Die Heilkraft der Liturgie. Ein Gedankenspiel


Liturgie als Therapievon Peter Stephan

Christus liebt nicht die Armut, sondern die Armen

Anzei­ge

Vor eini­gen Wochen befaß­te sich der Arti­kel Lit­ur­gie muß schön sein mit der Sym­bo­lik des prie­ster­li­chen Ornats, der in sei­ner Kost­bar­keit und sei­nem Schmuck die außerwelt­li­che Herr­lich­keit Got­tes ver­ge­gen­wär­tigt und sich damit ganz bewußt von der innerwelt­li­chen Armut der mensch­li­chen Exi­stenz abhebt. In ihrem Glanz ist die Lit­ur­gie Abglanz der Herr­lich­keit Got­tes und damit auch ein Gegen­bild zum fal­schen Gla­mour die­ser Welt.

Die­se Sym­bo­lik fin­det ihre Recht­fer­ti­gung gera­de in der Gestalt des mensch­ge­wor­de­nen Got­tes­soh­nes. Zwar ver­ließ Chri­stus bei Sei­ner Mensch­wer­dung die himm­li­sche Herr­lich­keit und trat in die Armut der Welt hin­ein, doch tat er dies nicht um der Armut wil­len – eben­so, wie Er die Sün­de der Welt nicht auf sich nahm, weil er die Sün­de an sich lieb­te. Viel­mehr nahm Er Sün­de und Armut auf sich, um die Sün­der und die Armen zu hei­li­gen, um ihnen die Schät­ze des Him­mel­reichs zu erschließen.

Der Priester als Arzt

In sei­ner Zuwen­dung zu den Armen und den Sün­dern gleicht Chri­stus einem Arzt, der sich Kei­men und Schmutz nicht aus Lie­be zur Krank­heit, son­dern aus Für­sor­ge für die Kran­ken aus­setzt. Die Meta­pher des ‚Chri­stus Medi­cus’ hat eine lan­ge Tra­di­ti­on. Schon die Väter der frü­hen Kir­che ver­stan­den die Sün­de als eine Krank­heit der See­le, wes­halb sie die wun­der­sa­men Hei­lun­gen Chri­sti nicht nur als phy­sio­lo­gi­sche, son­dern auch als spi­ri­tu­el­le Akte deu­te­ten. Igna­ti­us von Antio­chi­en, Augu­sti­nus und Luther ver­gli­chen Chri­stus expli­zit mit einem Arzt, wäh­rend The­re­sa von Avila die Sakra­men­te als eine geist­li­che Medi­zin defi­nier­te. Im 18. Jahr­hun­dert wur­de dar­über hin­aus das Bild vom ‚Hei­land’ als einem Apo­the­ker popu­lär. [1]Vgl. Rein­hard von Ben­de­mann: Chri­stus medi­cus. Neu­kir­che­ner, Neu­kir­chen-Vluyn 2009; Woty Goll­wit­zer-Voll, Chri­stus Medi­cus – Hei­lung als Myste­ri­um. Inter­pre­ta­tio­nen eines alten Chri­stus­na­mens und … Con­ti­n­ue rea­ding. Auch die Lit­ur­gie ver­gleicht das Wir­ken Chri­sti mit dem eines Arz­tes. Nicht von unge­fähr bit­ten die Gläu­bi­gen zur Kom­mu­ni­on: „Domi­ne, non sum dig­nus ut intres sub tec­tum meum, sed tan­tum dic ver­bo et sanabitur ani­ma mea (Herr, ich bin nicht wür­dig, daß Du ein­gehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird mei­ne See­le gesund.“). In Ana­lo­gie zu Chri­stus wur­de auch der Prie­ster, der die Sakra­men­te spen­det und die Men­schen zu einer gott­ge­fäl­li­gen Lebens­wei­se auf­ruft, mit einem Arzt ver­gli­chen, etwa im Kate­chis­mus des Kon­zils von Trient.

Die Kirche als Heil(s)anstalt

Ent­wickelt man den Ver­gleich von pasto­ra­lem und medi­zi­ni­schem Wir­ken wei­ter, so ent­spricht die Kir­che einem Hos­pi­tal oder einem Sana­to­ri­um. Des­sen Ärz­te und Pfle­ger kom­men mit den Erre­gern, dem Blut, dem Eiter und dem Aus­wurf der Kran­ken auf ähn­li­che Wei­se in Berüh­rung wie Chri­stus und die Prie­ster mit dem Schmutz der Sün­de. Um hei­len zu kön­nen, des­in­fi­zie­ren die Ärz­te ihre Hän­de und wech­seln die Klei­dung. Eben­so hal­ten sie die Pati­en­ten zur Sau­ber­keit an. Des wei­te­ren ver­wen­den sie höchst teu­re Instru­men­te und auf­wen­di­ge Appa­ra­te. Für den Erhalt des Lebens ist ihnen kein Preis zu hoch. Hin­zu tre­ten the­ra­peu­ti­sche Maß­nah­men. Musik in den Auf­ent­halts­räu­men soll für eine gute Grund­stim­mung sor­gen. Bil­der mit schö­nen Natur­auf­nah­men stär­ken bei den Gene­sen­den den Wil­len, ins gesun­de Leben zurück­zu­keh­ren, wäh­rend sie den chro­nisch Kran­ken ein Stück jener Welt zurück­ge­ben, die für sie uner­reich­bar gewor­den ist. Den einen sind die Bil­der Froh­bot­schaft, den ande­ren immer­hin Trost.

Liturgie als Therapie

Was die Medi­zin inner­halb der Kran­ken­für­sor­ge lei­stet, lei­stet die Kir­che in der Seel­sor­ge, wobei die Kate­che­se der medi­zi­ni­schen Auf­klä­rung, die Gewis­sens­er­for­schung der Ana­mne­se und Dia­gno­se und die Spen­dung der Sakra­men­te dem Ver­ab­rei­chen der Medi­zin ent­spre­chen. Den Haupt­an­teil nimmt frei­lich die Lit­ur­gie ein. Sie kommt einer ganz­heit­li­chen The­ra­pie gleich. In ihrem Rah­men sol­len die Kir­chen­mu­sik und die Bild­kunst ein Vor­schein der himm­li­schen Herr­lich­keit sein und in den Gläu­bi­gen das Ver­lan­gen nach dem ewi­gen Leben ver­stär­ken. Die Para­men­te sol­len sich in ihrer Rein­heit und Schön­heit vom Elend und Schmutz des All­tags abhe­ben und so eine Vor­stel­lung von der Herr­lich­keit des ewi­gen Lebens ver­mit­teln. Die wert­vol­len Altar­ge­rä­te sind Instru­men­te des Heils. Ihre Hand­ha­bung muß äußerst sorg­fäl­tig erfol­gen, beson­ders im Umgang mit der wirk­sam­sten aller Arz­nei­en, der Eucha­ri­stie. Nicht das win­zig­ste Par­ti­kel und nicht das klein­ste Tröpf­chen dür­fen verlorengehen.

Wenn Ärzte nicht mehr an die Heilung und Priester nicht mehr an Erlösung glauben

Doch wie wäre es um ein Kran­ken­haus bestellt, in dem die Ärz­te an ihren Fähig­kei­ten, die Kran­ken zu hei­len, zwei­fel­ten? Wenn sie ihre Auf­ga­be vor allem dar­in sähen, am Elend der Men­schen emo­tio­nal Anteil zu neh­men? Wenn sau­be­re Arzt­kit­tel plötz­lich als Aus­druck von Abge­ho­ben­heit oder gar Stan­des­dün­kel ange­se­hen wür­den? Wenn Medi­zin­pro­fes­so­ren ihren Stu­den­ten bei­bräch­ten, die Besei­ti­gung von Schmutz bedeu­te eine Ver­leug­nung der Rea­li­tä­ten, kön­ne als Miß­ach­tung von Leid ver­stan­den wer­den? Wenn schö­ne Musik und schö­ne Bil­der plötz­lich als lee­re Ver­spre­chun­gen, ja als mani­pu­la­ti­ve Vor­spie­ge­lung einer hei­len Welt erschie­nen? Wenn qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Instru­men­te als Geld­ver­schwen­dung abge­tan wür­den? Wenn die sog. „Appa­ra­te­me­di­zin“ als inhu­man kri­ti­siert wür­de, weil sie angeb­lich nicht den Men­schen, son­dern die Maschi­ne in den Mit­tel­punkt rücke? Wenn man mit Medi­ka­men­ten acht­los umgin­ge, weil man ihnen ohne­hin kei­ne ech­te Wir­kung, son­dern allen­falls einen Pla­ce­bo-Effekt zubilligte?

Nachlässigkeit als Barmherzigkeit

Unter sol­chen Rah­men­be­din­gun­gen erschie­nen Krank­heit und Elend als unver­meid­ba­re Tat­sa­chen. Eine – zuge­ge­ben sehr nega­ti­ve – Bewäl­ti­gungs­stra­te­gie könn­te dar­in bestehen, das Lei­den als gerech­te Stra­fe für eine fal­sche Lebens­füh­rung zu deu­ten. Als Gegen­re­ak­ti­on auf die­se Schuld­kul­tur wür­de sich sehr wahr­schein­lich ein zwei­ter, schein­bar posi­ti­ver Ansatz eta­blie­ren. Die Ärz­te wür­den behaup­ten, es ste­he ihnen gar nicht zu, zu beur­tei­len, wann ein Mensch krank sei und wann nicht. Nie­mand dür­fe über einen ande­ren Men­schen eine Dia­gno­se aus­spre­chen, geschwei­ge denn einem ande­ren Men­schen hin­sicht­lich sei­ner Lebens­füh­rung Vor­schrif­ten ertei­len. Wenn ein Arzt den Men­schen wirk­lich hel­fen wol­le, müs­se er für ihre Erkran­kun­gen Ver­ständ­nis auf­brin­gen, den Pati­en­ten Mut machen, zu ihren Krank­hei­ten zu ste­hen und ihnen hel­fen, das Leid posi­tiv zu sehen. Schließ­lich sei Krank­sein sei etwas ganz Natür­li­ches. Zur Not gäbe es ja ortho­pä­di­sche Hilfs­mit­tel oder aber Schmerz- und Betäu­bungs­mit­tel. Im Extrem­fall kön­ne man – selbst­ver­ständ­lich in einem Akt der Huma­ni­tät – die Lei­dens­zeit auch durch Ster­be­hil­fe verkürzen.

Die unaus­weich­li­che Fol­ge einer sol­chen Berufs­auf­fas­sung, die statt zu hei­len besten­falls lin­dert, in der Regel aber nur beschwich­tigt oder ver­drängt, wäre, daß die Hygie­ne in den Kran­ken­häu­sern nach einer Wei­le rapi­de abnäh­me. Die Krank­hei­ten wür­den sich stark ver­meh­ren, längst aus­ge­stor­ben geglaub­te Seu­chen wür­den wie­der wüten. Es wür­de eine „sump­fig-sticki­ge“ Atmo­sphä­re herr­schen; von „fri­scher Luft“ sprä­chen allen­falls jene, die an Beatmungs­ge­rä­te ange­schlos­sen und den Bezug zur Rea­li­tät längst ver­lo­ren hätten.

Der Niedergang der Liturgie resultiert aus einer falsch verstandenen Humanität und aus der Negierung des Transzendenten

Den Kran­ken­häu­sern, in denen sol­chen Zustän­de herrsch­ten, ent­sprä­che eine Kir­che, die den Bezug zum Tran­szen­den­ten weit­ge­hend ver­lo­ren hät­te. Die sich nicht mehr zutrau­te, die Men­schen zum ewi­gen Heil zu füh­ren, weil ihre Prie­ster und Theo­lo­gen selbst an der Ewig­keit zwei­fel­ten; weil sie auf­grund eines falsch ver­stan­de­nen Barm­her­zig­keits­be­griffs und einer irri­gen Vor­stel­lung von Welt­of­fen­heit zu sehr im Hier und Heu­te ver­haf­tet wäre. Eine sol­che Kir­che wür­de auch jede Form einer fei­er­li­chen Lit­ur­gie ableh­nen, weil sie sich ein­re­de­te, dann nicht mehr bei den Men­schen zu sein. Sie könn­te sich nicht mehr vor­stel­len, daß die Pracht der Para­men­te, die Wür­de der Riten, die Erha­ben­heit der Musik, die Schön­heit der Bil­der und die Kost­bar­keit der Gerä­te Aus­druck gött­li­chen Heils­han­delns sind. Folg­lich erschie­ne Lit­ur­gie nur noch als die Selbst­dar­stel­lung einer ent­rück­ten kle­ri­ka­len Eli­te, die für das Leid in der Welt nicht mehr offen sei, und sich dar­auf beschrän­ke, die Ein­fäl­ti­gem und Gut­gläu­bi­gen zu mani­pu­lie­ren, indem sie den Gla­mour der Welt für den Glanz des Him­mels ausgäbe.

Liturgischer Pauperismus und medizinische Nachlässigkeit – ein Armutszeugnis!

In einer sol­chen Kir­che wür­de die Fei­er­lich­keit der Lit­ur­gie auf ein Mini­mum redu­ziert. Die Got­tes­dien­ste gerie­ten mehr und mehr zu Soap Operas a la Emer­gy Room oder Schwarz­wald­kli­nik: mit Prie­stern wie Geor­ge Cloo­ney als Dr. Dou­glas oder Bischö­fen wie Klaus Wussow als Prof. Dr. Brinkmann.

Doch zumin­dest in der Rea­li­tät hat der Tele­no­ve­la-Kitsch der Glau­bens­fer­ne, die heu­te in vie­len Gemein­den und an vie­len Lehr­stüh­len herrscht, eines vor­aus: die Klei­der des Kran­ken­haus­per­so­nals sind makel­los, die Appa­ra­te von bester Qua­li­tät, die Aus­stat­tung der Kran­ken­häu­ser vor­bild­lich. Das Gros der Fern­seh­zu­schau­er will Ärz­te sehen, die über mit­füh­len­de Rühr­se­lig­keit hin­aus Auto­ri­tät besit­zen; die wirk­lich den Anspruch und den Wil­len haben zu hei­len. Nach sol­chen Prie­stern sehnt sich auch die Mehr­heit der Gläu­bi­gen. Lit­ur­gie wird umso glaub­wür­di­ger und authen­ti­scher, je weni­ger sie sich dem irdi­schen Elend anpaßt und je mehr sie die himm­li­sche Herr­lich­keit ver­ge­gen­wär­tigt. In der Lit­ur­gie hat Pau­pe­ris­mus eben­so wenig zu suchen wie Resi­gna­ti­on und Schlen­dri­an in einer Klinik.

Prof. Dr. Peter Ste­phan hat Geschich­te, Kir­chen­ge­schich­te und Kunst­ge­schich­te stu­diert und ist apl. Pro­fes­sor für Kunst­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Frei­burg im Breis­gau. Zugleich lehrt er als Pro­fes­sor für Archi­tek­tur­theo­rie an der Fach­hoch­schu­le Pots­dam und ist Dozent für Phi­lo­so­phie der Ästhe­tik am Insti­tut St. Phil­ipp Neri in Berlin.

Bild: Mes­sa in latino

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1 Vgl. Rein­hard von Ben­de­mann: Chri­stus medi­cus. Neu­kir­che­ner, Neu­kir­chen-Vluyn 2009; Woty Goll­wit­zer-Voll, Chri­stus Medi­cus – Hei­lung als Myste­ri­um. Inter­pre­ta­tio­nen eines alten Chri­stus­na­mens und des­sen Bedeu­tung in der Prak­ti­schen Theo­lo­gie, Pader­born 2007; Jörg Hüb­ner: Chri­stus medi­cus. Ein Sym­bol des Erlö­sungs­ge­sche­hens und ein Modell ärzt­li­chen Han­delns; in: Keryg­ma und Dog­ma 31 (1985), S. 324–335 u. Johann Anselm Stei­ger: Medi­zi­ni­sche Theo­lo­gie: Chri­stus medi­cus und theo­lo­gia medi­cina­lis bei Mar­tin Luther und im Luther­tum der Barock­zeit (E‑Book) 2005
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