Die Liturgie, Zuflucht des ausgegrenzten und unterdrückten Glaubens


Am 2. Janu­ar ver­öf­fent­lich­te der Cor­rie­re del­la Sera den nach­fol­gen­den Bei­trag des ita­lie­ni­schen Kir­chen­hi­sto­ri­kers Alber­to Mel­lo­ni, vor allem Fach­mann für die Geschich­te des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­tils, einer der unor­tho­do­xen Stim­men unter den kirch­li­chen Progressisten. 

Anzei­ge

von Alber­to Melloni

Auf die Fra­ge, was die klei­ne Flam­me des Glau­bens in Ruß­land wäh­rend der sowje­ti­schen Jahr­zehn­te des Staats­athe­is­mus am Leben erhielt, oder die geist­li­che Phy­sio­gno­mie der Recht­gläu­big­keit in den vom Islam erober­ten Ter­ri­to­ri­en bewahr­te, könn­te man im Tele­gramm­stil ant­wor­ten: die Lit­ur­gie, bes­ser gesagt, die gött­li­che Liturgie.

Ein gigan­ti­sches Archiv der Theo­lo­gie der Väter, von uralten For­mu­lie­run­gen, von Zei­chen und Sym­bo­len, die auf mecha­ni­sche Wei­se prak­ti­ziert wer­den kön­nen, ohne sich abzu­nüt­zen und die ein gesam­tes Glau­bens­le­ben mit der­sel­ben Ele­ganz und der­sel­ben Ernst­haf­tig­keit spei­sen können.

Auf die­sen immensen Schatz kon­zen­trie­ren sich seit dem 19. Jahr­hun­dert die Augen von fach­spe­zi­fi­schen Gelehr­ten, der „Lit­ur­gi­ker“:
Gelehr­te, die das gesam­te Wis­sen der Phi­lo­lo­gie und der Hand­schrif­ten­kun­de der gro­ßen Stu­di­en­bi­blio­the­ken und fein­ste Sen­si­bi­li­tät brau­chen, um zu erken­nen, wenn in einem Skripto­ri­um des 8. Jahr­hun­derts jemand, der sei­nen Schrei­bern ein Gebet dik­tiert – so in der Post-Com­mu­nio zu Epi­pha­nie im Sacra­men­ta­ri­um Gel­asia­num – einen Vokal ver­än­dert oder affec­tu mit effec­tu ver­tauscht, in der festen Über­zeu­gung, damit einen Feh­ler zu kor­ri­gie­ren und nicht den Lauf eines Tex­tes zu verändern.

Heu­te brau­chen auch die Lit­ur­gi­ker den Com­pu­ter. Sie fol­gen damit der Spur von Pater Rober­to Busa, jenes Pio­niers, der wäh­rend der See­len­mes­sen für des­sen ver­stor­be­ne Frau, den Chef eines in den 50er Jah­ren klei­nen Unter­neh­mens mit dem kur­zen Namen IBM über­zeug­te, eine Kon­kor­danz der Schrif­ten von Tho­mas von Aquin auf gro­ßen Rech­nern, auf Dis­ket­ten, auf DVD und heu­te für iPho­ne zu erstel­len. Indem sie die Wis­sen­schaft der Com­pu­ter­lin­gu­istik nüt­zen, zer­le­gen sie die lit­ur­gi­schen Bücher in Fre­quen­zen, Zusam­men­hän­ge, nach Bedarf und ent­hül­len die tie­fe­re Archi­tek­tur die­ser Quel­len. Vor eini­gen Wochen ver­voll­stän­dig­ten zwei erst­ran­gi­ge Lit­ur­gi­ker, Man­lio Sodi, Prä­si­dent der Päpst­li­chen Theo­lo­gi­schen Aka­de­mie, und Ales­san­dro Tonio­lo, Dozent für Lit­ur­gie und Web­ma­ster von lit​ur​gia​.it, den letz­ten Teil der dop­pel­ten Rei­he zur refor­mier­ten Lit­ur­gie des Kon­zils von Tri­ent, die vom Vati­kan­ver­lag Libre­ria Editri­ce Vati­ca­na ver­öf­fent­licht wur­den: zu den zehn Bän­den der Monu­men­ta Lit­ur­gi­ca Con­ci­lii Triden­ti­ni und den Monu­men­ta Lit­ur­gi­ca Pia­na, die die ana­sta­ti­sche Aus­ga­be der zwi­schen dem Ende des Kon­zils und dem Pon­ti­fi­kat Kle­mens VIII. ver­öf­fent­lich­ten Bücher bil­de­ten, füg­ten sie nun die Lit­ur­gia Triden­ti­na: Fon­tes, Indi­ces, Con­cord­an­tia 1568–1962 (pp. 126, € 49) hinzu.

Eine fach­spe­zi­fi­sche Spe­zi­al­ar­beit, um es gelin­de aus­zu­drücken: Berei­chert durch die Neu­aus­ga­be eines uner­reich­ba­ren Instru­ments von Pater Pla­ci­de Bruy­lants, einer der her­aus­ra­gen­den Gestal­ten der lit­ur­gi­schen Bewe­gung, über die Quel­len aller im vom hei­li­gen Papst Pius V. her­aus­ge­ge­be­nen Mis­sa­le ent­hal­te­nen Gebe­te. Auf sei­ne Art ist das Werk von stren­ger Aktualität.

Die laut­star­ke lefeb­vri­an­si­che Welt ver­sucht sich heu­te eine Über­zeu­gung Bene­dikts XVI. anzu­eig­nen. Seit den 70er Jah­ren ver­trat der dama­li­ge Pro­fes­sor und Kar­di­nal Ratz­in­ger den Stand­punkt, daß die Auf­nö­ti­gung des Mis­sa­le des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils ein Feh­ler war, weil die onto­lo­gi­sche Kon­ti­nui­tät der Uni­ver­sal­kir­che, die im Zen­trum sei­ner Posi­ti­on steht, sich nicht nicht auf der Ebe­ne der Eccle­sia orans zei­gen konnte.

Wie alle, wuß­te auch er genau, daß im Mis­sa­le, mit dem Paul VI. jenes von Pius V. „ersetz­te“, mehr Tra­di­ti­on – ori­en­ta­li­sche, moza­ra­bi­sche und auch latei­ni­sche Tra­di­ti­on – ent­hal­ten war als im direk­ten Vor­läu­fer. Dies, weil das triden­ti­ni­sche Mis­sa­le, wie die Ana­ly­sen von Sodi und Tonio­lo bele­gen, eine ein­heit­li­che lit­ur­gi­sche Spra­che schaf­fen woll­te, die es den Gläu­bi­gen erlaub­te, sofort die Natur des Kul­tus, den sie „hör­ten“, zu erken­nen: heu­te stellt sich durch die Viel­zahl der „römi­schen“ Riten das Pro­blem genau umge­kehrt. Es gilt zu ver­mei­den, daß die Lit­ur­gie eine Sache de gusti­bus wird, wo jeder sich eine Gemein­schaft, eine Umge­bung, eine Spra­che, die musi­ka­li­sche Gestal­tung und die Iko­no­gra­phie aus­sucht, die ihm am mei­sten zusagt und der Sinn der Lit­ur­gie als Dis­zi­plin und Gram­ma­tik des Glau­bens, die den erzieht und behü­tet, der sie liebt, verlorengeht.

(Messainlatino/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nar­di, Bild: Amici­tia Sacer­do­ta­lis Sum­morum Pontificum)

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