(Peking) Nach „irrigen“ Interpretationen des Papst-Schreibens an die chinesischen Katholiken vom Jahr 2007 legte der Heilige Stuhl einige Klarstellungen vor, die erste Erfolge zeigen. Zwei Jahre nach dem aufsehenerregenden Schreiben Papst Benedikts XVI. an die chinesischen Katholiken zog Kardinal Joseph Zen Ze Kiung, Erzbischof von Hong Kong, eine erste Zwischenbilanz, die er auf der Internetseite seiner Diözese in chinesischer und englischer Sprache veröffentlichte, wie der italienische Vatikanist Sandro Magister berichtet.Die Bilanz fällt widersprüchlich aus. Neben einer Reihe wichtiger und positiver Fortschritte, nennt der Kardinal auch negative Aspekte. Als wichtigsten Punkt der Negativbilanz führt er die „Fehlinterpretation“ einiger zentraler Schlüsselstellen des päpstlichen Schreibens an, die „verheerende Folgen für das innere der Kirche in China“ hatte.
Chinas Kirche ist in zwei Teile zerrissen. Eine Teilung, die durch die Politik der kommunistischen Regierung verursacht wurde. Es gibt katholische Gemeinschaften, in der „Patriotischen Vereinigung“ organisiert, die als „dishang“ bezeichnet werden, was wörtlich „über der Erde“ bedeutet. Dabei handelt es sich um jene, die die Anerkennung durch das kommunistische Regime genießen und von diesem abhängig sind. Auf der anderen Seite gibt es die romtreue katholische Kirche, die als „dixia“ bezeichnet wird, die „unterirdische“ Kirche, die sich nie dem kommunistischen Regime unterworfen hat. Auch das Episkopat ist entlang dieser Linie gespalten. Ein Teil gehört der Kirche „über der Erde“, der andere jener „unter der Erde“ an.
Die Dishang-Bischöfe untergliedern sich wiederum in drei Gruppen. Da sind einmal die Bischöfe, die von der Regierung in Peking, aber nicht vom Heiligen Stuhl anerkannt sind. Sie wurde unrechtmäßig geweiht und üben ihr Hirtenamt ohne jede Rechtsgültigkeit aus. Derzeit gibt es nur noch sehr wenige dieser Art. Weiters gibt es von der Regierung ausgewählte, unrechtmäßig geweihte Bischöfe, die aber später über geheime Kanäle vom Heiligen Stuhl anerkannt wurden. Dieser Gruppe gehört der größte Teil der derzeitigen chinesischen Bischöfe an. Und schließlich gibt es eine neue Gruppe von jungen Bischöfen, die zwar von der Regierung ernannt wurden, aber noch vor ihrer Weihe in Rom um die Anerkennung angesucht und diese auch erhalten haben.
Die Dixai-Bischöfe, die Untergrund-Bischöfe, die von Rom anerkannt sind und geheim geweiht, aber von den kommunistischen Behörden nie anerkannt wurden, haben das schwerste Los zu tragen. Sie leben und wirken unter ständiger Gefahr im Untergrund. Die meisten haben teils Jahrzehnte in kommunistischen Konzentrationslagern, Gefängnissen oder im Hausarrest verbracht. Genauso ergeht es dem romtreuen Untergrundklerus.
Allerdings haben auch von der Regierung in Peking anerkannte Bischöfe keineswegs immer ein leichtes Leben. In den vergangenen Monaten erhöhten die Behörden die Überwachung und den Druck auf sie. Seit dem päpstlichen Schreiben an die chinesischen Katholiken hat ein umfassender Annäherungsprozeß zwischen den beiden Teilen der katholischen Kirche eingesetzt, der den Behörden nicht verborgen geblieben ist. Sie versuchen diese Annäherung, die das Hauptziel von Papst Benedikt XVI. ist, mit allen Mitteln zu behindern und zu unterbinden.
Beleg für die fortschreitende Annäherung und Aussöhnung war vor einigen Monate die Bereitschaft des von der Regierung anerkannten Bischofs von Shijiazhuang, Msgr. Jang Taoran, den Untergrundbischof jenes Gebiets, Msgr. Jia Zhiguo, als Diözesanbischof anzuerkennen und selbst zu dessen Weihbischof zu werden, um damit sichtbar die Einheit der Gläubigen und die Einheit mit Rom zu demonstrieren. Die kommunistischen Behörden verhinderten jedoch die Initiative, untersagten den beiden Bischöfen jeden Kontakt zueinander und verhafteten am 30. März den Untergrundbischof, der sich seither irgendwo in Haft befindet.
Kardinal Zen prangert die „falsche Auslegung“ des päpstlichen Schreibens durch die kommunistischen Behörden und regimetreue Kirchenkreise an. Die Fehlinterpretation sei vor allem auch deshalb möglich geworden, weil die Verbreitung und Bekanntmachung des Schreibens von den Behörden behindert wurde. Die regimetreue Patriotische Vereinigung verbot sogar dessen Verbreitung. Eine Reihe von Priestern beider Kirchenteile wurden verhaftet, weil sie das Schreiben weitergaben und verteilten. Alle chinesischen Internetseiten, die das päpstliche Schreiben veröffentlicht hatten, mußten es löschen. Die nun auch in Mandarin übersetzte Internetseite des Heiligen Stuhls, ist in der Volksrepublik China nach wie vor unzugänglich. Die staatlichen Behörden haben jeden Zugang von China aus gesperrt.
Auch ein weiteres Schreiben von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone an alle chinesischen Bischöfe habe teils viele Monate gebraucht, um alle Empfänger zu erreichen. Aber auch dieses habe nicht die nötige Klarheit gebracht, wie Kardinal Zen bemängelt. Eine schwerwiegende Fehlinterpretation betreffe, so der Erzbischof von Hong Kong, die Frage der Anerkennung durch die kommunistischen Behörden. Viele hätten das Papstschreiben als Befehl an die Untergrundgemeinschaften und deren Bischöfe verstanden, den Untergrund zu verlassen und offiziell um die Anerkennung durch die Regierung anzusuchen.
Kardinal Zen hingegen bekräftigt, daß „diese Interpretation keineswegs die Meinung des Heiligen Vaters vertrete, sondern vielmehr der brutalen Realität der Fakten widerspricht“. Tatsache sei, daß „die Politik der unverändert ist, eine Politik, die darauf abzielt, die ganze Kirche zu versklaven“, so Kardinal Zen. Deshalb sind wir nun Zeugen eines schmerzhaften Spektakels: Bischöfe und Priester, in der festen Meinung, dem Papst zu gehorchen, unternehmen enorme Anstrengungen, um zu einer Einigung mit dem Staat zu kommen. Viele von ihnen, ziehen sich dann wegen der inakzeptablen Bedingungen der Regierung wieder zurück, doch der Klerus ist nicht mehr so geeint wie zuvor. Andere, in der irrigen Meinung, ein Rückzug widerspreche dem Willen des Papstes, versuchen unter größten Opfern in einem Kompromißstatus auszuharren, der jedoch dermaßen widersprüchlich ist, daß die Einheit der Gläubigen oft daran zerbricht, ebenso jene zwischen dem Klerus und ihrem Bischof. Die Regierung präsentierte sich nach einem anfänglichen Zögern bald nach der Veröffentlichung des Papstschreibens als enthusiastischer Vertreter des angeblichen Papstwillens. Das kommunistische Regime fand eine Auslegungsformel des Schreibens, das seinen eigenen Interessen in die Hand spielte. Sie begann systematisch diese Auslegung in Umlauf zu bringen und sich selbst als Verfechter der kirchlichen Einheit darzustellen. Allerdings einer Kirche, die unter der absoluten Kontrolle des Regimes zu stehen habe. Einer sogenannten von Rom „unabhängigen“ Kirche in einem kommunistischen Käfig, so Kardinal Zen.
Aufgrund dieser schwerwiegenden Ereignisse, die eine neue Phase des Leidens für die katholische Kirche in China eingeleitet haben, drängte Kardinal Zen monatelang in Rom auf eine eindeutige Interpretation des Schreibens in einem „Kompendium“ und war damit erfolgreich. Am 23. Mai veröffentlichte der Heilige Stuhl das Kompendium und publizierte es auch auf seiner Internetseite in englischer Sprache sowie der klassischen und der vereinfachten Variante der chinesischen Sprache. Nach dem Frage-Antwort-Schema wurden alle zentralen Aspekte des Papstschreibens behandelt und mit klaren Antworten versehen.
Kardinal Zen kommentiert das Kompendium positiv in seiner Zwischenbilanz und fordert alle katholischen Chinesen auf, es aufmerksam zu lesen, vor allem die Antwort Nr. 7 und die Fußnoten 2 und 5.
In der Antwort 7 versichert der Heilige Vater die Untergrundkatholiken seiner völligen Unterstützung und „ermutigt“ sie, in Treue und ohne Kompromisse auszuharren“. In der Fußnote 2 wird zwischen der „geistlichen Wiedervereinigung“ und der „strukturellen Vereinigung“ unterschieden. Der Papst „ermutigt“ die „Wiedervereinigung“ mit dem „größten Einsatz und Nachdruck“ zu suchen, aber jede Vereinnahmung durch das Regime zu vermeiden. In der Fußnote 5 heißt es, daß Papst Benedikt XVI. weder die Möglichkeit ausschließe, die Anerkennung durch die Regierung zu suchen, eine solche aber auch nicht ermuntere“. Es sei völlig richtig, in Freiheit und offen handeln zu können, „doch leider“, schreibt Kardinal Zen die Worte des Papstes wiederholend, „ist es fast immer unmöglich, so zu handeln, da die Bedingungen, die man uns aufzuzwingen versucht, nicht mit unserem katholischen Gewissen vereinbar sind.“
Die Anstrengungen der katholischen Kirche, die Einheit unter Chinas Katholiken wieder herzustellen und zu stärken sowie die Evangelisierung des ostasiatischen Landes gingen unverändert weiter, heißt es in römischen Stellen.
(Sandro Magister/JF)