­schei­den­de Infor­ma­tio­nen vor­ent­hal­ten haben, aus. Der Papst wird aber auch sei­ne eige­ne Stra­te­gie „ein­sa­mer Ent­schei­dun­gen“ auf der Grund­la­ge sei­nes eigen­mäch­ti­gen Sam­melns oder Igno­rie­rens von Infor­ma­tio­nen über­prü­fen müssen.

Kirche kann praktizierte Homosexualität nicht dulden, ebensowenig daß Papst betrogen wird

Was die Kir­che nicht dul­den kann, sind Prie­ster, Bischö­fe, Lai­en, die ein unsitt­li­ches homo­se­xu­el­les Ver­hal­ten prak­ti­zie­ren, statt die Keusch­heit um des Him­mel­rei­ches wegen zu leben. Die Kir­che ver­langt vom Sün­der einen Buß­akt, der mit Reue beginnt „und nicht mit der Fäl­schung oder dem Ver­schwin­den­las­sen von Per­so­nal­ak­ten“, so Magi­ster. „Noch schwer­wie­gen­der, wenn dies von einer ‚Lob­by‘ began­gen wird. Im Fall Ric­ca rich­te­te sich der Betrug direkt gegen Papst Fran­zis­kus“, so Magister.

Magi­ster betont in sei­nem Arti­kel erneut, daß Papst Fran­zis­kus bewußt hin­ter­gan­gen wur­de. Er habe weder etwas von der skan­da­lö­sen Ver­gan­gen­heit Ric­cas gewußt noch geahnt, daß man ihm getürk­te Unter­la­gen über Ric­ca vor­leg­te, als er den ita­lie­ni­schen Mon­si­gno­re am 15. Juni als sei­nen per­sön­li­chen Ver­trau­ten zum „Haus­prä­la­ten“ der Vatik­an­bank ernann­te. Es ste­he fest, so Magi­ster, daß dem Papst die Per­so­nal­ak­te Ric­cas vor­ge­legt wor­den war. Eine Akte, der vom Staats­se­kre­ta­ri­at geführt und dort auf­be­wahrt wird. „Alles schien in Ord­nung“ so Magi­ster. Der Ernen­nung schien nichts entgegenzustehen.

Papst Franziskus von Riccas Homo-Eskapaden unmittelbar nach Ernennung informiert

Kaum wur­de die Ernen­nung all­ge­mein bekannt, mach­ten sofort meh­re­re ver­läß­li­che Per­so­nen den Papst münd­lich wie schrift­lich auf Ric­cas uru­gu­ay­ische „Aben­teu­er“ auf­merk­sam. Wei­te­re detail­lier­te Infor­ma­tio­nen aus erster Hand erhielt der Papst am 21. und 22. Juni, als er mit den in Rom ver­sam­mel­ten Nun­ti­en zusam­men­traf und der damals in Mon­te­vi­deo dienst­tu­en­de Nun­ti­us Bolo­nek den Papst unterrichtete.

Am 3. Juli mach­te Magi­ster die Sache bekannt, ohne Details des Skan­dals zu nen­nen. Ein Schritt des Vati­ka­ni­sten, mit dem er dem Papst die Reve­renz erwies und Gele­gen­heit bie­ten woll­te, die Sache zu berei­ni­gen, noch ehe sie wirk­lich publik wird.

Papst Fran­zis­kus habe dar­auf­hin, ver­si­chert Magi­ster unter Beru­fung auf vati­ka­ni­sche Quel­len, sich erneut die Per­so­nal­ak­te Ric­cas brin­gen las­sen. Sie war „sau­ber“ wie beim ersten Mal. „Die Kom­man­do­ket­te bestand aus dem Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Tar­cis­io Ber­to­ne, sei­nem Sub­sti­tu­ten Gio­van­ni Ange­lo Becciu und dem Dele­ga­ten für die päpst­li­chen diplo­ma­ti­schen Ver­tre­tun­gen, sprich dem Per­so­nal­chef Lucia­no Suria­ni“, so Magi­ster. Suria­ni habe es „nicht ein­mal“, so der Vati­ka­nist, der Mühe wert befun­den, in der Apo­sto­li­schen Nun­tia­tur in Mon­te­vi­deo eine Kopie der dor­ti­gen Per­so­nal­ak­te Ric­cas anzu­for­dern, um einen Abgleich zu täti­gen. Spä­te­stens dadurch wären die sei­ner­zei­ti­gen Berich­te von Nun­ti­us Bolo­nek über Ric­cas unstatt­haf­tes Ver­hal­ten zum Vor­schein gekom­men. Aller­dings muß büro­kra­ti­sche Rou­ti­ne in Rech­nung gestellt wer­den. Täg­lich erfol­gen Anfor­de­run­gen von Per­so­nal­ak­ten durch den Papst oder ande­rer zustän­di­ger Stel­len. Kon­kret geht es um jene Berich­te, die von Bolo­nek nach Rom geschickt wur­den, dort aber unauf­find­bar sind und die Papst Fran­zis­kus daher im Moment sei­ner Ent­schei­dung nie zu Gesicht bekom­men hat­te. Jemand hat sie im Lau­fe der Jah­re offen­sicht­lich ver­schwin­den lassen.

Wer hat Einfluß, Vatikansprecher falsche Erklärung abgeben zu lassen?

„Schlim­mer noch: nach­dem der Espres­so ver­gan­ge­ne Woche die Details des Skan­dals öffent­lich bekannt­mach­te, ließ man den Vati­kan­spre­cher Pater Feder­i­co Lom­bar­di erklä­ren, daß die Ent­hül­lung ‚nicht glaub­wür­dig‘ sei“, so Magi­ster. Pater Lom­bar­di wur­de von jeman­dem wis­sent­lich mit Falsch­in­for­ma­tio­nen vor die Pres­se geschickt.

Sein Bericht beru­he exakt und im Detail auf den Doku­men­ten, kirch­li­chen und uru­gu­ay­ischen, die im Ori­gi­nal oder in Kopie in der Nun­tia­tur von Mon­te­vi­deo auf­be­wahrt wer­den. Ein­schließ­lich dem Brief, mit dem Nun­ti­us Bolo­nek die vor­ge­setz­ten Stel­len im Vati­kan gera­de­zu anfleh­te, Ric­ca abzu­be­ru­fen und ihm an des­sen Stel­le einen „mora­lisch gesun­den und inte­gren“ Gesandt­schafts­rat zu schicken.

Zumin­dest fünf heu­te amtie­ren­de Bischö­fe wur­den Zeu­gen von Ric­cas unstatt­haf­tem Ver­hal­ten mit sei­nem Gelieb­ten und sei­en bereit, so Magi­ster, dies zu bezeu­gen. „Es todo ver­dad“, es ist alles wahr, bestä­tig­ten hohe uru­gu­ay­ische Kir­chen­ver­tre­ter in der wich­tig­sten Tages­zei­tung von Mon­te­vi­deo El Pais. Sofort nach Erschei­nen von Magi­sters Arti­kel hat­te bereits der Gene­ral­se­kre­tär der Uru­gu­ay­ischen Bischofs­kon­fe­renz die Anga­ben bestätigt.

Papst Franziskus griff selbst zum Telefon und rief in Uruguay an: „Es ist alles wahr“

Nach dem Magi­ster-Arti­kel im Espres­so “griff Papst Fran­zis­kus selbst zum Tele­fon­hö­rer und rief meh­re­re Per­so­nen sei­nes Ver­trau­ens in jenem Land an, um end­gül­ti­ge Bestä­ti­gung der Fak­ten zu erhal­ten“, so Magister.

Der amtie­ren­de Apo­sto­li­sche Nun­ti­us in Mon­te­vi­deo, Msgr. Ansel­mo Gui­do Peco­ra­ri sag­te gegen­über der uru­gay­ischen Tages­zei­tung El Obser­va­dor nur kryp­tisch: „Die gan­ze Sache liegt in den Hän­den des Hei­li­gen Vaters, der in sei­ner Weis­heit weiß, wie zu han­deln sei.“

„Alte Garde“ bildete Kommandokette zur Zeit der Vertuschung von Riccas Makel

Inter­es­san­ter als die der­zeit aktive„Kommandokette“, die Papst Fran­zis­kus die Ric­ca-Akte zur Ein­sicht brach­te, scheint die Kom­man­do­ket­te zur Zeit der Vor­fäl­le in Uru­gu­ay zu sein, als Nun­ti­us Bolo­nek Rom infor­mier­te und lan­ge Zeit ver­ging, ehe man dort reagier­te, und danach, als Ric­ca im Vati­kan als Direk­tor der Gäste­häu­ser eine zwei­te Kar­rie­re begin­nen konn­te, weil jemand sei­ne Per­so­nal­ak­te „sau­ber“ gehal­ten hat­te. Die dama­li­ge Kom­man­do­ket­te lau­te­te: Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Ange­lo Sod­a­no, des­sen Sub­sti­tut war Leo­nar­do Sand­ri (Argen­ti­ni­er, seit 2007 Kar­di­nal), Dele­gat für die päpst­li­chen diplo­ma­ti­schen Ver­tre­tun­gen und damit Per­so­nal­chef war Car­lo Maria Viganò. Letz­te­rer blieb bis 2009 am läng­sten in sei­nem Amt. Er stand schließ­lich im Mit­tel­punkt einer tur­bu­len­ten von ihm abge­lehn­ten Ernen­nung zum Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in den USA und damit sei­ner Ent­fer­nung aus Rom. Ein Kon­flikt, der dem Kampf zwi­schen der „alten Gar­de“ des Staats­se­kre­ta­ri­ats um Kar­di­nal Sod­a­no mit der neu­en um Kar­di­nal Ber­to­ne geschul­det war.

Papst Franziskus wird im Gegensatz zu Benedikt XVI. von Medien geschont: Warum reagiert er nicht?

Tat­sa­che ist auch, daß Papst Fran­zis­kus von der Welt­pres­se ganz anders behan­delt wird als Papst Bene­dikt XVI. Das sagt weni­ger über die Päp­ste, aber viel über die Medi­en aus. Es erklärt auch das gegen­sätz­li­che Bild der bei­den Päp­ste, das unab­hän­gig von den tat­säch­li­chen Unter­schie­den von den Medi­en gezeich­net wur­de. Papst Bene­dikt XVI. wäre der Fall Ric­ca als Beleg sei­ner „Regie­rungs­un­fä­hig­keit“, sei­nes „Alters“, sei­ner „erstarr­ten hand­lungs­un­fä­hi­gen Kurie“ mit gro­ßen Schlag­zei­len regel­recht um die Ohren geschla­gen wor­den. Und vie­le Men­schen, auch gut­gläu­bi­ge Katho­li­ken hät­ten es „nach­ge­be­tet“. Papst Fran­zis­kus genießt, aus wel­chen Grün­den auch immer, media­le Scho­nung, wie sie jedem Ober­haupt der katho­li­schen Kir­che gebührt. Die Fra­ge bleibt den­noch im Raum, war­um Papst Fran­zis­kus auch einen Monat, nach­dem er die Wahr­heit erfah­ren hat, noch kei­ne Ent­schei­dung zum Fall Ric­ca getrof­fen hat.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Espres­so Screenshot

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