Am Beispiel Frankreichs zeigt der Soziologe und promovierte Germanist Lorenz Jäger, Feuilleton-Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in seinem Buch Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen auf, wie sich jener radikale Laizismus bildete, der bis heute seinen „organisatorischen Kern“ und seine „Kader in der Großloge des Grand Orient“ findet. „Wer über den Anteil der Freimaurer an den neueren Revolutionen urteilen will, darf nicht nur auf den deutschen Sprachraum schauen“, schreibt Jäger. Neben Frankreich gilt dies in abgewandelter Form für alle romanischen Länder des Westens.
Jäger bereitet das Thema über verschiedene Schienen auf. Einmal zeichnet er in Schlaglichtern die Geschichte des Grand Orient von der Aufklärung bis zur Februarrevolution von 1917 nach. Eine weitere Schiene ist biographischer Natur und reicht von Georg Forster bis Carl von Ossietzky. Eingeschobene Exkurse werfen etwas Licht in das bewußt gesuchte Dunkel der verschiedenen Strömungen der internationalen Freimaurerei vom Martinismus bis zum Memphis-Ritus. Jäger gelingt mit seinen „Skizzen“ eine konzentrierte und sichere Gratwanderung zwischen haltloser Pamphletistik und jener „eingespielten Abwehr angeblicher Verschwörungstheorien“, die nicht nur von Freimaurern bemüht wird. Der katholische Leser wird sich beim Thema Freimaurerei freilich immer wieder hin und her gerissen fühlen, zwischen den ernsten und unüberbrückbaren Gegensätzen zur katholischen Lehre und den teils erheiternden Details freimaurerischer Kuriosa, die oft mehr an die Harmlosigkeit blanker Eitelkeit von Wichtigtuern erinnern.
Jäger kann mit seiner fundiert recherchierten und durchaus spannenden Studie jedenfalls dreierlei belegen:
- Die Unvereinbarkeit der freimaurerischen Weltanschauung mit der katholischen Religion.
- Die geistige Urheberschaft der französischen Revolution in den Logen.
- Die enge Verwobenheit von Loge und Frühkommunismus durch heute teils erstaunliche personelle Überschneidungen sowie die engen Beziehungen zwischen den Revolutionären des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts und den Logen.
Wenn also Papst Pius IX. 1864 mit der Enzyklika Quanta cura die Verurteilung der Freimaurerei seit 1738 durch Papst Clemens XII. bekräftigte und auf ihren Zusammenhang mit Kommunismus, Sozialismus und Gottlosigkeit verwies, habe die Kirche keinen „leeren verschwörungstheoretischen Wahn“ bedient, so Jäger.
Der Gegensatz zur Kirche ergibt sich aus den freimaurerischen Zielen: Die Religion durch Moral zu ersetzen und die Frömmigkeit zur Privatsache zu degradieren. „Das Dogma ist nichts, die Moral ist alles“, wie es Voltaire postulierte. Die Religion wurde „vom begründenden Diskurs zum Objekt einer Forschung“ gemacht, wie es Walter Hoeres ausdrückte. Gott wurde von der Aufklärung zum bloßen Erfüllungsgehilfen des irdischen Wohles der Menschen. Er sollte ebenfalls dem Fortschritt dienstbar gemacht werden. Da die Kirche jedoch die Hüterin des Absolutheitscharakters des Christentums ist, der darauf beruht, daß Gott nur einmal in Christus Mensch geworden ist und Er der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, schlug ihr in der französischen Revolution erstmals der offene Haß entgegen, der in den Logen seinen Nährboden hatte.
Die Schilderung des Ritus des 30. Grades der Hochgradmaurerei, des Ritter Kadosh erhellt übrigens unausgesprochen, weshalb es am 26. und 27. Juli 1822 in Guayaquil im Konflikt zwischen Simon Bolivar und José de San Martin zu keiner Einigung kommen konnte.
Die Freimaurerei war auf dem langen Weg zur Säkularisierung ohne Kreuz ein maßgeblicher Wegbereiter und sie ist stolz darauf.
Heute erfolgt der große Zusammenprall konträrer Positionen zwischen Kirche und Loge vor allem auf dem Feld der Biopolitik. Der Grand Orient propagierte in den 60er Jahren die Empfängnisverhütung. Seine „Brüder“ schrieben maßgeblich am französischen Abtreibungsgesetz mit. Heute bildet er die Speerspitze im politischen Kampf um die Legalisierung der Euthanasie. Papst Benedikt XVI. sprach daher von den Freimaurern als Fürsprecher einer „Kultur des Todes“. Um den Blick über Frankreich hinauszulenken, denke man nur an den Fall Eluana Englaro in Italien (2009) und das Fest, das anläßlich ihres Todes gefeiert wurde. Oder an den von Jäger aufgezeigten „diskreten Kontakt“ zwischen manchen Logen und Ludwig Minelli, dem Chef der Schweizer Euthanasieorganisation Dignitas.
Da mag es wenig verwundern, daß Armin Pfahl-Traughbers Rezension von Jägers Buch für den Humanistischen Pressedienst der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben nicht besonders freundlich ausfiel.
Jägers Schluß: „Es fehlt dem freimaurerischen Ethos eine entschieden moralische Dimension.“ In dieser Weltanschauung werde das Leben zum Privateigentum, das Individuum zum Atom, in äußerster Konsequenz würde sie zu einer Herrschaftsform führen, „gegen die gehalten vielleicht selbst die historischen Totalitarismen verblassen würden“.
Angesichts dessen kann der katholische Leser nur staunend zur Kenntnis nehmen, was der ehemalige Freimaurer Burkhardt Gorissen über die sich der Freimaurerei anbiedernde Haltung des Dogmatikers Herbert Vorgrimler schreibt oder die Schlußfolgerungen des Kirchenrechtlers Klaus Kottmann, der die Aufhebung der Unvereinbarkeit zwischen katholischer Kirche und Logenmitgliedschaft wünscht.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde im deutschen Sprachraum eine Arbeitsgruppe eingesetzt und eine Annäherung zwischen Kirche und Loge schien für Außenstehende nicht ausgeschlossen. 1983 bekräftigte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation und heutige Papst jedoch: „Das negative Urteil der Kirche über die freimaurerischen Vereinigungen bleibt also unverändert, weil ihre Prinzipien immer als unvereinbar mit der Lehre der Kirche betrachtet wurden und deshalb der Beitritt zu ihnen verboten bleibt.“ Wer nicht schon Robert Prantners Arbeiten über die Freimaurerei gelesen haben sollte, weiß spätestens nach der Lektüre von Lorenz Jägers Buch warum dem so ist.
Walter Hoeres warf in diesem Zusammenhang in der Tagespost die Frage auf, inwiefern jedoch freimaurerischer Geist in die katholische Kirche eingedrungen sei und verwies auf die interreligiösen Aktivitäten und die Assisi-Treffen, „was den tiefsten Intentionen“ der Freimaurerei entgegenkomme. Den Absolutheitscharakter der Kirche versuche sie durch den Zusammenschluß aller Religionen zu entwerten. Aufmerksame Beobachter werden sich allerdings an das Jahr 2002 und das „Kopfschütteln“ des damaligen Präfekten der Glaubenskongregation in Assisi erinnern. Ein weiteres Assisi-Treffen dürfte schwer vorstellbar sein.
Angesichts der von Jäger erbrachten Dokumentation erscheint es auch erstaunlich, wie sorglos sich heute Personen und Gruppen auf die französische Revolution und deren Grundsätze berufen. Man erinnere sich an Helmut Kohl, der sogar die CDU in diese Tradition stellte. Wobei es doch schwerfallen dürfte, ihn sich auf den Barrikaden von Paris vorzustellen.
Wer Jägers Buch liest, muß Abschied nehmen von der deutschen Vorstellung einer kuriosen Form von biederer Vereinsmeierei. In Frankreich ist der Laizismus als zentrale Forderung der Freimaurerei seit 1905 Staatsdoktrin.
Im jungen Staat Italien ging von der Einigung 1859 bis zur Machtübernahme durch den Faschismus ohne die Freimaurerei gar nichts. Im Heer und in der Beamtenschaft war ohne Logenmitgliedschaft kaum Karriere zu machen.
„Zieht man die Linien des freimaurerischen Gedankens aus, dann steht am Ende die völlig autonom gewordene Menschheit. Aber zugleich wäre sie dann unausweichlich einer geheimen Leitung unterworfen, einem verschwiegenen Kreis, zu dessen innersten Lehren kein Uneingeweihter Zugang haben darf, der durch eine Omertà nach außen geschützt wäre und die Erforschung seiner Soziologie proskribieren könnte.“
Lorenz Jäger: Hinter dem Großen Orient. Freimaurerei und Revolutionsbewegungen, Karolinger, 141 Seiten, kart., 19,90.
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