(Washington) In den USA, wo am vergangenen Sonntag der National Sanctity of Human Life Day begangen wurde und heute der 35. Jahrestag des Urteils des Obersten Gerichtshofs Roe gegen Wade ist, ist das Thema Abtreibung alles andere als eine entschiedene Frage. In den gerade stattfindenden Vorwahlen zur Nominierung der Präsidentschaftskandidaten der beiden großen Parteien findet auf demokratischer Seite zwischen Hillary Clinton und Barack Obama ein Wettrennen um die Stimmen der Abtreibungsbefürworter statt. In den vergangenen Tagen kam es zwischen den beiden Bewerbern um die Nominierung und deren Mitarbeitern zu gegenseitigen Vorwürfen. Dabei geht es darum, sich möglichst deutlich pro choice (pro Abtreibung) zu präsentieren. Direkt oder durch ihre Assistenten haben sich beide gegenseitig vorgeworfen, bisher nicht ausreichend „an der Seite der Frauen und deren Recht zu entscheiden“ gestanden zu sein.
Am Montag der Vorwoche versuchte sich Obama, Senator aus Illinois, in einer eigens geschalteten Telefonkonferenz vor Journalisten und an der Seite von Abtreibungslobbyisten als einwandfreier Abtreibungsbefürworter in Szene zu setzen. Daß er bei Abstimmungen im Senat sich zwei Mal in dieser Frage der Stimme enthalten hat, begründete er mit einer „strategischen“ Entscheidung, um nach Möglichkeit die Widerstände der Lebensschützer zu brechen.
Die Kritik der Wahlkampfmannschaft von Hillary Clinton ließ nicht auf sich warten. „Ein Präsident enthält sich nicht der Stimme, er bekennt sich zu einer Position und behält diese auch bei“, erklärte Ann Lewis, Beraterin Hillary Clintons. Lewis weiß wovon sie spricht. Sie ist aktive Abtreibungsbefürworterin und war bereits Pressesprecherin Bill Clintons, als dieser im Weißen Haus amtierte. Es gäbe eine ganze Reihe von Abstimmungen, in denen Obama sich als einziger enthalten habe: „Mit wem hat er sich damals abgesprochen?“, fragte Lewis provokant. Konkret wird Obama von seinen parteiinternen Gegnern vorgeworfen, sich bei der Abstimmung zu einem Gesetz enthalten zu haben, das es verbietet, daß Kinder, die ihre eigene Abtreibung überleben, nachträglich getötet werden können.
Obama wies die Kritik zurück und warf seinerseits Hillary Clinton vor, im Senat für den Born-Alive Infants Act gestimmt zu haben, der vom Abtreibungsgegner Senator Rick Santorum eingebracht worden war, und der inhaltlich jenem Gesetz ganz ähnlich gewesen sei, bei dem sich Obama enthalten hatte. Blake Zeff, einer von Clintons Pressesprechern, verteidigte die New Yorker Senatorin mit dem Hinweis, daß damals ohnehin 97 von 100 Senatoren für den Gesetzentwurf gestimmt hatten, und damit die Stimme Clintons völlig irrelevant gewesen sei und ohnehin in einer Fußnote verankert gewesen sei, daß das Gesetz nicht das Urteil Roe gegen Wade verändern würde.
Beim Wettkampf zwischen Clinton und Obama um das akzentuiertere Pro-Abtreibungsimage geht es nicht nur um die Stimmen der liberalen Amerikaner und der Abtreibungsbefürworter. Da der US-Wahlkampf große Summen an Geld kostet, geht es vor allem auch um die finanzkräftige Unterstützung durch die Abtreibungslobby und deren Zuwendungen für die Wahlkampfkassen.
Auf republikanischer Seite gibt es diesen Wettlauf – unter umgekehrten Vorzeichen – nicht. Ihn hat unter den Bewerbern um das Weiße Haus bereits eindeutig Mike Huckabee gewonnen. Der ehemalige Gouverneur von Arkansas und ehemalige baptistische Pastor, der die Vorwahlen im Bundesstaat Iowa gewonnen hat und in South Carolina Zweiter wurde, hat am vergangenen Freitag bekanntgegeben, daß er bei seiner Wahl zum nächsten Präsidenten der USA ein Abtreibungsverbot in der Verfassung festschreiben würde und die Tötung von ungeborenen Kindern damit verfassungswidrig werde.
Die anderen Bewerber der Grand Old Party beschränken sich darauf, möglichst wenig pro choice zu erscheinen, einschließlich der ehemalige Bürgermeister von New York Rudy Giuliani, dem Lebensschützer und konservative Amerikaner in dieser Frage nicht so recht über den Weg trauen. Er hat versprochen, nur Abtreibungsgegner als Richter an den Obersten Gerichtshof berufen zu wollen.
(Il Foglio/RP)