(Rom) Die Entscheidung der islamischen Al-Azhar-Universität von Kairo, den Dialog mit dem Vatikan einzustellen, scheint viele überrascht zu haben. Es besteht die Gefahr, daß sie einen Konflikt zwischen den Christen und den Moslems zur Folge hat. Der vom Vatikan stets bemüht geführte Dialog mit dieser führenden Einrichtung des sunnitischen Islam setzte bereits in den 90er Jahren ein. Auf moslemischer Seite wurde er von Imam Muhammad Sayyed Tantawi unterstützt, der am 10. März 2010 verstarb. Seit 19. März ist Mohamed Ahmed al-Tayyeb Imam der Universität, der am 1. Januar Papst Benedikt XVI. kritisierte, als dieser nach dem Massaker an koptischen Christen mehr Schutz für die Christen forderte. Al-Tayyeb wies dies als „Einmischung“ in innerägyptische Angelegenheiten zurück.
Die Krise reicht jedoch vor Januar zurück. Kurz vor einem Treffen hatte die islamische Universität verlangt, daß ein Mitglied der vatikanischen Delegation aus dieser entfernt würde. Es handelte sich um Msgr. Khaled Boutros Akasheh (Jahrgang 1954, Priesterweihe 1978), einen Jordanier, Islamexperten, seit 1994 Mitglied des Päpstlichen Rats für den interreligiösen Dialog. Er war bisher für die Beziehungen zur islamischen Universität zuständig.
Wahre Gründe werden verschleiert
Msgr. Akasheh zählt zu den qualifiziertesten Islamkennern. Er gehörte dem katholisch-islamischen Forum von 2008 an, das nach dem Brief von 138 Islam-Vertretern als Reaktion auf die berühmte Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI. folgte. Er bemüht sich auch um Kontakte und Gespräche mit islamischen und kulturellen Organisationen im Iran.
Der Vatikan stellte fest, daß in den schriftlichen Abkommen, die Grundlage des Dialogs bilden, ausdrücklich festgehalten wurde, daß jede Delegation das Recht hat, in völliger Freiheit ihre Mitglieder zu bestimmen. Die Al-Azhar-Universität beharrte jedoch auf der Entfernung von Msgr. Akasheh aus der Delegation, andernfalls – so die Drohung – würde der Dialog abgebrochen.
Die Spannungen und die Drohungen, die Beziehungen einzufrieren oder abzubrechen sind also wesentlich älter als es nun scheinen mag. „Ein Grund für die Ablehnung von Msgr. Akasheh wurde nie genannt“, schreibt Pater Bernardo Cervellera, der Direktor von Asianews. Im Vatikan geht man davon aus, daß die islamische Seite niemand gegenüber haben will, der perfekt Arabisch versteht, der selber Araber ist, der den Islam sehr gut kennt. Msgr. Akasheh ist ein profunder Korankenner.
Die Kritik am Papst wegen dessen Solidarität mit der koptischen Gemeinschaft Ägyptens wirkt vorgeschoben. „Dahinter scheint man andere Gründe zu verstecken, niederträchtigere Gründe“, wie Cervellera für Asianews analysiert.
Enge Verbindung von Al-Azhar zur politischen Macht
Zu beachten sei vor allem auch die enge Verbindung von Al-Azhar mit der politischen Macht in Ägypten. Die Universität unterstütze traditionell die Machthaber, so Pater Cervellera. Ägyptens mächtiger Mann, Hosni Mubarak, gilt als moderater islamischer Führer, der bemüht ist, sein Land einer Entflechtung von Staat und Religion zuzuführen. Eine Forderung, die auch die koptischen Christen erheben, die auf sozialer und rechtlicher Ebene diskriminiert werden. Aus diesem Grund betreibt Mubarak seit einiger Zeit die politische Ausgrenzung der Islamisten, vor allem der Moslembruderschaft. Mit Blick auf die nächsten Präsidentenwahlen bemüht sich Mubarak jedoch, die Moslems nicht vor den Kopf zu stoßen und Signale in deren Richtung auszusenden, die auf wohlwollende Aufnahme rechnen dürfen. Die Kritik am Vatikan erfüllt genau diesen Zweck: den christlichen Papst angreifen und damit auch den Westen meinen; die Frustrationen der Moslems gegen den (sogenannten) christlichen Westen bedienen. Die Al-Azhar-Universität scheint in Treue zur Macht auf diesen Zug aufgesprungen zu sein.
„Welche Folgen kann die Entscheidung von Al-Azhar haben?“, fragt sich Pater Cervellera. „Die Universität wird fast vollständig von Saudi-Arabien finanziert. Sie vertritt einen sehr traditionellen Islam und wird von vielen islamischen Institutionen als ‚zu verstaubt‘ und wenig aktuell gesehen. Während in den Straßen Tunesiens und in der arabischen Welt um die Zukunft der Gesellschaft im Nahen Osten gekämpft und gelitten wird, in dem man sich mit den Fragen der Menschenrechte, der Demokratie, des Despotismus, der Wirtschaft und der Armut befaßt, zog es Al-Azhar vor, lediglich festzustellen, daß der Islam gegen Selbstmord sei. Damit wurden indirekt jene Unglückseligen verurteilt, die sich in Tunis in ihrer von Armut und Ungerechtigkeit verursachten Verzweiflung selbst verbrannten. Gerade diese Vorfälle führten jedoch zu einem Sturm des Protestes, der Staatspräsident Ben Ali zu Fall brachte und den Nahen Osten erschüttert.“
(Asianews/Giuseppe Nardi, Bild: Asianews)