(London) „Die Vorschläge der Regierung des Human Fertilisation and Embryology Bill sind grotesk, tödlich und monströs. Es scheint, daß der Premierminister nicht die ethische Tragweite dessen versteht, was er legalisieren will.“ Der traditionelle Frieden während der vier Tage des „Easter break“ wird durch den unerwarteten Frontalangriff auf die Bioethikpolitik der Regierung Gordon Browns durch den höchsten Vertreter der katholischen Kirche Schottlands erschüttert. Es verwundert weniger der Widerstand der Kirche gegen den Maßnahmenkatalog der Linksregierung im genannten Gesetzesentwurf, mit dem unter anderem die Herstellung von Mensch-Tier-Chimären „für Forschungszwecke“ ermöglicht werden soll. Für Aufsehen sorgt in Großbritannien der Zeitpunkt der scharfen Kritik von Kardinal Keith O’Brien. Der Primas der katholischen Kirche in Schottland wird seinen Frontalangriff in der Homelie am Ostersonntag in der katholischen Kathedrale von Edinburgh vortragen.
Damit bricht er eine seit fast zwei Jahrhunderten geltende, ungeschriebene Übereinkunft zwischen Staat und Kirche. Die katholische Kirche erhielt erst 1829 mit dem Catholic Emancipation Act ihre Anerkennung zurück. Die Übereinkunft besagte, daß die Kirche nie zu laut ihre Stimme gegen die Institutionen des formal anglikanischen, praktisch jedoch laizistischen Staates erheben würde, der tiefsitzende antikatholische Ressentiments pflegt.
Kardinal O’Brien hat sich mit seinen deutlichen Worten soweit vorgewagt, wie sich vor ihm seit Jahrhunderten kein katholischer Bischof mehr vorgewagte. Dafür wählte er den heiligsten Tag der Christenheit. Um sich auch die größtmögliche Medienresonanz zu sichern, ließ er bereits am gestrigen Karfreitag, im anglikanischen Großbritannien Staatsfeiertag, den Inhalt seiner Rede den Medien zukommen. Sofort wurde er in den Internetausgaben aller wichtigen Medien verbreitet. Heute füllt er die Seiten der Tageszeitungen.
Der Kardinal ruft die britischen Staatsbürger (ausdrücklich nicht nur die Katholiken) auf, der Regierungspolitik zu bioethischen Fragen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, vor allem dem derzeit im Parlament diskutierten Gesetzesentwurf der Human Fertilisation and Embryology Bill: „Wir erleben in unserem Land den Versuch der Regierung, Experimente Frankensteinscher Ausmaße zuzulassen, die in anderen europäischen Staaten ins Gefängnis führen, und dies, ohne daß die Bevölkerung weiß und versteht, was wirklich passiert. Wenn ich diese Predigt in Ländern wie Frankreich, Deutschland, Italien, Kanada oder Australien halten würde, könnte ich deren Regierungen dafür beglückwünschen, daß sie ähnliche Praktiken unterbunden haben. Aber hier in Großbritannien muß ich die Regierung verurteilen, die solche Praktiken nicht nur zuläßt, sondern sogar fördert.“
Der Angriff O’Briens gilt gezielt der regierenden sozialistischen Labour Party, die im Gegensatz zu Konservativen und Liberaldemokraten bei der bevorstehenden Abstimmung ihren Abgeordneten keine Gewissensfreiheit lassen will, sondern mit Fraktionszwang zur Annahme des Gesetzentwurfes zwingen will. Der Kardinal hofft damit den Katholiken (aber nicht nur) unter den Labour-Abgeordneten den Rücken zu stärken. Die katholischen Bischöfe unter der Führung des Erzbischofs von Westminster, Kardinal Cormac Murphy‑O’Connor (der in diesem Fall seinen schottischen Mitbruder in die vorderste Linie treten läßt), wissen um die Spannungen, die es seit einigen Wochen innerhalb der Regierung zwischen den „Szientisten“, den treuen Gefolgsleuten des Premierministers, und einigen katholischen Ministern gibt. So kam es bereits zum Konflikt zwischen dem Minister für Wales, Paul Murphy, und dem „chief whip“ Geoff Hoon, der für die Disziplinierung der Partei zuständig ist, während sich andere katholische Regierungsmitglieder, so Ruth Kelly (Transport), Des Browne (Verteidigung und Schottland) und Paul Goggins (Nordirland) wegen der szientistischen Linie der Regierung in einer Krise befinden. Zahlreiche Labour Abgeordnete (nicht nur katholische) bedrängen Premierminister Gordon Brown Gewissensfreiheit zu lassen und das „free vote“ zu garantieren. Die katholischen Labour-Abgeordneten könnten die Regierung Brown in Schwierigkeiten bringen und wegen deren „monströser Frankenstein Science“ sogar eine Regierungskrise auslösen.
(Il Foglio/JF)