Um das „Warum“ des priesterlichen Dienstes geht es Paul Josef Kardinal Cordes, der mit seinem Buch „Warum Priester? Fällige Antworten mit Benedikt XVI.“ nach eigenem Bekunden einen „Sentenzenkommentar“ zu zentralen Aussagen des regierenden Pontifex vorzulegen beabsichtigt (S. 20). Das „Wozu“ – so Cordes – greift in Bezug auf den Priester zu kurz. Denn das Priestersein hat „seine entscheidende Qualität nicht in den priesterlichen Aktivitäten, sondern pointiert aus Christus.“ (S. 43). Dieser Ansatz ist gerade heutzutage begrüßenswert, da das Priestertum – wie der Autor selbst mehrfach beklagt – oftmals rein funktional und demzufolge reichlich oberflächlich betrachtet wird – und dies beileibe nicht nur in kirchenfernen Kreisen: „Bei konsequenter Anwendung funktionalen Denkens läßt sich nicht vermeiden, daß schließlich das geweihte Amt selbst zur Disposition steht.“ (S. 166) In diesem Sinne ist das vorliegende Werk tatsächlich ein begrüßenswerter Versuch, Wesen und Gestalt des katholischen Priestertums über die aktuellen Zeitfragen hinaus zu beschreiben.
Das Buch gliedert sich in vier Abschnitte: Nach einem sehr persönlich gehaltenen Vorwort (berichtet wird vom 50 Jahre zurückliegenden Besuch des jungen Studenten Cordes in Ars ) handelt das Kapitel „Ursprünge“ von den biblischen und dogmatischen Wurzeln des priesterlichen Amtes. (S. 23–73)
Anschließend trägt der Autor in „Entfaltungen“ grundlegende Aspekte des priesterlichen Dienstes vor, wobei er besonders den Communio-Charakter des Priestertums sowie die Spiritualität des Priesters und dessen marianische Bezogenheit betont. (S. 74–125)
In „Begrenzungen“ (S. 126–192) schließlich geht es um die Auffassung des Autors, das Vaticanum II habe eine Korrektur bzw. Vertiefung des im Tridentinum auf kultische Funktionen enggeführten Priesterbildes gebracht. In diesem Abschnitt werden auch heikle Themen abgehandelt: So z.B. die Laienpredigt (Cordes lehnt diese für die Heilige Messe ab), das Diakonat der Frau (dem Autor zufolge soll die „Schwierigkeit <…> ob nicht auch weibliche Helfer in der Seelsorger durch die Diakonatsweihe zum kirchlichen Dienst zu bestellen sind“ (S. 186), „andernorts“ (?) behandelt werden) sowie die Frage nach der Demokratie in der Kirche. Bezüglich der letztgenannten Problematik tritt der Autor dem „Irrtum“ entgegen, „das Vaticanum II hätte die Kirche zu demokratisieren beabsichtigt oder ein Kräftegleichgewicht zwischen Geweihten und Laien einführen wollen.“ (S. 161) Für diese deutlichen Worte werden ihm viele Priester dankbar sein, die unter der gegenwärtigen Umstrukturierung der Seelsorge nach protestantischen Prinzipien leiden.
In einer Art Epilog (S. 193–215) reflektiert der Autor unter dem Titel „Gott als Mystagoge – Individueller Glaubenssinn und kirchlicher Heilsweg“ das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft innerhalb des Glaubensaktes – und dies auf dem Hintergrund des Konversion des Theologen Erik Petersons (1890 – 1960), der 1930 zur katholischen Kirche konvertierte. Peterson habe – so Cordes – „bei aller Kritik an den Fehlern seiner Kirche nie die kirchliche Gebundenheit des Glaubenden aus dem Blick verloren.“ (S. 206)
Die Ausführungen des Kardinals gehen jeweils von einer „Sentenz“ (= Ausschnitte aus Reden und Predigten) des Papstes aus und stützen sich darüber hinaus auf das Priesterdekret des Vaticanum II „Von Dienst und Leben der Priester“. Durchgängig spürt man das Bemühen, die aktuellen Probleme hinsichtlich des priesterlichen Dienstes mit einem Rückgriff auf Schrift und Tradition zu beleuchten und auch konkrete Hilfestellungen zu geben. Hierbei bleibt es nicht aus, daß viele Problemfelder lediglich gestreift werden. Bei dem besonders im deutschsprachigen Raum akuten Problemen der sogenannten „kooperativen Pastoral“ hätte man sich z.B. eine eingehendere und systematischere Behandlung gewünscht, zumal sich Cordes als entschiedener Kritiker dieser im deutschsprachigen Raum mit Enthusiasmus betriebenen neuen Seelsorgsstrukturen erweist: Er findet hier deutliche Töne, wenn er z.B. die neuen Formen der Teilhabe von Laiengremien an der Gemeindeleitung als „zweifelhaft“ und „schädlich“ (S. 19) bezeichnet: „Die vom Konzil <…> angeregten Räte emanzipieren sich zu kleinen Parlamenten und erhalten die Funktion von Entscheidungsgremien.“ (S. 19) Wenn der Autor hierin einen entscheidenden Grund für die „Krise des Priesters“ (S. 16) und die „Feindseligkeit gegenüber dem Priester“ (S. 18) sieht, liegt er zweifellos richtig. Leider sind diese kritischen jedoch über das gesamte Buch verstreut, so daß eine Zuspitzung ausbleibt. Es wäre sicher von Vorteil gewesen, diese brisante Entwicklung (die nach Meinung des Rezensenten eine der Hauptursachen für den Priestermangel darstellt) etwas stringenter darzustellen. Möglicherweise wäre dadurch deutlicher geworden, daß der Angriff auf die Letztverantwortung des Priesters als Leiter und Hirte der Pfarrgemeinde ein Angriff auf die sakramentale Gestalt des Priestertums (und damit auch der Kirche) darstellt.
Ein weiteres Anliegen des Autors zieht sich ebenfalls durch das gesamte Buch: Das Bemühen, hinsichtlich der Rezeptionsgeschichte des Vaticanum II die „Hermeneutik der Kontinuität“ gegen eine „Hermeneutik des Bruches“ zu stellen. (vgl. S. 24ff). Papst Benedikt XVI. hat dies z.B. in seiner Weihnachtsansprache an das Kardinalskollegium und die Mitarbeiter der römischen Kurie (22.12.2005) zum Ausdruck gebracht, wie Cordes bemerkt. (vgl. S. 24) Mehrfach stellt sich der Autor gegen den Versuch, die Lehre über das Priestertum, wie sie im Vaticanum II dargelegt worden ist, als „radikalen theologischen Neuanfang“ (S. 24) zu mißdeuten. Vielmehr versuche das Vaticanum II, die „Engführung“ des tridentinischen Priesterbildes zu korrigieren (vgl. S. 126 ff). An vielen Stellen verteidigt Cordes das Vaticanum II gegen jene, die es in Gegnerschaft zur kirchlichen Tradition für ihre eigenen Ideen mißbrauchen wollen. Die bereits erwähnte „Engführung“ (S. 126) des Priesterbildes durch Trient besteht nach Cordes in einer Überbetonung der kultischen Aufgabe sowie in einer „Isolierung des Geweihten“ (S. 150) von den übrigen Getauften im Sinne eines statisch-objektivistischen Verständnisses von Christusrepräsentanz im Priester. (vgl. S. 145) Demgegenüber stellt der Autor mit Blick auf das Vaticanum II fest: „Der Graben zwischen der alleinverantwortlichen Kirchenleitung und einer ‚Herde‘, die passiv bleibt, wurde zugeschüttet – ganz im Sinn des Evangeliums.“ (S. 157). [1]Anm. d. Rezensenten: Ob diese Einschätzung von der kirchlichen Wirklichkeit zur Gänze gedeckt ist, sei dahingestellt. Das Vaticanum II habe die Christusrepräsentanz in allen Getauften stärker in den Blick genommen. Zudem ergebe sich durch die im Vaticanum II verwendete Formulierung, der Amtsträger handle in der Person (und weniger als „Repräsentant“) Jesu Christi, ein stärker dynamisches, auf den konkreten Vollzug ausgerichtetes Repräsentationsmodell. Dementsprechend – so Cordes weiter – werde im Priesterdekret des Vaticanum II der Ausdruck „repraesentare“ nicht mehr verwendet und somit die Gefahr des Mißverständnisses vermieden, die Gegenwart Christi im Priester bedeute eine „Auszeichnung“, die den Geweihten dem Gottesvolk entfremde. (S. 151) Stattdessen unterstreiche der Ausdruck „der Priester handelt in der Person Jesu Christi“ eine stärkere „Verwiesenheit und Gebundenheit an den allein wirksamen Christus“ (S. 153).
Auch hier hätte man gerne noch Systematischeres aus der Feder des Kardinals gelesen: Denn selbst wenn eine übersteigerte Vorstellung von Christusrepräsentanz die Gefahr des Standesdünkels in sich birgt, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, daß ein dynamisches, nur auf die Handlungen des Priesters bezogenes Verständnis seiner Christusrepräsentanz in Gefahr gerät, die seinshafte Verbindung des Geweihten mit Christus abzuschwächen bzw. zu verdunkeln. In diesem Sinne ist auch die Warnung des Autors vor einer „Verdinglichung“ des unauslöschlichen priesterlichen Charakters (vgl. S. 59) kritisch zu befragen: Cordes ist der Auffassung, das Vaticanum II habe die „dinghafte Ontologie“ des Tridentinums (welche aufgrund des Zeitumstände in Abgrenzung zu Luther verständlich gewesen sei) pneumatisch-dynamisch erweitert und den „character indelibils“ stärker in seiner „Zeichenhaftigkeit“ und „wesensgemäßen Verwiesenheit“ gesehen. Die Frage stellt sich, ob diese Versuche des Autors gerade in unserer Zeit nicht auch mißverstanden werden können. So könnten die o.a. Formulierungen einer Relativierung der seinshaft umgeformten Wirklichkeit des Priesters Vorschub leisten. Sicher liegt das nicht in der Absicht des Autors. Weil das Buch die erwähnten Probleme aber jeweils nur kurz anreißt (und in eine zuweilen schwer lesbare Begrifflichkeit hüllt), sind Mißverständnisse nicht ausgeschlossen.
Dennoch: Das Buch enthält sehr tiefgehende Passagen zur Spiritualität und zum Gebetsleben des Priesters – nicht zuletzt auch die Ermutigung zur täglichen Zelebration (vgl. S. 105) und ein eindeutiges Bekenntnis zur Zölibatsverpflichtung (vgl. S. 69ff). Auch die Impulse aus den sogenannten „neuen geistlichen Bewegungen“, denen Cordes seit Jahrzehnten eng verbunden ist, werden für die einander ergänzenden Sendungen von Priester und Laien fruchtbar gemacht (vgl. 117ff). Man kann dem Buch dennoch den Vorwurf nicht ersparen, daß der Leser an manchen Stellen die inhaltliche Konsequenz vermisst – vielleicht liegt der Grund darin, daß es verschiedene Studien des Autors zum Thema zu vereinigen sucht. In manchen Kapiteln sucht man nach dem „roten Faden“ – zum Beispiel im Schlußkapitel über Erik Peterson, das mit dem Priestersein im engeren Sinne gar nichts zu tun hat und sehr ins Allgemeine abgleitet. Oder auch wenn zum Thema „Spiritualität der Priester“ eine beinahe 40 Jahre alte Umfrage unter Priestern (1973) breit entfaltet und kommentiert wird. (vgl. S. 92ff)
Diese Mängel werden jedoch bei weitem ausgeglichen durch die Tatsache, daß der Autor in vielen Bereichen der Theologie eine profunde Kenntnis erkennen läßt und hierbei „Altes und Neues“ aus seinem Wissensschatz hervorholt – angefangen bei seinem Rückgriff auf die Kirchenväter (besonders Augustinus sei hier genannt, vgl. S. 52ff) bis hin zu Exkursen in die Organisationssoziologie (vgl. S. 187ff) oder in die Sozialforschung (vgl. S. 88ff). Diese „Streifzüge“ stellen interessante Querverbindungen her und regen zum eigenen Weiterstudium an.
„Warum Priester?“ So fragt Kardinal Cordes zu Beginn. Wer differenzierte und theologisch tiefgehende Antworten zu diesem Thema sucht, wird nicht enttäuscht werden.
Pfarrer Hendrick Jolie ist Mitglied im Sprechergremium Netzwerk katholischer Priester
Kardinal Cordes, Paul Josef. Warum Priester? Fällige Antworten mit Papst Benedikt XVI., Augsburg 2009. 220 Seiten, Festeinband 19,90 €.
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↑1 | Anm. d. Rezensenten: Ob diese Einschätzung von der kirchlichen Wirklichkeit zur Gänze gedeckt ist, sei dahingestellt. |
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