Einige Worte an jene, die Papst Franziskus mißverstanden haben


Papst FranziskusDer Jubel für Papst Fran­zis­kus von kir­chen­fer­nen Krei­sen und noto­ri­schen Kir­chen­kri­ti­kern wie Hans Küng oder öko-mar­xi­sti­schen Befrei­ungs­theo­lo­gen wie Leo­nar­do Boff samt dem Gefol­ge bis in kirch­li­che Ver­bän­de hin­ein, irri­tier­te. Zusam­men mit einer Rei­he von Gesten, die wie eine Distan­zie­rung vom soeben zu Ende gegan­ge­nen Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI. wirk­ten, stell­ten sich zahl­rei­che Fra­gen. Der bekann­te katho­li­sche Publi­zist Vitto­rio Mess­o­ri gehört zu jenen, für die die von tra­di­ti­ons­ver­bun­de­ner Sei­te vor­ge­brach­ten Vor­be­hal­te vor­ei­lig gewe­sen sei­en, die er vor allem auf den Zuspruch „von der fal­schen Sei­te“ zurück­führt. Die Gesten, die wie ein Bruch zum Vor­gän­ger­pon­ti­fi­kat wir­ken, sei­en vor allem dem Jesui­ten­tum Berg­o­gli­os zuzu­schrei­ben, an das sich die Welt erst gewöh­nen müs­se. Jesui­ten in den höch­sten Ämtern der Kir­che sei­en ein neu­es Phä­no­men, auf dem Papst­thron etwas völ­lig Neu­es. Jeder Papst set­ze sei­ne Akzen­te. Die Katho­li­ken soll­ten daher unvor­ein­ge­nom­men und in kind­li­cher Treue nur auf das schau­en, was der Papst tut, vor allem aber was er lehrt. Sie soll­ten ihn jeden­falls nicht an dem mes­sen, was irgend­ei­ne Rich­tung von ihm sagt, die ihn zu ver­ein­nah­men versucht.
Mess­o­ri ver­öf­fent­lich­te soeben ein neu­es Buch über die Mari­en­er­schei­nung von Lour­des. Seit mehr als 150 Jah­ren ste­he vor allem das Mäd­chen, Ber­na­dette Sobi­rous (1844–1879), in ihrer okzita­ni­schen Mut­ter­spra­che eigent­lich Maria Ber­na­da Sobirós, im Kreuz­feu­er der Kri­ti­ker, die immer neu deren Glaub­wür­dig­keit zu erschüt­tern ver­such­ten. Mess­o­ri leg­te nun mit dem Buch Ber­na­dette non ci ha ingan­na­ti (Ber­na­dette hat uns nicht getäuscht, Mond­ado­ri 2013) eine eben­so lei­den­schaft­li­che, wie akri­bi­sche Ver­tei­di­gung der jun­gen Bas­kin vor.
Im Cor­rie­re del­la Sera, der wich­tig­sten Tages­zei­tung Ita­li­ens ver­öf­fent­lich­te Vitto­rio Mess­o­ri gestern den nach­fol­gen­den Kommentar.

Jene, die Papst Franziskus mißverstanden haben

Anzei­ge

von Vitto­rio Messori

Zwei Mona­te nach der Wahl von Jor­ge Mario Berg­o­glio zum Papst erscheint ein leicht iro­ni­sches Lächeln immer mehr gerecht­fer­tigt. Das Lächeln jener, die die Kir­chen­ge­schich­te ken­nen und in den ver­gan­ge­nen Wochen die zuvor­kom­men­de Freund­lich­keit jener Krei­se beob­ach­te­ten, die nor­ma­ler­wei­se der katho­li­schen Kir­che feind­lich oder zumin­dest miß­trau­isch gegen­über­ste­hen. Bekann­te Anti­kle­ri­ka­le erklär­ten, gerührt zu sein vom ein­fa­chen „Buo­nase­ra“ beim ersten Erschei­nen des Pap­stes nach dem Kon­kla­ve, vom „Guten Appe­tit“ beim Ange­lus am Sonn­tag, von den schwar­zen Schu­hen eines Berg­pfar­rers, vom Sil­ber­kreuz statt eines gol­de­nen, von der beson­de­ren Auf­merk­sam­keit  für die Armen, für die Ent­schei­dung in sei­nem Hotel­zim­mer zu blei­ben. Aus die­sen Grün­den – und auch wegen dem, was man über sei­ne Ver­gan­gen­heit als Erz­bi­schof von Bue­nos Aires, mit einer Bevor­zu­gung der Vil­las mise­ri­as am Ran­de der Stadt, hör­te – für das alles und ande­res mehr, stimm­te man ein Hoch an auf einen Papst, der end­lich einer „von links“ ist.

Außergewöhnlicher Einsatz zugunsten jedes menschlichen Elends zeichnet gerade die Anhänger der eindeutigsten Orthodoxie aus

Wer aber über so viel Begei­ste­rung lächel­te, weil er schon eine schnel­le Des­il­lu­sio­nie­rung vor­her­sah, wuß­te, was uns die Geschich­te lehrt: die „sozia­le Katho­li­zi­tät“ gibt es schon lan­ge und jene, die ihre beson­de­re Ent­fal­tung im 19. Jahr­hun­dert und in den ersten Jahr­zehn­ten des 20. Jahr­hun­derts fand, geschah aus­ge­rech­net durch das Wir­ken von Prie­stern und Lai­en, die unter „Pro­gres­si­ven“ als „Ultra­mon­ta­ne“, als „Papi­sten“ und „Reak­tio­nä­re“ ver­schrien sind. Der außer­ge­wöhn­li­che Ein­satz zugun­sten jedes mensch­li­chen Elends, der die Kir­che seit dem Pon­ti­fi­kat von Pius IX. bis her­auf zu Pius XII. bewegt, zeich­net gera­de die Anhän­ger der ein­deu­tig­sten Ortho­do­xie aus, die Gläu­bi­gen, die sich am klar­sten zum Gehor­sam gegen­über der Kir­che und vor allem gegen­über dem Papst­tum bekennen.

Turin in Pie­mont, aus dem die Vor­fah­ren von Papst Fran­zis­kus stam­men, um uns auf ein beein­drucken­des Bei­spiel zu beschrän­ken, erlebt zwi­schen dem 19. und 20. Jahr­hun­dert gera­de­zu eine explo­si­ons­ar­ti­ge Aus­brei­tung der Hei­lig­keit. Um nur die bekann­te­sten Namen zu nen­nen, die inzwi­schen hei­lig- oder selig­ge­spro­chen sind: Don Cot­to­len­go, der den gesell­schaft­li­chen „Müll“ auf­sam­melt, jene, die von allen aus­ge­sto­ßen sind; Don Bos­co, der alles für sei­ne Kin­der der „Pro­le­ta­ri­er“ gibt; Don Muri­al­do, der die­sem gleich, bil­dungs­fer­ne, aus­bil­dungs­lo­se, hung­ri­ge Kin­der und Jugend­li­che zu guten Hand­wer­kern und Bür­ger erzieht; der Ade­li­ge und Mathe­ma­ti­ker Fran­ces­co Faà  di Bru­no, der als Spät­be­ru­fe­ner zum Prie­ster geweiht wur­de, setz­te sich für den Schutz der Letz­ten unter den Letz­ten ein, für die aus­ge­beu­te­ten, kran­ken und im Alter ohne jede Absi­che­rung auf die Stra­ße gesetz­ten Dienst­mäg­de, Haus­mäd­chen und Köchin­nen; Don Cafas­so, schenkt alles, um das Schick­sal der Ver­ges­sen­sten unter den Ver­ges­se­nen, den Gefan­ge­nen zu lin­dern; Don Ala­man­no küm­mert sich um die Elend­sten außer­halb Euro­pas und schickt sei­ne Mis­sio­na­re der Getrö­ste­ten zu ihnen; Don Orio­ne setzt der Hil­fe für die Not­lei­den­den kei­ne Gren­ze, kein Opfer ist zu viel.

Das sind nur eini­ge Namen und, wie gesagt, nur ein­ge­schränkt auf Pie­mont. Aber aus allen Gegen­den Ita­li­ens, Euro­pas und der gan­zen katho­li­schen Welt stand eine gro­ße Schar auf, die zu Akteu­ren der täti­gen Sozi­al­hil­fe wur­de, die ohne jenen Vor­be­halt und ohne Ein­schrän­kung gewährt wur­de, zum Teil auch auf Kosten des eige­nen Lebens. Die­se katho­li­schen Akteu­re waren von ihrer Her­kunft, ihrer Lebens­ge­schich­te und ihren Cha­ris­men ganz ver­schie­den. Aber sie waren durch ihren uner­schüt­ter­li­chen Gehor­sam gegen­über dem Glau­ben und der Moral ver­bun­den, wie sie von der Kir­che gelehrt wur­den. Wäh­rend die libe­ra­len, häu­fig von der Frei­mau­re­rei beein­fluß­ten Regie­run­gen ihrer Zeit sich kaum um die Armen küm­mern, die­sen viel­mehr sogar noch das Brot besteu­ern und ihnen die Söh­ne für jah­re­lan­gen Mili­tär­dienst zwangs­ent­zie­hen, und wäh­rend der ent­ste­hen­de Sozia­lis­mus Schlacht­ru­fe, Flug­blät­ter und Pro­pa­gan­da­bro­schü­ren ver­teilt und sich mehr um die Ideo­lo­gie küm­mert als um das kon­kre­te Elend der Men­schen, genau zu die­ser Zeit sind die „Papi­sten“, die ver­ach­te­ten „kle­ri­ka­len Reak­tio­nä­re“ zur Stel­le, um regel­recht auf die Stra­ße zu gehen, und den hung­ri­gen, kran­ken, unge­bil­de­ten, ver­las­se­nen, aus­ge­sto­ße­nen, ver­ges­se­nen Men­schen zu hel­fen. Sie taten das ganz kon­kret durch ihr Bei­spiel an vor­der­ster Linie. Sie taten es aber auch, indem sie ihre Stim­me erho­ben gegen so viel Leid, von dem die Rei­chen nichts sehen und nichts hören wollten.

Papst Fran­zis­kus steht heu­te in der Erb­fol­ge die­ser lan­gen und bewun­derns­wer­ten sozia­len katho­li­schen Tra­di­ti­on. Wegen einer gan­zen Rei­he von Miß­ver­ständ­nis­sen und vor allem geschick­ter pro­pa­gan­di­sti­scher Ver­zer­run­gen, hat sich ein Kli­schee durch­ge­setzt, das noch immer bestim­mend ist, laut dem der Ein­satz für die Letz­ten, für die Armen und für die Ärm­sten der Armen auto­ma­tisch eine „pro­gres­si­ve“ Ein­stel­lung vor­aus­setzt. Im katho­li­schen Fall also eine hete­ro­do­xe, pole­mi­sche, die Dog­men und die kirch­li­che Auto­ri­tät, vor allem jene des Pap­stes und der Bischö­fe ableh­nen­de, jeden­falls distan­zier­te Ein­stel­lung. Die Kir­chen­ge­schich­te aber lehrt uns das genaue Gegenteil.

Bei­spiel­haft dafür ist der pole­mi­sche Ver­gleich zwi­schen Pater Berg­o­glio und sei­nen jesui­ti­schen Mit­brü­dern, die von den mar­xi­stisch-leni­ni­stisch gepräg­ten Ideo­lo­gien der Befrei­ungs­theo­lo­gie ange­zo­gen wur­den. Sein Ein­satz unter den argen­ti­ni­schen Aus­ge­grenz­ten war, wie bei allen Hei­li­gen, von evan­ge­li­scher Lie­be gelei­tet und nicht von einer Ideo­lo­gie. Er muß­te dafür nicht der Kir­che und den Päp­sten wider­spre­chen, kei­ne neu­en Theo­lo­gien pro­pa­gie­ren und neu­en Moral­leh­ren in Umlauf set­zen, um dem Auf­trag Jesu zu fol­gen und sich arm unter den Armen zu machen.

Weiteres „katholisches Markenzeichen“ der Priester und Laien im sozialen Einsatz: Marienverehrung

Es gibt noch ein wei­te­res „katho­li­sches Mar­ken­zei­chen“, das die Prie­ster und Lai­en im sozia­len Ein­satz, von denen schon die Rede war, kenn­zeich­net: die Mari­en­ver­eh­rung. In den Per­spek­ti­ven der „mün­di­gen“ und „offe­nen“ Chri­sten wird die tra­di­tio­nel­le Mari­en­fröm­mig­keit abge­lehnt. Maria ist für sie nichts Erstre­bens­wer­tes, ihr Gehor­sam, ihre Treue, ihre Selbst­ent­sa­gung, ihre Jung­fräu­lich­keit, ihre Sün­den­lo­sig­keit, ihre leib­li­che Auf­nah­me in den Him­mel, das tra­di­tio­nell-hei­le Bild der Hei­li­gen Fami­lie. Eben­so wenig Mari­en­hei­lig­tü­mer, Wall­fahr­ten, Rosen­krän­ze. Wenn man sich an sie erin­nert, dann ver­sucht man sie umzu­bie­gen zu einer Kämp­fe­rin und Stich­wort­ge­be­rin für den Klas­sen­kampf, und das aus­ge­rech­net mit ihrem Magni­fi­kat, dem eine poli­ti­sche Les­art ver­paßt wird.

Auch dar­in zeigt Papst Fran­zis­kus sei­ne Kon­ti­nui­tät mit den Glau­bens­brü­dern, die zur Hei­lig­keit empor­ge­stie­gen sind, indem sie sich bis ins Letz­te ihre Hän­de in den Elends­vier­teln der Gesell­schaft schmut­zig mach­ten. Alle, aus­nahms­los, waren glü­hen­de Ver­eh­rer jener, die sie immer Mut­ter­got­tes nann­ten. Bei sei­ner ersten Aus­fahrt nach der Wahl hat­te er die Basi­li­ka San­ta Maria Mag­gio­re zum Ziel, wo er im Gebet vor dem vom römi­schen Volk seit Men­schen­ge­den­ken ver­ehr­ten Gna­den­bild ver­harr­te. Am Nach­mit­tag des­sel­ben Tages zog es ihn zur Lour­des­grot­te, die im rea­len Maß­stab in den Vati­ka­ni­schen Gär­ten nach­ge­baut wur­de, um dort den Rosen­kranz zu beten. Sei­ne vor­ge­tra­ge­nen oder spon­tan gehal­te­nen Pre­dig­ten ent­hal­ten immer eine Anru­fung der Jung­frau. Erst vor weni­gen Tagen kün­dig­te er an, sobald als mög­lich, nach Sar­di­ni­en zu flie­gen, um den Wall­fahrts­ort der Got­tes­mut­ter von Bona­ria auf­zu­su­chen, die sei­nem Bue­nos Aires den Namen gab.

Und was sei­ne unge­wöhn­li­che Namens­wahl betrifft, ver­gißt man meist und ger­ne, daß die Ein­zig­ar­tig­keit die­ses Franz von Assi­si – die selbst von den mit­tel­al­ter­li­chen Pre­di­gern oder ande­rer Zei­ten nicht vie­le hat­ten – sein unbe­ding­ter Gehor­sam gegen­über der kirch­li­chen Auto­ri­tät ist, sei­ne Ver­eh­rung für das Papst­tum und sein Ver­ab­scheu­en von jeder Häre­sie. Der Mann von Assi­si war ein gehor­sa­mer Katho­lik. Er war kein Rebell, kein Revo­lu­tio­när und nicht ein­mal ein Kri­ti­ker der Insti­tu­ti­on Kirche.

Es wird aus­rei­chend Zeit sein, die Gesten und die Wor­te von dem zu ver­fol­gen, „der vom ande­ren Ende der Welt nach Rom geru­fen wur­de“. Man wird sich aber vor allem dar­an erin­nern müs­sen, wer Jor­ge Mario Berg­o­glio wirk­lich ist, bevor man eine Ana­ly­se wagt und bereits im Ansatz Fehl­ur­tei­le fällt, indem man den neu­en Papst in Din­ge zu hül­len ver­sucht, die nicht die sei­nen sind.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Nuo­va Bus­so­la Quotidiana

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!