(New York) In wenigen Tagen sind die Blicke der Weltöffentlichkeit auf die USA gerichtet. Wenn am Abend des 6. November die Wahlergebnisse eingehen, wird es nicht darauf ankommen, wer amerikaweit die meisten Stimmen auf sich vereint hat, sondern wer ausreichend Bundesstaaten gewinnen und mindestens 270 Wahlmänner hinter sich scharen konnte. Den fast 80 Millionen Katholiken kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Wie aber werden sich die Angehörigen der größten Religionsgemeinschaft der USA entscheiden? Werden sie Barack Obama oder Mitt Romney zum Sieg verhelfen? Werden letztlich die „nicht verhandelbaren Werte“ oder der Wohlfahrtsstaat den Ausschlag geben?
Mit 27,5 Prozent der Wähler war Einfluß der amerikanischen Katholiken noch nie so groß
Blickt man auf die Bevölkerungsverschiebungen fällt der wachsende Anteil der nichtweißen Wählerschaft auf, innerhalb der die lateinamerikanischen Einwanderer und deren Nachkommen die zweitgrößte Gruppe bilden, die am Dienstag acht Prozent der gesamten Wählerschaft ausmachen werden. Auch sie tragen dazu bei, daß die katholischen Wähler mit ihren 27,5 Prozent noch nie in der Geschichte der USA so einflußreich waren wie nun bei der anstehenden Präsidentschaftswahl, nicht einmal als John F. Kennedy, der bisher einzige Katholik ins Weiße Haus gewählt wurde. Dies bestätigte jüngst der katholische Theologe und Politologe Robert Royal, Leiter des Faith and Reason Institute in Washington gegenüber Radio Vatikan.
Beide Kandidaten haben Katholiken als Vize-Präsidenten vorgesehen
Beide Präsidentschaftskandidaten entschieden sich für einen Katholiken als Bewerber für das Amt des Vize-Präsidenten. Entsprechend ist auch die Schlußphase des Wahlkampfes beider Kandidaten deutlich auf die katholische Wählerschaft abgestimmt. Allerdings sprechen die beiden Kontrahenten ganz unterschiedliche Themen an und versuchen durch gänzlich verschiedene Weise die Katholiken zur Stimmabgabe zu gewinnen. Romney sicherte den Amerikanern zu, ein „Anti-Abtreibungs-Präsident“ zu sein, um zu unterstreichen, daß sein Gegenspieler Barack Obama, der entschiedenste Abtreibungsbefürworter unter allen amerikanischen Präsidenten ist. Mit 241 Entscheidungen zugunsten der Tötung ungeborener Kinder in seiner vierjährigen Amtszeit, hält der scheidende Präsident eindeutig den Spitzenplatz.
Obama überzeugter Abtreibungs-Ideologe – Angriff gegen die Religions- und Gewissensfreiheit
Tatsächlich ist Obama in Sachen Abtreibung kein Trittbrettfahrer. Er beliefert nicht nur einen harten Kern seiner ideologisch motivierten Wählerschaft mit den gewünschten Entscheidungen. Barack Obama ist selbst ein ideologisch motivierter Verfechter der Kindestötung. Kirchentreue katholische Kreise versuchen diese Tatsache im Wahlkampf zu thematisieren und eine Unvereinbarkeit zwischen Obamas Überzeugung und Politik und dem katholischen Glauben herauszustreichen. Gleiches gilt für die Frage der Religionsfreiheit. Nie war in den USA die Religions- und die auf das engste damit zusammenhängende Gewissensfreiheit so starkem Druck ausgesetzt und so sehr bedrängt, wie unter der Amtszeit Obamas. Papst Benedikt XVI. machte mehrfach darauf aufmerksam. Die amerikanischen Bischöfe sind mit dem Heiligen Vater der Überzeugung, daß die Zukunft der Religionsfreiheit weltweit derzeit in den USA umkämpft ist und entschieden wird.
Die Wahlentscheidung der Katholiken könnte damit eigentlich feststehen und Romney hätte bereits einen sicheren Sieg in der Tasche. Dem ist allerdings nicht automatisch so. Man muß nicht eigens auf die Taufscheinkatholiken verweisen, um die Bandbreite des katholischen Wahlverhaltens zu erahnen.
Traditionell stehen Katholiken Demokraten näher – vor allem lateinamerikanische Einwanderer
Traditionell steht die katholische Wählerschaft den Demokraten in den USA näher als den Repubikanern. Das hat historische Gründe. Die Republikaner vertraten lange Zeit die vorherrschende angelsächsische, weiße und protestantische Führungsschicht, von der die Katholiken ausgeschlossen waren, während die Demokraten als Partei der Einwanderer galten. Mark Gray von der Georgetown University erklärte allerdings jüngst, daß von einer wirklichen Identifikation der Katholiken mit der Demokratischen Partei das letzte Mal bei der Wahl John F. Kennedys gesprochen werden konnte. Seither verteile sich die katholische Wählerschaft fast zu gleichen Teilen auf beide Parteien. Allerdings schafften es nur Nixon und Ronald Reagan als republikanische Präsidentschaftskandidaten mehr katholische Stimmen auf sich zu vereinen als ihr demokratische Widerpart. Die katholische Wählerschaft weist tendenziell noch immer eine zwar nur leichte, aber doch erkennbare Hinneigung zur Demokratischen Partei auf. Ausreichend, um bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen möglicherweise den Ausschlag zu geben.
Für die Kirche hat Obama mit seiner Abtreibungspolitik die Gesundheitsreform verraten
Laut dem Gallup-Institut erhielt Obama 2008 54 Prozent der 35 Millionen abgegebenen katholischen Stimmen. Der republikanische Bewerber McCain kam nur auf 46 Prozent. Seit der Amtszeit Reagans kam es zu einer Vielzahl von Umschichtungen in den USA. Dazu gehört auch, daß heute die Republikanische Partei den katholischen Wertvorstellungen deutlich nähersteht als die Demokratische Partei, die in ihrer gesellschaftspolitischen Ausrichtung europäischen Linksparteien ähnelt. Die katholischen Bischöfe und Verbände haben Obamas Gesundheitsreform begrüßt und gefördert. Sie betrachteten es als Verrat, daß Obama die Refom als positives Mäntelchen mißbrauchte, um eine Abtreibungspolitik im Sinne der Abtreibungslobby durchzusetzen. Obamas Regierung übte in den vergangenen vier Jahren auf zahlreiche Staaten der Dritten Welt teils massiven Druck aus, damit auch diese die Tötung ungeborener Kinder legalisieren. In der Entscheidung zwischen Leben und Tod der ungeborenen Kinder ist es trotz aller Nichteinmischung in die Politik ein offenes Geheimnis, daß sich Amerikas Bischöfe und der Vatikan keine Wiederwahl Obamas wünschen.
Obamas Wiederwahl ist unerwünscht, dennoch könnten Katholiken ihn „retten“
Und dennoch könnten ausgerechnet die katholischen Einwanderer aus Lateinamerika etwa in den Staaten Nevada und Colorado den Ausschlag zugunsten Obamas geben. Die lateinamerikanischen Einwanderer sehen bei einem demokratischen Präsidenten bessere Chancen, daß illegal eingewanderte Verwandte und Bekannte eingebürgert werden. Sie bringen wohlfahrtstaatliche Vorstellungen mit, die wenig der traditionellen Vorstellung möglichst geringer staatlicher Einmischung und Reglementierung der Amerikaner entspricht, aber deutlicher von den Demokraten bedient werden als von den Republikanern. Laut einer aktuellen Umfrage des Public Religion Research Institute gaben 54 Prozent der weißen Katholiken an, Romney wählen zu wollen, nur 43 Prozent Obama. Unter den lateinamerikanischen Katholiken überwiegt jedoch mit 70 Prozent Zuspruch eindeutig Obama. Eine auffallende Ausnahme bildet unter ihnen nur die starke Gemeinschaft der Kubaner, die wegen ihres Antikommunismus traditionell bei den Republikanern beheimatet sind.
Praktizierende Katholiken unterstützen den Republikaner Romney
Unter den regelmäßigen Kirchgängern überwiegt die Zustimmung zu Romney mitmehr als 60 Prozent. Unter den Katholiken, die höchstens einmal im Monat in die Kirche gehen, sprechen sich rund 60 Prozent für Obama aus. Robert Jones, einer der Projektleiter der Umfrage schließt daraus, daß es auf die Gesamtzahl der Katholiken bezogen, kein „katholisches Wahlverhalten“ gebe. Anders sehe die Sache aus, wenn man nur die praktizierenden Katholiken betrachte. Durch die katholische Gemeinschaft gehen starke Brüche, die jenen entsprechen, die insgesamt die Gesellschaft spalten. Die deutlichste Bruchlinie zwischen den Katholiken lasse sich mit den Stichworten „Soziale Gerechtigkeit“ und „Lebensrecht“ festmachen.
Die drei katholischen Bundesstaaten für Obama
Nur in fünf der fünfzig amerikanischen Bundesstaaten gehört die absolute Mehrheit der Bevölkerung einer bestimmten Religionsgemeinschaft an. Im Staat Utah sind das die Mormonen, in Mississippi die Baptisten. Beide Staaten gelten als sichere Romney-Hochburgen. Ausgerechnet die drei mehrheitlich katholischen Staaten der USA, Massachusetts, Rhode Island und New Mexico kann Obama auf der Habenseite verbuchen.
Die Frage ist, was für die katholischen Wähler am 6. November wichtiger sein wird, der Schutz des Lebens oder die soziale Frage? 56 Prozent der Katholiken lehnten die Abtreibungsförderung Obamas im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform entschieden ab. Wie ausschlaggebend die Gesundheitsreform mit ihren Verwerfungen in den Wahlkabinen sein wird, läßt sich noch nicht absehen, da wirtschaftspolitische Fragen im Wahlkampf deutlich in den Vordergrund gerückt sind. Raul Ryan, Katholik und Romneys Kandidat für die Vize-Präsidentschaft kündigte an, daß die erste Amtshandlung der Regierung Romney nach einem Wahlsieg die Aussetzung der Abtreibungsbestimmungen der Gesundheitsreform sein werde, mit der katholische Arbeitgeber gezwungen werden sollen, die Kosten für die Verhütungsmittel, die Sterilisation und sogar die Abtreibung ihrer Mitarbeiter zu übernehmen. Ryan spielte damit darauf an, daß Obamas erste Amtshandlung die Freigabe von Bundesmitteln zur Abtreibungsförderung in der Dritten Welt war, die der Demokrat Bill Clinton eingeführt und die der Republikaner George Bush jr. während seiner achtjährigen Amtszeit wieder ausgesetzt hatte.
Raul Ryan: Obamas erste Amtshandlung war für die Abtreibung – Romneys erste Amtshandlung wird für den Lebensschutz sein
Die amerikanischen Bischöfe haben ihre Entscheidung getroffen. Und es ist keineswegs so, daß sie alleine stehen, wie einige gegen Rom rebellierende Ordensfrauen glauben machen wollten, als sie Obamas Gesundheitsreform unterstützten und dafür in den liberalen Medien breiten Raum eingeräumt erhielten. Wahr ist, daß die Anti-Obama-Achse oben ihren Ausgang nahm. Amerikas Bischöfe sind heute romtreu, selbstbewußt und kämpferisch. Sie wurden von Rom angehalten, deutlicher aufzutreten, denn es stehe nicht nur der Lebensschutz auf dem Spiel, sondern mit dem Angriff auf die Religionsfreiheit viel mehr, ja geradezu die Gefahr eines epochalen Paradigmenwechsels.
Kardinal Dolans Rede über die Religionsfreiheit am 18. Oktober
Als Kardinal Dolan am 18. Oktober kurzzeitig die in Rom tagende Bischofssynode verließ, um in New York beim traditionellen Benefizabend der Alfred E. Smith Foundation mit Obama und Romney zusammenzutreffen, waren die Augen der politischen Beobachter auf ihn gerichtet. Das Essen gilt als Thermometer, um zu erkennen, welchem der Bewerber um das höchste Amt im Staat die katholische Hierarchie zuneigt. Es handelt sich traditionell um kleine, diplomatische Gesten, da für die Kirche offene Wahlempfehlungen nicht in Frage kommen. Kardinal Dolan erwähnte in seiner Rede vor Prominenten wie Michael Bloomberg, Henry Kissinger, Andrew Cuomo und Brian Moynihan, daß es „immer gelte, auf der Seite der Schwachen zu stehen“, nämlich der „ungeborenen Kinder“ (Lebensschutz, Romney) und der „armen Kinder, die keine Krankenversicherung“ haben (soziale Frage, Obama). Alles schien auf ausgewogene Distanz und Zurückhaltung hinzuweisen. Doch am Ende seiner kurzen Rede legte der Kardinal den Finger in die Wunde und sprach die Religionsfreiheit an, die durch die Gesundheitsreform der Regierung Obama angegriffen werde. Harte Worte, die das Publikum sichtlich bewegten und mit einem langen Applaus bedacht wurden.
Kolumbusritter gegen „Verrat“ katholischer Grundsätze in Wahlkabine – Erbischof Chaput: „Abtreibung immer ein Übel“
Bestärkt von den Knigths of Columbus unter der Führung von Carl Anderson geht es Rom und der amerikanischen Bischofskonferenz seit Beginn der Debatte um die Gesundheitsreform darum, den amerikanischen Katholiken klarzumachen, daß zentrale katholische Grundsätze nicht in der Wahlkabine verraten werden dürften. „Es ist wichtig, daß die Katholiken, wenn sie zur Wahl gehen, sich vergewissern, daß sie nicht etwas in sich Schlechtes unterstützen wie die Abtreibung, die in jeder Hinsicht ein Übel darstellt“, so der Erzbischof von Philadelphia, Charles Chaput.
Allein die Kolumbusritter mit ihren 1,8 Millionen Mitgliedern verfügen über ein kapillares Netz, das sich über die gesamten USA ausbreitet und mit dem eine Vielzahl von Vereinen, Organisationen, Hilfswerken und Initiativen verbunden sind. Sie allein brachten im vergangenen Jahr 158 Millionen Dollar für Hilfswerke der katholischen Kirche auf.
Wenn ein Katholik katholische Positionen nicht teilt, hat sich nicht die Kirche zu ändern, sondern der Katholik
An einem weiteren Punkt läßt sich die neue Ernsthaftigkeit der katholischen Kirche in den USA beim Eintreten für unverhandelbare Werte erkennen. Die Bischöfe sind im Gegensatz zu früher nicht mehr bereit, im Zweifel auf spezifisch katholische Positionen zu verzichten, um die Meinungsbandbreite der getauften Katholiken umarmen zu können. Wer sich katholisch nennt, muß auch dazu stehen. Diese neue katholische Deutlichkeit verwirft jenen Gegensatz als künstlich konstruiert, wonach der Lebensschutz auf der einen Seite und die soziale Gerechtigkeit auf einer anderen Seite stünde, als seien beide Anliegen unvereinbar und sich ein Katholik als Wähler gleichwertig entweder für das eine oder das andere entscheiden könne. New Yorks Erzbischof Kardinal Timothy Dolan sagte kurz vor seiner Wahl zum Vorsitzenden der amerikanischen Bischofskonferenz, die katholische Kirche sei kein Empfangsgerät für Meinungsumfragen. Wenn Katholiken katholischen Positionen nicht zustimmen könnten, habe sich nicht die Kirche zu ändern, sondern diese Katholiken.
Soziale Frage kann auch morgen diskutiert werden – Tötung ungeborener Kinder ist unumkehrbar
Viele amerikanische Katholiken sind besorgt wegen der Positionen zur Tötung ungeborener Kinder und zur Homo-“Ehe“ der Demokratischen Partei. Auf der anderen Seite empfinden viele Katholiken republikanische Positionen zur Einwandererfrage und gegenüber sozial Schwächeren als wenig solidarisch. “Was die Solidarität betrifft, darüber kann man diskutieren und man kann zurecht die Notwendigkeit einer sozialen Sicherheit einmahnen“, so Robert Royal. “Diese Diskussion findet in jedem Land statt. Unsere Bischöfe haben jedoch sehr klar gesagt, daß man einsehen muß, daß die Abtreibung eine absolute Frage ist“, da sie eine moralische Frage ist und eine irreversible Frage von Leben oder Tod bedeutet. “Die Fragen, die den Schutz des Lebens betreffen, können daher nicht mit den anderen Fragen auf dieselbe Stufe gestellt werden“, so Royal.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Catholic Sensibility
Hoffentlich weht der Wind der US-katholischen Bischofskonferenz auch bald in der unseren den Staub und Mief der letzten Jahrzehnte hinaus.
Amerikanische Katholiken sollten aber auch einsehen, dass Fragen zur Abtreibung in den USA recht antiquiert gestellt wurden, wenn man bedenkt, dass der zivilisierte Rest der Welt sie längst beantwortet hat.