(Rom) Wenn die Welt auch noch gerne den Pädophilieskandal reitet, haben die Kardinäle ihren Blick längst in die Zukunft gerichtet. Manche haben im Vorfeld des Konklaves eine ganz besondere Sorge. Eine Sorge, die sie auch ins Konklave mitgenommen haben. Die Sorge vor einem traditionsverbundenen Papst. Die verschiedenen Gruppen und Gemeinschaften beobachten derzeit genau, was in Rom geschieht. Die Gemeinschaft von Sant’Egidio fürchtet Gewicht zu verlieren, Comunione e Liberazione hofft solches zu gewinnen.
Solche Wehwehchen gab es immer. Im Rahmen der Generalkongregationen wurde eine ganz andere Sorge sichtbar, die manche Kardinäle umtreibt. Die Sorge, daß nach der Öffnung Benedikts XVI. der überlieferte Ritus der katholischen Kirche, jene Form, die allgemein als „tridentinischer Ritus“ bekannt ist, den der zurückgetretene Papst als „außerordentliche Form“ des Römischen Ritus wieder kirchenfähig machte, daß dieser vorkonziliare Ritus endgültig Wiedereinzug in die Kirche hält. Die Gegner einer solchen Entwicklung im Kardinalsrot befürchteten bereits im zu Ende gegangenen Pontifikat, daß Benedikt XVI. selbst das 2007 von ihm erlassene Motu proprio Summorum Pontificum umsetzen und eines Tages eine päpstliche Liturgie in der überlieferten Form zelebrieren würde.
Vorstellung, die Schweißperlen treibt: Papst, der öffentlich überlieferten Ritus zelebrieren könnte
Letztlich hat er es nicht getan, obwohl 2012 die ersten Schritte dazu bereits gesetzt waren. Daß es nicht dazu kam, ist eine jener „Niederlagen“, die der deutsche Papst einstecken mußte, wie jene, den heiligen Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney nicht zum offiziellen Patron der Priester ausrufen zu können. Damals waren die Vorbereitungen noch viel weiter fortgeschritten, eigentlich alles bereit. Am entscheidenden Tag hing zwar der Wandteppich mit dem Bildnis des großen französischen Heiligen an der Fassade des Petersdoms und der Papst, legte den Pfarrer der kleinen Landgemeinde Ars, der als Kind die Kirche im Untergrund erlebt hatte, in den sie die französische Revolution gezwungen hatte, allen Priestern als Vorbild nahe. Das konnte dem Kirchenoberhaupt niemand nehmen. Vom ursprünglichen Programm war aber nur mehr ein Teil übriggeblieben.
Benedikt XVI. versuchte zu überzeugen, nicht zu überrumpeln. Er setzte Schritt um Schritt. Ob die Schritte im richtigen Rhythmus gesetzt wurden, wird die Geschichte zeigen. Wo er nicht konnte, weil die Widerstände zu groß waren, versuchte er zumindest vorbereitende Schritte zu setzen oder nichts zu verbauen, damit andere, die ihm nachfolgen, fortsetzen können, wo er nicht weiter konnte. Und genau davor haben einige Kardinäle geradezu Angst.
Widerstände gegen liturgische Erneuerung Benedikts XVI. groß
Die Wortwahl läßt viel erkennen und verrät oft die eigentliche Gesinnung. Die Gegner der liturgischen Erneuerung Benedikts XVI. sprechen dann zuweilen, wenn auch nur inoffiziell, aber durchaus abschätzig von den „Lefebvrianern“, wenn sie die Kardinäle meinen, die sich dem überlieferten Ritus verbunden fühlen. Sie in die Nähe der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu rücken, die mangels kanonischer Anerkennung nach wie vor mehr außerhalb als innerhalb steht, erfüllt dabei einen bewußten Diskreditierungszweck.
Sollte der neue Papst im tridentinischen Ritus zelebrieren, wäre die Gleichberechtigung der beiden von Benedikt XVI. definierten Formen des Römischen Ritus tatsächlich vollzogen. Die Sogwirkung, die weltweit dadurch ausgelöst würde, verstört die Anhänger des Novus Ordo. In den Unterlagen der traditionsfeindlichen Kardinäle sammeln sich die Meldungen und Notizen, daß einer der traditionsverbundenen Mitbrüder wieder irgendwo die „alte Messe“ zelebriert hatte, jene geächtete Form des Ritus, mit den geächteten Gewändern und geächteten Gesängen.
Doch die Zeit der Ächtung ist zu Ende, dafür hat Benedikt XVI. gesorgt. Er ersetzte sofort Msgr. Piero Marini, den päpstlichen Zeremonienmeister Johannes Pauls II. mit dessen liturgisch sehr freien, ökumenisch einseitig Richtung Protestantismus austarierten „Choreographien“. An dessen Stelle trat Msgr. Guido Marini, aus der Genueser Schule von Kardinal Siri, mit einer ganz anderen liturgischen Sensibilität und viel Spürsinn bei der Suche nach Anknüpfungspunkten zu den vergangenen Jahrhunderten, um die Zeitlosigkeit der Liturgie und die ungebrochene Kontinuität immer deutlicher herauszustreichen.
Benedikt XVI. hätte Piero Marini, wie man glaubwürdig in Rom versichert, am liebsten in ein kleines italienisches Bistum befördert. Er wollte aber in Rom bleiben und fand Förderer. So bekam er am Ende den Posten, den er noch heute bekleidet. Die Gegner Guido Marinis wünschen sich heute hingegen einen Papst, der ihn sofort wieder nach Genua zurückschickt.
Zwei „Traditionalisten“ unter Papabili
An der Spitze der „Lefebvrianer“, also der traditionsverbundenen Kardinäle, steht der 65 Jahre alte Erzbischof von Colombo auf Sri Lanka, Albert Malcolm Kardinal Ranjith. Der Singhalese befindet sich in Einklang mit den Vorstellungen zur liturgischen Erneuerung, die von Benedikt XVI. angestoßen wurden. In Seiner Erzdiözese ging er, kaum inthronisiert, mit Überzeugungsarbeit, notfalls auch energisch gegen liturgische Mißbräuche vor. Er hob die Ausnahmebestimmungen zur Handkommunion auf, mit der Begründung, daß Ausnahmen eben Ausnahmen seien und daher nie eine allgemeine Praxis darstellen könnten. Die angemessene und würdige Form der Kirche ist die Mundkommunion, die aus Ehrfurcht vor der Realpräsenz Christi kniend erfolgt, denn vor Gott müssen alle Knie sich beugen.
Nach nur einer Amtszeit als Sekretär der Kongregation für die Evangelisierung der Völker wurde Msgr. Ranjith aus der Kurie entfernt. Der damalige „Rote Papst“, Crescenzio Kardinal Sepe, und der stets freundliche Ranjith hatten unterschiedliche Vorstellungen. Papst Benedikt XVI. sollte ihn, kaum zum Papst gewählt, nach nur einem Jahr „Verbannung“ wieder nach Rom zurückholen. Diesmal als Sekretär an der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung.
Beim Entstauben der alten Kardinalsgewänder und Meßgewänder gebührt der Primat jedoch dem Amerikaner Raymond Leo Kardinal Burke, dem Präfekten der Apostolischen Signatur. Was in der Neuerungssucht der 70er Jahre auf Dachböden verbannt, wenn nicht gar verbrannt wurde, holte Kardinal Burke wieder hervor. Die alten Meßgewänder mit eindeutiger christlicher Ikonographie halten nicht nur jedem Vergleich mit der modernen, stilisierten Unkenntlichkeit stand, „sondern schlagen sie um Meilen, um es salopp zu formulieren“, wie der Liturgiewissenschaftler Don Nicola Bux kurz vor dem Konklave erklärte.
Sant’Egidio fürchtet weitere Zurückdrängung
Neben der geistlichen Dimension gibt es auch eine recht irdische und die heißt Einfluß, heißt Zugang oder eben auch nicht zum künftigen Papst. Große Laienbewegungen und Ordensgemeinschaften schauen deshalb gespannt auf die Entscheidung des Konklave. Nach geradezu idealen Bedingungen unter Johannes Paul II. bereitet sich etwa die Gemeinschaft Sant’Egidio auf eine neue kalte Dusche vor. Die Paralleldiplomatie der Kirche, die der Historiker und Gründer der Gemeinschaft, Andrea Riccardi, seit Ende 2011 Minister in der italienischen Technikerregierung von Mario Monti aufbaute, war unter Benedikt XVI. nicht so gefragt. Der deutsche Papst zeigte deutliche Bedenken gegen die „interreligiösen“ Veranstaltungen der Gemeinschaft, die seit 1987 als Ausfluß des umstrittenen interreligiösen Treffens Assisi I unter Johannes Paul II. in Trastevere stattfinden. Die Gemeinschaft stellt sich bereits auf einen Papst ein, der ihre Rolle bei den „Vermittlungen“ zwischen den Religionen noch weiter eindämmt, die meist an der Kirchenleitung vorbei in Eigenregie erfolgten.
Comunione e Liberazione ist optimistisch
Zuversichtlicher schaut die Gemeinschaft Comunione e Liberazione (Gemeinschaft und Befreiung) von Don Luigi Giussani auf das Konklave. Mit Angelo Kardinal Scola, dem Erzbischof von Mailand, könnte CL, die unter anderem auch eine neuere Form des politischen Katholizismus vertritt, die erste Neue Gemeinschaft sein, die in der Kirchengeschichte einen Papst stellt.
Der Neokatechumenale Weg des spanischen Künstlers Kiko Argüello konnte zwar mit den Sympathien Benedikts XVI. rechnen, Hauptproblem sind jedoch liturgische Sonderformen, die bei zahlreichen Bischöfen und erst Recht beim Papst auf Widerspruch stießen. Kardinal Burke äußerte vatikanintern lautstark seine Irritation über die samstäglichen Liturgien und einen Hang zu einer Judaisierung der Zelebrationen. Benedikt XVI. erlebte eine große Enttäuschung, als er 2010 feststellen mußte, daß hinter seinem Rücken der liturgische Sonderweg der Neokatechumenalen durchgedrückt werden sollte. Er ordnete eine gründliche Überprüfung an. Mit einigen Auflagen wurden geistliche Schriften genehmigt, in denen die Spiritualität der Gemeinschaft enthalten ist. Und der Zusage von Argüello an Benedikt XVI. sich daran zu halten. Die Sonderliturgie hingegen wurde nicht genehmigt. Der Neokatechumenale Weg befindet sich damit weiterhin auf kuriosen Abwegen. Die Frage ist an der Römischen Kurie anhängig und geht nun auf den nächsten Papst über.
Neokatechumenaler Weg und der nicht bewilligte liturgische Sonderweg
Die Widerstände etlicher Bischöfe und Kardinäle werden durch das neue Pontifikat nicht kleiner werden. Benedikt XVI. schätzte am Neokatechumenalen Weg den Einsatz für die „missio ad gentes“ und die Neuevangelisierung. Letztere ist gemeinsam mit der liturgischen Erneuerung und dem Bemühen, das Zweite Vatikanische Konzil durch eine Interpretation der Tradition und der Kontinuität in die Kirchengeschichte einzubetten, ein zentraler Schlüssel, um das achtjährige Pontifikat Benedikts XVI. zu verstehen. Mit einem solchen, wenn auch kaum nach außen sichtbar gewordenen, kritischen Wohlwollen kann der Neokatechumenale Weg wohl nicht mehr rechnen.
Die Salesianer haben eigentlich nur zu gewinnen. Der Aufstieg Tarcisio Bertones zum Kardinalstaatssekretär, der die gewohnte Klugheit der vatikanischen Diplomatie vermissen ließ, benebelte den Blick des Ordens von Don Bosco ein bißchen zu sehr mit Macht. Die Zurückdrängung aus Führungspositionen wird für den Orden nur von Vorteil sein.
Piusbruderschaft könnte Gelegenheit verpaßt haben
Konnten die Neokatechumenalen auf ein nicht sichtbares Wohlwollen hoffen, brachte Benedikt XVI. der Priesterbruderschaft St. Pius X. offenes Wohlwollen entgegen. Um keine Gemeinschaft bemühte er sich in seinem Pontifikat intensiver und mit ungebrochener Kontinuität. Das von ihm erhoffte Ergebnis blieb jedoch aus. Und die Bruderschaft könnte ihre Chance verpaßt haben.
Eine vergleichbare Sensibilität könnte sie nur von einem „lefebvrianischen“ Papst erhoffen. Die Wahl eines aktiv traditionsverbundenen Papstes ist nicht ganz ausgeschlossen. Unter den mehrfach genannten Papabili befinden sich mit Ranjith und Burke gleich die beiden sichtbarsten Vertreter dieser Richtung. Genau diese Vorstellung läßt andere Kardinäle allerdings erstarren. Eine Wahl, die wohl ausschließlich durch den Heiligen Geist gewirkt werden könnte.
Letztlich gilt, was der heiligen Mönch und Kirchenvater Vinzenz von Lérins sagte: „Einige Päpste schenkt Gott, andere duldet er, mit wieder anderen straft er.“
Text und Bild: Giuseppe Nardi