(Ankara) In Istanbul ist am Montag der Prozeß gegen die mutmaßlichen Mörder des Chefredakteurs der türkisch-armenischen Zeitschrift Agos, Hrant Dink wieder aufgenommen worden.
Vor dem Gebäude des Strafgerichtshofs im Stadtteil Besiktas sind verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden. Die Polizei befürchtet Provokationen von Nationalisten und Proteste von Menschenrechtlern. In Brüssel wird der Prozeß aufmerksam verfolgt und als Test angesehen, inwieweit das Rechtssystem der Türkei den gesamteuropäischen Standards entspricht.
Bei Prozeßauftakt am 2. Juli hat sich der Hauptangeklagte, der 17jährige Ogun Samast, geweigert, die Namen der Hintermänner des Mordes an Hrant Dink zu nennen. Die Rechtsanwälte der Angehörigen des ermordeten Journalisten haben ihrerseits ihre Unzufriedenheit mit der Untersuchung des Verbrechens zum Ausdruck gebracht.
Auf der Anklagebank haben 19 Verdächtige Platz genommen. Die Anklage fordert, die Täter und ihre Auftraggeber zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Ihre Komplizen sollen demzufolge Haftstrafen von 18 bis 24 Jahren bekommen. Die Anklagepunkte lauten Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation, Mord, illegaler Besitz von Schußwaffen, Herstellung, Lagerung und Verwendung von Sprengstoffen sowie Androhung von physischer Gewalt.
Der Chefredakteur ist am 19. Januar vor der Redaktion seiner Zeitschrift in Istanbul erschossen worden. Einen Tag später sind der Todesschütze Samast und über ein Dutzend Einwohner der Schwarzmeerprovinz Trabzon unter Tatverdacht festgenommen worden. Schon beim ersten Verhör hat Dinks Mörder die Tat gestanden und in seinem Geständnis schriftlich bekannt, daß er sich durch Hrant Dinks Artikel insbesondere über den Genozid an Armeniern zu der Tat verleitet fühlte. Schon vor dem Mord hatten Nationalisten dem bekannten Journalisten mehrfach Gewalt angedroht.
Nach der Gewalttat brachen in der Türkei die Auseinandersetzungen über den Paragraphen 301 des türkischen Strafgesetzbuches, die Beleidigung des Türkentums, unter Strafe stellt, mit neuer Härte wieder auf. Im Jahr 2005 war Dink auf seiner Grundlage zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ein Verfahren gegen den Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk mußte wegen Formfehlern eingestellt werden.
Die Europäische Union, der die Türkei beitreten will, kritisiert Ankara wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen und fordert demokratische Reformen.
Der Fernsehsender NTV berichtet, daß Vertreter von 150 verschiedenen Bewegungen zum Gericht in Istanbul gekommen sind, um die Angehörigen des Ermordeten zu unterstützen.
(RIA Novosti)