Der leise Exodus – Christen auf der Flucht aus Nordnigeria


(Abu­ja) In Nige­ria herrscht Geno­zid-Not­stand. Im bevöl­ke­rungs­reich­sten Land Afri­kas will die isla­mi­sche Sek­te Boko Haram mit ihren bewaff­ne­ten Mili­zen einen isla­mi­schen Scha­ria-Staat errich­ten. Mehr als 35.000 Chri­sten befin­den sich nach zahl­rei­chen anti­christ­li­chen Atten­ta­ten auf der Flucht aus dem mehr­heit­lich mos­le­mi­schen Nor­den in den christ­li­chen Süden des Lan­des. Das Staats­se­kre­ta­ri­at des Vati­kans, das in stän­di­gem Kon­takt mit der Apo­sto­li­schen Nun­tia­tur in Nige­ria und der nige­ria­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz steht, for­dert ein Ein­grei­fen von Ver­ein­ten Natio­nen und EU und drängt die west­li­chen Regie­run­gen, die eth­nisch-reli­giö­se Säu­be­rung auf die Tages­ord­nung der inter­na­tio­na­len Poli­tik zu setzen.

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250 Mor­de von Boko Haram allein im Janu­ar 2012

Laut Human Rights Watch wur­den 2011 550 Men­schen bei Angrif­fen der Isla­mi­sten ermor­det. Ins­ge­samt gehen von 2009–2011 min­de­stens 935 Mor­de auf das Kon­to von Boko Haram. Allein im ersten Monat des Jah­res 2012 waren es bereits wei­te­re rund 250 Morde.

Msgr. John Olorun­fe­mi Onai­ye­kan, der Erz­bi­schof von Abu­ja, der Bun­des­haupt­stadt von Nige­ria, bestä­tig­te gegen­über Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen, daß die Mor­de eine Mas­sen­flucht der Chri­sten aus dem Nor­den aus­ge­löst haben. „Die Bevöl­ke­rung befin­det sich auf der Flucht. Wer kann, flieht, vor allem wenn er aus einem ande­ren Teil des Lan­des stammt“, so Erz­bi­schof Onaiyekan

Droh-SMS: Blut­nacht gegen Christen

„Die Mehr­heit der Chri­sten harrt jedoch noch aus. Die aus dem Süden stam­men­den Chri­sten, die bereits seit mehr als zwei oder drei Gene­ra­tio­nen im Nor­den leben, ist sehr groß“, berich­tet der katho­li­sche Ober­hir­te. Der Erz­bi­schof bestä­tig­te auch, daß Droh-SMS ver­brei­tet wur­den, in denen „Plä­ne“ bekannt gemacht wur­den, daß eini­ge isla­mi­sche Grup­pen in einer bestimm­ten Nacht alle Chri­sten des Nor­dens ermor­den wer­den. „Sol­che Nach­rich­ten haben vie­le Leu­te sehr ver­schreckt. Nach den vie­len Mor­den an Chri­sten wer­den sie durch­aus für glaub­wür­dig gehal­ten. Wir müs­sen die­se Äng­ste sehr ernst­neh­men. Es geht um Leben und Tod“, so der Erz­bi­schof von Abu­ja zum katho­li­schen Nach­rich­ten­dienst Fides.

Msgr. Onai­ye­kan dank­te den nige­ria­ni­schen Sicher­heits­kräf­ten für den Schutz, den sie den Chri­sten bie­ten. „Wie hof­fen, daß dem so bleibt.“ Die Bischofs­kon­fe­renz erneu­er­te unter­des­sen ihre Auf­for­de­rung an alle Chri­sten, beson­ders wach­sam zu sein, zu Hau­se, am Arbeits­platz, in den Kir­chen, auf dem Weg dort­hin. „Wir müs­sen uns den Ver­su­chen wider­set­zen, Chri­sten und Mos­lems zu Fein­den zu machen. Das wäre das Ende des Staa­tes“, so der Erzbischof.

Was macht inter­na­tio­na­le Staa­ten­ge­mein­schaft gegen eth­nisch-reli­giö­se Säuberung?

Die Jagd auf Chri­sten der Isla­mi­sten von Boko Haram wur­de inzwi­schen durch die ita­lie­ni­sche Regie­rung beim Außen­po­li­ti­schen Rat der Euro­päi­schen Uni­on anhän­gig gemacht. Am 22. Janu­ar ver­ur­teil­te die EU die schreck­li­che Atten­tats­se­rie in Nige­ria und sprach „der gro­ßen Mehr­heit der nige­ria­ni­schen Staats­bür­ger, die eine lan­ge Tra­di­ti­on reli­giö­ser Tole­ranz haben“ ihre Soli­da­ri­tät aus. Die Che­fin der euro­päi­schen Diplo­ma­tie, Cathe­ri­ne Ash­ton, zeig­te sich „zutiefst betrof­fen von der jüng­sten Wel­le ter­ro­ri­sti­scher Angriffe“.

Die Chri­sten wur­den in kei­nem EU-Doku­ment spe­zi­fisch genannt, eben­so wenig der reli­giö­se Antrieb der Angrei­fer. Da sich die Erwäh­nung der Reli­gi­on in der EU „ver­bie­tet“, ist die EU nicht imstan­de zum Kern des Pro­blems vor­zu­sto­ßen, das Nige­ria erschüt­tert. Ganz abge­se­hen vom Umstand, daß Nige­ria ein Kunst­pro­dukt der Kolo­ni­al­zeit ist, wie letzt­lich fast alle Staa­ten Afri­kas. Heu­te rächt es sich, ver­schie­de­ne Völ­ker mit ande­rer Reli­gi­on und ande­rer Kul­tur in einem Staat zusam­men­ge­zwun­gen zu haben. Die Geschich­te läßt sich aber nicht ein­fach zurückdrehen.

Chri­sten kei­ne Ein­heit – Unter­schied­li­che Kon­fes­sio­nen, unter­schied­li­che Standpunkte

„Das Ziel von Boko Haram ist es, eine bewaff­ne­te Reak­ti­on der Chri­sten zu pro­vo­zie­ren. Das wür­de das Land end­gül­tig ins Cha­os stür­zen und jenen mos­le­misch-christ­li­chen Bür­ger­krieg aus­lö­sen, den Boko Haram braucht“, so Erz­bi­schof Onai­ye­kan zur Zeit­schrift „30 Tage“. Boko Haram stellt es so dar, doch die Chri­sten des Lan­des bil­den kei­ne Ein­heit. „Wir Katho­li­ken rich­ten uns an Rom aus, das uns den Dia­log als ein­zi­gen Weg des Zusam­men­le­bens lehrt. Eini­ge pro­te­stan­ti­sche Grup­pen den­ke da anders und kri­ti­sie­ren uns auch dafür. Eini­ge von ihnen grei­fen den Islam grund­sätz­lich an und stel­len ihn ins­ge­samt in eine Rei­he mit Boko Haram. Wir kön­nen aber nicht anders, als die Wahr­heit zu sagen“, so Onaiyekan.

Der Erz­bi­schof von Abu­ja ver­wirft kate­go­risch eine Tei­lungs­lö­sung wie im Sudan. In Nige­ria wäre eine Zwei-Staa­ten-Lösung prak­tisch undurch­führ­bar. Sie hät­te eine Mas­sen­wan­de­rung von Mil­lio­nen von Men­schen in bei­de Rich­tun­gen zur Fol­ge mit eben­so vie­le Ent­wur­ze­lun­gen. Die bevöl­ke­rungs­mä­ßi­ge Ver­schrän­kung zwi­schen den bei­den Tei­len des Lan­des sei völ­lig anders. „Es braucht eine gemein­sa­me poli­ti­sche Lösung“, for­dert daher der Erz­bi­schof von Abuja.

Text: Vati­can Insider/​Giuseppe Nardi
Bild: Vati­can Insider

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