Hexenwahn und antikirchliche Vorurteile


(Rom/​Salem) Inter­net­pro­vi­der mit Gra­tis-E-Mails wie Hot­mail, GMX oder Libe­ro bie­ten ihrem Mil­lio­nen­pu­bli­kum neben viel Wer­bung auch zahl­rei­che Nach­rich­ten ver­schie­den­ster Rubri­ken. Jüngst fand sich auf der Sei­te von Libe­ro der rei­ße­ri­sche Titel „Das Phä­no­men der Hexen­jagd“. Dar­in wur­de die gan­ze Palet­te anti­ka­tho­li­scher Vor­ur­tei­le belie­fert. „Die Katho­li­sche Kir­che behaup­te­te immer, mit mehr oder weni­ger offi­zi­el­len Doku­men­te die objek­ti­ve Exi­stenz von Hexen, Zau­be­rern und Hexen­mei­stern. Es war am 5. Dezem­ber 1484: Papst Inno­zenz VIII. erläßt die Bul­le Sum­mis desi­de­r­an­tes affec­ti­bus, die eine syste­ma­ti­sche Inqui­si­ti­on anord­ne­te, um die Hexen in ganz Euro­pa zu rich­ten. Zwi­schen 1257 und 1816 wur­den von der Inqui­si­ti­on Mil­lio­nen von Men­schen gefol­tert und auf dem Schei­ter­hau­fen ver­brannt. Weil die Angst vor dem Anders­sein und die pyra­mi­da­le Igno­ranz schon immer die schlimm­sten Fein­de der Reli­gi­on waren. Und aller Glau­bens­be­kennt­nis­se. Die Hexen­jagd wur­den von der Kir­che und vom Staat betrie­ben, finan­ziert und exe­ku­tiert. Fünf Jahr­hun­der­te des Ter­rors mit Zustim­mung der poli­ti­schen und reli­giö­sen Insti­tu­tio­nen.“ Schließ­lich folg­te auch noch ein Hin­weis auf Salem in Mas­sa­chu­setts, wo ab 1691 etli­che angeb­li­che Hexen und Hexen­mei­ster hin­ge­rich­tet wurden.

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Es erstau­nen zunächst die die enor­men Zeit­sprün­ge. Zunächst heißt es vom 14. bis 18. Jahr­hun­dert, dann wird aber von 1484 gespro­chen (15. Jahr­hun­dert), um einen Atem­zug spä­ter in das Jahr 1257 (13. Jahr­hun­dert) zurück­zu­sprin­gen und schließ­lich einen Rie­sen­sprung bis 1816 (19. Jahr­hun­dert) zu machen. 1816? Nach Napo­le­on, nach dem Wie­ner Kon­greß? An die­ser Stel­le dürf­ten selbst Lai­en der Geschichts­wis­sen­schaf­ten stau­nen. Laut Arti­kel ver­brann­te also die Inqui­si­ti­on „Mil­lio­nen von Men­schen“ und das bis 1816!

Die Bevöl­ke­rung des gesam­ten Deut­schen Reichs schwank­te in der Zeit zwi­schen 1300 und 1750 zwi­schen neun und höch­stens fünf­zehn Mil­lio­nen Ein­woh­nern. Allein die­se Zah­len ver­deut­li­chen, wie absurd die behaup­te­te Ermor­dung von „Mil­lio­nen“ von Men­schen in Euro­pa ist. Wie groß hät­te der Inqui­si­ti­ons­ap­pa­rat dafür sein müs­sen und über wel­che enor­men Finanz­mit­tel hät­te er ver­fü­gen müs­sen? Aus den Archi­ven wis­sen wir, was alles zu bezah­len war: die Unter­brin­gung, die Wär­ter, die Ver­pfle­gung, der Rich­ter, die Über­set­zer, die Gut­ach­ter, der Hen­ker und sei­ne Gehil­fen, die Rei­se und die Unter­brin­gung der Zeu­gen. Wir wis­sen von Hexen­pro­zes­sen, die schlicht und ein­fach aus Geld­man­gel ein­ge­stellt wurden.

Die Behaup­tung von Mil­lio­nen Opfern der Hexen­ver­bren­nun­gen ist eine vom Reichs­füh­rers-SS Hein­rich Himm­ler zu Pro­pa­gan­da­ze­wecken auf­ge­wärm­te Erfin­dung von Gott­fried Voigt aus dem Jahr 1786, die aller­dings nach wie vor wil­li­ge Nach­be­ter findet.

Die Inqui­si­ti­on war eine kirch­li­che Unter­su­chungs­stel­le (inqui­si­re = unter­su­chen), Fol­te­run­gen wur­den von ihr nicht durch­ge­führt. Das war Auf­ga­be der welt­li­chen Macht. Eine Rei­he von sozia­len, wirt­schaft­li­chen und macht­po­li­ti­schen Fak­to­ren, die nur bedingt mit reli­giö­sen Aspek­ten zu tun hat­ten, lie­ßen in Euro­pa ein regel­rech­tes Hexen­fie­ber ent­ste­hen, des­sen Höhe­punkt das 16.-17 Jahr­hun­dert umfaß­te. Der neue Eifer pro­te­stan­ti­scher Strö­mun­gen trug dazu bei.

Obwohl die Mehr­zahl der Hin­rich­tun­gen im pro­te­stan­ti­schen Umfeld geschah, wird seit der Auf­klä­rung häu­fig bewußt der Ein­druck erweckt, es hand­le sich um ein spe­zi­fisch katho­li­sches Phä­no­men. Die berüch­tig­te Spa­ni­sche Inqui­si­ti­on brach­te es auf ihrem Höhe­punkt zwi­schen 1540 und 1700 in einem rie­si­gen Gebiet, das die ibe­ri­sche Halb­in­sel, Süd­ita­li­en, die Phil­ip­pi­nen und fast ganz Latein­ame­ri­ka ein­schließ­lich wei­ter Tei­le der heu­ti­gen USA umfaß­te, auf 826 Hin­rich­tun­gen. Die Römi­sche Inqui­si­ti­on zwi­schen 1542 und 1761 auf genau 97 Hin­rich­tun­gen. Von den euro­pa­weit wahr­schein­lich weni­ger als 50.000 Hin­rich­tungs­fäl­len, betra­fen fast die Hälf­te den deut­schen Sprach­raum. Die­ser war durch die Glau­bens­spal­tung mit allen ihren schwer­wie­gen­den Fol­gen ein­schließ­lich des 30jährigen Kriegs beson­ders stark vom Hexen­fie­ber befal­len, das eine Art Ven­til für die all­ge­mein Unsi­cher­heit zu sein schien. Die pro­te­stan­ti­schen Regio­nen waren dabei stär­ker betrof­fen als die katho­li­schen. Inner­halb des katho­li­schen Deutsch­lands waren wie­der­um die geist­li­chen Für­sten­tü­mer (Hoch­stif­te, Fürst­ab­tei­en) mil­der als die weltlichen.

Auch das im Arti­kel detail­liert prä­sen­tier­te Salem gehör­te zum Ame­ri­ka der puri­ta­ni­schen Pil­ger­vä­ter, die bekannt­lich Pro­te­stan­ten waren. Mit dem Papst und der Inqui­si­ti­on hat­ten sie nichts zu tun. Die Straf­rich­ter von Salem gehör­ten ordent­li­chen Gerich­ten an. Sie über­trie­ben in ihren Hexen­pro­zes­sen ab 1692 der­ma­ßen, daß der Gou­ver­neur von Mas­sa­chu­setts nach zahl­rei­chen Hin­rich­tun­gen das Ver­fah­ren an sich zog und die Wie­der­auf­nah­me anordnete.

Da man­che Leu­te gegen die wah­re Geschich­te resi­stent sind, könn­te man die Lek­tü­re des bekann­ten Dra­ma­tur­gen Arthur Mil­ler emp­feh­len. Der Ehe­mann von Mari­lyn Mon­roe wid­me­te den Hexen von Salem ein umfang­rei­ches Werk, das er bereits für zeit­ge­nös­si­sche Ana­lo­gien gebrauch­te und das sich durch­aus auch heu­te für die Dar­stel­lung moder­ner „Hexen­jag­den“ eig­net, zu denen durch­aus auch ver­zer­ren­de anti­ka­tho­li­sche Pro­pa­gan­da zählt.

Heu­te scheint bei man­chen anti­kirch­li­chen Eife­rern der Grund­satz zu gel­ten: Ver­leum­den, ver­leum­den, ver­leum­den, irgend etwas wird schon hängenbleiben.

Text: Giu­sep­pe Nardi

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