(Rom) Es genügt bei einer Internetsuchmaschine die Stichworte Papst und Prophezeiungen einzugeben, um zu wissen, was derzeit auch Hochsaison hat. Die ungewisse Zukunft verunsicherte die Menschen schon immer. Man versucht das Nicht-Absehbare doch irgendwie absehbar zu machen. Neben Analogien und Indizienanalyse gehören Prophezeiungen zu den beliebtesten Formen, das Ungewisse zu ergründen.
Die Schwierigkeit falsche von echten Prophetien zu unterscheiden
Die Heilige Schrift lehrt, daß Menschen die Gabe der Prophetie haben. Nie zum Eigennutz, stets zur Erfüllung des göttlichen Willens. Mit dieser Gabe ausgestattet waren zum Beispiel Hildegard von Bingen, die Junfgrau von Orleans und Pater Pio von Pietrelcina. Wir wissen auch, daß der Prophet in seiner Heimat nichts gilt, wie Papst Benedikt XVI. in seinem verstockten Deutschland erleben mußte.
Als schwierig gestaltete es sich schon immer, echte von falschen Prophetien zu unterscheiden. Eine Unterscheidung, die noch schwieriger wird, wenn die Quellen im Dunkel des Nichts verschwinden und angebliche Vorhersagen im Laufe von Jahrzehnten oder Jahrhunderten vielfach verändert, umgeschrieben und umgedeutet wurden.
1595 tauchen erstmals die Malachias-Weissagungen auf
Zu den wohlbekanntesten Prophezeiungen gehören jene des Malachias. Sie werden das erste Mal faßbar, als sie Arnold Wion aus Douis, damals Flandern, heute Frankreich, in das Buch Lignum Vitae, ornamentum et decus Ecclesiae über bekannte Angehörige des Benediktinerordens einfügte. Wion war Mönch in der Benediktinerabtei Altenburg in Niederösterreich. Die Erstausgabe in lateinischer Sprache erschien 1595 in Venedig. Bereits 1607 wurde in Augsburg durch Karl Stengel die erste deutsche Ausgabe herausgebracht.
Der Text war eine bis dahin gänzlich unbekannte Papst-Prophetie. Wion schrieb ihn dem historisch faßbaren Benediktiner Malachias zu, der Anfang des 12. Jahrhunderts Erzbischof von Armagh in Irland war. Er machte aber keine näheren Angaben zur Überlieferung des Textes. Weshalb er ihn in sein Buch übernahm, begründete er mit dessen Kürze und dem Umstand, daß er bisher nicht in Druck erschienen sei, was sich jedoch, so Wion, nicht wenige gewünscht hätten.
Der Text besteht aus einer Liste von 111 Mottos, die jeweils ab Cölestin II. (Papst von 1143–1144) einem Pontifikat entsprächen. (112, wenn man auch den Schlußtext miteinschließt, der jedoch kein Motto ist). Jedes Motto sei ein orakelhafter Sinnspruch, der jeweils ein Pontifikat bis zum Ende der Zeiten beschreibe.
Venedigs Druckereien als Ausgangspunkt der Verbreitung
Damit beginnen auch schon die Schwierigkeiten. Die Orakelsprüche sind von unterschiedlicher Präzision. Jene, bis ins 16. Jahrhundert, also exakt dem Zeitraum der Erstveröffentlichung durch Pater Arnold Wion enthalten genaue Anspielungen auf die Pontifikate, das Wappen oder den Namen des jeweiligen Papstes. Alle nachfolgenden, die 1595 tatsächlich eine Vorhersage gewesen wären, sind vage gehalten und deutlich unschärfer.
Einig ist sich die Wissenschaft daher, daß der Text jedenfalls nicht von Erzbischof Malachias von Armagh stammt, dem Wion ihn zuschrieb und unter dessen Namen er als Papstweissagung des heiligen Malachias bis heute bekannt ist. Bernhard von Clairveaux, Freund und Biograph des heiligen Malachias, der die letzte Zeit seines Lebens auch in der berühmten Zisterzienserabtei verbrachte, wo er 1148 auch gestorben ist, erwähnt nichts von seinem solchem Text. Die Liste enthält exakt alle Päpste bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, aber nur zwei von acht Gegenpäpsten jener Zeit. Eine Aufflistung, die genau jener des italienischen Historikers Onofrio Panvinio, einem Zeitgenossen Wions entspricht. Gleiches gilt für fehlerhafte biographische Angaben, die sich ident im Text Panvinios finden. Daraus kann geschlossen werden, daß Panvinios Papstbiographien in seinem Werk Epitome pontificum Romanorum a S. Petro usque ad Paulum III., das 1557 ebenfalls in Venedig erschienen war, die Hauptgrundlage des „Weissagungs“-Textes bildete, der somit nicht aus dem 12. Jahrhundert sondern aus dem 16. Jahrhundert stammt.
Philipp Neri starb im Jahr der Erstveröffentlichung – Echtheit sofort angezweifelt
Die „Weissagungen“ wurden von einem unbekannten Autor wohl zwischen 1557 und 1595 zu Papier gebracht. Hartnäckig hält sich die Vermutung, daß es der heilige Philipp Neri gewesen sei, Gründer des Oratorianerordens, eine der wichtigsten Gestalten der katholischen Erneuerung nach der protestantischen Kirchenspaltung und vor allem auch wegen seines humorvollen Wesens als „Hofnarr Gottes“ bekannt.
Die Echtheit der „Weissagungen“, von denen keine ältere Quelle als der Druck Wions überliefert ist, wurden sofort angezweifelt. Aus dem Jahr 1689 stammt die erste größere Widerlegungsschrift des französischen Jesuiten Claude-François Ménestrier. Das tat ihrer Verbreitung aber keinen Abbruch. In jeder Neuausgabe wurden, freilich nachträglich, die inzwischen beendeten oder begonnenen Pontifikate ausführlich ausgelegt. Mit etwas Phantasie und ein bißchen Recherche ließen sich post eventum die Kurzorakel trefflich deuten.
Der Sinnspruch zu Benedikt XVI. und seine vielen Auslegungen – davor und danach
Das Motto für das Pontifikat Benedikts XVI. lautet dem heiligen Malachias nach (oder vielleicht doch wahrscheinlicher dem heiligen Philipp Neri, der sich einen Scherz mit seinen leichtgläubigen Zeitgenossen erlaubte, oder deren Wunsch mehr zu wissen, als ihnen zusteht, bloßstellen wollte: „Euch steht es nicht zu Zeiten und Fristen zu erfahren“ Apg. 1,7): Gloria olivae. Je knapper das Motto, desto größer die Auslegungsbandbreite.
In früheren Ausgaben der „Weissagungen“, bevor man wußte, daß der Papst aus Deutschland kommen würde, sah man im Motto teils eine Bestätigung dafür, daß der Papst Italiener sein werde (Land der Oliven); ebenso einen Hinweis, daß er kein Italiener sein werde (weil von olivener Hautfarbe), oder daß es ein Papst sein werde, der sich für den Frieden einsetzt (Olivenzweig als Symbol des Friedens). Nach der Wahl Joseph Ratzingers lauteten die Deutungen als Hinweis auf dessen Namen Benedikt oder die Benediktiner (die zum Teil auch Olivetaner genannt werden). Wäre, ja wäre, Benedikt XVI. die Wiedervereinigung zwischen Ost- und Westkirche gelungen, dann, ja dann, hätte sich der „Sinnspruch“ auf Griechenland beziehen können. In traditionalistischen Kreisen sieht man einen Hinweis auf einen Olivenbaum, den Israels Ministerpräsident Netanjahu dem Papst zum Geschenk machte. Ausdruck für: „das Judentum kommt wieder zur Ehre“, was eine neue Form von jüdischer, und nicht christlicher Vorherrschaft meine.
Auch die „Weissagungen“ helfen nicht über „wenn“ und „wäre“ hinaus. Der Konjunktiv bleibt bestehen und enträtselt letztlich nichts. Wahrscheinlich lacht sich der heilige Philipp Neri im Himmel krumm, über seine neugierigen Mitmenschen auf Erden.
Wollte man den Sinnsprüchen Glauben schenken, dann wäre das Pontifikat Benedikts XVI. jedenfalls bereits das letzte vor dem Weltenende gewesen, denn im Text wird dann nur mehr ein Petrus der Römer auf dem Papstthron genannt, aber ohne Motto. Es ist daher nicht ersichtlich, ob es nach Malachias noch einen 265. Nachfolger des Petrus geben würde. Der Text besagt aber weder, daß das Pontifikat Benedikts XVI. das letzte ist, noch daß diesem unmittelbar der erwähnte Petrus folgen müße. Der Schlußsatz ist eine allgemeine Anspielung auf die Offenbarung des Johannes und das Ende der Zeiten. Die Nennung des „Petrus“ kann auch nur eine allgemeine Anspielung auf das Papstamt sein.
In Sankt Paul vor den Mauern gibt es noch viel Platz für Papst-Medaillons
2005 erschien als Neuausgabe und mit geändertem Titel der Roman “Die Weissagung des letzten Papstes“ von Schmeig Maria Olaf. Darin behauptet der Autor, daß durch Übertragungsfehler ein Motto des Malachias, nämlich Caput nigrum verlorengegangen sei. Ein Beleg wird natürlich, da Roman, nicht mitgeliefert. In Wirklichkeit beziehe sich dieses zusätzliche Motto auf Benedikt XVI., der den Freisinger Mohren im Wappen führte. Damit würde sich also das „Orakel“ Gloria olivae auf den nächsten (den letzten?) Papst beziehen.
Olaf wollte es jedoch genau wissen und sah das nahe Weltenende wegen der endenden Weissagungen des Malachias dadurch bestätigt, daß in der päpstlichen Basilika Sankt Paul vor den Mauern, die freien Medaillonplätze für die Mosaikportraits der Päpste zu Ende gingen. Tatsächlich waren nach der Anbringung des Medaillons von Papst Johannes Paul II. nur mehr drei Plätze frei. Woraufhin einfach 25 leere Medaillons neu hinzugefügt wurden. Derzeit gibt es also 27 freie Plätze für künftige Päpste.
Wenn man sich die „Weissagungen“ des Malachias als humorvolle Sondereinlage des heiligen Philipp Neri vorstellt, dürfte man wahrscheinlich den richtigen Zugang und damit besten Umgang mit dem Text finden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wion, Erstausgabe 1595