„Fünf Millionen nach Rom“ gegen die Manipulation des Menschen – Giuliano Ferrara über Benedikt XVI.


Rober­to Beret­ta führ­te für die Zeit­schrift Timo­ne ein Gespräch mit Giu­lia­no Fer­ra­ra, dem Chef­re­dak­teur der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung Il Foglio. Fer­ra­ra, bereits Mini­ster und Regie­rungs­spre­cher, reg­te vor zwei Jah­ren ein inter­na­tio­na­les Abtrei­bungs­mo­ra­to­ri­um an. Selbst bezeich­net sich der Intel­lek­tu­el­le als „from­men Athe­isten“. Die Arti­kel in sei­ner Zei­tung zeich­net er mit einem roten Elefanten.

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Die Nach­fol­ge für Johan­nes Paul II. anzu­tre­ten, war sicher schwer, schwie­rig. Wie hat sich Bene­dikt XVI. Ihrer Mei­nung nach gehal­ten in die­sen fünf Jahren?

Sehr gut und sehr schlecht. Sehr gut, weil er als Theo­lo­ge schon immer gegen­über den Fra­gen des Lehr­am­tes auf­merk­sam war, da er ein ganz gro­ßer Intel­lek­tu­el­ler ist, reich an inne­rer christ­li­cher Weis­heit und gleich­zei­tig an auto­no­mem Respekt gegen­über der moder­nen Welt. Ent­spre­chend erfüllt er sei­ne Auf­ga­be in höch­stem Maße. Wun­der­schön sei­ne Kate­che­se, exzel­lent sei­ne Homi­le­tik, ein­zig­ar­tig sei­ne Auf­merk­sam­keit für die Lit­ur­gie…  Kurz­um, Bene­dikt XVI. pflegt die Bedeu­tung, die die Kir­che aus­drückt wie man es bes­ser nicht machen könnte.

Und das „sehr schlecht“, wem ist das geschuldet?

Lei­der ist die Kir­che auch Regie­rung und Poli­tik: nicht im moder­nen Sinn ver­stan­den, jenem der Welt, aber zumin­dest der Prä­senz in der Welt. Und in die­ser Hin­sicht ist es ein Schla­mas­sel … Die Bot­schaf­ten, die vom Pon­ti­fi­kat Papst Bene­dikts aus­ge­sandt wer­den, waren eher wider­sprüch­lich: in Regens­burg, im Sep­tem­ber 2006 hör­ten wir das groß­ar­ti­ge Mani­fest eines selbst­be­wuß­ten und vor allem sei­nes gro­ßen Erbes bewuß­ten Chri­sten­tums, eines Chri­sten­tums, das sich sei­ner unzer­stör­ba­ren Ver­bun­den­heit mit der mensch­li­chen Ver­nunft bewußt ist und eines Glau­bens, der sei­ne Grün­de zu benen­nen und sich auch dem gewalt­tä­ti­gen Fide­is­mus des Islam zu wider­set­zen weiß. Dann folg­ten aber ande­re, wider­sprüch­li­che Hand­lun­gen, wie die Rei­se in die Tür­kei weni­ge Mona­te spä­ter, die wohl das Gesetz des et et zum Aus­druck brach­ten, bzw. die Kom­ple­xi­tät der Gegen­sät­ze, die dem römi­schen Katho­li­zis­mus eigen ist, aber nicht auf der Ebe­ne, die not­wen­dig gewe­sen wäre.

Die­ser Man­gel an Regie­rung wur­de übri­gens auch an Johan­nes Paul II. geta­delt, dem man vor­warf, zuviel gereist und sich zu wenig für die Kurie inter­es­siert zu haben …

In gewis­ser Hin­sicht ja. Wahr­schein­lich sind die in der Nach­kon­zils­zeit und aus einer irre­füh­ren­den Inter­pre­ta­ti­on jenes Ereig­nis­ses her­aus ent­stan­de­nen Miß­ver­ständ­nis­se (ich bezie­he mich vor allem auf die Idee einer demo­kra­ti­schen und nicht hier­ar­chi­schen Kir­che) nicht regier­bar, oder zumin­dest sind sie es nur durch eine neue Les­art der Regie­rung der Kir­che im gesam­ten ver­gan­ge­nen Jahrhundert.
Das Ergeb­nis jeden­falls ist ein maje­stä­ti­sches Auf­leuch­ten der Ideen, der Kate­che­se und des Lehr­am­tes, bei gleich­zei­ti­ger Schwä­chung des Regierens.

Man­cher trau­ert der außer­or­dent­li­chen Medi­en­taug­lich­keit Woj­ty­las nach und fin­det, daß Ratz­in­ger etwas „kühl“ nor­disch, intel­lek­tu­ell, viel­leicht sogar wenig sym­pa­thisch sei.

Daß Bene­dikt XVI. nicht der Dra­ma­tur­gie, die sei­nem Vor­gän­ger gera­de­zu ange­bo­ren war, fol­gen will, ist ganz nor­mal und rich­tig, es han­delt sich um eine wei­se Ent­schei­dung! Ratz­in­ger wur­de in einem ganz ande­ren Alter als Woj­ty­la zum Papst gewählt. Es ist daher rich­tig, daß er nicht so sehr auf Mas­sen­ge­sten in der Ver­kün­di­gung des Glau­bens setzt. Trotz allem ist die inhalt­li­che Kon­ti­nui­tät zwi­schen den bei­den sehr stark. In Ratz­in­ger ist das Bewußt­sein für Ord­nung und Dis­zi­plin stär­ker als das impul­si­ve Ele­ment. Der Vor­gän­ger hin­ge­gen war stär­ker phi­lo­so­phisch und pasto­ral aus­ge­rich­tet und war mit sei­ner idea­li­sti­schen Schub­kraft imstan­de auch die Kurie mit­zu­rei­ßen, teil­wei­se sogar zu über­rol­len. Der Eine wie der Ande­re – das ist wich­tig – reprä­sen­tie­ren eine Kir­che, die nicht über­gan­gen wer­den kann.

Wel­ches sind ihrer Mei­nung nach die geglück­te­sten Schrit­te im bis­he­ri­gen Pon­ti­fi­kat Bene­dikts XVI.? Und wel­ches die größ­ten zu über­win­den­den Schwierigkeiten?

Vor allem möch­te ich beto­nen, daß dies ein Papst ist, den ich ver­eh­re und den ich für eine von der kul­tu­rel­len-theo­lo­gi­schen Anstren­gung der deut­schen Schu­le unse­rer moder­nen Zeit geschenk­te Per­sön­lich­keit hal­te, die eine außer­or­dent­li­che Fähig­keit beweist, sei­ner Mis­si­on in höch­stem Maße zu ent­spre­chen. Ratz­in­ger ist ein Ord­nungs­mensch mit einem prä­zi­sen Rhyth­mus. Sei­ne Syn­oden sind kei­ne außer­ge­wöhn­li­chen Gesten, blei­ben aber Fix­punk­te einer Neu­ord­nung auf höch­stem Niveau, die von einer wei­sen Hand gelenkt wer­den. So zei­gen sei­ne Ent­schei­dun­gen, die sich gewis­sen For­men fal­scher Ruhe und der pas­si­ven Zustim­mung zum Zeit­geist wider­set­zen, jenen, die die Kir­che nur unter den Schlag­wör­tern Pau­pe­ris­mus und Soli­da­ri­tät sehen möch­ten, eine Visi­on der Cari­tas, die hin­ge­gen auch eine poli­ti­sche Dimen­si­on ein­schließt (man den­ke zum Bei­spiel an sei­ne erste Enzy­kli­ka). Doch das alles hat einen Preis und geht ein­her mit einer Schwä­chung der Fähig­keit die Kir­che zu regie­ren und mit der Cha­rak­te­ri­stik kein homo­ge­nes Kon­zept erken­nen zu las­sen. Das bedeu­tet, daß die ein­zel­nen Tei­le der Kir­che sich unko­or­di­niert bewe­gen und macht es schwer eine siche­re Füh­rung zu erken­nen. Es sind die bei­den Sei­ten Ratz­in­gers: die Mil­de und der Stahl.

Seit eini­ger Zeit scheint sich Papst Bene­dikt auch mit einer Wel­le von Skan­da­len inner­halb der Kir­che aus­ein­an­der­set­zen zu müs­sen. Ist das Ihrer Mei­nung nach Zufall?

Die Sache mit  sexu­el­len Miß­bräu­che durch Prie­ster läßt mich zwei­feln. Ich spre­che nicht von einem Kom­plott, aber es gibt auf alle Fäl­le einen kla­ren Wil­len, eine Ein­rich­tung zu stra­fen, die schon immer ein­deu­tig  Fol­gen der sexu­el­len Befrei­ung, wie sie die Bewe­gun­gen der 60er Jah­re woll­ten, geta­delt hat.

Abge­se­hen davon ist es ein­fach nicht wahr, daß die­se Skan­da­le ledig­lich die Kir­che und den Kle­rus betref­fen. Heu­te gibt es kei­ne Form der geist­li­chen Kon­trol­le mehr über die Lie­be und den Eros, jene Funk­ti­on der Cari­tas, die in der Ver­gan­gen­heit auch die zöli­ba­t­ä­re Ent­schei­dung der Kle­ri­ker schützten.

Wenn Sie dem Papst leh­ren könn­ten, wie man Papst ist, was wür­den Sie ihm emp­feh­len? Was wür­den Sie sich wün­schen, daß er täte?

Ich wür­de mir wün­schen, daß er fünf Mil­lio­nen Pil­ger nach Rom bräch­te zum The­ma „Mani­pu­la­ti­on des Men­schen“. Daß er einen gro­ßen asia­ti­schen Kreuz­zug gegen die Ein-Kind-Poli­tik in Chi­na und gegen das Mas­sa­ker der Mäd­chen in Indi­en ein­lei­ten wür­de. Ich wür­de mir wün­schen, daß er die Ver­ein­ten Natio­nen und die Regie­run­gen der Welt dazu ver­an­laßt, die All­ge­mei­ne Erklä­rung der Men­schen­rech­te unein­ge­schränkt umzu­set­zen und im Licht der neue­sten wis­sen­schaft­li­chen Erkennt­nis­se zu klä­ren, was das mensch­li­che Leben ist, wo sei­ne Gren­zen sind und was es heißt, das Leben zu respektieren.

Aber wid­met die Kir­che bio­ethi­schen Fra­gen nicht bereits zuviel Aufmerksamkeit?

Abso­lut nicht, die Kir­che ist in die­sem Punkt in vie­len ihrer Glie­der viel zu vor­sich­tig. Sie müß­te viel mehr tun.

(Palaz­zo Apostolico/​GN)

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