von Pfr. Dr. Guido Rodheudt
„Not schweißt zusammen!“ diese Devise ist eine Binsenweisheit. Sie muß nicht erst im Schützengraben oder im Luftschutzkeller erhärtet werden, sondern erweist ihre Richtigkeit auch in weitaus untergeordneten Notlagen. Schon der gemeinsame Unterschlupf in einem Wartehäuschen der Straßenbahn bei einem starken Regenguß zeigt, daß das gemeinsame Leiden auch eine besondere Form der Solidarität der Leidenden hervorbringt. Persönliche Unterschiede in Herkunft oder Weltanschauung werden zweitrangig angesichts des gemeinsamen Gegners.
Wer die gegenwärtige Stimmung unter den Verantwortlichen für die katholischen Kirchengemeinden Deutschlands erlebt, findet sich diesbezüglich einem merkwürdigen Gegensatz ausgeliefert. Einmal ist festzustellen, daß Katholikenschwund, Priestermangel und Finanznöten keineswegs automatisch die Pfarreien zusammenführt, deren Leben ohne Priester schwer geworden ist. Im Gegenteil: emsiges Bewahren von Eigenheiten wird freiwilligem Zusammenrücken vorgezogen. Die Nachbargemeinde wird nicht als Leidensgenosse, sondern als Feind empfunden. Andererseits finden sich die Schäfchen der deutschen Oberhirten zur Zeit eher auf einem politischen Schlachtfeld wieder, statt im Pferch des Guten Hirten. Der Bischof wird zum gemeinsamen Gegner, wenn er Maßnahmen zur Sanierung ergreift. Woher diese Schizophrenie?
Ein Blick auf ein Fallbeispiel kann helfen. Im Bistum Aachen hat der Bischof Zwangsfusionen von Kirchengemeinden angeordnet. Es ist eine Reaktion auf die gegenwärtige Notlage in der pastoralen Landschaft seines Bistums. Über Nacht wurde von umfassender Basisdemokratie auf allen Ebenen auf Diktatur umgestellt. Ein dramatischer Priestermangel drückt auf die Pfarreien. Hinzu kommt die Finanzkrise, in die Steuerreform und Mißwirtschaft die Diözese gebracht haben. „Gemeinschaften von Gemeinden“ sollten auf freiwilliger Basis gebildet werden, seelsorgliche Großbereiche unter Aufrechterhaltung der Selbständigkeit der Pfarreien. Oder doch nicht ganz. Denn die Maßnahme erinnert fatal ein die Methoden der Palliativ-Medizin, der es nicht Heilung oder um das Auskurieren von Krankheiten, sondern um Linderung von Schmerzen und das Erträglichmachen von Zuständen geht, die sich nicht mehr ändern lassen.
Und wie die Palliativmedizin da auf den Plan tritt, wo die Hoffnung auf Heilung begraben wird, so reagieren im Augenblick die deutschen Bischöfe auf die Notsituation mit dem Pflaster der „Kooperativen Pastoral“.
Die wirkliche Suche nach Heilungsmöglichkeiten wurde eingestellt. Zusammenlegung von Pfarreien, Wortgottesdienste an den Sonntagen, Gemeindeleitung durch Teams von Laien sind da probate Mittel geworden. Sie sollen den Zustand erträglich machen. Sie sollen dazu beitragen, daß das kirchliche Leben auch ohne Priester funktioniert. Und vielfach hat die Therapie auch schon Erfolge gezeitigt. Und gerade darin liegt etwas Gefährliches. Denn es besteht die Gefahr, daß die pastoralen Palliativ-Maßnahmen den Kern der Krankheit verdümpeln und auf Dauer das kirchliche Leben auf eine Weise schmerzfrei machen, die das Wesen der Kirche nicht mehr spürbar macht.
Denn die Kirche ist ein Organismus, dem – wie beim Menschen – nicht ohne weiteres ein wesentliches Organ genommen werden kann, ohne daß er sterben muß. Und insofern ist es nicht ungefährlich, wenn man beginnt, sich in dem Zustand dramatischen Priestermangels einzurichten und sich mit anderen, alternativen Modellen der Seelsorge und Gemeindeleitung zu betäuben, die den Gedanken an die Krankheit der gegenwärtigen Situation mit Normalitätsgefühlen umgeben.
Wer sich in der Szene auskennt, weiß, daß hier keine neuen Aufbrüche zu verzeichnen sind, sondern und nur noch ein möglichst schmerzfreies Leben. Denn die Kooperation funktioniert nur auf dem Papier wirklich gut. Einmal sind die meisten Pfarreien noch nicht so weit, daß sie freiwillig über die Grenzen blicken und eine andermal sind es tiefe theologische – um nicht zu sagen – ideologische Gräben, die Gemeinden, Pfarrer, Pastoralreferenten und ehrenamtliche Mitarbeiter in Liturgie und Katechese voneinander trennen.
Diese Grundprobleme haben Vorgeschichten. Das Kirchturmdenken wurde nicht zuletzt durch eine an protestantische Vorbilder erinnernde „Gemeindetheologie“ gestützt. Das Katholische, das ja gerade in der Gegenwart durch seinen umfassenden Bezug zu weltkirchlicher Einheit eine Chance wäre, den Horizont zu erweitern, wurde längst eingetauscht gegen einen provinziellen, manchmal bis ins spießbürgerlichen Gemeinschaftskult, der den Kirchturm und nicht den universalen Christus zum Mittelpunkt der Pfarrei machte.
Hinzu kommt die jahrzehntelange Geduld der Bischöfe mit disparaten Theologien und pastoralen Anschauungen, auch dann wenn sie sich nicht mehr im Spektrum des Legitimen bewegten. Über Nacht sollen nun – wie in Aachen – Pfarreien mit unterschiedlichsten Glaubensbekenntnissen und einer oft bis zur Unkenntlichkeit verstellten seelsorglichen Praxis in ein Boot. Daß hier die gegensätzlichsten Überzeugungen zum Demonstrationsplakat greifen, wundert da nicht. Ähnlich wie in den Zeiten der Weimarer Republik verbünden sich ideologische Gegner nun zum Kampf gegen den Bischof, dessen Generalvikar und seine Hauptabteilungen einen Generalumbau des Bistums vorgesehen haben. Nun lastet nicht nur die Finanzkrise, sondern vor allem die zerschlagene Einheit von Hirt und Herde.
Der Imageverlust ist enorm und der Schaden für die Neuevangelisierung unabsehbar. In den Augen der Außenwelt beschäftigt sich die Kirche mit Sandkastenspielen und dokumentiert, daß ihre Vertreter sich nicht darin einig sind, was sie wirklich der Welt von heute mitteilen wollen. Wie hätte eine sinnvolle Alternative zu den Weimarer Zuständen in der Kirche aussehen können? Zunächst wäre es längst an de Zeit gewesen, das Glaubensgut in der Praxis von Priestern und Pfarreien zu überprüfen und einer Reinigung zu unterziehen.
Die römischen Lehrer haben dazu wiederholt katechetische Werke von höchstem Niveau vorgelegt. Sie blieben in Deutschland entweder direkt in der Schublade oder wurden vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz mit „Lesehilfen“ versehen, die den Inhalt auf die deutsche Situation zuschnitt und damit meist marginalisierte.
Weiterhin wäre die Not für viele Gemeinden heute sicherlich auch im ökonomischen Bereich nicht so groß, wenn – wie am Beispiel Aachen zu sehen – ein Großteil der Kirchensteuer, der eigentlich vom Gesetzgeber in erstere Linie zur Finanzierung der Kirchengemeinden vorgesehen ist, nicht in diözesanen Strukturen, Verbänden und zur Finanzierung von „pastoralem Personal“ oder für Bildungseinrichtungen mit oft zweifelhaftem theologischen Profil verausgabt worden wäre.
Die Kirche hat hier über Jahre ihre Mittel zu ihrem eigenen Schaden an die ausgezahlt, die sie umbauen wollten, statt ihr zu dienen. Und nicht zuletzt hätte ein frühzeitiger Eingriff in die Priestererziehung zur Heranbildung eines Klerus führen können, der sich vor Ort als Diener der Einheit im Glauben versteht und nicht als Diener von Gruppen und Gremien, die vor Jahren die Macht in den Pfarreien übernahmen.
Hier liegt die größte Schuld ohne Frage bei den Bischöfen, die ihren Frontsoldaten allzu oft im Konfliktfall die Solidarität versagten und damit eine tiefe Frustration bei den Geistlichen hervorriefen. Daß es auch anders geht, zeigt die Situation in Pfarreien, die durch das Engagement von Priestern ihr Dasein auf sakramentaler Basis verstehen, die sich auf das ausrichten, was katholisch ist, und nicht auf das, was die Tagesmeinung verlangt, die die Eucharistie in den Mittelpunkt stellen und deswegen auch bereit sind, die Kirche mit anderen Gemeinden zu teilen, die keinen eigenen Priester mehr haben, statt sich um ein Grüppchen Engagierter zu versammeln, die sich im Wortgottesdienst selbst zelebrieren.
Denn hier ist man gewappnet gegen die Versuchung zu Resignation, weil die Ausrichtung auf den im Sakrament gegenwärtigen Herrn geht und nicht auf die Luftschlösser einer „Kooperativen Pastoral“, die in der Luft hängt. Vielleicht ist sogar das ganze Problem ein Problem mangelnden eucharistischen Glaubens. Denn die Eucharistie – das wußten schon die ersten Christen und die Märtyrer der frühen Kirche – bildet die Gemeinde, egal ob sie nun eine kleine oder große oder fusionierte oder an Personen gebundene Pfarrei ist. Es bleibt zu hoffen, daß – wie in den Wirren der Weimarer Republik – nun nicht der Ruf nach dem starken Mann laut wird, nach Politbüros und Planungsgruppen, sondern nach dem Heiligen Geist, der der einzige ist, der da heilt, wo wir nur betäuben können.
Dr. Guido Rodheudt ist Pfarrer in Herzogenrath und gehört zum Sprechergremium des Netzwerkes katholischer Priester.